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Jack Lloyd Folge 6

Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät

Ein erster Auftrag

In der Taverne herrschte reges Treiben. Die Tische im vorderen Bereich der Spelunke waren voll besetzt. Nur in den hinteren, mit Vorhängen und Decken teilweise vom Hauptraum abgetrennten Bereichen war es etwas leerer. Jack und Everet saßen an einem dieser Tische und tranken einen Becher Wein. Der Krug war schon nur noch weniger als halb voll und der Tag war noch nicht zur Hälfte verstrichen. In den letzten drei Wochen hatte Jack eine Menge Zeit im Schwarzen Krug, dem berüchtigten Piratenloch von Port Royal, verbracht. Hier hatte er mehr als ein Dutzend neuer Männer angeworben und mit Everet Pläne für die jeweils folgenden Tage geschmiedet. Seine Matrosen waren in den vergangenen Wochen von einfachen Seefahrern, die mit ihren Schwertern umzugehen verstanden, zu echten Kämpfern ausgebildet worden. Den Rest würden sie im echten Gefecht lernen müssen, oder sie würden nicht allzu lange überleben. Eine schlagkräftige Crew von 22 Mann stand bereit, um eine erste Fahrt ins Ungewisse zu unternehmen. Außerdem war die Swallow vollständig repariert und mit neuen Kanonen bestückt worden. Jack freute sich auf den ersten Auftrag, und ihm war ein wenig mulmig zumute. Sie würden ein fremdes Schiff angreifen, etwas, was vor wenigen Monaten für Jack noch völlig undenkbar gewesen wäre. Aber die Zeiten änderten sich und mit ihnen die Einstellung zu manchen Dingen. Es war Jack nicht schwergefallen, die meisten Überlebenden seiner kleinen Crew von einer Zukunft als Freibeuter zu überzeugen. Nur der alte Joe hatte ein paar Bedenken, was die Moral der Mannschaft anginge, wenn man Gesetzlose als neue Mannschaftsmitglieder an Bord aufnehmen würde. Doch Jack setzte sich durch. Er war der Kapitän. Auch wenn es Joe offenkundig nicht leicht fiel, er stimmte schließlich zu.

An diesem Tag hatten Everet und Jack vereinbart, sich hier in einem der hinteren Teile des Schwarzen Kruges zu treffen, da Everet Jack ein letztes Mitglied für seine neue Crew vorstellen wollte. Auch wenn Lloyd der Ansicht war, dass seine Mannschaft vollzählig war, bestand Everet darauf, dass der junge Kapitän sich mit dem Mann, den er ihm vorstellen wollte, unterhielt. Sie saßen schon seit fast einer Stunde hier und warteten. Dabei tauschten sie Belanglosigkeiten aus. Langsam drohte ihnen der Gesprächsstoff auszugehen, deshalb zogen beide Männer es vor, zu schweigen und einen guten Schluck zu trinken.

Endlich wurde der Vorhang, der den Bereich, in dem die beiden Männer saßen, etwas verdunkelte, zurückgezogen. Einer von Everets Soldaten trat ein und flüsterte seinem Leutnant etwas zu. Dieser nickte und wandte sich dann an Jack.

»Der Mann, den ich Euch heute vorstellen möchte, ist einer der besten Steuermänner, die im Moment in Port Royal verfügbar sind.«

»Ich habe einen hervorragenden Steuermann. Sonst hätten wir kaum das Manöver von Santo Domingo überlebt.« Jack gab sich Mühe, ungehalten zu klingen. In Wahrheit war er aber mehr als nur interessiert. Er brauchte Männer mit Gefechtserfahrung. Und wenn Everet einen erfahrenen Steuermann aufgetrieben hatte, dann war dieser es auf jeden Fall wert, dass man sich mit ihm befasste.

Everet, der die Launen seines neuen Verbündeten mittlerweile zur Genüge kannte, hob abwehrend beide Hände und lächelte Jack mit gequälter Freundlichkeit an. »Ich habe keine Zweifel an der Qualität Eurer Männer, Kapitän. Aber wenn man einen Mann wie Dick ten Buren bekommen kann, dann sollte man zugreifen. Er ist mit mehr Schwarzflaggen gesegelt, als Ihr Euch vorstellen könnt.«

»Mit 14 verschiedenen, um genau zu sein«, dröhnte eine tiefe Bassstimme durch den Raum. Ein Mann, Anfang fünfzig mit grauen schulterlangen Haaren, verfilzter Jacke, einer Hose, die wahrscheinlich noch älter war als er selbst, und einem Dreitagebart, der das Bild eines ungepflegten Mannes vervollständigte, trat an den Tisch der beiden Männer.

Everet, der sich von dem Äußeren des Mannes offensichtlich nicht beeindrucken ließ, erhob sich von seinem Stuhl und nickte dem Neuankömmling respektvoll zu.

Jack, der den Fremden unter normalen Umständen keines Blickes gewürdigt hätte, registrierte mit einer gewissen Verwunderung, dass einer der Soldaten dem Steuermann einen Stuhl brachte und ohne dass der Fremde nur ein Wort gesagt hatte, ein Becher und ein neuer Krug Wein vor ihm abgestellt wurden. Dick ten Buren goss einen Becher voll und leerte diesen mit einem Zug. Ein lauter Rülpser und ein anerkennendes Nicken später sah er von Jack zu Everet und zurück. Dann goss er seinen Becher erneut voll, machte aber keine Anstalten, ihn anzurühren, sondern schaute erwartungsvoll zu Everet.

Der Leutnant räusperte sich, und Jack erkannte mit wachsender Verwunderung, dass der Offizier offenbar genau abwägte, was er als Nächstes sagen würde.

»Schön, dass Ihr Euch durchgerungen habt, meiner Einladung zu folgen, Sir.« Everet klang steif und förmlich, viel freundlicher als er mit Jack in den letzten Wochen gesprochen hatte.

»Spart Euch das blöde Gewäsch, Everet. Sagt mir, was Ihr von mir wollt, und ich werde Euch sagen, dass Eure Zunge meine Fott streicheln kann. Anschließend kann jeder von uns wieder seiner Wege gehen und wir sind beide zufrieden. Was haltet Ihr davon?«

Jack, der gerade seinen Becher angesetzt hatte, um einen guten Schluck zu nehmen, musste sich größte Mühe geben, sich nicht zu verschlucken. Nachdem er den Wein heruntergewürgt hatte, schaffte er es, sich auf ein amüsiertes Lächeln zu beschränken. Everet wäre mit Sicherheit beleidigt gewesen, hätte Jack laut losgeprustet.

Der Leutnant schloss kurz die Augen und lächelte ergeben. Dann sah er ten Buren direkt an und erklärte: »Wenn Ihr schon wisst, dass Ihr mein Angebot auf jeden Fall ablehnen werdet, warum seit Ihr dann hier?«

»Wegen des Grünschnabels hier«, erklärte Dick frei heraus und deutete auf Jack.

Lloyd zog Augenbrauen kritisch zusammen und fragte leise: »Wer nennt mich einen Grünschnabel?«

»Ich, mein Junge. Ich tue das«, erklärte Dick gutmütig grinsend. »Keine Bange, ich habe von Eurem Manöver vor Santo Domingo gehört und ich muss gestehen, ich war neugierig, wie der Mann aussieht, der sich so eine Nummer zutraut. Dazu gehört eine Menge Mut. Und noch mehr Dummheit.«

»Es ist gelungen«, stellte Jack sachlich fest. »Ich denke, das ist es, worauf es ankommt, oder?«

»Und genau das ist das Verwunderliche. Aber die Spanier haben die Angewohnheit, ihre Feinde zu studieren. Ich fürchte, ein ähnliches Schauspiel werdet Ihr nicht noch einmal liefern können.«

»Welch weiser Erguss«, ächzte Jack.

Everet verdrehte die Augen. Das Gespräch lief so gar nicht in die Richtung, die er sich vorgestellt hatte.

»Also, wenn ich die Gerüchte in Port Royal richtig deute, hat unser ebenso fetter wie gieriger Gouverneur es geschafft, Euch einen Kaperbrief aufzuschwatzen. Was zahlt Ihr dafür?«

»Einen Anteil der Beute«, erklärte Jack bereitwillig, was ihm einen giftigen Seitenblick von Everet einbrachte.

»Ich habe vor Monaten das Steuerrad aus der Hand gegeben und geschworen, keines mehr anzurühren. Ich habe nicht vor, diesen Schwur zu brechen. Wenn ich Euch einen Rat geben darf, mein Junge: Bildet Euch nicht ein, Ihr wärt stark genug, um es mit einem spanischen Kriegsschiff aufzunehmen. Ihr habt eine Attacke überlebt, aber nur weil Ihr den Feind mit Eurem Mut und Eurem Einfallsreichtum überrascht habt. Das wird Euch nicht immer gelingen.« Dick griff nach dem Weinbecher und machte auch diesen mit einem Zug leer. Mit einem lauten Knall schlug er den Becher wieder auf den Tisch. Dann erhob er sich ächzend. »In meinem Alter sollte man sich zur Ruhe setzen. Ich habe genug gesehen im Leben und mein Anteil an der Beute reicht, um mir ein angenehmes Leben zu sichern. Tut mir leid, meine Herren, meine Zeit auf hoher See ist abgelaufen.«

Nach diesen Worten machte Dick auf der Stelle kehrt und verließ das kleine Separée.

Jack und Everet sahen ihrem ungewöhnlichen Gast wortlos nach. Lloyd griff kopfschüttelnd nach seinem Weinbecher und stürzte den Rest des süßen Traubengetränks den Rachen hinunter.

»Ihr hättet ihn gebrauchen können«, murmelte Everet resignierend.

»Es wird auch ohne ihn gehen.« Jack wirkte nicht unzufrieden mit der Entwicklung, als er sich erhob.

»Ich habe noch etwas anderes für Euch, Kapitän.« Everet griff in seinen Mantel, den er über die Lehne seines Stuhls gehängt hatte, und reichte Jack einen vom Gouverneur versiegelten Brief. »Euer erster Auftrag, Kapitän. Lest den Brief an Bord der Swallow, wenn Ihr den Hafen verlasst. Ihr lauft heute Abend noch aus.«

»Sagt wer?«, fragte Jack verwirrt. Er wusste mittlerweile, dass Everet und der Gouverneur sich gern in seine Entscheidungen einmischten. Aber dass er nicht einmal gefragt wurde, ob er einen Auftrag annehmen wollte oder nicht, war so gar nicht nach seinem Geschmack.

»Sagt der Gouverneur, Kapitän. Erfüllt diesen Auftrag. Seht es als eine Art Probe des Gouverneurs, ob seine Investition weise war. Danach habt Ihr freie Hand bei der Wahl Eurer Ziele.«

Jack nickte und steckte den Brief ein. »Ihr hört von mir, wenn die Swallow wieder in Port Royal ist.«

»Viel Glück, Kapitän.«

Jack nickte Everet noch einmal zu. Dann machte er sich auf den Weg zurück in den Hafen. Die Mannschaft musste zusammengetrommelt und alles für die Abfahrt vorbereitet werden. Da er nicht wusste, wohin genau die Reise gehen sollte, war ihm auch nicht ganz klar, was an Lebensmittelvorräten, Wasser, Waffen und Munition notwendig waren. Außerdem zweifelte er, dass es möglich war, die notwendige Ladung bis zum Abend eingekauft und an Bord gebracht zu haben. Zu seiner Verwunderung stellte er, als er sich dem Liegeplatz der Swallow näherte, fest, dass das Schiff bereits beladen wurde. An Bord erklärte Joe ihm, dass ein Bote des Gouverneurs hier war und ihnen mitgeteilt hatte, dass sie am Abend Port Royal verlassen würden. Everet und der Gouverneur hatten festgelegt, womit die Swallow beladen werden sollte, und die Leute des Leutnants waren bereits fast fertig mit der Arbeit.

»Er will uns an der kurzen Leine halten«, brummte Jack.

»Lassen wir uns das gefallen, Käpt´n?«

»Für dieses Mal ja, mein Freund. Die Reparaturen der Swallow und all das, womit das Schiff beladen wurde, hat der Gouverneur finanziert. Aber er sollte den Bogen nicht überspannen. Wir verlassen Port Royal, sobald alle an Bord sind und die Beladung abgeschlossen wurde.«

»Welches Ziel?«

»Ich weiß es noch nicht, Joe. Ich habe einen versiegelten Brief erhalten, den ich erst lesen soll, wenn wir auslaufen. Darin wird stehen, was unser Ziel ist.«

»Das gefällt mir nicht«, brummte Joe verstimmt.

»Mir auch nicht, mein Freund. Aber wir werden es ertragen. Was hältst du von unseren neuen Crewmitgliedern?«

»Ich denke, du hast eine gute Wahl mit den Leuten getroffen. Ob wir uns wirklich auf sie verlassen können, werden wir wahrscheinlich in ein paar Tagen wissen.«

Jack nickte. Dann klopfte er dem alten Matrosen auf die Schulter. »Wenn wir den Hafen und die Hafeneinfahrt hinter uns gelassen haben, soll die Mannschaft sich auf dem Deck versammeln. Wir werden einiges zu besprechen haben.«

»Aye, Käpt´n.«

»Ich bin in meiner Kajüte. Du übernimmst das Kommando. Wenn die Mannschaft versammelt ist, hol mich.«

Joe nickte und machte sich wieder an die Arbeit. Es galt, noch einige Vorbereitungen zu treffen, bevor sie auslaufen konnten. Jack zog sich in seine Kajüte zurück. Seufzend ließ er sich auf seine Pritsche fallen und starrte die viel zu nahe Holzdecke an. Den Brief des Gouverneurs trug er in der Innentasche seiner Jacke. Er hatte das Gefühl, das Schriftstück regelrecht pulsieren zu spüren. Was sprach dagegen, das Siegel jetzt schon zu brechen und den Inhalt zu lesen? Wer würde es je erfahren? Wahrscheinlich niemand. Aber es wäre auch nicht gerade der beste Beginn einer vertrauensvollen Zusammenarbeit, direkt gegen die erste klare Anweisung seines Gönners zu verstoßen. Andererseits, die Tatsache, dass sie genau rationierte Vorräte an Bord hatten, sprach auch nicht gerade dafür, dass der Gouverneur ihm vertraute. Mit einem tiefen Atemzug zog er den Brief aus der Innentasche, schaute kurz auf das Siegel und zerbrach es dann. Er faltete den Brief auseinander und begann die geschwungene Schrift des Gouverneurs zu lesen.

Mein lieber Kapitän Lloyd,

wie ich Euch einschätze, werdet Ihr diesen Brief bereits vor Eurer Abfahrt lesen. Es soll mir gleich sein, die Hauptsache ist, Ihr erfüllt diesen Auftrag zu meiner Zufriedenheit. Ich denke, dass ich diesen Gefallen als Gegenleistung für meine Großzügigkeit erwarten darf. Ihr werdet Port Royal verlassen und in nördliche Richtung an Hispanola vorbeisegeln. Vor Santiago werdet Ihr kreuzen. In wenigen Tagen wird dort ein spanisches Handelsschiff erwartet. Der Händler gilt als Vertrauter des Gouverneurs von Havanna. Er hat wichtige Dokumente an Bord, die dem Gouverneur von Havanna von hochrangigen Militärkommandanten zugesandt wurden. Um kein Aufsehen zu erregen, wurde der Händler als Überbringer der Nachrichten gewählt. So hoffen die Spanier zu verhindern, dass die Dokumente abgefangen werden. Ihr werdet diese Hoffnung zunichtemachen. Es handelt sich um eine Handelsgaleone, die den poetischen Namen Jungfrau von Cartagena trägt. Nehmt Ihnen die Jungfräulichkeit und was immer Ihr noch wollt. Nur denkt daran, mir meinen Anteil und diese Dokumente zu überbringen. Ich erwarte Euch in wenigen Tagen zurück in Port Royal. Und ich erwarte, dass die Siegel der Dokumente unbeschädigt sind.

Ein Freund

Jack konnte sich eines Lächeln nicht erwehren. Offenbar war der Gouverneur durchaus in der Lage, ihn einzuschätzen. Ein Handelsfahrer also. Jack atmete erneut tief durch, als er den Brief ein zweites Mal las, um sich die Worte seines Auftraggebers genau einzuprägen. Dann faltete er den Brief wieder zusammen, legte ihn auf den Tisch in der Mitte seiner Kabine und ließ sich erneut auf seiner Pritsche nieder. Auf sie warteten anstrengende Tage. Da konnte es nicht schaden, sich noch einmal etwas Ruhe zu gönnen.

Fortsetzung folgt …

Copyright © 2011 by Johann Peters