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Marshal Crown – Frohe Weihnachten

Frohe Weihnachten

Der Himmel über Rath City hatte eine bleigraue Farbe angenommen und hing voller Schnee. Ein schneidender Nordwester strich um die Häuser der Stadt und trieb eine Wand aus weißen Flocken vor sich her, die wie Wattebällchen in der Luft tanzten.

Obwohl es bereits auf den Nachmittag zuging, war kaum jemand auf den Straßen zu sehen.

Von Osten her kam ein einzelner Reiter in die Stadt, der einen Tannenbaum quer vor sich über dem Sattel liegen hatte. Die Mainstreet der sonst so hektischen Rindertown war gerade mal von einem halben Dutzend Passanten bevölkert, die sich so dick in Mantel, Schal und Hut eingepackt hatten, dass nur noch ihre Nasenspitzen zu sehen waren.

Eine dieser vermummten Gestalten steuerte dabei zielstrebig auf das Office des Stadtmarshals zu. Smoky Bennett hatte den Kragen seines Wintermantels hochgeschlagen und den Hut tief in die Stirn gezogen. Um die Kopfbedeckung im Wind nicht zu verlieren, hatte er zusätzlich ein Halstuch darüber geschlungen, das unter seinem Kinn zusammengeknotet war.

Steifbeinig überquerte er den hölzernen Gehsteigvorbau, öffnete die Tür zum Office und trat sie mit dem Stiefelabsatz wieder zu.

Ohne den Marshal eines Blickes zu würdigen, steuerte er zielsicher auf den bullernden Kanonenofen zu, der in der Mitte des Büros stand. Er zog die Handschuhe aus und hielt seine Finger über die glühende Platte. Augenblicklich begannen die Schnee- und Eiskristalle auf seinem Mantel zu schmelzen.

»Verdammt kalt da draußen«, sagte Bennett.

Während er von einem Bein aufs andere stampfte, um die Füße wieder zu erwärmen, knöpfte er das Halstuch auf und nahm den Hut vom Kopf.

»Das hat der liebe Gott nun mal so eingerichtet«, erwiderte Jim Crown lakonisch.

»Im Sommer ist es nun mal heiß und im Winter eben kalt.«

»Klugscheißer«, maulte Bennett und drehte sich um.

Dabei warf er einen beinahe anklagenden Blick auf die dampfende Kaffeetasse, die der Marshal in der Rechten hielt.

»Du lässt langsam auch nach!«

Jim Crown, der hinter seinem Schreibtisch vor einem Stapel Akten saß, hob den Kopf, zog die Augenbrauen hoch und musterte seinen Deputy irritiert.

»Wie darf ich das jetzt verstehen?«

»Bei diesem Wetter jagt man normalerweise keinen Hund vor die Tür. Wenn ich früher die Rundgänge für dich erledigt hatte, gab es anschließend immer eine Tasse Kaffee mit einem ordentlichen Schuss Whisky, jedenfalls damals. Aber seitdem du mit dieser Lehrerin zusammen bist, hat sich so einiges geändert.«

»Lass Linda aus dem Spiel. Ich …«

Der Rest der Worte ging in dem Krach unter, als jemand mit brachialer Gewalt die Eingangstüre öffnete und einer Kanonenkugel gleich ins Office flog. Während die Tür an die danebenliegende Wand knallte, wehte von draußen der eisige Wind durch das Büro.

Innerhalb von Sekunden wurde es in dem Raum merklich kühler.

»Tür zu!«, bellte Smoky und starrte missmutig auf den Störenfried.

Der Mann schnaubte, schmetterte die Tür ins Schloss, dass es nur so knallte, und wirbelte auf dem Absatz herum.

Ben Miller war ein untersetzter, bulliger Mann, dessen Gesicht nicht nur von der Kälte gerötet war. Seine Augen versprühten förmlich Blitze, als er den Marshal und seinen Deputy angriffslustig musterte.

»Sie müssen sofort mitkommen«, fauchte er zornig. »Dieser Hurensohn ruiniert mir sonst noch mein ganzes Lokal.«

»Jetzt mach mal nicht gleich die Pferde scheu, Ben«, erwiderte Crown beschwichtigend.

»Komm erst einmal wieder runter, und wenn du dich beruhigt hast, kannst du uns ja erzählen, wo dir der Schuh drückt.«

»Soviel Zeit habe ich leider nicht, denn bis ich damit fertig bin, hat Angus mein Speiserestaurant zu Kleinholz verarbeitet. Also, was ist, wird das Gesetz etwas gegen diesen Verrückten unternehmen oder muss ich die Sache selber in die Hand nehmen?«

Crown blickte nachdenklich drein. »Angus, du meinst doch nicht etwa Angus McCann? Was zur Hölle sollte denn einen ehrbaren Familienvater wie ihn dazu veranlassen, deinen Laden auseinanderzunehmen?«

»Watson«

Der Restaurantbesitzer spuckte den Namen aus, als hätte er den Mund voller Maden.

Archibald Watson war im ganzen County in etwa so beliebt wie ein vereiterter Backenzahn.

Der Besitzer der Rath City Homestead Bank war ein ekelhafter Zeitgenosse. Kein Mensch konnte ihn leiden. Er war eingebildet, arrogant und über alle Maßen geldgierig. Böse Zungen behaupteten sogar, dass er sich selber erschießen würde, wenn man ihm nur genügend Geld dafür gab.

Marshal Crown nickte wissend. »So langsam beginne ich zu verstehen. Sollte Watson tatsächlich seine Finger mit im Spiel haben, dürfte das Ganze eine ziemlich unangenehme Geschichte werden.«

»Also los«, sagte Crown, während er sich hinter dem Schreibtisch aufrichtete und seine Winterjacke überstreifte, die über der Rückenlehne seines Stuhls gelegen hatte.

»Sehen wir uns die Sache einmal etwas genauer an.«

 

***

 

Die Männer verließen gemeinsam das Büro und gingen die Straße hinunter zu Millers Restaurant. Vor die Garküche, die in einem langgezogenen, rechteckigen Holzbau untergebracht war, hatte sich inzwischen eine neugierige Menschenmenge versammelt. Je näher die drei dem Lokal kamen, umso lauter wurde das Klirren von Glas und das Splittern von Holz.

»Hören Sie das?«, keuchte Miller.

Crown nickte, befahl dem zornigen Besitzer zurückzubleiben und betrat beinahe gleichzeitig mit seinem Deputy zusammen den hölzernen Vorbau des Restaurants. Die Menge der Neugierigen teilte sich respektvoll vor den beiden Sternträgern, die ihre Revolver in der Hand hielten. Vorsichtig gingen Crown und Bennett in das Lokal.

Drinnen sah es aus, als wäre ein ganzer Indianerstamm durchgezogen.

Der Fußboden war fast knöchelhoch mit zerschmetterten Tischen, Stühlen, Flaschen und Gläser bedeckt, die Kerosinlampen an der Decke nur noch Ruinen, was auch den öligen Gestank erklärte, der in der Luft hing, und der große Spiegel hinter der Schanktheke bestand nur noch aus einer einzigen kümmerlichen Scherbe, die im oberen rechten Eck steckte. An der Theke davor lehnte ein vierschrötiger Mann, der abgearbeitet und verbraucht wirkte. Trotz der Kälte war er nur mit einem fadenscheinigen Hemd und einer zerschlissenen Stoffhose bekleidet, die statt eines Gürtels mit einem Kälberstrick an den Hüften gehalten wurde.

Jim Crowns Miene verzog sich.

Er ließ den Revolver sinken und betrachtete den Farmer kopfschüttelnd.

»Was soll diese Scheiße, Angus?«

»Watson hat meinen Kredit gekündigt.«

Die Stimme des Farmers klang beinahe weinerlich.

Crown lachte grimmig auf. »Wie oft haben Linda und ich euch davor gewarnt, bei diesem Halsabschneider keine Kredite aufzunehmen?«

Der Farmer zuckte hilflos mit den Schultern.

»Was hätte ich denn tun sollen? Ich habe außer meiner Arbeitskraft nur einen Ziegenbock und ein paar Hühner als Sicherheit anzubieten. Das war den anderen Banken zu wenig. Aber meine Frau und die Kinder brauchen doch einen Platz, wo sie hingehören, wie soll denn meine Familie sonst endlich ein Zuhause finden?«

»Warum hat er dir den Kredit gekündigt?«, fragte Crown, ohne weiter auf die Frage des Farmers einzugehen.

Angus McCann wandte den Kopf und schaute den Marshal an.

»Er hat gesagt, dass sich die Bank in Schwierigkeiten befindet. Er sagte, dass in dem Vertrag, den ich unterschrieben habe, drin steht, dass bei geschäftlichen Turbulenzen der gesamte Kredit einschließlich Zinsen sofort zurückgezahlt werden muss.«

Crown nickte bitter.

»Und das kannst du natürlich nicht, aber genau darauf spekuliert er. Es geht ihm nicht ums Geld, die paar Kröten, die du ihm schuldest, kann er locker verschmerzen. Er will das Land, um es wieder teuer weiterverkaufen zu können. Mit dieser Masche hat er in den letzten Tagen bereits mehrere Farmer vertrieben und es stört ihn dabei nicht, ob Weihnachten ist oder nicht.«

»Er muss sich einen Rechtsanwalt nehmen«, wandte Smoky ein.

»Warner zum Beispiel soll ziemlich gut sein.«

Jim blickte seinen Deputy eindringlich an.

»Vergiss es, Watson ist stärker, er hat finanziell einfach mehr Möglichkeiten.«

»Was willst du jetzt tun?«

Jims Stimme klang belegt, als er antwortete. »Nach Hause gehen, was sonst.«

»Und was ist mit Angus?«, fragte Bennett entgeistert.

»Vertrag ist Vertrag, da kann ich ihm nicht helfen. Das Einzige, was ich für ihn tun kann, ist, dass ich mit Miller rede. Vielleicht sieht er von einer Anzeige ab und stundet ihm den Schaden.«

»Verdammt wenig, wenn man bedenkt, dass morgen Heiligabend ist. Ich glaube, so haben sich die McCanns dieses Jahr Weihnachten nicht vorgestellt.«

 

***

 

Als Jim Crown auf den Sweetwater Creek zuritt, hatte die Sonne ihren höchsten Stand erreicht. Über dem Land hatte sich eine fußhohe Schneedecke ausgebreitet und die Luft war ungewöhnlich klar und kalt. So kalt, dass der Fluss, der sich unweit der Stadt durch das Land schlängelte, völlig zugefroren war.

Die Kinder aus Rath City störten sich nicht am Wetter.

Im Gegenteil, als Jim näher kam, konnte er sehen, wie sie die Gelegenheit nutzten, um auf dem zugefrorenen Sweetwater Schlittschuh zu laufen.

Unentwegt tollten sie über das Eis, ohne müde zu werden.

Mit einem Lächeln lenkte Jim sein Pferd gen Osten und ritt an der Kinderschar vorbei auf die nahe Hügelkette zu.

Normalerweise saß er um diese Zeit mit einer Tasse Kaffee neben dem bullernden Kanonenofen in seinem Büro, aber irgendwie war ihm heute nicht danach. Das Schicksal der Farmer, insbesondere das der McCanns, ging ihm einfach nicht aus dem Sinn.

Insgeheim hoffte er doch noch eine Möglichkeit zu finden, um diesen Menschen zu helfen, aber dazu brauchte er erst einmal einen klaren Kopf.

Ich könnte vielleicht …, dachte Jim, als ihn plötzlich ein wilder Schrei herumwirbeln ließ.

Er drehte den Kopf und musste hilflos mit ansehen, wie plötzlich das Eis brach und eines der Kinder mit fuchtelnden Armen im Wasser versank.

Ohne zu überlegen riss Crown sein Pferd herum und galoppierte wie ein Verrückter auf den Fluss zu, während das Kind, ein Junge, wieder auftauchte und sich brüllend an den Rand des eingebrochenen Eislochs klammerte.

Als er das Ufer erreicht hatte, warf sich Jim ohne nachzudenken aus dem Sattel und robbte über das Eis. Trotz der Kälte begann er zu schwitzen, als er hörte, wie das Eis unter ihm zu knacken begann. Aber er kroch weiter, es ging schließlich um das Leben eines Kindes.

Es gelang ihm im letzten Moment den Jungen herauszuziehen.

Er war inzwischen schon steif vor Kälte und konnte kaum noch atmen.

Die anderen Kinder waren kreidebleich und säumten das Flussufer, als wären sie dort angewachsen.

Mit einem wilden Fluch jagte sie der Marshal nach Hause.

 

***

 

Jim Crown zog die Zügel an und lenkte sein Pferd vom Überlandtrail herunter auf eine Farm zu, deren Haus zur Hälfte in einen Hügel hineingegraben war. Die Vorderfront war aus Grassoden errichtet und die Zwischenräume mit Lehm verschmiert. Vor dem Fenster hing eine abgeschabte Rinderhaut und der Eingang bestand trotz der Kälte aus nichts anderem als aus einer mottenzerfressenen Pferdedecke.

Als er das Anwesen erreicht hatte, sprang Jim aus dem Sattel und starrte auf Angus McCann, der um die Hausecke kam.

Der Farmer sah verzweifelt aus.

»Hallo Marshal, Sie sind sicher hier, um mich zu verhaften.«

Crown schüttelte feixend den Kopf.

»Im Gegenteil, ich bin hier, um dir zu sagen, dass du für immer auf dieser Farm bleiben kannst.«

Das Gesicht des Farmers begann zu glühen. »Das … das ist nicht wahr«, stammelte McCann.

»Verdammt, Crown, sagen Sie, dass das nicht wahr ist.«

Der Marshal griente. »Sehe ich aus wie ein Lügner?«

In McCanns Augen stand wieder Hoffnung.

»Das werde ich Ihnen nie vergessen. Wie kann ich Ihnen dafür danken?«

»Danken Sie nicht mir, sondern Elmar Watson. Und sagen Sie seinem Vater, wenn Sie ihn treffen sollten, dass sein Bengel im Winter gefälligst nichts auf dem Fluss verloren hat.«

»Frohe Weihnachten«, sagte Crown, als er in das ungläubige Gesicht des Farmers blickte.

Dann zog er sein Pferd herum und ritt lächelnd in die Stadt zurück.

Ende

(ccs)

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