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Der Welt-Detektiv Band 6

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Jack Lloyd Folge 1

Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät

Die White Swallow

Die Nacht war sternenklar und warm. Der Herbst, der in diesen Breitengraden oft schreckliche Stürme und tagelange Regengüsse anzubieten hatte, war überwunden und der Winter, den man im Vergleich zu dieser Jahreszeit im guten alten Europa kaum als solchen bezeichnen konnte, brachte den Seeleuten wieder etwas ruhigere Gewässer.
Die White Swallow segelte auf offenem Meer, etwa einen halben Tag von der Küste entfernt, an der Südseite Hispanolas vorbei. Santo Domingo, ein spanischer Hafen an der Südseite der Küste, lag keinen Tag entfernt. Doch Kapitän Owen Wills hatte nicht vor, in die Häfen von Santo Domingo oder San Juan einzulaufen. Da er mit den Engländern, Franzosen und den Holländern handelte, war die White Swallow in spanischen Häfen kein gern gesehener Gast. Zumal die Spanier oftmals noch immer der Ansicht waren, die Karibik würde ihnen allein gehören. Das Handelsmonopol Spaniens war Geschichte und für Händler wie Owen Wills gab es genügend Häfen, in denen sie freundlich aufgenommen wurden.

Mitternacht war noch nicht lange vorbei, als ein aufgeregter Schiffsjunge in die Kajüte des Kapitäns stürmte und diesen unsanft aus dem Schlaf riss.

»Käpt’n! Ein Schiff! Es sieht aus wie eine Galeone.«

Wills setzte sich schlaftrunken auf und sah den Jungen einen Moment verständnislos an. Dann fragte er, mühsam ein Gähnen unterdrückend: »Und warum weckst du mich da? Es gibt eben mehr Schiffe hier draußen als nur uns. Sind es Piraten oder was hat die Wache so aufgeregt, dass sie gleich dich schickte, mich um meinen wohlverdienten Schlaf zu bringen?«

»Keine Piraten, Käpt’n. Vielleicht Spanier. Aber sie sind auf Abfangkurs gegangen«, erklärte der Junge bereitwillig.

»Sie sind was? Und da seid ihr zwei euch sicher?« Wills stand auf und schlüpfte in seine Hose. Dann warf er seine abgewetzte Jacke über, die er meist trug, und verließ die Kajüte, ohne auf eine Antwort des Jungen zu warten. Dieser rief ihm hinterher: »Hätte Jack mich sonst geschickt?«

Der Kapitän gesellte sich zu dem Mann am Steuer. Nach einem Moment des Schweigens fragte er: »Was gibt es, Jack? Warum lässt du mich mitten in der Nacht wecken?«

Ohne ein Wort deutete der junge Mann, der das Steuer für die zweite Schicht in der Nacht übernommen hatte, in nordwestliche Richtung. Wills zog ein Fernglas aus dem Gürtel und warf einen Blick in die gewiesene Richtung. In einiger Entfernung entdeckte er ein Kriegsschiff. Nach Takelage und den eckigen Segeln zu schließen, handelte es sich um eine spanische Kriegsgaleone.

»Wenn sie diesen Kurs beibehalten, werden wir uns kurz nach Sonnenaufgang treffen«, erklärte Jack Lloyd.

»Und was, glaubst du, will ein spanisches Kriegsschiff von uns?«

»Keine Ahnung, Käpt’n. Aber wie Joe oben im Korb mir vorhin berichtete, hatten sie diesen Kurs nicht von Anfang an. Sie schienen ursprünglich zu kreuzen. Diesen Kurs wählten sie erst, als sie uns entdeckt haben«, erklärte der junge Seemann seine Bedenken.

»Und woher wisst ihr zwei, ob sie uns entdeckt haben? Vielleicht hat der Kapitän einfach nur ein neues Ziel festgelegt.«

»Wahrscheinlich«, antwortete Jack zweifelnd. »Eines steht auf jeden Fall fest. Wenn wir sie entdeckt haben, haben sie uns mit Sicherheit auch gesehen. Und Joe hat sie eine Weile beobachtet, bevor sie den Kurs wechselten.«

Wills warf noch einmal einen Blick durch das Fernglas. Dann sagte er lächelnd: »Ich denke, wir brauchen uns keine Sorgen zu machen.«

»Und warum nicht?«, fragte Jack verwirrt.

»Das Schiff ist gleich aus dem Sichtfeld verschwunden. Sie scheinen weiter zu kreuzen. Schick den Jungen hoch zu Joe, er soll die Augen offen halten. Wenn etwas passiert, will ich es wissen.«

»Aye Käpt’n«, murmelte Jack nachdenklich.

»Ich geh mich wieder hinlegen.« Auf dem Weg zurück in seine Kajüte schüttelte Wills kurz den Kopf. Leise murmelte er: »Jetzt sehen die Jungs schon Gespenster. Es wird Zeit, dass wir St. Kitts erreichen. Ein längerer Landgang wird uns allen gut tun.«

 

Die Nacht verstrich ohne weitere Vorkommnisse. Jack stand noch immer am Steuer. Die Augen fielen ihm fast zu. An Deck war es noch völlig still, die ersten Matrosen würden erst in einer guten Stunde mit ihren täglichen Arbeiten anfangen. Jack hatte im Laufe der frühen Morgenstunden immer wieder einen Blick durch das Fernglas geworfen, aber das Kriegsschiff, welches sie für einen Spanier hielten, war nicht wieder aufgetaucht.

Jack schloss gerade wieder einmal für einen Moment die Augen, als ein lautes Geräusch ihn aus seiner Müdigkeit riss. Fassungslos starrte Jack vor sich auf den Deckaufbau. Keine zwei Meter von ihm entfernt hatte sich ein Enterhaken in die Planken gebohrt. Der junge Steuermann riss das Fernglas aus dem Gürtel und suchte den Horizont ab. In einiger Entfernung entdeckte er das fremde Schiff. Offensichtlich hatten sie eine Entermannschaft geschickt. Joe musste eingeschlafen sein, sonst hätte er längst Alarm gegeben. Diese Gedanken schossen innerhalb von Sekunden durch seinen Kopf. Dann sprang er auch schon zu dem Enterhaken. Laut schrie er: »Wir werden geentert! Alle Mann an Deck!«

Dann riss er das Messer aus seinem Gürtel und begann das Seil zu zerschneiden. Es dauerte einen Moment, bis er das Seil soweit hatte, dass es sich löste. Als er endlich durch war, sah er bereits den Helm eines spanischen Soldaten über die Reling blicken. Der Spanier erkannte die Gefahr, ließ das Seil los und klammerte sich an die Reling. Der Schrei, den Jack hörte, sagte ihm, dass noch mindestens ein weiterer Soldat an dem Seil gehangen haben musste.

Mit zwei schnellen Sprüngen war der Steuermann an der Reling und jagte dem Soldaten das Messer in die behandschuhte Hand. Dieser stieß einen unmenschlichen Schrei aus. Mit hasserfülltem Blick starrte der Spanier den jungen Mann an. Als Jack das Messer wieder aus der Hand herausriss, versetzte er dem Spanier einen Schlag auf den Helm. Der Griff des Feindes löste sich. Schreiend stürzte er rückwärts zurück auf das Boot der Entermannschaft. In diesem Moment schwirrten noch andere Enterhaken an Bord. An verschienen Stellen der kleinen Handelsbarke mussten jetzt feindliche Boote angekommen sein. Jack fragte sich einmal mehr, warum er die Feinde nicht gesehen hatte. Während die ersten Spanier bereits das Deck erklommen, wurde die Bodenluke aufgestoßen, die auf das untere Deck, wo auch die Mannschaftsquartiere waren, führte. Noch schlaftrunken, aber die Schwerter in den Händen, taumelten die Seeleute an Deck.

Schon wenige Augenblicke später erschien auch der Schiffsjunge an Deck. Er warf Jack ein Schwert zu. Dieser nickte dankbar, nahm die Waffe in die rechte und das Messer in die linke Hand. Dann rief er dem Schiffsjungen zu: »Halt dich hinter mir! Wir decken uns gegenseitig den Rücken!«

Danach sprang er dem nächstbesten Spanier entgegen und deckte diesen mit einer Reihe von Attacken ein, sodass seinem Feind lediglich die Verteidigung blieb. Innerhalb kürzester Zeit war die gesamte Mannschaft an Bord versammelt und in Kämpfe mit spanischen Soldaten verwickelt. Augenblicke danach stieß Kapitän Owen Wills die Tür seiner Kajüte auf und stürmte aus dem Raum. Mit einem kurzen Blick hatte er das Geschehen erfasst. Einer der spanischen Soldaten stürmte mit gezogenem Schwert auf Wills zu. Dieser riss eine einläufige Pistole in die Höhe, zielte kurz, und feuerte. Der Feind sank mit einer kreisrunden Wunde im Kopf in sich zusammen. Sofort war ein anderer an seiner Stelle. Wills riss das Schwert aus der Scheide und warf sich in den Kampf.

Jack Lloyd focht wie ein Wahnsinniger. Von der vierundzwanzig Mann starken Mannschaft der Bark waren nur noch vierzehn Männer übrig, als Jack gerade wieder einen Gegner durch eine Finte mit dem Messer täuschte, um ihm dann mit einer schnellen Attacke das Schwert in die Seite zu stoßen. Mit vor Schreck geweiteten Augen stand der Soldat vor ihm. Die Hände des Feindes sanken schlaff herunter. Jack riss das Schwert aus dem Körper des Gegners und trieb ihm das Messer mit einer fließenden Bewegung ins Herz. Dann wandte er sich sofort dem nächsten Feind zu. Die Übermacht der Spanier war erdrückend. Es schien, als würden ständig neue Soldaten an Bord kommen.

Aus den Augenwinkeln sah Jack, der am ganzen Körper bereits mit Schnitten und kleinen Wunden übersät war, dass vier Spanier den Kapitän in die Enge getrieben hatten. Er wollte Wills zu Hilfe eilen, doch sofort stand wieder ein Spanier im Weg und kreuzte die Klinge mit ihm. Jack focht mit einer Aggressivität, die seine Gegner zu überfordern schien. Ohne auf seine eigene Deckung zu achten, startete er einen Angriff nach dem anderen, bemüht, den Soldaten so schnell wie möglich aus dem Weg zu räumen.

Als der Feind tödlich getroffen zu Boden sank, spürte Jack einen stechenden Schmerz in seinem linken Arm. Mit einem Schmerz- und Wutschrei auf den Lippen drehte er sich in die Richtung, aus der er den Angriff vermutete. Ein spanischer Soldat hatte ihm ein Messer in den linken Oberarm gerammt. Wahrscheinlich war der Rücken das Ziel gewesen, doch Jack hatte sich offensichtlich im richtigen Moment bewegt, um der tödlichen Klinge zu entgehen. Mit einer schnellen Bewegung stieß Jack sein Schwert mit der Rechten unter der Deckung des Spaniers durch und jagte ihm die Waffe in den Bauch. Der Feind verdrehte die Augen, der Druck auf die Waffe, die noch immer in Jacks Arm steckte, wurde schwächer. Der Steuermann drehte das Schwert einmal um, riss es wieder aus dem Körper des sterbenden Feindes. Dann wandte er sich erneut der Stelle zu, an welcher Wills sich verzweifelt verteidigte. In diesem Augenblick versuchte Rick dem Kapitän zu Hilfe zu eilen, doch ein Schwertstreich eines spanischen Soldaten streckte den Jungen nieder. Wut stieg in Jack auf. Er riss das Messer aus der Wunde in seinem Arm, der nur noch schlaff an seiner Seite herunterhing, und stürzte sich, nur noch mit einem Schwert bewaffnet, auf die Männer, die sich noch zwischen ihm und dem Kapitän befanden. Langsam schien es, als würde die Zahl der Spanier abnehmen. Als Jack vier weitere Feinde aus dem Weg geräumt hatte, hörte er Wills laut aufschreien. Ohnmächtig musste der junge Steuermann zusehen, wie die Klinge eines spanischen Soldaten die Deckung des Kapitäns durchbrach und direkt in die Brust des Mannes fuhr, der für Jack leuchtendes Vorbild und Förderer war. In diesem Moment durchflutete eine eisige Kälte seinen Körper. Es war, als wären alle Schmerzen, die er noch gerade verspürt hatte, vergessen. Laut schrie er: »Alle Mann zu mir!«

Die nur noch acht Überlebenden der Mannschaft scharrten sich um ihn. Schnell hatten sie einen Kreis in der Mitte des Decks, rund um den Hauptmast gebildet. So verteidigten sie sich gegen die noch übrigen Spanier. Als die letzten Angreifer erkannten, dass sie diesen Kampf nicht mehr gewinnen konnten, sprangen sie über die Reling ins Wasser, um zu ihren Booten zu gelangen. Jack stand an Deck, von den sieben noch überlebenden Seeleuten umringt, und atmete tief durch. Dann murmelte er leise: »Es ist noch nicht vorbei. Wir müssen verschwinden, solange wir noch können. Jeder weiß, was er zu tun hat. Wir setzen volle Segel, wir müssen unter Land kommen, damit die Spanier uns nicht folgen können.«

Die Männer, die von den Anstrengungen des Kampfes gezeichnet waren, nickten übereinstimmend. Während Jack das Steuerrad herumriss, um das Schiff näher an die Küste Hispanolas heranzubringen, machte jeder der Überlebenden sich daran, seine Aufgabe bestmöglich zu erfüllen. Jack suchte den Horizont nach dem feindlichen Schiff ab, das zwischen ihnen und dem rettenden Festland kreuzte. Sie mussten es schaffen, an dem Kriegsschiff vorbeizukommen, ohne von den Kanonen der Spanier auf den Boden des Meeres geschickt zu werden. Jack beschloss, ein Manöver zu wagen, mit dem die Spanier wohl nicht rechnen würden. Wenn seine Überlegungen aufgingen, würden sie die Küste erreichen können. Wenn nicht, würden sie den Abend nicht mehr erleben.

Fortsetzung folgt …

Copyright © 2011 by Johann Peters