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Westernkurier 05/2009

Auf ein Wort, Stranger,
kennen Sie eigentlich Abilene?

Moment, ich meine jetzt nicht das Abilene mit seiner Texas-Street, seinen Marshals Bear River Tom Smith oder Wild Bill James Butler Hickok, also jenes Bild, wie es ständig in allen Büchern und Filmen dargestellt wird. Die Rede ist hier vom wahren Abilene, dem realen Leben in jener Stadt, die man damals auch unter den Namen Sixshooter City oder das Gomorrha der Plains kannte.

Jener Ort, der nicht nur mit Begriffen wie Cowboys, Rindern, oder Pulverdampf verbunden war, sondern in dem es auch Mühlen, ein Operahouse, kirchliche Sekten und jede Menge Nutten gab.

Okay, letztgenannter Begriff ist für einen Westernkurier vielleicht ein etwas ungewohntes Thema. So manche presbyterianisch, methodistisch oder katholisch vorbelastete Mutter hätte damals ihrem männlichen Sprössling auf der Stelle den Mund mit Seife ausgewaschen, nachdem er das Wort ausgesprochen hatte. Aber dieses Thema war nun mal aus Abilene nicht wegzuleugnen.

Zwischen 1867 und 1872 gab es in dieser Stadt über einhundert offizielle Freudenmädchen, wobei die Dunkelziffer fast doppelt so hoch lag und das bei gerade mal dreitausend Einwohnern. Hierzulande ist ein Ort der käuflichen Liebe erst ab einer Stadtgröße von 36 000 Einwohnern erlaubt und das in unserer aufgeklärten Zeit.

Personen, die sich zu diesem Thema allerdings jetzt detaillierte Auskünfte erhoffen, muss ich enttäuschen, hier geht es nur um geschichtliche Fakten.

Das erste Abilene -Freudenhaus befand sich 1867 südlich der Texas-Street unmittelbar neben dem Schulhaus. Nachsitzen kam damals deshalb so etwas wie einer Belobigung gleich. Aber die Schüler konnten sich nicht lange an ihrer ungewöhnlichen Nachbarschaft erfreuen. Die Streiter der hiesigen Frauenliga sorgten schon 1868 dafür, dass jene Damen in ein Zeltlager am Ufer des Mud-Creeks ziehen mussten und 1869 in einen isolierten und abgezäunten Bezirk, der aus 12 Baracken bestand, ausgewiesen wurden.

Tal der Sünde, Texashölle, Bärenloch oder Teufelsinsel waren hierfür noch die harmlosesten Bezeichnungen. Die Populärste dieser Schönen war als Soiled Dove ( Erdtäubchen) und ihr Hauptquartier als Hattie´s House bekannt.

Allerdings war selbst der Frauenliga bewusst, dass man die Freudenmädchen nicht ständig in ihrem Bezirk einsperren konnte. Auch diese Damen mussten essen und trinken, und so gestand man ihnen, wenn auch zähneknirschend zu, einmal am Tag in die Stadt zu kommen.

Zwischen 16 und 17 Uhr, während der sogenannten Parade der Sirenen, flanierten sie über die Gehsteige der Texas-Street, stets nach der neuesten Wespentaillemode gekleidet.

Dass in dieser Stunde jeglicher Verkehr oder sonstiges öffentliches Leben in der Stadt erstarb, brauche ich wohl nicht extra zu erwähnen.

Das absolute Gegenstück dazu war der sogenannte Abilene Social Club, der ebenfalls engen räumlichen und menschlichen Abgrenzungen unterlag.

Hier fand das Gesellschaftsleben der sogenannten ehrbaren Bürgerschaft statt.

Nur Ehepaare, die mit einer Empfehlung von mindestens 4 Bürgen aufwarten konnten, fanden hier Zutritt. Man traf sich einmal in der Woche am Sonntag im exklusiven Drover´s Cottage Hotel und drehte sich im Dreivierteltakt zu den Walzerklängen der Hawkins String Band, die bei ihren Darbietungen wie überliefert in ungefähr soviel Leben und Leidenschaft an den Tag legte wie ein erschossener Präriehase. Man diskutierte über Backrezepte, darüber, dass der missratene Sprössling der Familie Kilgore es gewagt hatte, im letzten Jahr tatsächlich einmal den Schulunterricht zu schwänzen und ob die Stadt überhaupt noch eine neue Kirche benötige. 1874 gab es in Abilene nämlich bereits 6 Kirchen verschiedener Glaubensrichtungen sowie Versammlungshäuser von drei Sekten. Wohlgemerkt, für gerademal dreitausend Seelen. Erwähnenswert ist vielleicht noch, dass in Abilene die katholische Kirche erst 1874 Fuß fassen konnte, zu einem Zeitpunkt, als es dort längst schon Methodisten, Baptisten, Universalisten, Lutheraner und Presbyterianer gab, sowie die Illinois Prohibition Society, die Tennessee-Kolonie und die River-Bethren Sekte, eine den Quäkern artverwandte Vereinigung.

Besser wäre es vielleicht gewesen, man hätte über den Bau eines neuen Gefängnisses nachgedacht. Denn das alte, ein 1868 erbautes 3,5 auf 3,5 Meter großes Kalksteingebäude war nämlich von der Driscill Cowboymannschaft eingerissen worden, weil es ein vorwitziger Polizeibeamter gewagt hatte, ihren Mannschaftskoch einzusperren.

Man hat zwar in dieser illustren Runde über den Bau eines Gebäudes nachgedacht, aber herauskam dabei vorerst nur das zweistöckige Plaza-Theatre, auch Abilene-Operahouse genannt, das noch im gleichen Jahr eröffnet wurde.

Doch schon bald hatten die Menschen in der Stadt ganz andere Sorgen.

Die dollarreichen Zeiten des Rinderbooms zogen durch die immer weiter nach Westen vordringenden Bahnlinien schneller an der Stadt vorbei als den Einwohnern lieb war. Wurden 1867 noch 35 000 Rinder in der Stadt verladen, waren es 1869 bereits 350 000 und 1871 fast 600 000 Stück Vieh. Ein Jahr später aber nur noch die Hälfte und dann war auch schon Schluss.

Das wiederum lag nicht nur an dem Entstehen neuer Boomtowns wie Wichita, Newton oder Dodge City, sondern schlicht und einfach an dem Verhalten der Bürger von Abilene.

Kein vernünftig denkender Mensch hackt schließlich die Hand ab, die einen füttert. Aber weil die machtgierigen Yankees in der Stadtverwaltung, deren einzige Rechtfertigung menschlichen Strebens Geld und Erfolg waren, zu dem Schluss kamen, die texanischen Cowboys und ihre Arbeitgeber zu maßregeln, durften sie sich auch nicht über die Folgen beschweren. Hunderte von Weidereitern blieben mitsamt ihren Ranchern von einem Tag auf den anderen der Stadt fern und trugen ihr Geld lieber woanders hin.

Kein Mensch lässt sich schließlich gerne vorschreiben, wann er zu trinken, feiern, rauchen oder scheißen hat.

Abilene verfiel innerhalb weniger Monate in eine Zeit jahrelanger wirtschaftlicher Lähmung und wurde wieder zu dem, was es war, bevor Viehhändler Joseph McCoy auf eigenes Risiko dort den ersten Viehverladebahnhof Amerikas baute, nämlich zu einem kleinen, totenstillen Drecksnest.

Damit wäre ich am Ende mit meinem Blick hinter die Kulissen der einstigen Königin der Cattle-Towns. Der Vollständigkeit halber wäre als weiterer Höhepunkt der Stadtgeschichte noch zu erwähnen, dass 1892 sich dort die Familie des späteren Präsidenten Dwight. D. Eisenhower ansiedelte.

Heute zählt Abilene knapp 6500 Einwohner, und außer einer halbherzig restaurierten Westernstadt und zwei bescheidenen Museen wird dem Besucher nicht sonderlich viel geboten.

Schade eigentlich, denn es gibt genug Beispiele dafür, dass es auch anders geht.

In diesem Sinne bis die Tage,

euer Slaterman

Quellen:

  • H.J. Stammel: Der Cowboy von A bis Z
  • Dietmar Kügler: Sie starben in den Stiefeln
  • www.legendsofamerica.com

(slaterman)