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Jack Lloyd Folge 2

Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät

Tanz mit dem Teufel

Jack hatte einen Kurs gewählt, der sie in unmittelbarer Nähe des feindlichen Schiffes vorbeiführen musste. Es galt nur, die Wendigkeit der englischen Bark so auszunutzen, dass sie möglichst wenige Treffer kassierten, bevor sie die Küstennähe erreicht hatten. Da der Wind aus südwestlichter Richtung kam, konnte das Vorhaben gelingen, wenn er es schaffte, die Spanier zu überlisten. Das Kriegsschiff war in der Endgeschwindigkeit vielleicht schneller als die Bark, aber das kleine englische Handelsschiff war wendiger und konnte wesentlich schneller Fahrt aufnehmen. Die Spanier waren mittlerweile so nah, dass Jack das feindliche Schiff mit bloßem Auge als großen Fleck am Horizont sehen konnte. Er änderte den Kurs dahingehend ab, dass er direkt auf den Feind zuhielt. Hinter dem Spanier lag das Festland, und dieses galt es zu erreichen. Die Küstenregion um Hispanola herum war relativ seicht, sodass das Kriegsschiff ihnen kaum bis kurz vor die Küste würde folgen können. Und wenn sie direkt unter der Küste kreuzend in dann westlicher Richtung weitersegelten, kam eine Landzunge, an der sie die Spanier vielleicht überlisten konnten.

Joe gesellte sich zu Jack an das Steuer. Einen Moment starrten die beiden Männer über den Bug des Schiffes hinaus in die Richtung, aus der das spanische Kriegsschiff auf sie zukam.

»Dein Arm muss versorgt werden. Du blutest stark«, murmelte Joe schließlich nach einem Moment der Stille.

»Wenn wir das hier hinter uns haben«, knurrte Jack wütend. Er sah im Geist immer wieder den Schiffsjungen Rick und Owen Wills unter den Schwerthieben der Spanier fallen. Die Wut, welche sich in Jack angestaut hatte, war nur an seinen Augen abzulesen. Der alte Joe sah den Steuermann einen Augenblick lang von der Seite an.

»Was hast du vor, mein Junge? Willst du eine Kriegsgaleone mit einer Bark rammen?«

»Kaum. Wir müssen an ihnen vorbei, um uns in Küstennähe in Sicherheit bringen zu können.«

»Im Moment sieht es eher so aus, als würden wir uns ihnen auf einem silbernen Tablett präsentieren«, gab Joe zu bedenken.

»Das sollen sie ruhig glauben. Wir werden ihnen kräftig einheizen.«

Kurze Zeit später gesellten sich die anderen Überlebenden zu den beiden Männern. Sie fuhren unter vollen Segeln, die vom Wind gebläht die White Swallow schnell durch die Wellen gleiten ließ. Jack, der die Unsicherheit seiner Begleiter spürte, hielt sich mit beiden Händen krampfhaft am Steuerrad fest. Er spürte den Blutverlust und der Arm schmerzte stark. Aber er wusste, dass er jetzt keine Schwäche zeigen durfte. Die Verzweiflung der Männer war allgegenwärtig. Aber er wollte dieses Schiff in Sicherheit bringen. Der Kapitän hatte es verdient, dass sein Andenken auf diese Weise gewahrt blieb. Nachdenklich fragte der junge Steuermann: »Was ist? Wollt ihr versuchen, diesen Aasgeiern ein Schnippchen zu schlagen? Oder wollt ihr so lange vor ihnen hersegeln, bis wir vor Übermüdung und Entkräftung nicht mehr können und sie uns übertölpeln werden?«

Ein junger Seemann, der erst in Petit Goave an Bord gekommen war, erwiderte als Erster: »Schnippchen schlagen gefällt mir. Und wenn wir dabei zur Hölle fahren, nehmen wir auf jeden Fall noch den einen oder anderen von ihnen mit.«

»Das ist ein Wort!«, rief Joe lauthals aus. Er hatte die Unsicherheit seiner Kumpane ebenso gespürt wie Jack. Und auch wenn ihm noch immer nicht ganz klar war, was der Steuermann vorhatte, war alles andere weitaus besser, als auf offener See vor einer Kriegsgaleone fliehen zu wollen.

»Macht die Kanonen bereit. Wir werden sie bald brauchen«, raunte Jack leise. Er hatte Schweißperlen auf der Stirn und spürte, dass Hitze in ihm aufstieg. Er musste durchhalten, koste es, was es wolle.

Die Männer verteilten sich wieder auf dem Schiff. So schnell sie konnten, machten sie die vier Kanonen, die das kleine Handelsschiff an Bord hatte, kampfbereit. Joe blieb als Einziger neben Jack stehen und betrachtete das Treiben der anderen.

»Eine gut gezielte Salve und wir sind bewegungsunfähig. Sie haben bestimmt das Fünf- bis Siebenfache an Kanonen an Bord wie wir.«

»Mit Sicherheit«, antwortete Jack einsilbig.

»Willst du sie reizen?«

»Wie gesagt, wir müssen an ihnen vorbei. Und das möglichst, ohne dabei von ihnen erwischt zu werden.«

»Aye. Ich nehme an, wir werden die Kanonen Back- und Steuerbord brauchen.«

Jack lächelte und nickte dem Älteren zu. Dieser schüttelte unmerklich den Kopf und murmelte: »Ich hatte es befürchtet.« Dann machte er sich auf den Weg, um seinen Gefährten zu helfen.

Die Spanier kamen immer näher. Mittlerweile waren sie fast auf Schussweite heran. Jack schätzte mit dem Auge die Entfernung. Als er die Zeit für reif hielt, riss er das Steuer herum. Das Schiff bekam einen Backborddrall. Da die kleine Dreimastbark recht wendig war, dauerte es nicht lange, und das Schiff stand gegen den Wind.

»Holt das Großsegel ein! Die Kanonen auf Steuerbord klar zum Feuern!«, schrie Jack die Befehle den Männern auf dem Deck zu. Sofort wurden seine Anweisungen ausgeführt. Es erschien den sieben Seeleuten in Jacks kleiner Mannschaft lächerlich, mit zwei Kanonen auf eine Kriegsgaleone feuern zu wollen, aber sie hielten die Kanonen dennoch bereit.

»Versucht den Rumpf zu treffen!«, kam ein erneuter Befehl des Steuermanns, der in stillschweigender Übereinkunft mit den anderen die Position des Kapitäns eingenommen hatte. Die White Swallow war mittlerweile beinahe zum Stehen gekommen. Auf der Steuerbordseite näherte sich die spanische Galeone. Jack zählte leise von drei rückwärts. Dann rief er: »Feuer!«

Die beiden Kanonen donnerten los. Und tatsächlich traf eine der Kugeln das feindliche Schiff vorn am Bug knapp über der Wasserlinie. Jubelgeschrei wurde auf der White Swallow laut, während Jack das Steuer wieder herumriss. Langsam, da sie dieses Mal gegen den Wind stand, drehte die Swallow sich wieder in die Steuerbordrichtung. Als das feindliche Schiff fast heran war, befand sich die White Swallow wieder auf einem parallelen Kurs zu dem spanischen Kriegsschiff. Noch immer war das Großsegel eingeholt, dementsprechend fuhr die White Swallow auch nur mit halber Kraft. Trotzdem näherte sich das spanische Schiff nun immer schneller. Die Spanier hatten fast alle Segel eingeholt und bedienten sich der Ruderriemen, die aus dem untersten Deck knapp über der Wasserlinie aus dem Bauch des Schiffes herausstachen, um vorwärtszukommen. Jack hatte bereits einige dieser Galeonen gesehen, die mit Ruderriemen ausgestattet waren, um nicht so windabhängig zu sein. Das machte die Kriegsgaleonen als Feinde noch gefährlicher. Kurz bevor die beiden ungleichen Schiffe parallel zueinander standen, riss Jack das Steuer erneut herum, diesmal jedoch in die Steuerbordrichtung. Auch ohne das Großsegel hatten sie genug Wind im Rücken, um die Drehung schnell und mit einem relativ kleinen Kreis zu vollziehen, sodass sie der Kriegsgaleone plötzlich nur noch das Heck zeigten. Das Manöver war gefährlich, da die Spanier so die Möglichkeiten hatten, die Steuerung empfindlich zu treffen. Doch offensichtlich hatte der feindliche Kapitän mit einem solchen Manöver nicht gerechnet. Die Kanonen der Kriegsgaleone donnerten los, kurz bevor das Kriegsschiff in einer Position war, aus der sie die White Swallow hätten treffen können. Wäre Jack dem ursprünglichen Kurs gefolgt, wäre die White Swallow mehrfach schwer getroffen worden. So fielen die Kettenkugeln, welche die Spanier verwendet hatten, auf der Backbordseite der Bark ohne Schaden anzurichten ins Wasser. Jack riss das Steuerrad erneut herum, dieses Mal um die White Swallow wieder in Backbordrichtung zu drehen. Dabei rief er laut: »Das Großsegel setzen!«

Die Mannschaft, die gespannt verfolgt hatte, wie das spanische Kriegsschiff am Heck der White Swallow vorbeigeschossen war, beeilte sich, das Großsegel wieder auszurollen und festzumachen. In der Zwischenzeit brachte Jack die Bark wieder auf Kurs in Richtung Küste. Die Kriegsgaleone hatte bereits ein Wendemanöver eingeleitet, doch aufgrund ihrer Größe und Schwerfälligkeit würde es eine Weile dauern, bis sie die Verfolgung aufnehmen konnten. Die einzige Gefahr waren noch immer die Kanonen der Feinde. Als das Großsegel gesetzt war, nahm die White Swallow wieder richtig Fahrt auf. Innerhalb kürzester Zeit hatte die kleine Bark sich so weit entfernt, dass auch die Salve, welche die Spanier ihnen hinterherschickte, als sie ihr Wendemanöver zur Hälfte vollendet hatten, nutzlos rechts und links des Schiffes ins Wasser niederging. Das rettende Ufer war noch etwa einen halben Tag entfernt. Wenn der Wind sie nicht im Stich ließ, würden sie es sicher erreichen. Jack zog das Fernrohr aus dem Gürtel und warf einen Blick zurück auf das feindliche Schiff. Langsam hatte es die Wendung beinahe vollendet. Sie würden die Verfolgung nicht aufgeben. Und mit den größeren Segeln und den Rudern als Unterstützung waren sie nicht unbedingt langsamer als die White Swallow. Jack wusste, dass sie Glück brauchten. Er konnte nur beten, dass sie Selbiges noch nicht aufgebraucht hatten.

Fortsetzung folgt …

Copyright © 2011 by Johann Peters