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Brasada – Folge 16

Tascosa-Massaker

Der 4. April ist ein nasskalter, völlig verregneter Tag.

Die dunklen Umrisse von Tascosa zeichnen sich düster gegen den schmutzig grauen Himmel des Panhandles ab. Ein kalter Wind treibt von Nordosten her dichte Regenschleier durch die Stadt und überall von den Dächern und Häuserwänden rinnt das Wasser herunter und verwandelt die Straßen in ein einziges großes Feld aus Morast und zähem Schlamm.

George Wetherell, ein unglaublich dürrer, unrasierter und verkommen wirkender Mann, lehnt an der Theke zu Dunns Saloon und starrt versonnen durch ein Fenster in den Regen hinaus. Hin und wieder nippt er an seinem Glas Ingwerbier, während Martin Dunn so langsam zu dem Entschluss kommt, diesen Mann vor die Tür zu setzen. Er kann mit seinem Laden kein Geld verdienen, wenn er nur Gäste hat, die sich hier aufwärmen oder seit zwei Stunden an einem einzigen Bier nippen.

Schon will er diesen Mann darauf hinweisen, dass er seine Zeit besser verbringen kann, als jemandem dabei zuzusehen, wie er nur herumsteht und nichts verzehrt, als plötzlich vier fremde Reiter in der Mainstreet auftauchen. George Wetherell dreht sich nach diesem Anblick sichtlich zufrieden um, bestellt ein weiteres Glas Bier und sogar etwas zu essen. Dunn weiß nicht, dass sein Gast auf diese Reiter gewartet hat. Denn dass sie gerade an diesem Tag und um diese Zeit in die Stadt reiten, geschieht nur auf Wetherells Veranlassung hin.

Die Reiter lenken ihre Pferde durch den knöcheltiefen Morast der Hauptstraße. Dann zügeln sie ihre Pferde vor einem großen, verwitterten Holzhaus mit vergitterten Fenstern. Über der Türe prangt ein großes Schild mit fetten schwarzen Lettern, die verkünden, dass sich hier die Tascosa National Texas Bank befindet. Die Männer blicken sich kurz um und steigen dann aus den Sätteln.

Die Straße ist menschenleer – bis auf Ben Allison.

Der weißblonde Texaner kommt genau in diesem Moment aus dem Merchandise Store der Green Cattle Company, wo er sich ein Beutelchen Durham-Tabak gekauft hat. Er sieht die fremden Männer, und als er beobachtet, wie diese Gewehre unter ihren wasserfesten Ölhäuten hervorholen, während sie die Bank betreten, fällt seine Rechte auf den Griff seines Single Action Colts.

Während er mit gezogener Waffe über die Straße läuft, dreht sich in Dunns Saloon ein zufriedener George Wetherell zur Seite und bestellt noch ein weiteres Bier.

Als dann die ersten Schüsse krachen, zuckt er kaum merklich zusammen.

***

Bankdirektor Timotheus Archibald Brown sitzt gerade über den Belegen für den Monatsabschluss, als die vier Männer die Schalterhalle betreten.

Brown ist zwar kurzsichtig, grauhaarig und fettleibig, aber noch bevor einer der Männer das Gewehr in der Hand hochnimmt, weiß er, was hier geschieht. Aber anstatt die Dinge zu akzeptieren, wie sie nun einmal sind, wagt dieser Mann, es mit seinem Colt aus der rechten Schreibtischschublade mit diesen Männern aufzunehmen. Dabei hat Brown in seinem ganzen Leben höchstens einmal eine Waffe in der Hand gehalten, wenn er damit auf Präriehuhnjagd ging. Dennoch ist er gewillt, das Geld der Bank zu verteidigen. Es gehört ihm eigentlich nicht, außerdem ist das Geld durch die Zentrale in Austin versichert, aber sein ganzes Denken ist nur erfüllt von Dingen wie Zahlen, Dollars und Profit. Deshalb ist Timothy Brown auch der Erste, der an diesem verregneten Morgen sterben muss.

Eine Kugel mit Kaliber 44 dringt ihm oberhalb des Jochbeins ins Gehirn. Durch den Eintritt des Geschosses hat sein feistes Gesicht plötzlich knapp unterhalb des rechten Auges ein weiteres kreisrundes Loch und durch den Austritt fehlt Brown nun der halbe Hinterkopf. Der Bankdirektor zuckt in seinem Stuhl zusammen, die Waffe entfällt seiner Hand und sein feister Körper beginnt zu zittern. Dann erschlaffen seine Schließmuskeln, und während sich die Männer in der Bank bedienen, sitzt Brown zusammengesunken in seinem ledernen Direktorenstuhl in einer immer größer werdenden Pfütze aus Kot und Urin.

Kurz darauf stürmen die Männer mit prall gefüllten Satteltaschen nach draußen.

Sie glauben, dass der Überfall ohne Schwierigkeiten vonstattenging.

Sie verlassen die Bank mit beinahe achttausend Dollar Beute, aber als sie zu ihren Pferden eilen, wissen sie, dass sie beobachtet wurden.

Schüsse krachen, Männer fluchen, Pferde wiehern.

Ben Allison erschießt den vordersten der Bankräuber, während überall in der Stadt immer mehr Bürger auf den Krach aufmerksam werden und sich in den Kampf einmischen. Allisons dritte Kugel erwischt den Mann eine Handbreit oberhalb des Herzens. Er wird umgerissen, schwebt einen Atemzug lang fast senkrecht in der Luft und knallt dann patschend in den aufgeweichten Morast der Hauptstraße.

Wütend erwidern die Banditen das Feuer.

Als Nächstes stirbt Deputy-Sheriff D.C. Talbot und danach Ray Hastings, ein Barkeeper aus Dunns Saloon, weil er dem Beamten zu Hilfe eilen will. Als die Bankräuber aus der Stadt reiten, wird einer von ihnen angeschossen. Dadurch werden sie noch wilder und gemeiner und schießen jetzt auf alles, was sich bewegt.

Sie ermorden die Pensionswirtin Mabel Robertson, die, durch die Schüsse angelockt, auf die Straße schaut. Die Kugeln werfen sie quer durch ihr Wohnzimmer. Als sie zu Boden fällt, begräbt sie ein kleines Beistelltischchen, das Kaffeeservice ihrer Mutter und eine Schale mit selbst gebackenen Plätzchen unter sich.

Ihr Blut spritzt durch den Raum, nässt die gehäkelten weißen Deckchen auf dem Sofa und verunreinigt den Teppich.

Mein Gott, ist Mabel Robertsons letzter Gedanke in diesem Leben, was werden die anderen nur zu dieser Unordnung sagen? In einer guten Stunde hätte in diesem Raum nämlich ein Kaffeekränzchen der christlichen Frauenliga von Tascosa stattgefunden.

Bevor die Banditen endlich die Stadt verlassen, schießen sie noch einen Bürger namens Pete Lane nieder und verwunden den Büchsenmacher Kriegbaum.

***

Weil Sheriff Cape Willingham wieder einmal im County unterwegs ist, stellen die aufgebrachten Bürger unter Führung von Ben Allison und dem Rechtsanwalt Temple Houston ein Aufgebot zusammen. Es sind dann zwölf Reiter, die eine halbe Stunde später die Spur der Räuber und Mörder aufnehmen. Dicht beisammen reiten sie in die Brasada hinaus und sie alle sind wild entschlossen, diese Männer nicht entkommen zu lassen.

Sie reiten hart und schnell.

Der Vorsprung der Banditen wird immer kleiner. Irgendjemand von ihnen muss schlimm verwundet sein, die Männer des Aufgebots bemerken es an den immer größer werdenden Blutflecken im Sand der Brasada. Am Nachmittag dann erkennen sie vor sich einen dunklen Schatten zwischen den Felsen. Ben Allison pariert sein Pferd als Erster, gleitet aus dem Sattel und eilt darauf zu.

Das Ganze entpuppt sich als Kadaver eines Pferdes. Der Leib des Tieres ist noch warm, aber die Spuren um den Leib des toten Tieres herum entlocken Allison ein kaltes Grinsen.

»He, Temple! Sieh dir das mal an!«

Der Anwalt steigt aus dem Sattel, kommt heran und geht neben Allison in die Knie.

»Blut!«, sagt der Anwalt nach einer kurzen Pause.

»Aber nicht das von dem toten Pferd. Sieht eher so aus, als wäre einer dieser Halunken ziemlich schwer verwundet.«

»Genau so sieht es aus«, stimmt Houston zu.

Dann blickt er den Männern zu.

»Los jetzt, sie haben ein Pferd verloren und einer von ihnen ist verletzt. Wenn wir uns beeilen, schnappen wir sie noch, bevor sie den Canadian überqueren und in den Staked Plains untertauchen können.«

Dann steigen Allison und Houston in die Sättel und die Posse setzt sich wieder in Bewegung. Entschlossen hetzen sie ihre Pferde durch das unwirtliche Land und gönnen den Tieren keine Ruhe. Zwei Stunden später ist es dann soweit.

Auf einem Kalksteinplateau sehen sie die Verbrecher plötzlich vor sich.

Drei erschöpfte Männer auf zwei noch erschöpfteren Pferden. Einer der Männer hängt schief im Sattel. Als die Bürgerwehr die Flüchtenden gestellt hat, sehen sie, dass die linke Seite des Mannes voller Blut ist.

Innerhalb eines Nachmittages also hat das Aufgebot die Verbrecher fassen können und auch das gesamte geraubte Geld sichergestellt. Aber das ist nicht das Einzige, was die Posse erwartet. Die Männer der Bürgerwehr sind fast alle mit heiligem Zorn erfüllt, weil sie wissen, dass es bei diesem Bankraub eine Menge Tote gegeben hat. Der Ruf nach dem Strick wird laut. Als jemand von ihnen sein zusammengerolltes Seil vom Sattel nimmt, werden die Verbrecher ziemlich blass.

Einer von ihnen, ein pickelgesichtiger, braunhaariger Bursche mit einer Hasenscharte und einer unglaublich großen Nase deutet aufgeregt auf einen der Männer des Aufgebots und sagt schrill: »Wenn ihr uns schon ohne Gerichtsverhandlung aufhängen wollt, dann vergesst ihn nicht. Er hat sich das Ganze nämlich ausgedacht!«

Die Männer des Aufgebots bekommen Augen so groß wie Spiegeleier, als sie auf den Reiter in ihrer Mitte starren, den der Bankräuber beschuldigt ihr Komplize zu sein.

Der Name dieses Mannes ist George Wetherell, er ist hier in der Gegend als Herumtreiber und Taugenichts bekannt, der sein Geld mit undurchsichtigen Geschäften verdient.

Vielleicht war es nur Leichtsinn, der ihn dazu bewogen hat, mitzureiten, vielleicht wollte er auch nur verhindern, dass das Aufgebot die Banditen stellen kann. Aber was auch immer seine Beweggründe sind, seine Kaltschnäuzigkeit lässt die Männer der Posse nur noch wütender werden. Bill Allison und Temple Houston haben Mühe, eine Lynchjustiz zu verhindern.

***

Die Gerichtsverhandlung beginnt keine Woche später.

Dass sie überhaupt beginnt, ist nur Temple Houston zu verdanken. Dieser Temple ist niemand anderes als der Sohn des Mannes, der im Unabhängigkeitskrieg zwischen Texas und Mexiko die mexikanische Armee unter Santa Anna am Jacinto vernichtend geschlagen hatte und danach erster Gouverneur von Texas geworden ist – Samuel Houston. Hat die übermächtige Persönlichkeit des Vaters den jungen Temple am Anfang noch sehr belastet, so ist er inzwischen trotz seiner erst zweiundzwanzig Jahre längst aus dessen Schatten herausgetreten.

Er ist inzwischen ein erfolgreicher Anwalt und sogar der Bezirks-Staatsanwalt für das Panhandle. Außerdem kann er mit der Waffe umgehen wie ein Revolvermann. Sein Ruf als Mann des Gesetzes und seine Geschicklichkeit als Beidhandschütze sorgen dafür, dass die Bankräuber nicht gelyncht werden, sondern vor ein ordentliches Gericht kommen.

Der Prozess dauert nur einen Nachmittag, dann werden die drei direkt am Überfall beteiligten Männer zum Tode durch den Strang verurteilt. George Wetherell, der Anstifter wird zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, da er sich nach Meinung des Gerichts ja nur im Hintergrund gehalten hat.

Dieses Urteil aber versetzt die Bürger von Tascosa in biblischen Zorn. Sie können nicht vergessen, dass man eine Frau und vier Männer aus ihrer Gemeinschaft erschossen hat und einen anderen schwer verwundet. Für sie ist Wetherell ebenso schuldig. Er ist der Haupttäter, er hatte alles geplant, auch wenn er nicht mitgeschossen hat.

Es ist dann vier Tage später, als ein Dutzend Männer kurz nach Mitternacht durch die Straßen der Stadt hasten.

Sie sind alle maskiert. Entweder haben sie sich Mehlsäcke mit schmalen Augenschlitzen über die Köpfe gezogen oder bunte Tücher um ihre Gesichter gebunden. Die Stadt schläft, als sie vor dem Büro des Sheriffs anhalten. Der Zeitpunkt ist gut gewählt. Temple Houston weilt in Fort Elliott, um mit Texas-Ranger Captain G.W.Arrington und seiner Kompanie die nächsten Einsätze gegen mexikanische Viehdiebbanden zu besprechen. Sheriff Willingham befindet sich im Osten des Countys, um Steuern einzutreiben. So treffen sie nur auf den alten, krummbeinigen Otis Bannerhan, der Wetherell bewacht, bis er von den Texas-Rangern ins Staatsgefängnis überführt wird.

Bannerhan ist ein sechzigjähriger, ehemaliger Cowboy, der sich seinen Lebensunterhalt mit kleinen Hilfsdiensten bei der Stadt verdient. Er bewacht ab und zu die Gefangenen, sorgt für deren Verpflegung, macht das Büro sauber oder repariert anfallende Kleinigkeiten wie eine kaputte Scheibe oder ein verrostetes Türschloss. Er trägt keine Waffe und deshalb macht er auch sofort den Weg frei, als die Maskierten in das Büro des Sheriffs dringen.

»Wo ist er?«, fragt einer der Maskierten.

Otis macht eine unsichere Handbewegung. »Macht euch doch nicht unglücklich, Jungs. Er entgeht seiner Strafe nicht, spätestens übermorgen bringen ihn die Ranger ins Gefängnis.«

»Wo er dann wegen guter Führung nach drei Jahren wieder entlassen wird«, sagt einer der Maskierten scharf.

»Mabel Robertson, Deputy Talbot und all die anderen werden nach dieser Zeit aber nicht wieder lebendig. Sie sind für immer tot, während dieser Hurensohn dann im Saloon sitzt und seinen Whisky trinkt.«

Bannerhan tritt resignierend zur Seite, weil er einsieht, dass diese Männer sich nicht aufhalten lassen. Kurze Zeit später schleppen die Maskierten George Wetherell zum östlichen Stadtrand. Dort steht eine mächtige, alte Pinie.

Am nächsten Morgen wird Wetherell vom Strick geschnitten und verscharrt, nach den maskierten Tätern wird nicht gefahndet. Für die Cowboys in der Brasada, die streng nach dem Ehrenkodex leben, ist es eine Selbstverständlichkeit, dass man so gehandelt hat. Und die Gemeinschaft der Bürgerschaft von Tascosa schweigt dazu eisern.

Doktor Hoyt gibt dann für das Stadtprotokoll eine ziemlich skurrile Begründung für die Todesursache ab, schließlich will auch er niemandem zu nahe treten oder gar verdächtigen. Deshalb sagt er Folgendes: »Ich bin der Meinung, dass der Tod durch eine Verstopfung der Lunge eingetreten ist, hervorgerufen durch eine intensive Strangulation, die der Tote womöglich selbst, oder irgendjemand sonst verursacht haben mag.

Copyright © 2010 by Kendall Kane