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Der Welt-Detektiv Band 6

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Westernkurier 06/2013

Auf ein Wort, Stranger,
wer die Pioniergeschichte Amerikas kennt, weiß auch um die Legenden und Mythen über jenen Typus Mann, der davon lebte, dass er seine Waffen schneller und sicherer handhaben konnte als andere. Zwar sagt man Amerika und hier im speziellen Texas gerne einen Hang zur Übertreibung nach, aber es hat sie tatsächlich gegeben: Jene Männer, die im Laufe ihres Lebens Dutzende von Kerben in den Griff ihres Revolvers schnitzten, wobei jede Kerbe für den Tod eines Gegners stand.
Man nannte sie Revolverhelden, Gunmen oder Schießer. Es waren Männer, für die nur ihr eigenes Gesetz galt, das des Colts. Geprägt vom hemmungslosen und unmoralischen Charakter ihres zeitlichen und geographischen Umfelds schrieben auch sie mit am Kapitel der amerikanischen Pioniergeschichte, genauso wie die Siedler, die Cowboys, die Frauen oder die Männer der Eisenbahn. Sie schrieben es allerdings auf ihre Art: mit Pulver, Blei und Blut. Trotzdem sollte man nicht den Fehler machen und sie alle pauschal verdammen, denn sie und ihre Taten kann man nur beurteilen, wenn man die Zeit und das Land, in dem sie aufwuchsen, genau kennt.
Sie zu Helden zu machen, wäre unangebracht, sie zu vergessen aber auch.
Clay Allison war einer von ihnen.
Oberflächlich betrachtet auch nur ein Revolvermann unter vielen, hätte es da nicht ein paar Dinge gegeben, die ihn deutlich von den anderen Gunmen unterschieden. Es war nicht nur seine angeborene, körperliche Behinderung, sondern auch seine Epilepsie, sein damit einhergehender Jähzorn und ein geradezu biblischer Gerechtigkeitssinn, der den hochgewachsenen Texaner schon zu Lebzeiten zur Legende werden ließ.

Aber verlieren wir uns nicht in irgendwelchen Einzelheiten, sondern beginnen die Geschichte über diesen ungewöhnlichen Mann mit dem 2. September 1840, jenem Tag, an dem er als Robert A. Clay Allison auf einer schäbigen Farm nahe der Stadt Waynesboro, Tennessee geboren wurde.
Seine Eltern waren Baumwollpflücker, sein Zuhause ärmlich und seine Kindheit von Hunger und Arbeit geprägt.
Hinzu kam, dass er von Geburt an mit einem verkrüppelten, rechten Fuß zurechtkommen musste.
Ein körperliches Handicap, durch das er sich minderwertig fühlte und das er versuchte, durch eine betont aggressive und rücksichtslose Lebensweise zu überspielen.
Schon bald erkannte er, dass die einfachste Art, seine Missbildung vergessen zu machen und sich den Respekt seiner Mitmenschen zu erwerben darin lag, Karriere bei der Armee zu machen. Der Zeitpunkt zum Eintritt ins Soldatenleben war günstig. Man schrieb den 15. Oktober 1861 und der Bürgerkrieg war bereits in vollem Gange, als er sich zur Tennessee Light Artillery meldete.
Er war ein tapferer Soldat, der sich selbst vor den waghalsigsten Manövern nicht drückte, aber seine epileptischen Anfälle machten seiner Karriere bei der Armee immer wieder einen Strich durch die Rechnung.
Der Befund eines Armeearztes in Bowling Green, Kentucky, am 10. Januar 1862 sorgte schließlich für seine Entlassung.
Der Soldat Clay Allison ist jähzornig und leicht reizbar. Er ist ein zwiespältiger Charakter. Er leidet zuweilen unter Epilepsie und ist meiner Meinung nach partiell geistesgestört.

Verbittert tauchte Allison unter und lebte, von seiner Umwelt fast völlig isoliert, für die nächsten zwei Monate wieder auf der elterlichen Farm.
Im März 1862 zogen Einheiten der Nordstaatenarmee plündernd und mordend durch Tennessee. Dabei kam ein Trupp der 3. Illinois Kavallerie auf die Allison-Farm. Als ein Corporal Clays Mutter belästigte, schoss ihn der junge Allison kurzerhand nieder. Angespornt durch diese Tat war er wild entschlossen der Welt zu zeigen, dass er trotz seines verkrüppelten Fußes ein ganzer Mann war.
Tatsächlich fand er noch im September des gleichen Jahres Aufnahme in der F-Company des 19. Tennessee Kavallerie Regiments und erlebte den Bürgerkrieg bis zum bitteren Ende mit.
Nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft zog er mit seinen Brüdern John und Monroe, seiner Schwester Mary und ihrem Ehemann Lewis Coleman ins Brazos County nach Texas.
Clay war ein erstklassiger Cowboy und arbeitete sich schon bald zum Mannschaftsboss empor. Er verdiente gut und zog 1870 nach New Mexiko, wo es noch große Gebiete unbesiedelten Weidelandes gab. In der Nähe von Cimarron baute er seine erste Ranch auf.
1870 war auch das Jahr, in dem Clay Allison seinen Ruf als Revolvermann und wilder Wolf begründete. Allerdings war man mit seinen Taten, im Gegensatz zu denen von Schießern wie Hardin, Longley und Hickok im texanischen Rinderland, im Großen und Ganzen einverstanden, wenngleich manche seiner Späße tief unter das Gebetsbuch gingen.

Allison war der Prototyp jenes Texaners, den man zu jeder Tages- und Nachtzeit wegen eines Kampfes um Kopf und Kragen wecken konnte. Ein dunkelblonder Hüne mit blauen Augen, mit Kuh- und Pferdeverstand gesegnet, der Damen und Freunden gegenüber mit ausgesuchter Höflichkeit begegnete und die Wildnis wie seine Hosentasche kannte. Sein gegebenes Wort war so sicher wie der Wechsel der Jahreszeiten, aber wehe, man versuchte, ihn hinters Licht zu führen oder gar zu betrügen.
Einem Zahnarzt in Dodge City, der ihm den falschen Zahn gezogen hatte, überreichte er lächelnd das Honorar von zwei Dollar, packte den Mann und zog ihm sechs gesunde Zähne im Beisein der halben Stadt.
»So, Sir«, sagte er danach zum Abschied. »Ich denke, Sie wissen jetzt, wie unersetzlich ein guter Zahn ist.«
Einen auf frischer Tat ertappten mexikanischen Viehdieb, der ihm jammernd das Bild einer Frau mit vier Kindern zeigte, ließ er sich nackt ausziehen und brannte ihm das Zeichen seiner Ranch auf beide Hinterbacken seines Allerwertesten.
Als er von seinen Cowboys hörte, dass die frommen Bürger von College Hill, Texas, ihren Frauen und Töchtern befohlen hatten, die Straße nur mit niedergeschlagenen Augen zu betreten, zog er sich bis auf die Stiefel aus, band seine Kleider hinterm Sattel fest und jagte splitternackt, schießend und singend mehrmals durch den Ort.
Auf dem Weg nach Roswell begegnete er einmal einer Frau, die sich vor Schmerzen krümmte. Sie erzählte, dass sie von einem wandernden Wunderdoktor ein Tonikum gegen Plattfüße gekauft hatte. Allison ließ sich die Flasche mit dem Rest der giftgrünen Flüssigkeit geben, traf den Professor Xephenon Jones auf der Plaza von andächtig lauschenden, potenziellen Käufern umringt und forderte von ihm den Kaufpreis der Flasche zurück. Als der Mann sich weigerte und Allison auch noch wegen seines Beinleidens verspottete, hielt ihm Clay den Revolver unter die Nase und zwang den Mann, mehr als ein Dutzend Flaschen seiner eigenen Mixtur zu trinken. Bei der fünfzehnten Flasche angekommen verriet der in Todesangst stöhnende angebliche Leibarzt des russischen Großfürsten das Rezept seiner Wundermedizin.
Es war in Brennspiritus aufgelöste Kuhscheiße mit Farbstoff.
Sein eulenspiegelhafter Humor war eine Seite, die andere sein Jähzorn und seine unvermittelten Wutausbrüche.
So erstach er 1870 seinen Nachbarn Rob Johnson im Streit um Wasserrechte und war Anführer eines Lynchmobs, der den Mörder Charles Kennedy aus dem Gefängnis von Elizabethtown holte und ihn kurzerhand im Schlachthof der Stadt aufknüpfte.
Am 7. Januar 1874 nahm der für seine Reitkünste bekannte Allison von Chunk Colbert eine Einladung zu einem Pferderennen an. Colbert galt als mordlustiger Schießer, der zu diesem Zeitpunkt bereits sieben Menschen auf dem Gewissen hatte. Das Rennen endete unentschieden und man ging danach recht mürrisch in einen Saloon. Beim anschließenden gemeinsamen Essen versuchte Colbert, unter dem Tisch den Revolver zu ziehen. Doch er blieb mit der Waffe hängen. Allison feuerte seinerseits und tötete ihn mit einem Schuss ins rechte Auge.
Zwei Wochen später verschwand auf mysteriöse Weise ein Mann namens Charles Cooper. Er war ein Freund von Colbert und zuletzt zusammen mit Allison gesehen worden. Aber danach hörte man nie wieder etwas von ihm.
Im September 1875 spielte Allison wieder einmal den Part des Henkers bei einem Lynchmob. Aber diesmal war der Mann, Cruz Vega, tatsächlich unschuldig. Am 1. November stand sein Freund, ein mexikanischer Pistolero namens Francisco Griego vor Allison, und obwohl Griego als außergewöhnlich gefährlich galt, schoss ihn Allison mit geradezu spielerischer Leichtigkeit über den Haufen.
Von da an begann man, ihn auch im Rinderland allmählich zu fürchten.
Im März 1876 wurde Allison in die Arrestzelle des Gefängnisses von Cimarron gebracht, weil er unter dem dringenden Tatverdacht stand, in Lamperts Saloon drei farbige Soldaten ermordet zu haben. Als sich seine Unschuld herausstellte, versuchte der Bezirksanwalt, Clay wegen Mordes an Colbert, Cooper und Griego anzuklagen. Aber es war nicht möglich, exakte Beweise zu finden, und da sich außerdem keine Zeugen fanden, die gegen ihn aussagen wollten, konnte er im Juni 1876 als freier Mann auf seine Ranch zurückkehren.
Von nun an ging man ihm aus dem Weg und fast hatte es den Eindruck, als ob Clay seinen düsteren Ruhm genießen würde.

Einen mexikanischen Nachbarn, dessen Rinderherde auf mysteriöse Weise zunahm, erschoss er kurzerhand, nachdem er ihn dabei beobachtet hatte, wie dieser das Brandzeichen an einem seiner Kälber fälschte. Clay schlachtete das Tier, wickelte den Mexikaner in die Haut ein und brachte den Leichnam zum Sheriff. Die Inschrift seines Grabsteins spiegelte die Haltung der Bevölkerung über Clay Allison am besten wieder.
Sie lautete:
Juan Chavez starb als Selbstmörder, weil er die Brandzeichen auf C. Allisons Rindern fälschte.

Clay war nun der unumschränkte Herrscher im Colfax County von New Mexiko.
Am 21. Dezember ritt er mit seinem Bruder John nach Las Animas in Colorado, um dort mit seinem Freund Frank Fagley, dem die Olympic Dance Hall gehörte, gemeinsam das Weihnachtsfest zu feiern.
Sheriff Spiers und sein Deputy Charles Faber beschlossen, die Tanzhalle und besonders die wilden Allisonbrüder genau im Auge zu behalten. Als die angetrunkenen Brüder den Tanzpaaren auf die Füße traten und die Tänzerinnen beleidigten, betrat Faber mit einer Schrotflinte bewaffnet und mit zwei Helfern im Schlepptau Fagleys Etablissement und forderte die Allisons auf, ihre Waffen niederzulegen. Als John dem Befehl nicht schnell genug nachkam, schoss ihn Faber mit der Schrotflinte in Schulter und Hüfte, weil er die Allisons verwechselte und der Meinung war, den wilden Clay vor sich zu haben.
Betrunken und blind vor Wut streckte Clay Faber mit vier Schüssen nieder, folgte seinen flüchtenden Helfer und schoss weiter. Dann kehrte er zu seinem blutenden Bruder zurück und ließ sich anschließend widerstandslos festnehmen.
Vor dem Distriktgericht in Pueblo wurde Anklage gegen ihn erhoben.
Clay kam im Januar gegen Kaution frei, ging nach New Mexiko zurück und engagierte einen guten Rechtsanwalt. Er verkaufte seine Ranch, um den Verteidiger und die ärztliche Behandlung für seinen schwerverletzten Bruder bezahlen zu können. Er ging nach Colorado zurück, wo im März 1877 die Verhandlung gegen ihn eröffnet wurde. Viele sahen ihn bereits am Galgen, aber wieder einmal sorgte der Ruf des wilden Texaswolfs dafür, dass sich kein Zeuge fand, der gegen ihn aussagte. Clay und sein Verteidiger plädierten auf Notwehr und das Gericht musste in Ermanglung von Beweisen diese Version akzeptieren.
Der Prozess hatte ihn zwar finanziell ruiniert, aber mit seinem eisernen Willen schaffte er es drei Jahre später, wieder im Texas Panhandle eine Ranch aufzubauen. 1881 heiratete er die Bürgertochter Dora McCullough.
Aus der Ehe gingen zwei Töchter hervor. Patsy, die ältere, wurde verkrüppelt geboren, was ihn zutiefst verbitterte.
Im Mai 1886 zog Allison mit seiner Familie nach New Mexiko und kaufte eine große Ranch im Lincoln County. Danach wurde es ruhig um den wilden Wolf.
Ein Jahr später war Clay Allison tot.
Sein Ende war jedoch völlig unspektakulär und hatte nichts mit den reißerischen Zeitungsberichten zu tun, die noch vor wenigen Jahren über ihn geschrieben worden waren.
Über die Art seines Todes gibt es heute noch die verschiedensten Versionen. Fest steht nur, dass er am 1. Juli 1887 mit einem Ranchwagen von Pecos in Texas aus zu seiner Ranch unterwegs war. Einige Historiker behaupten, dass er betrunken vom Kutschbock fiel und von den Hinterrädern des Wagens überrollt und ihm dabei das Rückgrat gebrochen wurde. Eine andere Version lautet, dass ihm ein Sack Mehl von der Ladefläche fiel und er bei dem Versuch stolperte, diesen wieder aufzuladen und er dabei unter die Räder geriet. Wieder eine andere besagt, dass er vom Wagen fiel und an den Folgen eines Schädelbruchs starb.
Egal, was nun zu seinem Tode geführt hatte, es blieb nichts von ihm zurück als sein Name. Kein Stein, kein Kreuz, nicht einmal eine einfache Tafel zierte seinen Grabhügel auf dem Friedhof von Pecos.
Nur wenige Jahre später wusste schon niemand mehr, wo Allison begraben wurde.
Noch heute ist der Platz, wo der wilde Wolf bestattet wurde, unbekannt.

Quellen:

  • Dietmar Kügler, Sie starben in den Stiefeln, Gondrom Verlag Bindlach
  • H. J. Stammel, Das waren noch Männer, Econ Verlag Düsseldorf

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