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Der Welt-Detektiv Band 6

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Westernkurier 10/2013

Auf ein Wort Stranger,

im Verlauf der amerikanischen Pioniergeschichte gab es mehr als 100 000 Sheriffs, Marshals und Deputys. Die wenigsten von ihnen hinterließen in den Geschichtsbüchern sichtbare Spuren. Aber diese wenigen prägten das Bild, welches wir bis zum heutigen Tage von den Gesetzeshütern des Wilden Westens vor Augen haben.
Pat Garrett, Sheriff im Lincoln County, der den berüchtigten Billy the Kid aus dem Hinterhalt erschoss, Wild Bill Hickok, der als Marshal von Abilene traurigen Ruhm erlangte, oder Bill Tilgham und Heck Thomas, Sternträger im Dienst von Hängerichter Parker.
Die Nachwelt stilisierte sie zu Helden und baute ihnen Denkmäler, aber sie hinterließen bis auf die beiden Letztgenannten kaum mehr als den Nachhall ihrer krachenden Revolver.
Ein anderer Marshal, dessen Name fast niemand mehr kennt, war Thomas J. Smith. Ein einfacher, wortkarger Mann, der noch heute in den Augen vieler Kenner der amerikanischen Pioniergeschichte als einer der wenigen das wahre Ebenbild eines Marshals verkörperte.
Ihm ist diese Kolumne gewidmet, nicht nur, weil sich sein Todestag am 2. November jährt, sondern ganz einfach, weil er es nicht verdient hat, in Vergessenheit zu geraten.
Thomas James Smith erblickte am 12. Juni 1830 in den Elendsvierteln von New York das Licht der Welt. Seine Eltern waren arme schottische Einwanderer, deren größte Sorge es war, nicht mitsamt ihren Kindern zu verhungern.
Das Leben hielt für Thomas einige bittere Lektionen bereit. In dem Viertel, in dem er aufwuchs, herrschte das Gesetz der Straße – fressen oder gefressen werden. Um nicht zu Letzteren zu gehören, lernte er schon relativ früh seine Fäuste zu gebrauchen.
Bei einer seiner Prügeleien in den Randbezirken New Yorks entdeckte ihn zufällig ein Boxpromotor. Er holte ihn in eine Boxschule und machte aus seinem Zögling einen Berufsboxer. Fünf Jahre lang tingelte Smith durch die Oststaaten der USA und kämpfte für Geld. Er musste nicht mehr hungern und hatte ein Dach über dem Kopf. Trotzdem war er mit seiner Situation unzufrieden.
Das Boxgeschäft war ihm zu unsicher und das Milieu zu halbseiden. Ein Ruf, der diesem Sport nicht nur in Amerika auch heute noch anhängt. Darum ist es nicht verwunderlich, dass er sofort zugriff, als sich ihm 1860 die Möglichkeit bot, Mitglied der New Yorker Polizei zu werden.
Doch bereits zwei Jahre später hängte er die Uniform an den Nagel. Die Gründe hierfür sind noch heute unklar, weil es kaum Aufzeichnungen über sein Leben und Wirken bei der Polizei gibt.
Der amerikanische Historiker Carl Breihan behauptet in seinem Buch Great Lawmen of the West, Smith habe 1862 in einem Schusswechsel mit flüchtigen Verbrechern versehentlich einen kleinen Jungen erschossen, worauf die empörte Öffentlichkeit seine Entlassung erzwang und er danach gesellschaftlich praktisch ruiniert war. Auch wenn diese These bis heute nicht eindeutig bewiesen ist, sprechen doch viele Indizien klar dafür.
Warum kehrte Smith plötzlich seiner Familie den Rücken, obwohl sie bis dato sein ein und alles war?
Warum verließ er New York, brach alle Brücken ab und ließ sein ganzes bisheriges Leben hinter sich?
Warum zog er plötzlich in den Westen und warum die plötzliche Aversion gegen Schusswaffen aller Art?

***

Von dem Tag an, an dem er New York verließ, verlor sich seine Spur.
Es ist lediglich bekannt, dass er im Dezember 1862 in Arizona gesehen wurde, dort angeblich in die Armee eintrat und nach Ende des Bürgerkriegs Sicherheitsagent der Union Pacific Railroad Company wurde.
Danach hörte man erst wieder im Jahr 1868 von ihm. Es war das Jahr, in welchem er in Wyoming in der Goldgräberstadt Bear River City auftauchte.
In dieser Boomtown drehte sich alles ums Gold und ein Gesetz war praktisch nicht vorhanden. Verbrecher aller Schattierungen beherrschten das tägliche Leben. Durch sein unerschrockenes Auftreten wurde ein hiesiges Bürgerkomitee auf ihn aufmerksam und ernannte ihn kurz darauf zum Town Marshal.
Mit dem Stern an der Brust und dem Wissen des Gesetzes in seinem Rücken ging Smith umgehend daran, die Stadt von allen zwielichtigen Elementen zu säubern. Aber nicht mit der Waffe, sondern mit eiserner Faust. Als seine Arbeit getan war und Recht und Gesetz in Bear River eingekehrt waren, zog Tom Smith weiter nach Greely in Colorado, wo er ebenfalls das Amt des Town Marshals ausübte.
Nach der Episode in Colorado war er im Westen bekannt wie ein bunter Hund, was vornehmlich an der Tatsache lag, dass er das Gesetz nicht mit Waffengewalt, sondern mit Charakterstärke und der Kraft seiner Fäuste durchsetzte.
1870 hörte er von einer Stadt in Kansas, in der die Gewalt eskaliert war und die Bürger so verzweifelt nach einem energischen Marshal verlangten wie ein Verdurstender nach Wasser.
Also machte sich Tom Smith auf den Weg nach Süden, nach Abilene, nicht ahnend, dass diese Stadt sein Schicksal werden sollte.
War Bear River eine Stadt, in der das Gold regierte, so waren es in Abilene die Rinder. Man hatte an alles gedacht, was Geld einbringen würde: vom Eisenbahnanschluss über weitläufige Verladekorrals bis hin zu protzigen Hotels, Geschäften, Spielhallen, Bordells und unzähligen Saloons. Aber an eine kommunale Ordnung, an Recht und Gesetz hatte niemand gedacht.
Die Folge dessen war, dass die Stadt bereits mit dem ersten Eintreffen der Viehherden aus den Fugen geriet. Die rauen Texascowboys, die auf den monatelangen Viehtrails zu Arbeitstagen von sechzehn bis zwanzig Stunden mit einhergehender Enthaltsamkeit gezwungen waren, führten sich am Ende der Trails wie die Vandalen auf. Spieler, Huren und Saloonbesitzer warfen angesichts der zu erwartenden Einnahmen alle Bedenken über Bord. Eine Stadtpolizei gab es bereits wenige Stunden nach ihrer Gründung nicht mehr.
Abilene drohte im Chaos zu versinken.
Aber dann kam Tom Smith.
Den Stadtvätern erschien er wie ein Heilsbringer.
Bürgermeister Theodore C. Henry ernannte ihn kurzum zum Marshal.
Smith erhielt ein Gehalt von 150 Dollar im Monat und eine Prämie von 2 Dollar für jede Verhaftung.
Am 4. Juni 1870 begann er mit seiner Arbeit.
Aus einem bestimmten Grund schien er immer noch nichts von Schusswaffen zu halten. Er verließ sich wie in Bear River und Greely nur auf seine Fäuste und anscheinend wusste er dabei genau, was er tat.
Denn die Weidereiter vermieden den Faustkampf und verließen sich nur auf ihre Colts. Es gehörte zu ihrem ungeschriebenen Gesetz, nie auf einen unbewaffneten Mann zu schießen. Smith machte sich diesen Umstand zunutze und zwang ihnen seinen Stil der Auseinandersetzung auf.
Nachdem er Steve Roe und Hank Belton, zwei besonders verrohte Exemplare, nach Strich und Faden verprügelt hatte, war seine Stellung gefestigt. Binnen kürzester Zeit gelang es ihm ohne Blutvergießen die anarchischen Zustände in Abilene zu beseitigen. Er schlichtete Schlägereien, verjagte Falschspieler, brachte Randalierer hinter Schloss und Riegel und verhaftete Pferdediebe. Die texanischen Cowboys begannen ihn zu respektieren. Sein persönlicher Mut und seine Fairness machten ihn gleichermaßen bei Freund und Feind angesehen.
Aber dann kam jener schicksalhafte November, an dem ihn seine Vergangenheit einholte und ihm seine Abneigung gegen Schusswaffen zum Verhängnis wurde.

***

Es war der 2. November 1870.
Die folgende Szenerie ist nicht genau historisch belegt, aber nach Aussagen mehrere Zeitgenossen und Presseberichten hat es sich damals ungefähr so zugetragen.
Ein Reiter kam in die Stadt.
Er ritt sehr schnell. Sein Pferd war abgetrieben und völlig erschöpft. Schaumflocken tropften aus dem Maul seines Tieres, als er es vor dem Marshal Office zügelte. Tom Smith stand auf dem überdachten Vorbau seines Bürogebäudes und hatte die Hände in den Hosentaschen.
Die Viehsaison war zu Ende.
Die Trailmannschaften hatten den Rückweg nach Texas angetreten. Die Straßen wirkten verlassen und die Saloons, Tanzhallen und Bordelle lagen wie ausgestorben da.
»Am Chapman Creek hat es eine Schießerei gegeben«, sagte der Reiter keuchend.
Smith horchte auf. »Jemand verletzt?«
»Anscheinend hat es Shea erwischt.«
»Der Farmer am Fluss?«
»Genau, die beiden haben ihn fertiggemacht.«
»Wer?«
»Sein Nachbar, Andrew Mc´Connell«, sagte der Reiter.
»Und dessen Freund, ich glaube er heißt Moses Miles.«
Als wenig später die Leiche des ermordeten Farmers nach Abilene gebracht wurde, verließ Tom Smith mit seinem Stellvertreter anschließend sofort die Stadt.
Das Schicksal wollte es, das sich Smith zum ersten Mal während seiner Amtszeit einen Revolver eingesteckt hatte. Als Tom und sein Gehilfe das Anwesen am Chapman Creek erreicht hatten, wurden sie bereits erwartet. Sheas Mörder hatten sich im Haus versteckt und feuerten sofort.
Tom Smith stieg vom Pferd, während sein Deputy aus der Stadt Hilfe holen wollte.
»Wozu?«, soll Smith gesagt haben.
»Sie sind nur zu zweit und sie haben Angst. Ich gehe los und hole sie.«
Dann lief er los, alleine und schutzlos.
»Kommt heraus, ich muss euch verhaften«, rief er auf dem Weg zum Haus.
Die Haustür öffnete sich ein Stück, ein Gewehr schob sich durch den Spalt und dann traf den Marshal eine Kugel in die Brust. Smith taumelte, aber er hatte eine Bärennatur. Er straffte sich und ging wild entschlossen weiter auf das Haus zu. Als er über die Schwelle trat, machte sich Mc´Connell bei seinem Anblick angeblich fast in die Hosen.
Aber nicht so Moses Miles.
Er verbarg sich hinter der Tür und schlug bei Smiths Eintreten sofort mit einem Beil zu. So heftig, dass Thomas fast enthauptet wurde.
Der feige Mord erregte ganz Kansas.
Aber übertrumpft wurde das Ganze noch von der Reaktion der Bürgerschaft und den Honoratoren der Stadt Abilene.
Der Historiker Nyle H. Miller schrieb in einem seiner Bücher über die Revolvermänner und Gesetzeshüter von Kansas darüber folgende Zeilen:
»Es war ein Skandal. Die Stadt, für die sich Tom Smith so eingesetzt und aufgeopfert hatte, ließ ihn in einem schäbigen Zwei-Dollar-Grab verscharren. Erst vierunddreißig Jahre nach seinem Tod erwies ihm Abilene die ihm gebührende Ehre. Der ehemalige Polizeichef der Stadt wurde aus seinem obskuren Grab umgebettet und erhielt nahe der Hauptstraße eine Gedenkstätte. Zur Enthüllung kam am 30. Mai 1904 T. C. Henry, der erste Bürgermeister von Abilene, angereist, der Tom Smith einst angestellt hatte.«

***

Man nannte ihn Bear River Tom Smith oder Marshal Eisenfaust.
Dennoch blieb er all seinen Kampfnamen zum Trotz ein bodenständiger Mann, der im Gegensatz zu anderen Zeitgenossen versuchte, seinen Job ohne Blutvergießen zu erledigen. Auch wenn er nicht so berühmt wurde wie ein Wyatt Earp oder andere Kollegen, zeigte sich gerade darin seine wahre Größe.

In diesem Sinne,
euer Slaterman

Quellennachweise:

  • Kügler, Dietmar: Sie starben in den Stiefeln. Revolvermänner des Wilden Westens. Motorbuch Verlag, Stuttgart, 1983
  • Kügler, Dietmar: Der Sheriff. Recht und Gesetz im Wilden Westen. Paul Pietsch Verlag, Stuttgart, 1977
  • Archiv des Autors

(gs)