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Brasada – Folge 9

Die Stunde der Wölfe

Die Brasada erlebt ihren kältesten Winter seit zwanzig Jahren.

Über dem Land, das sonst von Sand, Kakteen, Kalksteinfelsen und Palo Verde-Bäumen beherrscht wird, liegt jetzt eine fingerdicke Schneedecke. Es hat einen Tag und eine Nacht lang unaufhörlich geschneit. Alles, was normalerweise hier blüht und gedeiht, ist jetzt von glitzerndem Schnee und Eiskristallen ummantelt.

Lee Marlowe lenkt sein Pferd mit den Oberschenkeln durch den Creek. Der Braune stapft durch das Eis des seichten Wasserlaufs, welcher sich schon seit Urzeiten unterhalb des Ranchhauses einen Weg durch die Brasada geschaffen hat. Kurz darauf trottet das Tier dann gemächlich über den Überlandtrail gen Tascosa. Es ist genau eine Woche vor Weihnachten und nur aus diesem Grund verlässt der ehemalige Armeescout die schützenden und wärmenden Mauern der Drei Balken Ranch.

Es ist seit vielen Jahren das erste Mal, dass diese hartbeinigen Männer wieder ein richtiges Dach über dem Kopf haben, einen Platz, wo sie hingehören.

Deshalb wollen sie dieses Jahr wieder richtig Weihnachten feiern mit allem, was dazugehört. Ben Allison hat im Osten der Ranch eine Gruppe junger Zedern ausgemacht, von denen jede einzelne einen ansehnlichen Weihnachtsbaum abgeben könnte. Big Bill hat versprochen, einen wahren Festtagschmaus zuzubereiten. Es soll gebratenes Hühnchen, gekochtes Gemüse aus Agavenstauden und zum Nachtisch einen Angel Food Cake geben. Da man aber für diesen Kuchen Eiweiß, Sahne, Vanille und etwas Zimt benötigt, muss jetzt jemand von ihnen in die Stadt reiten. In der Speisekammer einer Rinderranch gibt es solche Dinge nämlich nicht. Man kann hier Salz, Zucker, Mehl und Bohnen finden, und wenn man Glück hat, ein paar Dosenpfirsiche, aber nicht diese Zutaten.

Da Lee für seine beiden Sattelpartner ohnehin Geschenke besorgen will, hat er sich freiwillig für diesen Ritt gemeldet.

Während er also sein Pferd nach Tascosa lenkt, zerbricht er sich den Kopf darüber, was er Ben und Bill schenken könnte. Nach kurzem Nachdenken kommt er zu dem Schluss, dass es für Ben wahrscheinlich ein 2 Unzen Beutelchen Durhamtabak mit orangefarbenem Reispapier geben wird und für Bill eine dunkelrote Bandana. Oder soll es für Bill doch ein Päckchen Arbuckle Kaffee werden, das um diese Zeit immer ein Plättchen Pfefferminzbonbons enthält, hinter dem Bill her ist wie der Teufel hinter einer armen Seele?

Bevor er sich zu einem endgültigen Entschluss durchringen kann, beginnt der Braune unter ihm plötzlich schrill zu wiehern und Lee hat jetzt ganz andere Probleme. Als er zur Seite blickt, erkennt er rechts zwei Büffelwölfe, die sich verstohlen an ihn heranschleichen.

***

Lee zuckt zusammen.

Normalerweise hat ein Mann wenig vor Wölfen zu befürchten. Aber der Winter ist diesmal besonders hart und die Tiere sind offensichtlich ausgehungert. Außerdem sind es Büffelwölfe, also Tiere, die sich nicht davor scheuen, auch ausgewachsene Bisons oder Longhornbullen anzugreifen. Als Lee jetzt sein Gewehr aus dem Scabbard zieht, kann er noch zwei dunkle Gestalten erkennen, die keine hundert Fuß vor ihm auf dem schneebedeckten Boden hocken und ihn mit weit aufgerissenen Schnauzen anstarren.

Von links kommen drei weitere Wölfe und auch hinter ihm ist nun das gemeine Knurren der grauen Räuber zu hören. Das Pferd wirkt immer mehr verängstigt und tänzelt nervös zur Seite. So kann Lee keinen gezielten Schuss anbringen. Also schiebt er das Gewehr wieder zurück und trommelt dem Braunen die Hacken in die Weichen. Das Pferd bäumt sich wiehernd auf und prescht dann über den Trail. Das ist der Moment, in dem auch die Wölfe losrennen.

Der Hunger hat ihnen die Furcht vor dem Menschen genommen und deshalb greifen sie ihn jetzt offen an. Wie heulende, pelzige Teufel jagen sie auf Lee zu. Ihre roten Zungen hängen ihnen aus den Schnauzen und ihre Rippen stechen bei jedem Schritt spitz hervor. Sie sind nur noch Haut und Knochen und deshalb lässt sie der Anblick des Pferdes mit seinem Reiter vor Hunger fast verrückt werden.

Obwohl Lee seinen Braunen ständig anspornt, kommen sie immer näher. Er kann die Schnelligkeit des Tieres in diesem unwirtlichen Gelände nicht richtig ausnutzen.

Es gibt hier unzählige tiefe Gräben, Mulden und Hunderte von Bächen, die teilweise versandet sind. Weil der Schnee aber alles zugedeckt hat, muss Lee aufpassen, wohin er sein Pferd lenkt.

Ein falscher Tritt, ein loser Stein oder ein versteckt gelegener Präriehundebau und sein Pferd bricht sich ein Bein. Dann steckt er wirklich in einer schlimmen Klemme.

Aber auch mit dem Pferd wird seine Not immer größer, denn die grauen Räuber kommen immer näher.

Einer der Wölfe erklimmt einen halbhohen Kalksteinfelsen und springt mit einem gewaltigen Satz auf Lee zu. Als der Armeescout aus den Augenwinkeln heraus den Schatten auf sich zufliegen sieht, reißt er seinen Colt aus dem Halfter und zieht den Abzug durch.

Das schwere Geschoss trifft die geifernde Bestie in den Kopf. Der Wolf überschlägt sich noch in der Luft und kracht zu Boden. Das Rudel lässt sich daraufhin etwas zurückfallen, um auf eine neue, vielleicht günstigere Gelegenheit zum Angriff zu warten.

Aber diese Gelegenheit kommt nicht mehr.

Denn jetzt kommt Sheriff Willingham den Überlandtrail hoch.

Mit seinem ersten Schuss zertrümmert er einen Schädel, mit den beiden nachfolgenden tötet er einen weiteren Wolf und verwundet einen anderen schwer. Der Rest des Rudels ergreift die Flucht und bringt sich heulend zwischen den Felsen in Sicherheit. Der Sheriff senkt sein Gewehr und sieht zu, wie Lee Marlowe dem verletzten Wolf mit seinem Messer den Rest gibt.

»Das war knapp, Lee.«

Der ehemalige Armeescout nickt und beginnt sofort damit das Tier abzuhäuten. Er macht es mit schnellen, raschen Schnitten und wirkt dabei wie besessen. Als der Sheriff das seltsame Glänzen in seinen Augen sieht, beschließt er, Lee daraufhin einmal anzusprechen.

»Der Winter ist noch nicht einmal zur Hälfte vorüber und sie greifen jetzt schon einzelne Reisende an. Dieses Jahr scheint es besonders schlimm zu werden.«

»Du meinst, die Kälte wird noch eine Weile anhalten?«

»Ja«, sagt Lee und streckt dem Sternträger ein Wolfsfell entgegen.

»Die Zeichen der Natur sind nicht zu übersehen. Hier, sieh dir das an! Obwohl die Burschen nur noch Haut und Knochen sind, tragen sie in diesem Winter ein besonders dickes Fell. Wenn es mit der Kälte so weitergeht, werden wir mit ihnen noch ziemliche Schwierigkeiten bekommen.«

Willingham reibt sich nachdenklich das Kinn. »Ich fürchte, die haben wir schon.«

Lee Marlowe hört mit dem Abhäuten auf und starrt den Sheriff fragend an. Sein indianerhaftes, dunkles Gesicht wirkt jetzt kantig und hart.

»Wie meinst du das?«

»Ich habe einen Brief von meinem Amtskollegen aus dem Hartley-County erhalten. Dort treiben sie es anscheinend besonders schlimm. Sie haben bereits über einhundert Rinder gerissen und letzte Woche hat es dort auch schon den ersten Toten gegeben. Es hat den Zaunreiter einer kleinen Ranch in der Nähe von Middle Water erwischt. Von dem armen Teufel waren nur noch ein paar Knochen übrig, als man ihn gefunden hat. Sogar seine Reitstiefel und sein Waffengurt aus Büffelleder waren angefressen. Alles deutet darauf hin, dass die Wölfe weiter nach Süden ziehen.«

Nach diesen Worten kann Lee den Kummer des Sheriffs verstehen. Sie leben hier im Oldham-County und das befindet sich südlich von jenem Land, in dem die Wölfe momentan ihren Hunger stillen.

»Was hast du jetzt vor?«

»Ich werde die umliegenden Ranches informieren, und wenn es gar zu schlimm wird, eine Wolfsjagd organisieren.«

»Das wird aber nicht einfach«, gibt Lee zu bedenken.

»Die meisten Rancher haben ihre Jungs über den Winter aus den Büchern gestrichen. Du wirst kaum genügend Männer finden, die bereit sind, in dieser Kälte auf Wolfsjagd zu gehen.«

Cape Willingham grinst wissend.

»Das glaube ich wiederum nicht. Das County wird nämlich eine Prämie von einem Dollar für ein Paar Wolfsohren zahlen. Was denkst du wohl, wie viel Grubline Reiter ich mit dieser Aussicht in den Sattel bekomme?«

Lee Marlowe nickt anerkennend, weil er nun weiß, dass sich der Sheriff alles sehr wohl überlegt hat.

Er häutet noch die anderen Wölfe ab und übergibt die Felle Willingham. Dessen Pferd scheut erst ein wenig, als ihm der Geruch des Raubtierblutes in die Nase steigt, aber Cape ist ein guter Reiter und deshalb bekommt er es auch sofort wieder in den Griff.

»Weshalb gibst du sie alle mir? Du hast ein Anrecht auf mindestens eines der Felle. Gerade für dich als Cowboy ist so ein warmes Fell doch eine feine Sache.«

»Ich will sie nicht. Ich hasse Wölfe!«, entgegnet Lee schärfer, als er es eigentlich beabsichtigt hat.

Der Sheriff betrachtet ihn aus ernsten Augen.

»Gibt es dafür einen Grund, den ich wissen sollte?«

Lee Marlowe blickt zu Boden und überlegt. Dann zeichnet er mit der Stiefelspitze Muster in den Schnee, während er stockend antwortet.

»Als ich noch Scout bei der Army war, ist etwas geschehen, das mich noch heute verfolgt.«

Willingham nickt und belässt es dabei. Er weiß, dass eine Regel im Ehrenkodex der Cowboys lautet: Du sollst dich nicht um die Vergangenheit deines Nächsten kümmern.

Wenn Lee Marlowe also darüber nicht reden will, bringt ihn keine irdische Macht auf dieser Welt dazu.

***

Auch im Winter gibt es auf einer Ranch immer etwas zu tun.

Man muss die Zäune kontrollieren, Wasserstellen vom Eis befreien, das Sattelleder und Zaumzeug fetten, damit es in der Kälte nicht brüchig wird, und man muss Raubzeug von seinem Land fernhalten. Aber nicht heute. Heute wird auf der Drei Balken Ranch nicht gearbeitet.

Es ist der vierundzwanzigste Dezember und deshalb befinden sich Ben Allison und seine beiden Sattelpartner schon seit dem Mittag in der Küche. Die Feuerstelle verbreitet eine bullernde Hitze und darum sitzen die Männer nur im Hemd am Tisch, während draußen der Dezemberwind um das Haus heult. In der rechten Küchenecke steht eine hüfthohe Zeder, die mit Girlanden, bunten Tüchern und selbst geschnitzten Holzfiguren geschmückt ist. Der Tisch biegt sich beinahe unter der Last der Speisen die Big Bill aufgetragen hat.

Nach dem Essen, als alle sicher sind, jeden Moment platzen zu müssen, werden die Geschenke verteilt. Es ist ein seltsames Bild, das sich einem Betrachter bietet, wenn er in diesem Moment heimlich zusehen könnte. Die drei sind harte Männer in einem harten Land. Jeder von ihnen hat schon getötet, gegen Indianer gekämpft, Broncos zugeritten und sich mit Klapperschlangen, Tornados und Banditen herumgeschlagen, aber als jetzt die Geschenke ausgepackt werden, verwandeln sich diese hartbeinigen Hombres wieder in kleine Jungs.

Ihre Gesichter sind seltsam gerötet, ihre Augen glänzen und keiner bringt einen Ton heraus. Sie sehen sich nur stumm an. Das Band der Kameradschaft zwischen ihnen ist in diesem Augenblick förmlich greifbar. Es sind keine großartigen oder besonders kostbaren Geschenke, aber sie kommen von Herzen und nur das zählt. Big Bill freut sich wie ein Kleinkind über die beiden Packungen Arbuckle Kaffee und droht sogleich jeden zu erschießen, der sich an den darin enthaltenen Pfefferminzplätzchen vergreift.

Ben Allison nickt den Männern dankbar entgegen, als er den Tabaksbeutel öffnet und den würzigen Geruch des Durhamtabaks einatmet. Dann kommt noch eine bunte Indianerdecke zum Vorschein, ein paar Conchas aus vernickeltem Blech und eine Flasche Rotaugenwhisky.

Aber nicht diese Pumaspucke, die in der Stadt ausgeschenkt wird, sondern ein richtiger, abgelagerter feiner Whisky. Das erkennt man schon an der noblen Flasche und dem noch nobleren Etikett.

Der Schnaps rennt angenehm mild durch die Kehle und verbreitet ein wohliges Feuer im Bauch.

Alle sehen jetzt aus, als wären sie nun mit sich und der Welt zufrieden.

Nur Lee Marlowe hat ein säuerliches Lächeln auf den Lippen.

Aber das liegt nicht an den Jungs, sondern an seinem Geschenk. Er kann Baker und Allison allerdings keinen Vorwurf machen, sie haben sich wirklich bemüht.

Es kann ja keiner von ihnen wissen, was Lee über das Paar Wolfsfellhandschuhe denkt, das sie ihm geschenkt haben.

Copyright © 2010 by Kendall Kane