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Porterville – Folge 4

Porterville – Folge 4
Träume der Termiten

Die 18-teilige Mystery-Serie Porterville ist keine normale Serie, wie du sie kennst. Denn sie funktioniert wie eine Art Puzzle: So ist jede Folge von Porterville wie ein neues Puzzle-Teil. Das bedeutet, die Geschichten beginnen nicht unbedingt da, wo du bei der letzten Folge aufgehört hast. Doch mit jeder neuen Folge erhältst du tiefere Einblicke in die Stadt und ihre Bewohner, bis sich das rätselhafte Gesamtbild immer mehr zusammensetzt und am Ende die Frage geklärt wird: »Was ist das dunkle Geheimnis der Stadt Porterville?«

John Beckmann
Porterville – Folge 4
Träume der Termiten
gelesen von Charles Rettinghaus
Prolog: Luise Helm

Mystery, E-Book/Hörbuch, Folgenreich

Cambridge, Oktober 1985. Es beginnt mit einem unglaublichen Jobangebot. Kurz vor Abschluss seiner Doktorarbeit bekommt Paul Higgins, Absolvent des MIT, die Chance seines Lebens. Der Zeitpunkt könnte nicht besser sein, denn Pauls Freundin Kathy ist hochschwanger. Die beiden hoffen auf eine gesicherte Zukunft für ihre kleine Familie ohne zu wissen, wie hoch der Preis ist, den sie dafür zahlen müssen.

Hörbuch: MP3, 6 Tracks, 1:28:11 Stunden, 4,99 Euro
E-Book: 88 Seiten, 1,49 Euro

Über den Autor

John Beckmann, geboren 1981 in Hamburg, studierte nach dem Abitur BWL und arbeitete als Altenbetreuer, Call-Center-Agent und Lagerarbeiter. Er ist freiberuflicher Autor für Kurzgeschichten, Hörbücher und Hörspiele (Lady Bedfort, Mind Napping). Neben zahlreichen Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften schrieb er u.a. auch mehrere Folgen für die prämierte Thriller-Serien Darkside Park, Terminal 3 und die Abenteuer-Serie Von Lichtwiese nach Dunkelstadt.

Hörprobe
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Leseprobe

Wenn sich Prinz und Prinzessin im Schein des Mondlichts gefunden haben, ziehen sie sich schnell aus dem wilden Getümmel zurück und suchen nach einem Unterschlupf. Eine Erdspalte dient als Hochzeitskammer. Die Zeit bis zum Tagesanbruch ist kurz, und in der Dämmerung lauern viele Feinde, weshalb die beiden sogleich damit beginnen, Erde mit ihrem Speichel zu mischen und den Ausgang zu verschließen. Sie mauern sich ein in ihrem Gemach. Dann erst folgt der Paarungsakt, der sie zu König und Königin macht. Sie werden die Hochzeitskammer Zeit ihres Lebens nicht mehr verlassen.Wie in einer Höhle. Kühl und dunkel.
Schwere Vorhänge verbannen die Oktobersonne nach draußen. Die wuchtigen Bücherregale reichen bis unter die Decke. Der Teppich ist handgeknüpft und tief wie Treibsand. Alles in Professor Crowns Büro ist groß und dunkel. Auch der Schreibtisch, an dessen Ecke die einzige Lichtquelle des Raums in Form einer Schreibtischlampe mit grünem Glasschirm steht. Eine schlichte Unterlage mit einem Notizblock, ein Schreibgeräthalter aus Messing und ein Telefon mit Tastenfeld teilen sich die knapp vier Quadratmeter polierte Mahagonifläche.
Der Professor selbst sitzt hinter dem Schreibtisch. Starr und unbeweglich. Als wäre er aus Stein gemeißelt. Würde Professor Crown nicht ab und an auf einer Podiumsdiskussion in Erscheinung treten, könnte man meinen, er wäre längst durch seine eigene Statue ersetzt worden.
Der Campus liebt Gerüchte. Besonders die abwegigen.
»Paul«, begrüßt Professor Crown mich. »Schön, dass Sie es so kurzfristig einrichten konnten.«
Die schwere Eichentür hinter mir schließt sich ohne mein Zutun und mauert uns ein in unsere kleine Höhle.
»Bitte, setzen Sie sich.« Professor Crown weist auf einen der Besuchersessel.
Ich versinke in dunklem Leder.
»Wie geht es Ihnen?«
»Gut, danke.«
»Und Kathy?«
»Ebenfalls. Vielen Dank.«
»Gut.«
Ich betrachte Professor Crowns steinerne Miene und frage mich, warum er mich so eilig zu sich gerufen hat.
»Geht es um … um meine Arbeit?«, frage ich.
Er winkt. »Nein, nein, seien Sie unbesorgt.«
»Diesmal schaffe ich den Abgabetermin. Es fehlt eigentlich nur noch die Zusammenfassung.«
Das stimmt nicht ganz. Doch ich musste bereits zweimal um eine Verlängerung bitten, weshalb einige beruhigende Worte bestimmt nicht verkehrt sind.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Paul. Es geht nicht um Ihre Doktorarbeit. Zumindest nicht in einem Zusammenhang, den Sie gerade befürchten.« Er wendet sich dem zweiten Besuchersessel zu, welcher etwas abseits am Rand des Lichtscheins steht. »Ich darf Ihnen Mr. Lundergaard vorstellen?«
Erst jetzt bemerke ich, dass in dem anderen Sessel ebenfalls jemand sitzt.
»Ein langjähriger Kollege und … guter Freund von mir.«
»Und ein großer Bewunderer Ihrer Arbeit«, ergänzt Mr. Lundergaard mit einem schmalen Lächeln. Alles an ihm ist schmal: das Gesicht, die Schultern, die dünne Nase.
»Es freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr. Higgins«, wendet er sich an mich mit einer Stimme, die genauso dünn ist wie der Rest von ihm. Sein Akzent ist nicht zuordbar, was ihn zusammen mit seiner Kleidung wie einen Farmer bei einem seiner seltenen Besuche in der Großstadt erscheinen lässt. Die Ellbogen seines Jacketts sind geflickt. Der Stoff seiner Hose ist an den Knien so dünn, dass helle Haut hindurchscheint. Die Umschläge sehen sogar im Zwielicht staubig aus.
»Gefällt es Ihnen am MIT?«, fragt Mr. Lundergaard mit seiner seltsamen Betonung.
Ich nicke. »Es ist eine der besten Universitäten des Landes.«
»Obwohl es nicht umsonst Massachusetts Institute of Technology heißt«, ergänzt Professor Crown. »Neben den Ingenieurswissenschaften fristen die meisten anderen Fakultäten ein Schattendasein, aber wir wollen uns nichts beschweren.«
»Cambridge ist ein reizendes kleines Städtchen«, entgegnet Mr. Lundergaard etwas zusammenhangslos.
»Wenn Sie großes Glück haben«, übernimmt wieder Professor Crown, »wird Mr. Lundergaard Ihnen ein Angebot machen. Und wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: Hören Sie es sich ganz genau an.«
Mr. Lundergaard nickt. »Sehr freundlich, sehr freundlich.« Er schaut zu mir auf. »Ich hatte die Ehre, eine Vorabfassung Ihrer Forschungsergebnisse lesen zu dürfen.« Er lächelt sein blasses schmales Lächeln. »Ich hoffe, dies ist in Ordnung für Sie.«
»Selbstverständlich«, sage ich, obwohl es alles andere als in Ordnung ist.
»Sie verfolgen … Sie verfolgen da einen sehr interessanten Ansatz, Mr. Higgins.« Er begutachtet seine Fingernägel und kratzt daran herum. Wahrscheinlich kleben noch Erdkrümel von der Feldarbeit darunter. »Wirklich sehr interessant.«
Ich frage mich, wie viel er verstehen konnte von dem, was er gelesen hat.
»Konnten Sie Ihre Forschungen inzwischen abschließen?«, fragt Mr. Lundergaard.
»Ja«, sage ich, und eine neue Frage wird größer und verdrängt die vorherige: Warum gibt Professor Crown meine Arbeit ohne mein Einverständnis an eine mir wildfremde Person weiter? Einer Person, die augenscheinlich nicht im Geringsten etwas mit meiner Forschung zu tun hat.
»Haben sich die Ergebnisse verändert?«, unterbricht Mr. Lundergaard meine Gedanken.
»Nein. Nicht im Geringsten.«
»Fein«, befindet Mr. Lundergaard und widmet sich wieder der Nagelpflege.
Professor Crown erweckt den Anschein, als würde ihn dies alles nichts angehen. Abwesend schaut er aus dem kleinen Spalt Fenster, den die Vorhänge unbedeckt gelassen haben.
»Fein«, sagt Mr. Lundergaard noch einmal und faltet die Hände in seinem Schoß. »Mr. Higgins, lassen Sie mich Ihnen eine Frage stellen: Wie würde es Ihnen gefallen, an einer Expedition teilzunehmen? Einer Expedition, welche den Lauf der Wissenschaft verändern und in die Geschichtsbücher eingehen wird.«
»Das kommt ganz darauf an.«
»Worauf?«, fragt er interessiert.
»Auf das Ziel und Forschungsthema der Expedition.«
»Natürlich, natürlich. Ich kann Sie beruhigen.« Die farblosen Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. Wie zwei Regenwürmer, die sich aneinander schmiegen. »Es wird Ihnen gefallen.« Er beugt sich zu einer abgewetzten Aktentasche hinunter, und holt einen vergilbten Schnellhefter und einen Bleistiftstummel hervor. »Ich würde Ihnen gerne einige Fragen stellen, um Ihre Tauglichkeit zu testen.«
»Meine Tauglichkeit …«
»Ob Sie für unsere Expedition geeignet sind«, erklärt Mr. Lundergaard.
»Ja, klar, warum nicht?«, entgegne ich, obwohl mir auf Anhieb ein halbes Dutzend Gründe dagegen einfällt.
»Fein.« Die Regenwürmer bäumen sich ein weiteres Mal auf. »Ihre Antworten werden selbstverständlich vertraulich behandelt.« Er beginnt, mit kräftigen Drehungen den Bleistift anzuspitzen. Graphit und Sägespäne rieseln auf den Teppich. »Ich möchte Sie jedoch darauf hinweisen, dass die Ergebnisse dieser Befragung ein entscheidendes Auswahlkriterium sind.«
Er zieht den Bleistift aus dem Anspitzer und überprüft die Spitze. Sie glänzt wie dunkler Stahl. Dann öffnet er den Schnellhefter und räuspert sich.
»Mr. Higgins, können Sie schwimmen?«
»Ist das schon die erste Frage Ihres Tests?«, frage ich zurück.
»Ist das Ihre Antwort?«, fragt Mr. Lundergaard seinerseits.
»Nein«, sage ich. »Nein, ich wollte nur sichergehen, dass wir schon angefangen haben.«
Er schaut auf. Seine Augen sind klein, schwarz und spitz wie Bleistiftmienen. »Inwiefern würde dies Ihre Antworten beeinflussen?«
»Gar nicht, ich … ich wollte es einfach nur wissen.«
Er betrachtet mich noch einen Moment lang. Dann nickt er. »Ja, der Test hat bereits begonnen.«
»Okay … Ja, ich kann schwimmen.«
Der Bleistift kratzt sich laut in das Papier, als Mr. Lundergaard meine Antwort notiert.
»Wie lange können Sie die Luft anhalten?«
»Das kann ich Ihnen so pauschal nicht sagen.«
»Es ist aber eine äußerst relevante Information«, entgegnet Mr. Lundergaard.
»Ich weiß aber nicht, wie lange ich die Luft anhalten kann. Tut mir leid.«
»Dann haben Sie jetzt die Möglichkeit, es herauszufinden«, entgegnet Mr. Lundergaard und zieht an einem Band, welches große Ähnlichkeit mit einem Schnürsenkel hat, eine Stoppuhr aus der Jackettasche.
»Sie wollen, dass ich die Luft anhalte?«, frage ich.
Er nickt.
»Jetzt?«
»Vielleicht möchten Sie dafür aufstehen. Es verbessert die Resultate häufig.«
»Das ist nicht ihr Ernst, oder?«
Professor Crown sieht noch immer aus dem Fenster. Mr. Lundergaard nickt nur und fixiert mich mit seinen kleinen dunklen Augen.
Ich stehe auf.
»Sie bestimmen, wann es losgeht«, sagt er und konzentriert sich bereits auf die Stoppuhr.
Ich atme einige Male tief durch und komme mir mit jedem Atemzug blöder vor. Fast bin ich so weit, den Test abzubrechen und Mr. Lundergaard zu sagen, was ich von seinen Fragen halte und dass er zurück auf seine Farm fahren soll, oder wo immer er auch hergekommen ist, doch dann presse ich die Lippen zusammen, die Luft bleibt in mir und mit ihr all die Worte, die nach draußen wollten, und beginne zu zählen. Etwas drückt von innen gegen meine Stirn. Zuerst bin ich mir nicht sicher, ob es die zurückgehaltenen Worte oder die Kohlenmonoxidmoleküle sind, aber als ich ausatme, bleibt nichts außer einer schmerzenden Leere zurück. Professor Crowns Höhle wird noch eine Spur dunkler. Von den Ecken her ziehen schwarze Schatten auf. Ich schnappe nach Luft. Siebenundsiebzig, verkündet mein inneres Zählwerk nicht ohne Stolz.
»Eins drei«, berichtigt mich Mr. Lundergaards Stoppuhr.
»Eine Minute und drei Sekunden?«, frage ich und atme ein, atme aus, atme ein. Das spärliche Licht kehrt zurück.
»Eins drei«, bestätigt Mr. Lundergaard und kratzt das Ergebnis in seine Unterlagen.
»Ist das gut?« Es kam mir wie eine Ewigkeit vor.
»Für gewöhnlich verwende ich diese Begriffe nicht. Jedes Resultat ist individuell.«
»Aber ich habe bestanden?«
»Wir sind noch nicht fertig«, erwidert er und schlägt eine neue Seite auf. »Danke, Mr. Higgins, Sie können sich jetzt wieder setzen.«
Die Polsterung scheint in meiner kurzen Abwesenheit noch weicher geworden zu sein.
Professor Crown hat sich inzwischen dazu entschieden, dass ihn doch interessiert, was sich direkt vor seinem Schreibtisch abspielt, und dem Fenster den Rücken zugekehrt. Er betrachtet mich mit einem wohlwollenden Lächeln. Es verwirrt mich fast mehr als sein gerade überwundenes Desinteresse.
Mr. Lundergaard sagt etwas.
»Wie bitte?«, frage ich und versuche, mich zu konzentrieren.
»Ob Sie bereit sind?«
»Wofür?«
»Für die letzte Frage.«
»Fragen Sie.«
»Träumen Termiten?«, fragt er.
Stille senkt sich von den Regalen und Vorhängen herab. Mr. Lundergaards Züge sind ausdruckslos, seine Augen niedergeschlagen. Der Schnellhefter ruht auf den durchgescheuerten Knien.
»Sie kennen meine Antwort«, erwidere ich. »Sie haben meine Arbeit gelesen.«
»Also?«, fragt Mr. Lundergaard ohne aufzuschauen.
»Ja, sie träumen.«
Die kleinen schwarzen Augen blitzen auf. Die Regenwürmer in seinem Gesicht winden sich in heller Aufregung, als wäre endlich der lang herbeigesehnte Regenschauer gekommen.
»Fein.«
Mr. Lundergaard klappt den Schnellhefter zu, verstaut ihn in der Ledertasche und steht auf. Sein Händedruck ist nass und kalt wie der Rest von ihm.
»Wir bleiben in Kontakt, Mr. Higgins.«
Ich stehe auf, um ihn zu verabschieden. Aus der Nähe betrachtet wirkt er nicht nur dünn, sondern geradezu ausgemergelt. Nicht wie ein Farmer. Mehr wie ein Landstreicher.
Oder wie jemand, der eine lange Reise hinter sich hat.

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