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Brasada – Folge 10

Blaubauchehre

Jack Miller liegt hinter einem Dogwoodstrauch und hat eine Lanze in der Brust.

Er hält den abgebrochenen Schaft mit beiden Händen umklammert und in seinen blicklosen Augen spiegelt sich der graue Himmel von Texas.

Für die Länge eines Atemzuges verharrt Ben Allison im Sattel und starrt auf den Toten nieder. In seinem kantigen Gesicht zuckt kein Muskel, aber seine Rechte krampft sich so fest um den zerschrammten Holzgriff seines Colts, dass die Knöchel weiß unter der Haut hervortreten. Dann hebt er den Kopf und blickt sich prüfend um.

Im Land beginnen die ersten warmen Tage. In den Flüssen und Bächen bricht das Eis und an den Bäumen und Sträuchern zeigen sich die ersten grünen Stellen. Aber die Nächte sind immer noch bitterkalt und deshalb liegt auch hier noch zwischen den Büschen und in den Felsspalten Schnee. Dennoch ist der Tote nur mit Hemd und Hose bekleidet. Auch von seinem Pferd und seiner Ausrüstung fehlt jede Spur. Beides muss aber noch bis kurz vor seinem Tod in seinem Besitz gewesen sein, denn der Mann war ein Cowboy. Ben sieht es an den Lassonarben auf seinen Handrücken und außerdem kennt er Jack Miller.

Dann tasten seine eisblauen Augen den Boden Zoll um Zoll ab und schon bald weiß er Bescheid über das, was sich hier zugetragen hat.

Es ist die Zeit, in der Männer wie Lone – Wolf, Satanta oder Quannah – Parker ein letztes Mal versuchen, sich gegen den weißen Mann zu stellen. Aber das ahnt Ben Allison zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Er erkennt aus den Spuren nur heraus, dass schon wieder ein Cowboy von den Indianern umgebracht wurde.

Eigentlich ist Ben Allison unterwegs, um nach Brush-Rindern Ausschau zu halten, die man im Frühjahr wieder einfangen will, um sie zu verkaufen. Er ist also nur auf seinem Pferd unterwegs. Da die Leiche des Cowboys steif gefroren ist wie ein Brett, ist es ihm nicht möglich, den Toten in die nächste Stadt zu bringen. Also zerrt er den Unglücklichen in eine Felsspalte.

Dann hackt er mit seinem Handbeil, das er immer in den Satteltaschen mit sich führt, ein paar Dornenbüsche ab und deckt mit diesen den Toten notdürftig zu. Obenauf schichtet er einige lose Felsbrocken und Kalksteinplatten.

Schließlich zündet er noch den Inhalt einer Patrone über dem provisorischen Grab an, damit der Pulvergestank den Geruch des Toten überdeckt und dadurch die wilden Tiere von seinem Grab abgehalten werden. Danach zieht er sein Pferd herum, um den Sheriff in Tascosa zu informieren. Aber das macht er erst, nachdem er den Jungs auf der Drei Balken Bescheid gegeben hat.

***

Als er Tascosa erreicht, ist es bereits kurz nach Mittag und es ist immer noch empfindlich kalt. Der Himmel ist grau und ohne Sonne und der Wind, der aus Nordwesten durch die Straßen streicht, eisig. Deshalb ist Ben Allison auch nicht darüber verwundert, dass nur eine Handvoll Menschen auf den Straßen zu sehen ist.

Aber dafür sieht er noch etwas anderes, nämlich ein halbes Dutzend hochbeiniger Soldatenpferde, die vor dem Haus des Friedensrichters am Haltebalken angeleint sind. Daneben steht ein zweispänniger Bagagewagen der Armee.

In ihm werden hauptsächlich hochrangige Offiziere befördert oder …

Nein, Ben Allison will nicht weiter darüber nachdenken, alleine schon der Gedanke daran ist absurd.

Er stellt sein Pferd also dazu, gleitet aus dem Sattel und öffnet die Eingangstür. Als er diese hinter sich schließt, kommt ihm sofort Richter Dills entgegen.

»Ben, Sie schickt uns der Himmel. Sie kommen gerade im rechten Augenblick.«

Ben Allison zuckt zusammen.

Er ist ein Mann der Weide, wortkarg, besonnen, vielleicht auch etwas eigenbrötlerisch, aber was er anpackt, hat Hand und Fuß. Deshalb verliert er bei all seinem Tun und Wirken auch nie allzu viele Worte und braucht dazu auch kein großes Publikum, doch genau das erwartet ihn aber jetzt im Haus des Richters. Auf der linken Seite von Dills Wohnzimmer stehen sechs Soldaten Spalier, die alle einen ziemlich durchgefrorenen Eindruck machen. Neben dem Richter befindet sich ein Offizier, der gerade an einem Glas Brandy nippt, und hinter diesen beiden hat es sich eine junge Frau auf dem Wohnzimmersofa von Dills bequem gemacht.

Diese Narren, denkt Ben, also kam in dem Wagen doch eine Frau mit den Soldaten in die Stadt.

»Was wollen sie damit sagen?«, fragt er hart, weil ihm die ganze Situation sichtlich Unbehagen bereitet.

»Ich wüsste keinen besseren Führer, der diese Reisegruppe nach Fort Elliott bringen könnte als Sie.«

Ben Allison verzieht das Gesicht, als hätte er soeben eine schleimige Kröte verschluckt.

»Richter, ich bin ein Brasadarancher und nicht das Kindermädchen der Army. Das Frühjahr steht vor der Tür und es gibt auf der Drei Balken eine Menge zu tun.«

Der Offizier stellt sein Glas hart auf einem kleinen Tischchen neben dem Sofa ab und mustert Ben sichtlich pikiert.

»Wollen Sie damit etwa andeuten, dass Sie nicht bereit sind, uns nach Fort Elliott zu bringen, obwohl sich eine Lady in unserer Mitte befindet?«

Ben Allison wirft einen kurzen Blick auf die Frau, bemerkt ihr cremefarbenes Kleid mit dem eng anliegenden Oberteil und dem kleinen, schwarzen Hut, der keck auf ihrer fülligen, dunklen Haarpracht drapiert ist, und schüttelt den Kopf.

»So könnte man es auch nennen, Lieutenant. An erster Stelle muss ich zunächst einmal an mich und meine Jungs denken. Wenn mir in der Brasada ein Rind seine Hörner in den Leib rammt, hilft mir ja auch keiner von euch Uniformierten. Zudem halte ich es für eine ausgesprochene Schnapsidee, gerade jetzt über Land zu reisen, noch dazu mit einer Frau.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Ich habe heute Morgen Jack Miller begraben müssen. Er ist in diesem Monat bereits der Dritte, den die Indianer umgebracht haben. Durch die Aktionen der Army werden viele Stämme daran gehindert, den nach Süden ziehenden Büffelherden zu folgen, um sich zu versorgen. Die umliegenden Reservationen platzen aus allen Nähten und es gibt dort nirgendwo mehr genügend zu essen. Aus den Bergen Neu-Mexikos kommen die Jicarillas, aus den Reservationen die Mimbrenjos und Chiricahuas und westlich vom Pecos die Kiowas, Comanchen und Mescaleros. Sie strömen in dieses Land und lauern auf alles und jeden, der nur irgendwie Beute verspricht.«

»Dieser Nahrungsmangel ist ein Problem fehlender Logistik und Sache des Indianerministeriums und der Reservationsverwaltungen, nicht das der Armee.«

»Das mag schon sein«, entgegnet Allison. »Aber Tatsache ist, durch dieses Land streifen Hunderte von hungrigen und wütenden Indianern und Sie wollen, dass ich eine Gruppe von sieben Soldaten und einer Frau durch eben diese Gegend führe. Wissen Sie eigentlich, was die Indianer mit der Frau anstellen werden, wenn sie ihnen in die Hände fällt? Sie werden sie wie läufige Hunde besteigen. Wenn der Letzte der Horde mit ihr fertig ist, fängt der Erste wieder damit an seinen …«

»Genug!«, donnert der Offizier. »Noch ein paar solcher Worte in Gegenwart dieser Lady und ich lasse Sie in Ketten legen. Ihre Vermutungen sind absolut haltlos und dienen nur dazu, Miss Walker in Angst zu versetzen. Keiner dieser Wilden wird es wagen, eine reguläre Abteilung der US-Armee anzugreifen. Geben Sie doch einfach zu, dass Sie Angst haben uns zu begleiten.«

Jetzt wird Allison allmählich wütend. »Von was träumen Sie nachts, Lieutenant?«, erwidert er scharf. »Was glauben Sie denn eigentlich, was Sie mit Ihren jämmerlichen sechs Mann gegen einhundert Comanchen ausrichten können?«

Jetzt mischt sich der Richter ein, weil er erkennt, dass hier bald Kugeln fliegen werden, denn kein Brasadareiter lässt sich ungestraft einen Feigling nennen. Dieser Heißsporn von Offizier hat vom wahren Leben im Panhandle so viel Ahnung hat wie eine Kuh vom Sonntag. Er kommt frisch von einer Militärakademie aus dem Osten und brennt sichtlich darauf das Gelernte umzusetzen. Aber die Brasada ist kein Sandkasten für irgendwelche militärischen Planspiele aus Büchern, sondern brutale Realität. Und hungernde und wütende Indianer verhalten sich nicht so, wie es die Theorie vorsieht. Das weiß Ben Allison und das weiß auch der Richter.

»Ich glaube, Sie sollten auf Mister Allison hören«, sagt der Friedensrichter deshalb. »Er lebt lange genug in diesem Land, um die momentane Lage einschätzen zu können und wenn er sagt, dass es zu gefährlich ist, um weiter nach Fort Elliott zu reisen, sollten Sie seinen Rat befolgen und vorläufig hier in Tascosa bleiben.«

»Das kommt überhaupt nicht infrage«, braust der Offizier auf. »Ich werde Miss Walker zu ihrem Mann ins Fort bringen und kein verlauster Wilder wird mich daran hindern.«

Dann streift er Ben Allison mit einem verächtlichen Blick, während er den Soldaten neue Befehle gibt.

»Fertig machen zum Aufsitzen, Männer. Wir machen einen kleinen Erkundigungsritt durch die Umgebung. Alleine schon, um diesem Kuhjungen hier zu zeigen, dass es die Indianer nicht wagen werden, uns anzugreifen.«

Was er sonst noch alles sagen will, erfährt Ben Allison nicht mehr, denn die Soldaten verlassen nun das Haus und reiten sofort los. Kopfschüttelnd blickt Allison der Patrouille nach.

Dann dreht er sich um und betrachtet die Frau mit ernstem Gesicht.

»Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Miss Walker, ich würde Ihnen empfehlen, vorläufig hier in der Stadt zu bleiben. Dieser Offizier ist der größte Dummkopf, dem ich jemals begegnet bin.«

Die Frau reißt ungläubig die Augen auf und starrt Ben ärgerlich an.

»Wie kommen Sie dazu, so über Lieutenant Mulford zu reden?«, empört sie sich. »Er ist ein Ehrenmann und ein ausgezeichneter Offizier. Als mein Mann wegen der Feldzüge gegen die Indianer von Fort Union nach Fort Elliott abkommandiert wurde, hat er sich spontan dazu bereit erklärt, mich dorthin zu begleiten. Der Lieutenant ist ein Gentleman, was man von Ihnen ja wohl nicht behaupten kann.«

Ein bitteres Grinsen huscht über Allisons Gesicht.

»Dafür wird Ihr Lieutenant ziemlich bald ein toter Gentleman sein, wenn er so weiter macht.«

Die Frau zuckt erschrocken zusammen. »Wie meinen Sie das?«

»Zunächst einmal kümmert sich jeder halbwegs vernünftige Reiter um sein Pferd, wenn er eine Rast macht, und dann erst um sich selber. Es nützt mir nichts, wenn ich mir meinen Arsch wärme und das Pferd, auf das ich mich verlassen muss, irgendwo in der Wildnis vor Hunger, Durst oder Erschöpfung zusammenbricht. Falls Sie es noch nicht wissen, ohne Pferd ist man da draußen ziemlich verloren. Dann reitet dieser ehrenwerte Soldat, wie Sie ihn nennen, ohne Führer durch ein ihm fremdes Land, das von feindlichen Indianern bewohnt ist, und zudem hält er es nicht für notwendig, den Rat von jemandem anzunehmen, der schon mehr als ein paar Tage in diesem Land verbracht hat. Seine verdammte Ehre wird ihn noch um Kopf und Kragen bringen. Das hier ist nämlich die Brasada und nicht der Offiziersball von Fort Elliott.«

Damit hat er alles gesagt, was zu sagen ist, und nachdem er sich grüßend mit dem Zeigefinger an seine Hutkrempe getippt hat, verlässt Ben Allison das Haus des Richters, um sich in Dunns Saloon vor dem Heimweg noch einen Drink und eine warme Mahlzeit zu genehmigen.

***

Nachdem er sich mit einem Krug Ingwerbier und zwei Whiskys aufgewärmt und dazu eine ordentliche Portion Eier mit Speck verdrückt hat, macht sich Ben allmählich wieder auf den Heimweg. Es ist jetzt zwei Stunden her, seit er Dunns Saloon betreten hat, während die Blaubäuche aus der Stadt geritten sind. Jetzt, als er nach Hause reiten will, kommen sie wieder zurück. Das Pferd des Lieutenant ist leer, stattdessen steckt ein Pfeil im Sattelleder und zwei weitere Soldaten können sich kaum noch auf dem Rücken ihrer Pferde halten. Ihre Uniformen sind an vielen Stellen blutdurchtränkt.

Nach einer kurzen Unterredung mit dem Richter verzichtet Miss Walker vorläufig darauf, ihren Gatten zu besuchen. Denn der stolze Lieutenant ist tot und zwei Soldaten haben schlimme Schusswunden, einer von ihnen wird bis zum Abend ebenfalls sterben.

Verdammte Blaubauchehre, denkt Ben Allison bitter.

Copyright © 2010 by Kendall Kane