Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Brasada – Folge 12

Der neue Mann

Andrew Peacocks Pechsträhne beginnt in dem Moment, als er den Carizzo-Creek überquert.

Er lenkt sein Pferd durch den Bach, der zu dieser Jahreszeit nicht mehr als ein jämmerliches Rinnsal ist, und als er mit seinem Gaul endlich das andere Ufer erreicht hat, umzingeln sie ihn von allen Seiten.

Sie tauchen scheinbar aus dem Nichts auf, ohne zu brüllen und ohne zu schießen.

Ein paar von ihnen kommen von links, die anderen von rechts und der Rest von vorn. Die Falle, in die Peacock hineingeraten ist, schließt sich wie eine Schere, die zuschnappt.

Es sind sieben Kotsotekacomanchen, die ihm mit ihren gescheckten Pferden den weiteren Weg versperren. Bevor er in irgendeiner Weise reagieren kann, sind sie heran, packen sein Pferd an der Gebisskette, ehe es zurückscheuen kann, und reißen Peacock das Gewehr aus dem Scabbard und den Colt aus dem Holster.

Einer der Comanchen, ein älterer Krieger mit scharf hervorstehenden Wangenknochen und einem runzeligen Gesicht, mustert ihn schweigend. Das lange dunkle Haar, das ihm bis auf die Schultern fällt, ist von vielen grauen Strähnen durchzogen und hat die Farbe von mattem Silber.

»Wir wollen dich nicht töten.« Die Worte des Indianers sind zwar mehr gegrunzt als gesprochen, aber dennoch ist sein Englisch gut verständlich. Dieser Krieger hat sicherlich schon an die fünfzig Winter erlebt und deshalb ist er erfahren genug, um die Sprache der Weißaugen zu beherrschen. »Aber eure Soldaten vertreiben uns aus unserem Land, unsere Frauen und Kinder hungern, und deshalb brauchen wir alles an Pferden und Waffen, was wir finden können. Mein Herz ist traurig, weil wir wie Diebe über das Land unserer Väter ziehen, aber es sind schlimme Zeiten. Wirst du uns Schwierigkeiten machen?«

Andrew Peacock schüttelt den Kopf, indes er aus dem Sattel steigt.

Was soll er auch tun?

Es sind zwei Gewehre und vier Kriegsbogen mit Pfeilen auf ihn gerichtet und auf diese Entfernung können nicht alle daneben schießen. Als sie mit seinem Pferd, seinen Waffen und seiner Ausrüstung davonreiten, hört er von den Indianern kein Jubelgeschrei und auch ihre Mienen sind nicht besonders feindselig. Irgendwie kann Andrew die Comanchen verstehen, aber nachdem er in seinen hochhackigen Cowboystiefeln fast eine Meile am Carizzo-Creek entlanggelaufen ist, wird seine Wut auf die Indianer in dem Maße größer wie die Blasen an seinen Füßen.

***

Lee Marlowe nähert sich nach seinem Kontrollritt von Norden her der Drei Balken. Er muss nur noch den Carizzo-Creek überqueren und dann nicht ganz einen halben Tagesritt durch das Panhandle reiten. Aber als er oberhalb des Bachufers auf einem kiesbedeckten Landstrich sein Pferd zügelt, bietet sich seinen Augen ein seltsamer Anblick.

Am Ufer des Wasserlaufs sitzt ein hagerer, krummbeiniger Bursche, dem man den Weidereiter auf hundert Meilen gegen den Wind ansieht. Aber dieser Mann ist entgegen den Gepflogenheiten dieses Landes scheinbar gänzlich ohne Pferd und ohne Ausrüstung.

Außerdem taucht er seine Füße ständig in den Creek, obwohl das Wasser so kurz nach dem Ende der Schneeschmelze immer noch empfindlich kalt ist. Dazu flucht der Mann andauernd vor sich hin, und weil er anscheinend bereits über eine gewisse Lebenserfahrung verfügt, sind diese Flüche ziemlich drastisch.

Auch Lee Marlowe kennt so einige Redewendungen, aber die Worte dieses Mannes treiben wohl selbst einer Hafennutte aus St. Louis noch die Schamesröte ins Gesicht.

»Ho Amigo!«, ruft er den Mann an. »Was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen, dass du solche Worte von dir gibst?«

Andrew Peacock dreht den Kopf, mustert Lee einen Moment lang abschätzend und beginnt dann zu seufzen. »Bis heute Morgen hatte ich noch ein Pferd, einen Job als Stallgehilfe in einem Mietstall in Aussicht, einen Colt und einen nagelneuen Mother Hubbard Sattel. Danach bin ich einem Kriegertrupp umherziehender Comanchen begegnet und jetzt besitze ich außer ein paar gewaltigen Blasen an den Füßen so gut wie gar nichts mehr. Warum also darf ich nicht über diese verlausten Hurensöhne fluchen?«

Lee Marlowe zuckt mit den Achseln und betrachtet den böse schimpfenden Burschen etwas genauer. Zwar gefällt ihm die Ausdrucksweise dieses Mannes nicht, aber andererseits kann er ihn irgendwie verstehen. Er zückt seinen Tabaksbeutel, spendiert dem Mann eine Zigarette und kommt mit ihm ins Gespräch. Eine halbe Stunde später ist klar, dass die Drei Balken einen neuen Mann beschäftigt.

Als sie dann die Ranch erreichen, kommt ihnen sogleich Big Bill aus dem Haus entgegen, denn wenn in diesem Land zwei Männer auf einem Pferd daher kommen, muss irgendetwas passiert sein.

Als Bill erleichtert festgestellt hat, dass sowohl Lee als auch der Fremde unverletzt ist, verzieht er sein Gesicht zu einem spöttischen Grinsen.

»Verdienst du neuerdings dein Geld damit, indem du Fremde auf deinem Pferd mitreiten lässt?«

»Das ist Andrew, ich habe ihn draußen am Carizzo-Creek aufgelesen, Comanchen haben ihn überfallen«, antwortet Lee und geht erst gar nicht auf Bills Sticheleien ein.

»Comanchen, sagst du?«, erwidert Big Bill erstaunt. »Dafür sieht der Bursche aber noch ziemlich lebendig aus. Wenn ich daran denke, was die Roten erst vor Kurzem mit Jack Miller gemacht haben, heiliges Kanonenrohr, da hast du aber verdammt großes Glück gehabt, Andrew.«

»Also so groß war das Glück nun auch wieder nicht«, gibt Lee zu bedenken. »Die Comanchen waren halb verhungert. Die Armee sitzt ihnen seit dem Herbst im Nacken und lässt sie nicht zur Ruhe kommen. Wenn zu dem Trupp noch Frauen und Kinder gehören, gehen sie, wenn es geht, immer einem Kampf aus dem Weg. Das Pferd und die Waffen nützen ihnen mehr als der Skalp eines Cowboys, der vor seinem Ableben noch zwei oder drei Krieger zu ihren Ahnen befördert.«

***

Es ist dann zehn Tage später, als so langsam klar wird, dass Andrew Peacock gut auf die Drei Balken passt. Auch wenn Reiten, Schießen und das Einfangen von Rindern nicht zu seinen Stärken zählt, sein handwerkliches Geschick ist unübertroffen. Innerhalb kürzester Zeit verwandelt er mit Zedernholz und einigen Kistenbrettern aus dem Store von Tascosa die Küche in eine wohnliche Stube. Jetzt steht nichts mehr auf dem Boden oder dem Tisch herum, sondern alles ist in Schrankfächern und Schubladen verstaut. Es gibt jetzt auch einen richtigen Tisch und ein halbes Dutzend Stühle, die diese Bezeichnung auch verdienen. Die alten Hocker und die Baumwurzel, auf der man bisher gesessen hat, finden sich im Stall wieder, der ebenfalls großzügig ausgebaut wird. Auch der alte Dornenbuschcorral verschwindet so nach und nach und macht einer stabilen Umzäunung aus soliden Balken Platz.

Andrew Peacock nimmt eine Menge Dinge in Angriff und verleiht der Ranch dadurch ein ganz neues Gesicht. Als das Frühjahr endlich wieder Besitz von der Brasada ergreift und die Männer sich aufmachen, eine neue Herde Brush-Rinder einzufangen, ist die Drei Balken nicht mehr wiederzuerkennen.

Der Stall, der ehemals ein halb in die Erde gegrabenes Loch war, ist jetzt ein Holzhaus mit einem großen Tor und einem Laderaum von fünfzehn Fuß in der Länge und zehn Fuß in der Breite und hoch genug, um mit einem Pferd hineinreiten zu können. In dem angrenzenden Corral ist Platz für mindestens zwei Dutzend Rinder und das Ranchhaus ist ein stabiler Adobelehmbau, der durch dicke Balken verstärkt wurde. Gewiss fehlt es noch an vielem, ein weiterer Stall zum Beispiel, um Futtermittel für die Rinder während des Winters einzulagern, ein paar Reservepferde, ein Windmühlenbrunnen für eine ständige Wasserversorgung oder aber der Ausbau des Ranchhauses. Irgendwann einmal möchte nämlich jeder der Männer gerne ein eigenes Zimmer besitzen, statt weiterhin in einem Schlafraum zu nächtigen, der nur mit sechs Betten ausgestattet ist, die zweistöckig übereinander an der fensterlosen Nordwand stehen.

Aber sie gehen auf der Drei Balken erst in ihr zweites Jahr, und deshalb ist einfach noch nicht genügend Geld vorhanden für Dinge, die auf einer anderen Ranch schon längst selbstverständlich sind.

Es ist dann am Abend, bevor sie sich aufmachen, um erneut in die Brasada zu ziehen, und dort Rinder aus dem Buschland zu holen. Peacock hämmert im Licht einer Petroleumfunzel im Stall noch an irgendeinem Regal, Lee sitzt draußen auf dem hölzernen Vorbau und schnitzt wieder einmal an einem Stück Holz und Ben brütet über einem Stapel von Rechnungen, Bankauszügen und Quittungen für irgendwelche geleisteten Zahlungen.

»Irgendwie kann einem Andy richtig leidtun«, sagt Big Bill und setzt sich mit einer Kaffeetasse in der Hand neben Ben an den Tisch.

»Was soll das denn nun wieder heißen«, seufzt Allison und legt den Papierkram zur Seite.

Er kennt den riesenhaften Cowboy lange genug, um zu wissen, dass Bill irgendetwas los werden möchte. An eine konzentrierte Arbeit mit den Bankbelegen ist jetzt nicht mehr zu denken, Big Bill wird erst Ruhe geben, wenn er sich seinen Kummer von der Seele geredet hat.

»Jetzt sag bloß, dass dir noch nichts an unserem neuen Mann aufgefallen ist?«

»Was soll mir denn aufgefallen sein?«, seufzt Allison erneut und blickt den anderen fragend an.

»Das Einzige, was ich sehe, sind die Ergebnisse seiner Arbeit, und die gefallen mir ziemlich gut. Um unsere neue Küche beneidet uns sicherlich so manche Frau, und unser neuer Stall ist verdammt gut geraten. Wenn Andy in dem Tempo weiter macht, besitzen wir bald die schönste Ranch im ganzen County. Ich überlege schon, ihn zu unserem Partner zu machen, also warum zum Teufel soll er mir leidtun?«

»Ist dir nicht aufgefallen, dass ihm das Pech förmlich an den Stiefeln klebt?«

»Was meinst du damit?«

»Seit er bei uns ist, hat er schon zwei Axtstiele zerbrochen, und als er versucht hat, sein erstes Brasadarind einzufangen, hat ihm die Kuh vier Vorderzähne ausgeschlagen.«

»Na und?«, sagt Ben Allison und zuckt mit den Achseln. »Das mit der Kuh hätte jedem von uns passieren können und das mit den Axtstielen ist kein Wunder. Andy hat in den letzten vier Wochen mehr mit dem Holzbeil gearbeitet als du in deinem ganzen Leben. Und wie viele Axtstiele hast du dabei zerbrochen? Also versuche hier nicht irgendwelche Dinge zu erklären, die ganz normale Ursachen haben.«

»Und was war letzte Woche? Du weißt ganz genau, dass es den Tod bedeutet, wenn ein Vogel ins Haus fliegt. Erst gestern hat er eine Spinne zertreten, und seit ich Andrew kenne, habe ich noch nie so oft drei schwarze Krähen auffliegen sehen. Das heißt, dass Unglück im Anflug ist. Glaube mir, seit ihn die Comanchen damals am Carizzo-Creek überfallen haben, hat ihn das Glück verlassen.«

Ben weiß, dass Big Bill ziemlich abergläubisch ist.

Wie alle Cowboys, die tagtäglich den Naturgesetzen der Wildnis unterworfen sind, ist auch er bis in seinem innersten Kern hinein davon überzeugt, dass ihr aller Leben einen gewissen Sinn in sich trägt.

Zwar ist er ein gläubiger Mensch, aber er hat auch von den Indianern und den Vaqueros naturmystische und gewisse religiöse Vorstellungen übernommen, in denen Unerklärliches zu erklären versucht wird.

Ben Allison kennt viele solcher Behauptungen.

Es bedeutet Unglück, wenn man einem Baby die Fingernägel schneidet, bevor es ein Jahr alt ist, wenn man freitags zu einer Reise aufbricht oder sein Haus durch eine andere Tür verlässt, als durch jene, durch die man hereingekommen ist. Man behauptet auch, dass es Regen gibt, wenn der Gelbhalskuckuck ruft oder dass Regen zu Ostern sieben Sonntage Regen hintereinander bedeuten. Man kann es in etwa mit den Bauernregeln im alten Europa vergleichen. Sicherlich ist da vieles dem Zufall überlassen, aber es gibt auch ein paar Dinge, die tatsächlich so passieren, wie es die Regeln voraussagen.

Ben Allison ist eigentlich ein sehr realistisch denkender Mensch, aber als jetzt Lee Marlow ins Haus zurückkommt und plötzlich ein Bild von der Wand fällt, nachdem er hinter sich die Tür ins Schloss gezogen hat, wird ihm doch etwas seltsam zumute.

Es ist zwar kein besonderes Bild, sondern lediglich das halb nackte Porträt einer unbekannten Schönheit aus irgendeinem Kaufhauskatalog aus dem Osten, aber es ist ein Bild, das von der Wand gefallen ist, und damit ist eine weitere abergläubische Voraussagung erfüllt worden.

Big Bill ist bleich im Gesicht, als er an diesem Abend schlafen geht.

Drei Tage später dann werden seine schlimmsten Befürchtungen Wahrheit.

Es ist früher Nachmittag, als Andrew Peacock auf die Ranch geritten kommt. Er steigt vom Pferd und betritt die Küche. Wortlos setzt er sich zu Bill und Lee an den Tisch.

»Was ist los, Andy? Wir sollten euch doch erst in zwei Stunden im Brushgebiet ablösen.«

Peacock nickt. »Ich weiß, aber Ben schickt mich. Ich bin gebissen worden.«

Erst jetzt zieht Andrew seine Jacke aus und zeigt den Männern seinen linken Arm. Dieser ist etwas geschwollen und man kann deutlich tiefe Bissspuren erkennen.

»Ein Stinktier«, sagt er nur, aber seine Stimme klingt wie brüchiges Glas.

»Tollwütig?«, fragt Big Bill erschrocken.

Andrew Peacock nickt schwer. »Ich nehme es an, das Brushgebiet ist ja voll von diesen Biestern und ein normales Tier fällt nie einen Menschen an. Es sei denn, er tritt in sein Nest.«

»Wie ist es passiert?«

»Mein Gaul hat plötzlich angefangen zu lahmen. Ich untersuchte ihn und fand einen Dorn in seinem rechten Vorderhuf. In diesem Moment kam das Biest aus dem Gebüsch. Ihr wisst ja, dass ich nicht besonders fix mit dem Colt bin. Als ich die Waffe endlich aus dem Halfter zog, hat es mich auch schon gebissen.«

Big Bill ist inzwischen leichenblass geworden und blickt ständig auf die Wunde und das darauf verschmierte Blut.

»Was hast du dann getan?«, fragt er leise.

***

Zwei Wochen später betritt Ben Allison das Büro von County Sheriff Cape Willingham.

»Unser Neuer, Andrew Peacock ist vor vierzehn Tagen von einem tollwütigen Stinktier gebissen worden.«

Willingham nickt. »Ich habe von der Sache gehört, und …?«

»Er hat sich gestern Abend bei uns im Stall erschossen. Seine Augen waren schon ganz gelb und er hatte auch Fieber.«

»Armer Kerl, na ja, wenigstens hat er es mit Würde hinter sich gebracht. Ich kannte nämlich mal einen Burschen, der hatte sich danach fast ein halbes Pfund Fleisch aus dem Schenkel geschnitten und es hat trotzdem nichts genützt. Er fing an, streitlustig zu werden, bekam Schaum vor dem Mund und ist jedem mit dem Messer nachgerannt. Er ist dann jämmerlich erstickt, weil ihm niemand einen Colt in die Hand gedrückt hat.«

»Wir werden ihn auf den Hügeln hinter unserem Ranchhaus begraben. Dann kann er jeden Tag auf das hinunterblicken, was er mit seinen Händen geschaffen hat.«

»Das ist okay«, sagt Willingham. »Ich habe schon gehört, dass er ein richtiger Künstler mit dem Holz gewesen sein soll.«

Damit ist alles gesagt.

Sieben von zehn Cowboys sterben bei der Ausübung ihres Berufes an dem Biss eines tollwütigen Stinktieres, an den Folgen eines Blizzards, dem Hornstoß eines Longhornbullen oder durch Pumas, Wölfe, Klapperschlangen oder tödliche Infektionen. Obwohl sie in einer wilden Zeit in einem wilden Land leben, sterben kaum welche von ihnen durch eine Kugel, und noch weniger von ihnen als alte Männer im Bett.

Andrew Peacock ist einer von ihnen. Seine Pechsträhne begann in dem Moment, als ihn die Comanchen überfielen und sie endete erst, als er sich eine Kugel in den Kopf schoss.

Copyright © 2010 by Kendall Kane