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Der Welt-Detektiv Band 6

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Mahpiya-win – Die Entscheidung – Teil 6

Wakteka beobachtete Wihakayda-win, die als Zeichen ihrer Wertschätzung der Gefangenen ein Fell entgegenhielt, die ihn nun fragend anblickte. Er nickte unmerklich. Zögernd nahm sie das Geschenk entgegen. Als Wihakayda-wins Tochter von einem Bären angefallen wurde, hatte sich die Gefangene mutig verhalten. Das hätte er ihr nicht zugetraut, denn in vielen Dingen war sie dumm und linkisch. Weder wusste sie, welches Holz als Feuerholz geeignet war, noch kannte sie Kräuter und essbare Beeren. Was lernten die weißen Frauen? Sie kamen in ein Land, das ihnen nicht gehörte, stellten Forderungen und konnten nicht mal die einfachsten Überlebensgrundsätze. Wakteka war nicht einverstanden gewesen, dass die jungen Krieger unüberlegt den Händler getötet hatten und die weiße Frau mitbrachten. Es gab schon zu viel Krieg mit den Weißen und eine weiße Gefangene stand dem Frieden im Wege. Doch es war geschehen und sie war unter ihnen. Sie war schön und gefiel ihm, doch sie war nicht willens, die Sprache des Volkes zu lernen. Wenn sie sich weiterhin so dumm anstellte, würde er sie bei einem anderen Stamm eintauschen. Auch wenn sie Sehnsüchte ihn ihm erweckte, dachte ein Akicita in erster Linie an das Wohl des Volkes. Sie freiwillig gehen zu lassen, fand Wakteka falsch. Die Weißen würden den guten Willen darin nicht erkennen, sondern aus Rache das Lager angreifen.

Unsicher blickte sie ihn an, als sich Wihakayda-win umdrehte und wegging. »Warum hat sie das gemacht?«

»Du hast ihrer Tochter beigestanden«, antwortete er sanft.

Sie runzelte die Stirn und schien nachzudenken.

»Ist es dir unmöglich zu begreifen, dass die Menschen der Lakota Gefühle haben?«

Sie zuckte und ihr Gesicht errötete. Zum ersten Mal sah er, dass ein Mensch die Gesichtsfarbe ändern konnte. Das sah lustig aus.

»Ich möchte von hier weg.« Trotzig reckte sie ihr Kinn.

»Du dummes Weib. Anstatt zu erkennen, dass es dir bei uns gut geht, bist du starrsinnig. Ich überlege, dich zu verkaufen. Aber sehr viel bringen dumme Weiber nicht ein. Vielleicht schenke ich dich den Pawnee.« Er blickte sie durchdringend an. »Eine junge starke Frau wie dich opfern sie ihrem Gott.« Ihr erschrockenes Gesicht entlockte ihm ein belustigtes Grinsen. Er sollte ernsthaft darüber nachdenken, sie zu verkaufen. Jede Nacht geisterte sie durch seine Träume und lenkte ihn ab. Gerade in schwierigen Zeiten wie diesen, wo die Weißen immer mehr ins Land schwärmten und das rote Volk zurückdrängte und bekämpfte, musste er seine Sinne frei haben. Wakteka machte sich nichts aus weißen, blöden Weibern, doch diese eine hatte ihn verhext. Er musste fasten und sich reinigen, um wieder klar denken zu können.

Die wenigen Worte, die er zu ihr sagte, brannten sich in Belinda fest. Dummes Weib hatte er sie genannt. Diesem blöden Kerl würde sie es zeigen. Sie begann sich für die Sprache zu interessieren und war Wacinyanpi-wins eifrige Schülerin. Erfreut über ihren Lerneifer nannte ihr Wacinyanpi-win geduldig zum wiederholten Male die Gegenstände in ihrer Sprache. Je mehr Belinda lernte, desto freundlicher und zugänglicher wurde Wacinyanpi-win. Ausgiebig beobachtete Belinda das Verhalten der Menschen im Dorf. Irgendwann gestand sie sich ein, dass es nicht so schlimm war, wie sie anfangs vermutete. Obwohl die Frauen sehr viel Arbeit verrichteten, war immer Zeit für ein Schwätzchen und sie lachten gerne. Auch über Belindas Fehler. Wenn Belinda in ihrer Sprache mit zorngerötetem Gesicht schimpfte, lachten die Indianer noch mehr. Mit der Zeit lernte sie sich zu beherrschen und lachte mit, auch wenn sie ihnen am liebsten an die Kehle gesprungen wäre. Besonders die Sprache hatte ihre Tücken. Es war unsinnig für sie, dass Mann und Frau verschiedene Endungen verwendeten. Auch wenn sie bei der Aussprache viele Fehler machte, verstand sie bald das Gehörte. Die Menschen machten sich Sorgen. Sie hörte von Überfällen auf weiße Siedler durch andere Stämme und von Vergeltungsmaßnahmen der Soldaten. Die Skalpe an vielen Zelten waren schrecklich und erinnerten sie an den Händler, den der junge Krieger skalpierte. Auf der einen Seite waren sie grausam, auf der anderen Seite … Unwillig schüttelte sie den Kopf. Die Weißen waren doch nicht anders. Sie blickte zum Himmel. Es musste Gottes Wille sein, der sie hierher geführt hatte.

»Dunkle Gedanken trüben deinen Blick. Denkst du, dort oben Antwort zu finden?«

Erschrocken zuckte sie zusammen. In Gedanken versunken hatte sie Wakteka nicht bemerkt. Manchmal dachte sie, er würde sie zärtlich ansehen, wenn er sie beobachte. Vielleicht waren es Wunschgedanken. Von allen Männern im Lager gefiel er ihr am besten. Für einen Indianer war er hochgewachsen, einen halben Kopf größer als sie selbst. Und für eine Frau war ein Mann eine Absicherung, denn jemand musste für sie jagen. Sogleich erschrak sie über ihre Überlegung. Er war ein Wilder, wie alle anderen.

»Du erschreckst mich, anstatt mir zu helfen.« Sie deutete mit dem Kinn auf das Bündel Feuerholz auf ihren Armen.

»Damit mich meine Freunde verspotten?« Er lachte kehlig. »Ein Akicita erledigt keine Frauenarbeit. Du musst noch viel lernen, Mahpiya-win. Ich nenne dich von nun an Mahpiya-win«

Am liebsten hätte sie ihm das Holz vor die Füße geworfen. Er nahm sich viel heraus, ihr einfach einen Namen zu geben, ohne sie zu fragen. Er klang hübsch, doch fragen wäre nicht zu viel verlangt.

»Du gibst einer Gefangenen einen Namen?« Es nagte an Belindas Selbstwertgefühl, eine Gefangene zu sein. Mit hocherhobenem Kopf ging sie weg. Wäre sie frei, hätte ihr Wacinyanpi-win längst einen anderen Schlafplatz als den am Eingang zugewiesen. Unvermutet wurde sie angerempelt und jemand riss ihr den Holzstapel aus den Händen. Es war Zitkala-win. Die zänkische Frau konnte Belinda nicht ausstehen. Wahrscheinlich war sie eifersüchtig. Mit Sicherheit hatte sie die Unterhaltung zwischen Belinda und dem Krieger beobachtet. Grob fasste Zitkala-win in Belindas Haar und riss daran. Belinda schrie auf. Ihr Schrei lockte einige Zuschauer heran, die die beiden rangelnden Frauen amüsiert beobachteten. Belinda wollte die Frau nicht verletzen, doch Zitkala-win war nicht zimperlich. Der Schlag auf ihre Nase trieb Belinda die Tränen in die Augen. Es war an der Zeit, sich ihren Platz zu erkämpfen. Sie krallte die Finger in das Kleid ihrer Gegnerin und schleuderte sie von sich. Noch bevor sich Zitkala-win vom Boden erhob, warf sich Belinda auf sie und schlug ihr mehrmals ins Gesicht. Zitkala-win war kräftig. Sie krallte sich einen Stein und schlug zu. Belinda dachte, ihre Wange würde zerspringen. Der Schmerz raubte ihr die Kraft. Zitkala-win stieß Belinda zurück, sprang auf und griff sich einen Ast. Durch die Zuschauermenge, die inzwischen größer geworden war, ging ein Raunen. Bevor sich Belinda erheben konnte, schnellte Zitkala-win auf sie zu. Geistesgegenwärtig stellte ihr Belinda ein Bein. Ihre Gegnerin strauchelte und fiel. Sofort setzte Belinda nach, warf sich auf Zitkala-wins Rücken und umklammerte ihre Arme.

Sie drehte ihr die Arme so weit nach oben, dass es sicher schmerzte.

»Hast du genug?«, zischte Belinda. »Lass mich in Zukunft in Ruhe.«

Als die Unterlegene nicht antwortete, drehte sie ihre Arme grob Richtung Genick. »Los, sag, dass du mich in Ruhe lässt.« Belinda dachte schon, die Frau ließ sich lieber die Arme brechen, als aufzugeben, als sie sich endlich dazu herabließ, »Ich lass dich in Ruhe« zu fauchen. Belinda erhob sich. In so manchen Augen las sie Anerkennung unter den Umstehenden. Unwillkürlich suchte sie Waktekas Blick. Das feine Lächeln, das seine Lippen umspielte, freute sie. Sie bückte sich nach ihrem Holz und trug es hocherhobenen Hauptes in Wacinyanpi-wins Zelt. Ihre Wange pochte unangenehm und schwoll an, doch sie ließ sich nichts anmerken. Während sie ihr Gesicht kühlte, grübelte sie über ihre Zukunft. Auch wenn Wakteka sie gehen ließ, wo sollte sie hin? Das Geld war verschwunden. Doch ohne einen Cent war ein Überleben nur in den Hurenhäusern möglich. Der Gedanke, so gut wie keine Zukunft zu haben, trieb ihr die Tränen in die Augen. Zurück zu ihrem Vater war nicht erstrebenswert. Konnte sie sich mit dem Gedanken anfreunden, für immer hierzubleiben? Wenn sie an die Hölle der letzten Monate dachte, war es hier doch angenehm. Bis auf die Tatsache, dass sie anders lebten, waren die Indianer Menschen wie die Weißen, die liebten und lachten, in vielerlei Hinsicht sogar sozialer waren. Wacinyanpi-wins Mann war im Kampf gestorben. Sie lebte allein und wurde von ihrem Neffen Wakteka mit Fleisch versorgt. Als Gegenleistung kümmerte sie sich um seine Kleidung. Hier sorgte sich jeder um den anderen, ohne sich in sein Leben einzumischen. Wacinyanpi-win ließ ihr nicht lange Zeit, nachzudenken, sondern schickte sie um mehr Feuerholz.

Wieder trat Wakteka ihr in den Weg. »Du hast gut gekämpft, Mahpiya-win.«

Sie zuckte die Schultern.

»Haben alle weißen Frauen so traurige Augen?«

»Nur diejenigen, die als Gefangene gehalten werden«, antwortete Belinda scharf und ließ ihn ohne ein weiteres Wort stehen.

Abends war sie überrascht, als Wacinyanpi-win sie anhielt, ihr Lager neben dem ihren zu richten. Also hatte es Wakteka ihr aufgetragen. Belinda konnte lange nicht einschlafen. Neben sich hörte sie Wacinyanpi-wins gleichmäßige Atemzüge. Durch den kleinen Rauchabzug schimmerte das Mondlicht. Wakteka wollte ihr mit dieser Geste zeigen, dass sie nicht länger Gefangene war. Nun lag es an ihr, zu beweisen, dass sie dem gerecht wurde. Gott musste seine Gründe haben, warum er sie auf diesen Weg schickte, auch wenn sie vieles nicht verstand. Schaffte sie es, für immer in einer anderen Welt zu leben, als dort, wo sie geboren worden war? Vielleicht fand sie eine Freundin. Als sie merkte, wie ihre Augenlider schwer wurden, fasste sie einen Entschluss.

 

Fortsetzung folgt …