Liongirl – Die Herrin des Zitterns 2
I
In tiefer Nacht
Der 22. Dezember.
Nur noch zwei Tage, und die christliche Welt würde den Atem anhalten, um Weihnachten zu feiern.
Hell leuchtete der Baum auf dem Markplatz von Heliopolis. Noch vor wenigen Stunden hatten dort Kinder gesungen und das Schließen des Weihnachtsmarktes musikalisch begleitet. Traditionell wurden die Buden am 22. um Punkt 22:00 Uhr geschlossen.
Einen Monat hatten die Bürger gehabt, um sich an dem Weihnachts-Wunderland zu erfreuen, welches von den Geschäftsleuten Jahr für Jahr errichtet wurde.
Einen Monat, um bei alkoholischen Getränken, Lebkuchen und anderen Köstlichkeiten die Sorgen zu vergessen.
Und Sorgen hatten die Menschen in Hell City wahrlich genug.
Verbrechen, Drogen und Korruption. Außerdem Arbeitslosigkeit und Armut, wohin man schaute.
Hell war der Furunkel am Arsch von Amerika, das Schmuddelkind unter den Großstädten. Hätten die Bürger die Chance gehabt, anderswo glücklich zu werden, sie hätten den Moloch in Scharen verlassen.
Aber Amerika lag danieder und niemand, nicht die Städte an der Ostküste und auch nicht die Städte an der Westküste, brauchten Flüchtlinge aus Heliopolis. Bleib, wo du bist, und zieh dich aus deinem Elend – oder verrecke darin.
Die Zeiten waren hart, die Menschen waren härter.
Alexandra Brown wusste, dass die Hoffnungslosigkeit so manchen zu illegalen Mitteln greifen ließ.
Sie verstand es – entschuldigte es aber nicht.
Im Gegenteil.
Als Liongirl – Herrin des Zitterns wollte sie die Verbrecher der Stadt das Fürchten lehren. Und anders als die Polizei oder Staatsanwälte fragte sie nicht nach Durchsuchungsbeschlüssen und Haftbefehlen. Sie fragte auch nicht nach Menschenrechten.
Anders als Comic-Held Heroman – Rächer der Armen gab sie einen Scheiß auf das Leben oder die Gesundheit jener, die sie im Visier hatte. Ihre Waffen waren tödlich, ihre Intention kompromisslos.
Mit der Hand an der Waffe kauerte sie auf einem Eisenträger dicht unter dem Dach einer Halle im Norden der Stadt. Hier wuchsen die Fabriken in die Höhe, hier schleuderten riesige Schornsteine Dreck in die Atmosphäre.
Die Gegend stank.
Nach Chemikalien, nach Abfall von der Müllverbrennungsanlage und nach heißem Gummi. Es war ein Ort, an dem die Arbeiter jeden Tag ihre Schichten rissen, um ehrlich verdientes Geld nach Hause zu bringen. Männer und Frauen, die zupackten und so ihre Familien ernährten.
Vor ihnen hatte Alexandra den größten Respekt, denn sie leisteten etwas.
Aber hier, im Norden, wurden auch andere Geschäfte abgewickelt.
Es gab leer stehende Hallen und Fabriken; alte Bauten, vergessen und dem Verfall preisgegeben. In ihnen wucherte das Verbrechen. Lichtscheue Gestalten wickelten in den Bauten ihre Deals ab.
Nicht immer ging es um die großen Dinge. Manche waren schon damit zufrieden, ihre Beute aus Raubzügen verhökern zu können.
Einmal im Quartal fand ein regelrechter Mitternachts-Flohmarkt statt, auf dem man Hehlerware erstehen und verscherbeln konnte.
Dann wieder trafen sich Mitglieder der großen Verbrecherorganisationen, um Drogen oder Alkohol im großen Stil in die Stadt zu schmuggeln.
So wie in dieser Nacht!
Der letzte große Deal des Jahres sollte über die Bühne gehen. Kokain im Wert mehrerer Millionen Dollar wartete darauf, an die einzelnen Bosse verteilt zu werden.
Natürlich würden die Paten nicht selbst erscheinen. Keiner von denen machte sich die Finger schmutzig. Sie hatten ihre Handlanger, die das für sie erledigten.
Aber jeder der fünf großen Clanchefs würde seinen gerechten Anteil erhalten. Nun, Genovese, der als Boss der Bosse galt, würde wahrscheinlich ein etwas größeres Kuchenstück abbekommen.
So zumindest planten es die Mobster.
Liongirl hingegen hatte völlig andere Pläne.
Sie lag seit mehr als einer Stunde auf der Lauer. Noch befanden sich in der Halle unter ihr lediglich die Lieferanten. In zwei Vans hatten sie das Kokain beigeschafft und warteten nun auf die Abnehmer.
Durch Zufall hatte Liongirl von der Sache erfahren. Die Streifenwagen hatten über Funk einen unmissverständlichen Befehl erhalten: Haltet euch von dem alten Miller-Komplex fern. Was immer gemeldet wird; dort gibt es nichts für euch zu tun!
Es zahlte sich aus, dass die Crew um Alexandra Brown den Polizeifunk abhörte.
Es ging bereits auf zwei zu und noch immer hatte sich niemand blicken lassen. Da die Lieferanten jedoch nicht ungeduldig wurden, vermutete Liongirl, dass es einen bestimmten Zeitplan gab.
Wie richtig sie damit lag, zeigte sich wenige Sekunden vor zwei.
Plötzlich hielten mehrere Limousinen auf die Halle des Miller-Komplexes zu. Das große Tor ging auf, Lampen tauchten den Bau in taghelles Licht.
Die Wagen parkten im Inneren, kurz vor den Vans. Türen wurden aufgestoßen und Männer in schwarzen Anzügen stiegen aus. Sie waren bewaffnet und schauten sich misstrauisch um.
Fünf Limousinen, dachte Liongirl. Jeder Pate hat einen Wagen geschickt. Sehr schön …
»Gentlemen!«, rief einer der Lieferanten. »Wie schön, wie schön. Wir haben die Ware bereits handlich verpackt. Ich nehme an, Sie möchten den Stoff testen?«
Er ging zur Seite, um die Mafiosi ihren Job tun zu lassen.
Jene, die sich hier trafen, wickelten nicht das erste Geschäft ab.
Aber es würde das letzte Mal sein, das hatte sich Liongirl geschworen.
Sie aktivierte den Sichtschutz ihres Helms, dann ließ sie zwei Blendgranaten fallen.
Niemand bemerkte die eiförmigen Wurfgeschosse.
Erst, als sie zwei Meter über dem Boden detonierten und dabei nicht nur einen enorm grellen Blitz entzündeten, sondern auch einen nahezu ohrenbetäubenden Lärm verursachten, schrien die Männer auf.
Manche sackten in die Knie, andere pressten nur ihre Hände auf die Augen.
Mit einem eleganten Salto sprang Liongirl in die Tiefe, riss dabei ihr Schwert hervor und landete mitten unter den Verbrechern.
Noch ehe diese begriffen, blitzte die Klinge im Licht der hellen Lampen.
Die Schreie wurden gellender, als der Stahl durch Körper schnitt. Arme und Köpfe rollten, Blut spritzte aus unzähligen Wunden.
»Was ist das?«, wimmerte einer von Genoveses Männern. Er hielt einen Armstumpf an seine Brust gedrückt. Noch immer konnte er nichts sehen. Blind drehte er den Kopf, um den Angreifer ausmachen zu können. »Wer bist du?« Den letzten Satz brüllte er in die Halle.
Ihm folgte Stille.
Die Schreie, das Stöhnen und Winseln der anderen waren verstummt.
Niemand sonst lebte noch. Weder die Lieferanten, noch ihre Kunden.
Nur dieser eine Mann kauerte auf dem Boden, die blutende Wunde an die Brust gedrückt. Urin durchnässte seine Hose, Übelkeit wühlte seinen Magen auf. Kalter Schweiß rann über sein Gesicht.
Dann hörte er die Schritte.
Sie kamen von hinten. Langsam, bedrohlich und sicher.
»Wer bist du?«, fragte er. Tränen liefen über seine Wangen. Er merkte, dass es ihm dünn und braun in die Hose ging. »Sag doch was.«
Kalter Stahl bohrte sich in seinen Nacken. Seine Haare richteten sich auf, obwohl der Schmerz, als die Schwertspitze in seine Haut eindrang, vernachlässigbar war im Vergleich zu der wild pochenden Pein, die von seinem Armstumpf ausging.
»Ich bin Liongirl, Herrin des Zitterns!«, erklärte Alexandra kalt. »All deine Freunde sind tot, nur du lebst noch.«
»Bitte, töte mich nicht!«, wimmerte der Mann. »Es ist doch bald Weihnachten!«
Wütend versetzte Liongirl dem Mann einen Tritt in die Rippen. »Ja, es ist Weihnachten. Wolltest du den Kindern und Jugendlichen ein paar Gramm von der Scheiße hier schenken?«, fuhr sie ihn an. »Aber nein, ich töte dich nicht. Sag deinem Boss, was hier geschehen ist. Sag ihm, dass Liongirl die Drogen vernichtet und das Geld konfisziert hat. Ich denke, ich lasse es den Armen und Bedürftigen zukommen.«
Sie riss den Verletzten derb in die Höhe, führte ihn zum Ausgang der Halle und gab ihm einen Stoß. Hilflos wankte der Mann davon. Er musste nur immer geradeaus gehen, dann würde er früher oder später auf eine belebte Straße stoßen.
»Du elende Schlampe!«, rief der Verbrecher mit weinerlicher Stimme. »Du Schlammfotze. Genovese wird dir den Arsch aufreißen!«
Er blinzelte. Schemenhaft konnte er wieder etwas erkennen. Vor ihm erstreckten sich die Lichter der Stadt.
Er hatte gerade einen Taxistand erreicht und einen der Fahrer um Hilfe angefleht, als die Halle des Miller-Komplexes detonierte. Der Feuerball fraß sich in den Nachthimmel und wurde so zu einem Spektakel für jene, die noch unterwegs waren.
Dort, in dem Feuer, verbrannte das Kokain der Mafiabosse.
»Ich habe einen Krankenwagen gerufen!«, erklärte der Taxifahrer und schaute mitleidig auf den Schwerverletzten. »Wer hat Ihnen das angetan, Mann?«
»Sie war es«, wisperte der Verbrecher, ehe er das Bewusstsein verlor. »Liongirl!« Dann brach er vollends zusammen.
II
Nachwehen
Liongirls Aktion hatte es nicht in die Morgenblätter geschafft, wohl aber in die News von Radio und Fernsehen.
Auch die Spätausgaben der Zeitungen berichteten in aller Ausführlichkeit über das, was sich in der Halle des Miller-Komplexes mutmaßlich abgespielt hatte.
Die meisten Blätter schrieben zurückhaltend-neutral. Einzig der News Telegraph, eine Zeitung, die zu Brown Media gehörte, schrieb ausnahmslos positiv.
So, wie es Alexandra als klare Linie vorgegeben hatte.
Daran hielten sich auch die angeschlossenen Sender. Die Redakteure fanden die passenden Worte, um Abscheu vor Verbrechen, Hilflosigkeit der Bürger und korrupte Politiker – allen voran der ehemalige Bürgermeister der Stadt – in Worte zu kleiden und so aufzuzeigen, dass der Frau hinter der Maske im Grunde gar nichts anderes übrig blieb, als zur Selbstjustiz zu greifen.
Die Polizei und auch der Staatsanwalt sahen dies anders. Sie sprachen von barbarischer Selbstjustiz, die sie keinesfalls dulden dürften. Nur der Staat und die von ihm eingesetzten Organe hätten das Recht, Verbrechen zu bestrafen. Liongirl hätte den Deal unterbinden, dann aber die Polizei rufen und die Verbrecher verhaften lassen müssen. Das und sonst nichts sei der passende Weg gewesen. Die Täter mit einem Schwert abzuschlachten war etwas, das Liongirl auf eine Stufe mit den Verbrechern stellte.
»Denkt hier jemand ähnlich?«, fragte Alexandra, nachdem sie die Aussagen von Eduard Cox, dem städtischen Oberstaatsanwalt, gehört hatte. »Denkt jemand, Liongirl würde auf einer Stufe mit den Verbrechern stehen?«
Sie blickte erst zu Frank Porter, dann zu Hazel und zu Benjamin Cohen. Erst dann wanderte ihr Blick zu Cocoa Hannigan, die auf einem Sessel im Salon saß, in der Hand einen Becher mit kaltem Schokaffee.
»Nein«, erwiderte die Hackerin. »Man muss Feuer mit Feuer bekämpfen, will man einen Waldbrand löschen. Das hast du getan. Seien wir ehrlich – die Verbrecher lachen über die Beamten. Jeder Gangster hat mehr Rechte als ein Opfer.«
Cohen nickte bestätigend. »Cocoa hat recht. Du hast getan, was getan werden musste. Diese Dreckskerle werden niemals wieder Drogen verkaufen. Und jeder, der für die fünf Paten arbeitet, muss zittern. Genau so, wie wir es wollten.«
Alexandra lächelte. Ihre Sache war nun eine Sache von all jenen, die in ihrem Salon zusammengekommen waren. Porter wusste ebenso wie Hazel, wer sich hinter Liongirl verbarg.
Beide hatten es sofort akzeptiert; zumal sie bereits für Alexandras Eltern gearbeitet hatten.
Auch die Arbeiter in Badgers Hal dachten sich vermutlich, wozu die Erfindungen genutzt wurden, verdienten aber derart gutes Geld, dass sie die Klappe hielten. Zumal jeder Einzelne von ihnen wusste, um was es hier ging.
Cohen hatte seine Mitarbeiter sehr genau ausgewählt.
»Was wissen wir über Cox?«, fragte die Unternehmerin. Dabei blickte sie zu Cocoa. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Innern aus, wann immer sie den Blick der jungen Frau kreuzte.
»Nach allem, was ich herausgefunden habe, ist er sauber. Keine Schwarzgeldkonten, keine illegalen Kontakte zu den Paten der Stadt. Im Gegenteil – er stand mehrfach auf der Abschussliste, überlebte aber zwei Attentate schwer verletzt. Seine Leibwächter hatten nicht so viel Glück. Seine Familie wurde schon vor zwei Jahren aus der Stadt geschafft – er lebt allein, ist einsam und unglücklich.«
»Dann werde ich ihm heute Nacht seine Einsamkeit vertreiben.« Alexandra lächelte sarkastisch. »Mal sehen, ob ein vernünftiges Wort möglich ist.«
»Sein Haus ist unter Garantie perfekt gesichert!«, mahnte Benjamin Cohen. »Pass auf, dass du nicht in eine Falle läufst.«
»Sein Haus ist gut gesichert – aber ich konnte mich in den Zentralcomputer der Alarmanlage einloggen. Wenn Liongirl vor Ort ist, wird keine Sirene ertönen und kein stiller Alarm die Polizisten aus ihrer Lethargie reißen.«
»Leibwächter?«, fragte Frank Porter.
»Zwei im Haus. Liongirl muss sie ausschalten.«
»Dann habe ich hier etwas.« Cohen grinste und reichte Alexandra eine klobige Pistole. »Ein modifizierter Taser. Der Strom ist in den Nadeln gespeichert, sodass sie ohne Kabel auskommen. Ein Schuss, und die Wachen liegen für Stunden auf dem Boden.«
»Perfekt.« Alexandra schaute auf die Uhr. »Ich möchte heute an der Redaktionssitzung der News Telegraph teilnehmen. Offenbar gibt es einen Konflikt zwischen einigen jungen Redakteuren und dem Chefredakteur?« Der letzte Satz war eine Frage an ihren Assistenten.
Porter nickte. »Es geht um die Frage der Positionierung im Zeitalter von Apps und Internet. Es könnte sein, dass der momentane Chefredakteur ein wenig … zu alt … dafür ist.«
»Wird nicht Anfang 2011 ein Posten im Direktorium von Brown Media frei?«, fragte Alexandra.
»So ist es«, bestätigte Porter. »Möchten Sie den Chefredakteur dorthin versetzen lassen und Platz schaffen für einen Nachfolger?«
»So machen wir es. Leiten Sie es in die Wege, aber sagen tue ich es ihm. Er ist ein guter Mann, mein Vater war stets zufrieden mit ihm. Der News Telegraph benötigt eine ordentliche Online-Redaktion und jemanden, der sich um Apps kümmert. Ich fragte mich schon lange, warum ich jede Zeitung der Stadt auf dem iPad lesen kann, meine eigene aber nicht.«
Sie winkte und verließ den Salon.
Noch während sie die Halle durchmaß, wurde sie von Cocoa eingeholt. »Alex?«
Die Unternehmerin drehte sich um. Wieder spürte sie das warme Gefühl in ihrem Innern. Sie sah die blauen Augen der Computerexpertin, den sinnlichen Mund mit den weichen Lippen und erinnerte sich an den Kuss, den beide geteilt hatten.
Jener eine Moment hatte ihr mehr gegeben als alles, was sie in den letzten sechs Jahren getan hatte. Sie war aufgetaut, hatte Vertrauen gefasst und spürte etwas von der Menschlichkeit, die sie verloren geglaubt hatte.
Sie streckte die Hand aus und griff nach jener der Hackerin. »Möchtest du mich begleiten?«
Cocoa schüttelte den Kopf. Sie trat dicht an Alexandra heran. »Nein, ich … muss deinen Einsatz vorbereiten. Es … geht um etwas anderes.«
Sie senkte den Blick, ihre Wangen röteten sich.
»Und um was?«
»Ich … wollte dich um einen Gefallen bitten. Hoffentlich verstehst du es nicht falsch …«
»Hm?« Alexandra neigte den Kopf zur Seite, führte die Hand der jungen Frau zu ihrem Mund und hauchte ihr einen Kuss auf die Finger. »Was ist es?«
Cocoa lächelte ob der Geste. »Es … geht um meinen Bruder.«
»Du hast einen Bruder?«
Die Computerexpertin nickte. »Er saß eine Weile im Gefängnis. Datenspionage, Einbruch in fremde Netzwerke … Er ist gut, aber nicht so gut wie ich.«
»Und?«
»Er kommt bald auf Bewährung raus. Er ist ein guter Programmierer. Wenn du eine Online-Redaktion eröffnen willst … Ich meine … Es wäre toll, wenn du meinem Bruder eine Chance geben könntest.«
»Okay.«
Cocoa blinzelte. »Okay? Einfach so?«
»Soll ich es singen?«, fragte Alexandra grinsend. Sie zog Cocoa näher an sich. Auch wenn in diesem Moment die anderen den Salon verließen und sahen, was sich in der Halle tat. Dies war ihr Haus. Sie konnte tun und lassen, was sie wollte. Abgesehen davon interessierte im Jahr 2010 niemanden, ob eine Frau eine Frau küsste – oder einen Mann. Sie hätte auch einen Hund küssen können … So lange dieser nur alt genug war …
Die beiden Frauen schauten sich aus nächster Nähe an, dann küssten sie einander vorsichtig. Noch wussten beide nicht, wie sie zueinander standen. Sie waren sich hin und wieder auf diese Weise nähergekommen, mehr aber nicht. »Wenn du möchtest, dass ich deinem Bruder eine Chance gebe, dann tue ich das«, erklärte die Unternehmerin, nachdem sie den Kuss gelöst hatten.
»Weil du mir vertraust? Oder um mir einen Gefallen zu tun?«
»Beides. Und weil …« Sie schaute Cocoa in die Augen und glaubte, in deren Blick zu versinken.
»Ja?«, fragte die Hackerin wispernd.
»Und weil ich dich sehr mag. Weil du mir wichtig bist und ich dir gerne …« Sie schaute zu Boden.
»Weil du mir gerne … was?« Cocoa griff Alexandra unter das Kinn und hob deren Kopf an, sodass sie ihr wieder in die Augen schauen konnte. »Hm? Was meinst du?«
»Weil ich dir gerne nahe sein möchte!«, gab die Unternehmerin unbeholfen zurück. »Näher als jetzt. Du bist … Ich habe noch nie so für jemanden empfunden. Diese Gefühle sind mir fremd, aber …«
»Pst.« Cocoa küsste Alexandra wieder. »Ich weiß, was du meinst«, gab sie dann zu. »Ich empfinde nicht anders. Die Zeit, in der wir so eng zusammenarbeiteten und alles aufbauten … Du bist so viel mehr als das, was du jedem zeigst.«
»Lass uns heute Abend darüber sprechen«, bat Alexandra. »Wenn ich von meinem Ausflug zurückkomme. Ich …« Sie küsste Cocoa noch einmal, dann wandte sie sich rasch ab und eilte davon.
Die Hackerin schaute ihr nach, drehte sich um – und stieß fast mit Frank Porter zusammen. Der ältere Mann stand vor ihr und musterte sie aufmerksam.
»Was?«, fragte Cocoa. Sie fühlte sich unbehaglich unter dem sezierenden Blick des Adjutanten.
»Ich kenne Miss Brown, seit sie auf der Welt ist. Ich habe sie aufwachsen und leiden sehen. Sechs Jahre lang mied sie jeden Kontakt und versteinerte innerlich mehr und mehr. Nun taut sie auf – auch dank dir.«
»Und?«, fragte die Hackerin unsicher.
»Solltest du ihr wehtun oder es auf ihr Geld abgesehen haben, solltest du sie ausnutzen und verletzen – dann werde ich sehr, sehr ärgerlich!«
»Darum geht es mir nicht. Ich würde ihr nie wehtun. Meine Gefühle für sie sind echt. Auch wenn ich es nicht erklären kann, denn bislang … Es ist einfach passiert.«
»Gut. Dann wünsche ich dir und ihr viel Glück und eine frohe Zukunft.« Damit wandte sich Porter ab und ging davon.
O-kay!, dachte Cocoa. Gut, dass ich keine falsche Schlange bin. Mit dem ist nicht zu spaßen!
Die vollständige Story steht als PDF-Download zur Verfügung.
Bisherige Downloads: