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Westernkurier 10/2008

Auf ein Wort, Stranger,
vergesst die Namenlosen nicht!

Vielleicht liegt es daran, das in unserer oberflächlichen Zeit die Mehrzahl der Buch- und Zeitschriftenverlage zum Thema Eroberung des Wilden Westens schreiben können, was sie wollen. Frei nach dem Motto, diese ollen Kamellen interessiert doch außer ein paar spinnerten Historyfans eh kein Mensch mehr.

Aber weit gefehlt!

Es gibt da nämlich einige recht unbequeme Zeitgenossen wie auch meiner einer, die ohne Skrupel in allen möglichen Geschichtsbüchern und Zeitungsarchiven herumstöbern, mit Nachfahren damaliger Zeitgenossen sprechen und dabei so manche Wahrheit ans Tageslicht bringen, die auf den ersten Augenblick verdammt unbequem erscheint und so gar nicht in den Einheitsbrei der Regenbogenpresse passen will.

Denn seien wir doch mal ehrlich, in beinahe jedem Bericht über eben dieses Thema tauchen immer wieder ein und dieselben Namen auf.

Einem Außenstehenden drängt sich doch unwillkürlich die Meinung auf, dass wir die Besiedelung der neuen Welt nur eben jener Handvoll Lichtgestalten zu verdanken haben, deren Namen ständig durch die Medien kreisen. Aber da gibt es durchaus mehr. Hinter der Welt der Lewis und Clarke, der Lincolns, Custer, Sitting Bull und Buffalo Bills existierte noch der Menschenschlag der Frontier. Jene Männer, Frauen und Kinder, die mit ihren bloßen Händen neben zerbrochenen Wagenachsen und verendeten Zugochsen Erdlöcher aushuben, aus den Erdlöchern Grassodenhäuser, aus diesen Siedlungen und aus den Siedlungen Städte gemacht haben. Jenes Heer der ungezählten Namenlosen, die Amerika einst zu dem gemacht hatten, was es einmal war. Wohlgemerkt war und nicht ist, denn das ist wiederum ein anderes gleichwohl ebenso leidvolles Thema.

Um es kurz zu machen, ich will hier für all die unbekannten Pioniere, deren Taten sich durchaus mit denen der sogenannten Helden messen konnten, eine Lanze brechen.

Stellvertretend an dieser Stelle und auch in der nächsten Ausgabe soll hierbei das Schicksal von Menschen stehen, die heute zwar kaum noch jemand kennt, aber deren Taten in den Annalen der Pioniergeschichte unvergessen bleiben werden.

Hier ist ihre Geschichte. Den Anfang dabei macht US-Deputy Marshal Jake Yoes. Er stellte am 19. Juli 1885, 240 Meilen von seinem Schreibtisch in Fort Smith, Oklahoma, entfernt, den Postkutschenräuber Hank MacMurray. Es gelang dem Marshal zwar den Banditen unverletzt zu entwaffnen und zu fesseln, er selber aber hatte sich in der vorangegangenen Schießerei eine 44er Kugel des Postkutschenräubers eingefangen. Nach drei Tagen war Yoes durch den Blutverlust so geschwächt, dass er sich nur noch mit Mühe aufrecht halten konnte. Um dem Gesetz dennoch zu seinem Recht zu verhelfen, tat Yoes etwas, das ihm das Leben rettete und den Banditen zwang, sich selbst aufzugeben und den Marshal zu retten. Der harte Yoes fesselte sich durch zwei Stahlhandschellen mit dem Banditen an Arm und Bein zusammen und warf den Schlüssel in einen Fluss.

»Mit einem toten Marshal, den du nicht mehr loswirst, bist du selber verloren. Entweder du verdurstet, du verhungerst oder du bringst mich in die nächste Stadt, wenn du nicht selber dabei draufgehen willst.«

Die Zeitung Daily Oklahoma berichtete in ihrer Ausgabe vom 28.8.1885 Folgendes:

Das hat Oklahoma noch nicht erlebt. MacMurray stolperte am späten Abend durch Nash City und schleppte seinen an ihn gefesselten bewusstlosen Bezwinger mit sich. Man muss gesehen haben, mit welcher »Zärtlichkeit« er immer wieder versuchte, den Marshal zu wecken, damit er etwas mithelfen konnte, sich auf den Beinen zu halten.

Als nächstes Beispiel sei hier die Geschichte der Virginia Slade erwähnt.

Ihr Mann hieß Jack Slade, und nein, dieser Jack ist weder der Vorfahre noch irgendwie verwandt oder verschwägert mit jener Autorenpseudonymgestalt, die uns die letzten Jahre mit sogenannten Pioniergeschichten gepaart mit erotisch angehauchten Erzählungen quälte. Wenn man den Schilderungen eines gewissen Verlages Glauben schenken darf, hat die Geschichte um Jack Slade sogar historische Wurzeln.

Klar doch, Frauen können Autofahren, Männer sind intelligent und die Erde ist eine Scheibe.

Okay, in gewisser Hinsicht hat der Verlag ausnahmsweise mal recht, die Person des Jack Slade ist tatsächlich historisch verbürgt, allerdings in anderer Art und Weise, wie es dem Leser suggeriert wird. Der gute Jack war nämlich keineswegs ein Pionier von echtem Schrot und Korn, der uns die Mär jener Protagonisten aus den Staaten herüberbrachte, welche eine Waffe besaßen, mit der man ohne Weiteres zweihundertachtunddreißig Mal hintereinander ununterbrochen schießen konnte und welche zusätzlich mit einer Libido ausgestattet waren, die es ihnen erlaubte, natürlich ohne ins Schwitzen zu geraten, täglich mindestens einhundert Frauen beglücken zu können.

Deutscher Mann, was willst du mehr?

Nein, das Ganze war und ist von einer nicht geringen Anzahl deutscher Autoren schlicht und einfach erfunden, und jener erwähnte und tatsächlich historisch verbürgte Jack Slade war lediglich ein Herumtreiber, Raufbold und Säufer, den man in Montana hängte, als er es gar zu toll mit seinen Späßen trieb. Einzig und allein seinem markigen Namen hat es diese »Lichtgestalt« zu verdanken, dass sein Name heute noch Woche für Woche auf dem Titelblatt gewisser unsäglicher Westernromane prangt. Dass es auch anders geht, haben der Verlag und auch der ein oder andere Autor, welche sich hinter diesem Pseudonym versteckten, in der Vergangenheit längst bewiesen.

Warum nicht weiter in dieser Richtung?

Okay, okay, ich merke schon, ich schweife zu sehr vom Thema ab.

Wenden wir uns also wieder Virginia Slade zu.

Was hat diese Frau vollbracht, dass sie noch heute Beachtung erfährt?

An einem heißen Maimorgen anno 1864 zügelte ein Reiter sein Pferd vor dem Haus der Slades und rief: »Mrs. Slade! Man will ihren Mann hängen! Er hat in Virginia City sämtliche Fensterscheiben zerschossen und sich wie ein Erdbeben benommen. Jetzt hängen sie ihn, wenn sie ihm nicht helfen.«

Da rannte die junge Frau zum Stall, schwang sich auf den schwarzen Hengst Billy Bay und jagte davon.

Billy Bay war ein Cayuse von 1400 Pfund Lebendgewicht, den Jack einmal den Schwarzfußindianern abgekauft hatte. Mit ihm flog Virginia förmlich über das Land, aber als sie die Stadt erreicht hatte, war dennoch alles vorbei.

Man hatte ihren Mann in einem Hotel ins Bett gelegt, und jedermann vermied es, der Frau in die Augen zu sehen. Irgendwann begann man nachzurechnen.

Ihr eiserner Wille und die Liebe zu ihrem Mann hatten Virginia dazu angetrieben, die 12 Meilen von ihrer Farm bis in die Stadt in genau 21 Minuten auf dem Rücken des Pferdes zurückzulegen.

Das sind 19,2 Kilometer über rauen Boden, hohes Gras, Hügel hinauf und Hügel hinunter in einem Tempo von etwa 55 km/h. Wer einen geübten Reiter oder Pferdekenner heutzutage nach seiner Meinung ob dieser Leistung befragt, wird sicherlich des Öfteren Kopfschütteln ernten.

Dieser Ritt ist heute noch eine Geschichte, die in den Bereich Wunder oder Märchen gehört. Aber dieser Ritt hat tatsächlich stattgefunden, ein weiterer Beweis für die Zähigkeit und den nahezu unbändigen Willen der damaligen Pioniere, in denen die Frauen den Männern in nichts nachstanden.

In der nächsten Ausgabe des Westernkuriers möchte ich noch einmal auf weitere Beispiele eingehen. Ich will jetzt hier nicht eine Hitliste der unglaublichsten Taten der Pionierzeit beginnen, sondern lediglich aufzeigen, dass es auch damals gerade Menschen wie du und ich waren, die wahre Geschichte schrieben und nicht Leute wie Wild Bill Hickok, der sich bestenfalls damit rühmen konnte, etwas mehr als zwei Dutzend Leute erschossen zu haben, die im Umgang mit Waffen völlig ungeübt waren.

In diesem Sinne,

euer Slaterman

Quellen:

  • www.legendsofamerica.com

(Slaterman)