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Der Welt-Detektiv Band 6

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Brasada – Folge 2

Die Ranch der toten Männer

Die drei Reiter lenken ihre Pferde schweigend durch die Ausläufer des Bergmassivs.

Unterdessen hat die Sonne ihren höchsten Stand erreicht und schleudert ihre Hitze mit unbarmherziger Gewalt auf das ausgetrocknete Land. Der heiße Wind, der von Südosten aus den Staked Plains kommt, weht den Männern wie der Gluthauch der Hölle entgegen. Außer ein paar Sandfliegen, die sich hier und da über magerem Buschwerk zu wild umherzuckenden Gebilden zusammengeballt haben, scheint es kein Leben in dem sonnenverbrannten Land zu geben.

Ben Allison ist der Erste, der sein Pferd neben einer Gruppe weit ausladender Cottonwoods zügelt. Er ist ein großer, ruhiger Mann mit breiten Schultern und schmalen Hüften. Sein Gesicht wird beherrscht von ernsten, wasserblauen Augen, einer eckigen Stirn und einem Kinn, das unduldsame Härte verrät. In seinem breiten Gürtel aus dunklem Büffelleder steckt ein Colt Single Action Kaliber 45 und ein beinahe unterarmlanges Bowiemesser.

»Ich denke, der Platz ist okay«, sagt er zu seinen beiden Kameraden. »Schätze mal, wir schlagen unser Lager für heute hier auf. Es macht keinen Sinn, weiter in der größten Hitze herumzureiten.«

Big Bill Baker nickt. Er führt sein Pferd zu den Cottonwoods und nimmt ihm den Sattel vom Rücken. Obwohl es sich dabei um einen schweren Eisenhornsattel handelt, hebt ihn Baker mit einer Hand scheinbar mühelos an. Der dunkelhaarige Lee Marlowe übergibt sein Pferd nun ebenfalls Baker, um nach Brennholz zu suchen.

Man nennt ihn nicht umsonst Big Bill, denkt Lee Marlowe, indessen er in dem Gestrüpp untertaucht.

Bill Baker ist knapp sieben Fuß groß, zweihundertvierzig Pfund schwer und seine Schultern sind so breit wie die eines Büffelbullen. Dennoch ist er nicht dick und behäbig, sondern ein krummbeiniges Muskelpaket, das sich mit der Geschmeidigkeit eines Pumas bewegt.

Marlowe schüttelt den Kopf. Er kann es immer noch nicht glauben, mit was für einer geradezu spielerischen Leichtigkeit Baker den Sattel von seinem Pferd genommen hat. »Verdammte Hitze!«, brummt Bill missgelaunt, als Marlowe im Unterholz verschwunden ist.

»Ich weiß gar nicht, was du willst«, erwidert Allison. »Du hättest damals in den Staked Plains mit Charles Goodnight und Oliver Loving dabei sein sollen. Die Hitze war unerträglich. Wir haben den Rindern die Halsschlagadern geöffnet und ihr Blut getrunken, um nicht zu verdursten.«

Nachdenklich entnimmt Bill Baker aus den Satteltaschen einige Dosen für das Mittagessen. Die Pferde schnauben nervös.

In diesem Moment kommt Lee Marlowe mit einem Armvoll Feuerholz wieder zum Lager zurück.

»Na endlich«, sagt Bill. »Ich dachte schon, ich müsste heute mein Mittagsschläfchen hungrig halten.«

»Immer noch besser, als an einem Comanchenpfeil zu sterben.«

»Indianer?«, fragt Baker erstaunt und starrt Marlowe aus großen Augen an.

»Kotsotekas!«, erwidert Lee. »Sie reiten etwa eine Meile von hier am Fluss entlang. Sieht nach Ärger aus.«

»Ach was«, sagt Bill. »Die gehören bestimmt zur Reservation, da mach dir mal keinen Kopf.«

Statt einer Antwort spuckt Lee Marlowe in den Staub und lässt das Brennholz einfach zu Boden fallen.

Er war lange Jahre Scout bei der Army und kennt sich deshalb mit den Indianern aus.

»Da muss ich dich leider enttäuschen, sie haben nämlich keine Squaws und Kinder dabei. Ich will verdammt sein, wenn das keinen Ärger bedeutet.«

***

Der Pfeil zischt aus dem Nichts heran.

Die scharf geschliffene Steinspitze reißt Big Bill das karierte Baumwollhemd auf und bohrt sich hinter ihm in den sandigen Boden.

»Indianer!«, schreit Allison und wirft sich zu Boden.

Vor ihm stürmen zwei Comanchen mit erhobenen Schädelbrechern aus dem Gebüsch.

Der hellblonde Texaner wartet, bis das Kriegsgeschrei der Indianer verhallt ist, dann zieht er, die Comanchen sind keine vier Schritte mehr von ihm entfernt, seinen Colt aus dem Halfter und jagt ihnen eine komplette Trommel entgegen. Das Gesicht des ersten Indianers verwandelt sich in eine blutig rote Ruine, der zweite taumelt einfach zur Seite weg.

Er lässt den Schädelbrecher fallen, torkelt noch ein, zwei Schritte vorwärts und stürzt dann mit dem Gesicht voraus zu Boden.

»Verdammt«, flucht Allison und wischt sich den Schweiß von der Stirn. »Das war knapp.«

Während er sich mühsam aufrichtet, lädt er seinen Peacemaker nach und steckt ihn anschließend wieder in den Gürtel zurück.

Big Bill schluckt trocken.

»Und jetzt?«, fragt er. »Die anderen haben bestimmt die Schüsse gehört.«

»Das waren Späher«, erklärt Lee knapp. »Junge Burschen, die glaubten, leichte Beute machen zu können.«

Dennoch ist er der Erste, der sein Lager aufgibt, den Sattel hoch nimmt und nach seinem Pferd sieht.

»Ich glaube, du hast recht«, sagt Bill leise. »Wir sollten besser alle von hier verschwinden.«

Die Männer nicken sich zu, dann gehen sie schweigend zu den Pferden hinüber und reiten kurze Zeit später davon.

***

Zwei Stunden sind vergangen, als sie einen kleinen Creek erreichen. Auf der anderen Seite, oberhalb des kiesbedeckten Flussufers, steht die Ruine einer alten Adobelehmhütte. Das Dach ist weggebrochen und von den Wänden ist nur noch größtenteils die Vorderfront erhalten geblieben. Daneben steht ein runder, gemauerter Brunnen, auf dessen Rand ein zerzauster Zopilote sitzt, der die Männer argwöhnisch betrachtet. Als sie durch den Creek kommen, stößt der hässliche Vogel ein wütendes Krächzen aus und fliegt in den Nachmittagshimmel.

Gewiss bietet dieses jämmerliche Anwesen nicht besonders viel Deckung, aber etwas Besseres gibt es nicht in diesem Land, das nur aus nacktem Felsgestein und blattlosen, sonnenverbrannten Sträuchern zu bestehen scheint.

Sie lenken ihre Pferde auf die Hütte zu und steigen aus den Sätteln.

Ben Allison deutet nach Westen. »Wir bekommen Besuch.«

In der Ferne verharren die Comanchen auf ihren Pferden.

Scheußliche Kriegsbemalung glänzt auf ihren Gesichtern und den Oberkörpern, rot, ocker, schwarz und weiß. Auch ihre Ponys sind angemalt, Skalps baumeln vom Zaumzeug, Federn flattern im Wind und das Licht der Nachmittagssonne bricht sich auf den Spitzen ihrer Lanzen.

Es ist ein prächtiges, wildes und heidnisches Bild. Aber wenn nicht bald ein Wunder geschieht, wird es für die drei Männer in wenigen Minuten das letzte Bild sein, das sie auf dieser Welt noch zu sehen bekommen.

***

Irgendetwas stimmt hier nicht, denkt Ben Allison, während er die Comanchen über den Lauf seines Gewehres hinweg beobachtet. Die Pferde der Indianer tänzeln nervös umher, manche der Kotsotekas schütteln wütend ihre Waffen, andere fuchteln mit ihren Händen wild in der Luft herum und reden aufgeregt durcheinander. Der Wind trägt ihm die abgehackten, bellenden Worte der Indianer zu und er wundert sich erneut, warum sie nicht angreifen.

Er wischt sich nervös mit dem Handrücken über das unrasierte Kinn und starrt zu Marlowe hinüber in der Hoffnung, von ihm eine Erklärung zu erhalten.

Genau in diesem Moment geschieht es.

Zuerst ist irgendwo hinter ihnen das dünne, wimmernde Angriffssignal einer Regimentstrompete zu hören. Als die Männer danach überrascht aufblicken, erkennen sie, wie sich kurz darauf ein Dutzend dunkelblaue Kavallerieuniformen aus dem aufgewirbelten Staub der Pferdehufe schälen.

Ja, es ist wahrhaftig ein Wunder, dass die Patrouille sie gefunden hat. Fort Elliott ist fast einhundertfünfzig Meilen von ihnen entfernt und die Soldaten haben ein Gebiet zu kontrollieren, das beinahe zwanzigtausend Quadratmeilen groß ist. Deshalb ist die Chance, in diesem menschenleeren Land auf Soldaten zu stoßen, beinahe so groß wie die eines Schneeballs, der, auf einer glühenden Herdplatte liegend, noch den nächsten Tag erleben will.

Big Bill beginnt fröhlich zu grinsen, während er auf die Comanchen deutet, die wütend davon reiten.

»Das nenne ich Glück«, sagt er.

Ben Allison atmet hörbar aus und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Dann sieht er, wie bei der Patrouille ein falkengesichtiger, eisgrauer Lieutenant aus dem Sattel gleitet und auf ihn zukommt.

»Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich über den Anblick eines Blaurocks so richtig freuen kann«, sagt Baker.

Der Lieutenant verzieht sein Gesicht zu etwas, das wohl die Andeutung eines Lächelns sein soll, und hebt seine rechte Hand an die Hutkrempe.

»Lieutenant Jack Tanner, G-Kompanie Fort Elliott, zurzeit auf Patrouille. Da habt ihr aber Glück gehabt, dass ihr noch rechtzeitig die Todesranch erreichen konntet. An jedem anderen Ort in diesem Land hätten euch die Comanchen schon längst das Fell über die Ohren gezogen.«

»Todesranch?«, fragt Allison gedehnt und es ist ihm deutlich anzusehen, dass er etwas verwirrt ist.

»Yeah«, entgegnet Lieutenant Tanner. »Jetzt sagt bloß, ihr habt noch nie etwas von dieser Ranch gehört?«

Die drei Männer sehen sich fragend an und schütteln schließlich beinahe gleichzeitig die Köpfe.

»Vor ein paar Jahren hat hier ein irischer Dickschädel versucht, eine Ranch aufzubauen, mitten in den Jagdgründen der Comanchen«, beginnt Tanner zu erklären. «Die Indianer haben ihn beinahe jeden Tag überfallen. Am Schluss hat er nicht nur seine Frau sondern auch seine drei Söhne hier beerdigt und von den Indianern waren kaum genug Leute übrig geblieben, um ihrerseits die Toten zu begraben.«

»Und was hat das Ganze mit uns zu tun?«, will Lee Marlowe jetzt wissen.

Tanner lächelt. »Die Indianer nennen den Ort hier die Ranch der toten Männer. Sie betreten diese Gegend nur ungern, schlechte Medizin, wenn ihr versteht, was ich meine.«

Big Bill Baker beginnt nun schallend zu lachen.

Deutlich ist zu sehen, wie die Anspannung von ihm abfällt.

»Heiliger Rauch! Wollt ihr damit sagen, dass wir es nur ein paar Toten zu verdanken haben, dass wir noch am Leben sind?«

Der große Mann macht eine abwertende Handbewegung und will sich abwenden, als sich Ben Allison wieder zu Wort meldet.

»Ein guter Platz für eine Ranch.«

»Was sagst du?«

Nachdenklich betrachtet Allison das umliegende Land. Dann mustert er seine Sattelpartner, sein Blick ist dabei fest und ruhig.

»Ein guter Platz«, wiederholt er. »Was haltet ihr von der Idee?«

Lee Marlowe und Bill Baker blicken sich erstaunt an. Aber als sie in Allisons Gesicht sehen, beginnen sie nachzudenken. Schon bald haben sie sich eine Vorstellung darüber gemacht, wie dieses Land wohl aussehen könnte, wenn man es bearbeitet hat.

«Keine schlechte Idee«, befinden schließlich beide.

Noch während sie den abziehenden Soldaten nachblicken, beginnen alle drei eifrig, Pläne zu schmieden.

Copyright © 2009 by Kendall Kane