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Westernkurier 03/2013

Auf ein Wort, Stranger, wenn es heißt: »Clear the Way«!

Mit einem harten Zügelruck bringt der Kutscher den Holzkarren zum Stehen.
Staub wallt auf, die Pferde wiehern, dann sind die Arbeiter heran.
Zwei Männer packen das eine Ende einer Schiene und gehen vorwärts, während zwei andere in Abständen zugreifen, bis die ganze Schiene vom Karren gehoben ist.
500 Pfund purer Stahl!
Dann laufen sie vor und lassen die Schiene an ihren Platz fallen.
28 Nägel auf eine Schiene, drei Hammerschläge auf einen Nagel, eine Minute um ein Schienenpaar zu verlegen.

250 Schienen auf einen Kilometer und vor ihnen liegt noch ein halber Kontinent.

***

Vor einiger Zeit wurde in dieser Kolumne ein Bericht über den Bau der amerikanischen Eisenbahn veröffentlicht. Von Anfang an war klar, dass diese Thematik derart komplex ist, dass sie den Umfang einer normalen Geisterspiegelrubrik sprengen würde.
Daher setzen wir das, was mit einem Bericht über die Anfänge der Eisenbahn begonnen hat, heute mit einem weiteren Artikel fort und es werden noch weitere folgen.
Das Motto dieses Artikels »Clear the Way« ist im Übrigen der Titel eines Liedes, das 1856 von Stephen Massett, einem lokalpatriotischen Bürger San Franciscos komponiert wurde, als das Eisenbahnfieber seinen ersten Höhepunkt erreicht hatte.
Wenden wir uns also nun jenen zu, die den Weg freigemacht haben; Männern, die die Räder rollen ließen. Die Rede ist dabei nicht von Spekulanten und Eisenbahnmagnaten, obwohl auch sie eine nicht unbedeutende Rolle in der Railroadhistory gespielt haben, sondern von Rangierern, Bremsern, Heizern, Lokführern, Schienenlegern, Kupplern und Zugbegleitern. Einem Heer von namenlosen, einfachen Arbeitern, die, um die Eisenbahn wirtschaftlich und profitabel gesehen am Laufen zu halten, Tag für Tag ihr Leben aufs Spiel setzten und dabei fast Übermenschliches leisteten.
Allein 1888, als zum ersten Mal darüber eine Statistik angelegt wurde, kamen über zweitausend Eisenbahner in Ausübung ihres Dienstes ums Leben und mehr als zwanzigtausend von ihnen wurden verletzt.
Die Arbeit der Eisenbahner jener Tage war tatsächlich beinahe unbeschreiblich.
Sie mussten Wirbelstürmen und Eisblizzards trotzen, Präriebränden, Indianern, bewaffneten Banditen, Unterspülungen, einstürzenden Brücken und Zusammenstößen. Sie waren nahezu heimatlos. Ein geflügeltes Wort dieser Zeit sagte, dass ein Eisenbahner am Montagmorgen noch nicht wusste, wo er Dienstagnacht sein wird. Dabei waren sie notorisch unterbezahlt und zu Arbeitszeiten verpflichtet, die eigentlich unzumutbar waren.
1,75 Dollar am Tag, Vierzehnstundenschichten und für eventuelle Schäden eine Haftung mit einem Monatsgehalt waren keine Seltenheit. Vielen Gesellschaften war es dabei egal, ob diese Fehler auf minderwertiges Material zurückzuführen waren.
Dennoch bekannten sich die Eisenbahner zu ihrem Beruf und waren stolz darauf.

Um zu wissen, wie die Menschen damals arbeiteten, sollte man sich die eingangs geschilderte Szene noch einmal vor Augen führen. Sie beschreibt in wenigen Worten nichts anderes als den Alltag der Schienenleger und Streckenarbeiter.
Stellvertretend für das Schicksal all jener Namenlosen möchte ich am Leben mehrerer Eisenbahner von echtem Schrot und Korn aufzeigen, wie es wirklich war und was diese Männer tatsächlich geleistet hatten.
Einer von ihnen war James Harvey Strobridge, Bauleiter der Central Pacific Railroad.
Geboren am 23. April 1827 in Albany, gestorben am 27. Juli 1921 auf seiner Farm in Oregon.
Strobridge, ein hagerer Neuengländer, der den Eisenbahnbau in den Bergen von Vermont gelernt hatte, war wie das Land, in dem er lebte, riesig, wild und gnadenlos.
Er war über 1,80 Meter groß (in einer Zeit, in der 1,70 Meter bereits als großgewachsen galt), hager und kannte eine solche Flut von Kraftausdrücken, dass selbst der Türsteher eines heruntergekommenen Vorstadtpuffs vor Scham im Erdboden versunken wäre.
Strobridge war menschlich gesehen ein Schwein, ein Sklaventreiber und davon überzeugt, dass die Männer unter seinem Kommando – zeitweise bis zu 10 000 – sich nur wenig von Tieren unterschieden. Er selber antwortete einmal über seine Ansichten zum Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis befragt:
Ich bin wahrscheinlich einer der wenigen Chefs, die behaupten können, dass die Männer, die für mich arbeiten, ihren Lohn im Allgemeinen verdient haben.
Wobei er die beiden letzten Worte ziemlich gedehnt ausgesprochen haben soll.
Aber er war der richtige Mann am richtigen Ort, ohne ihn hätte die Central Pacific Railroad wahrscheinlich nie die Sierra bezwungen. Eine Behauptung, die ich im Übrigen mit namhaften Historikern teile.

Die chinesischen Hilfsarbeiter, die ein bisschen Pidginenglisch gelernt hatten, nannten ihn furchtsam »One Eye Bossy Man« in Anlehnung an die dunkle Binde über seiner rechten Augenhöhle. Er hatte das Auge verloren, als er ungeduldig eine verzögerte Sprengung mit Schwarzpulver überprüfte.
Strobridge war auch der Erste, der es beim Eisenbahnbau mit chinesischen Arbeitern versuchte, wenn anfangs auch nur widerwillig.
Die Central Pacific hatte vor Baubeginn in ganz Kalifornien mit großspurigen Versprechen Männer angeworben, in der Hauptsache Iren. Aber bereits am ersten Hindernis, dem Bloomer Cut, einem Berg in der Sierra, dessen Gestein so hart und massiv wie Granit war, verlor die Eisenbahngesellschaft, nachdem sie ihre Zusagen nicht einhalten konnte, mit jedem Zahltag über hundert Männer an die Verlockungen des Silber-Booms in Nevada.
Charles Crocker, Strobridges Vorgesetzter, drängte den Neuengländer daraufhin, es mit den Chinesen zu versuchen. Strobridge zeigte sich anfangs alles andere als begeistert.
Im Gegenteil, er empfand nichts als Verachtung für diese seltsamen, kleinen Männer mit ihren Zöpfen, ihren spülschüsselförmigen Strohhüten und den schlaff herunterhängenden blauen Arbeitskleidern. Zudem, welcher normale Mann konnte mit einem Essen im Bauch, das aus Pilzen, Kuttelfisch, Reis und Meeresalgen bestand, die Strapazen des Eisenbahnbaus überstehen?
Er wurde jedoch rasch eines Besseren belehrt.
Als eine aus Iren bestehende Mannschaft zu streiken drohte, und Strobridge sich nicht mehr zu helfen wusste, machte er einen ersten Versuch mit etwa 50 der asiatischen Arbeiter. Der Versuch wurde in doppelter Hinsicht zu einem Erfolg. Erstens lieferten die Chinesen einen Job ab, der ihn aus dem Staunen nicht mehr herauskommen ließ, und zweitens kehrten die Iren danach wieder eilig an ihre Arbeit zurück.
Strobridge erkannte bald, dass die knochigen und schmächtigen Asiaten eine erstaunliche Kraft und Ausdauer besaßen, sich nur selten beklagten, am Zahltag nicht betrunken waren und auch keine Bordelle aufsuchten.
Sicher gab es zwischen den Männern aus Sinong und Sinwai gelegentlich Blutvergießen und sie hatten auch die abstoßende Angewohnheit, jeden Tag zu baden, aber er musste schon bald erkennen, dass sie wesentlich mutiger und verlässlicher waren als alle weißen Arbeiter zusammen. In einer Art Hassliebe verbunden gelang es beiden Parteien, die Eisenbahnlinie termingerecht fertigzustellen. Es ist von daher nicht übertrieben, wenn ich behaupte, dass die Central Pacific ohne Strobridge und seine Chinesen nie über Kalifornien hinausgekommen wäre.

Ein weiterer Mann, dessen Name untrennbar mit der Eisenbahn verbunden ist, war Fred Harvey. Als Frederick Henry Harvey 1850 seine Heimatstadt London verließ, um in die Neue Welt zu ziehen, war er gerade einmal 15 Jahre alt. 26 Jahre später übernahm er die Leitung des Bahnhofrestaurants von Topeka auf der Santa Fe Linie. Auch er erwies sich als der richtige Mann am richtigen Ort zur richtigen Zeit.
Innerhalb kürzester Zeit stellte er die bisherige Bahnhofsverköstigung mit einem geradezu revolutionären Konzept aus gutem Essen und hübschen Mädchen auf den Kopf.
Bisher mussten die Reisenden auf die Uhr schauen, um zu wissen, ob man ein Frühstück, Mittag -, oder Abendessen vorgesetzt bekam. Ein fluchender, Tabak kauender, nach Schweiß und altem Fett riechender Bahnhofsbetreiber, ein ehemaliger Sklave aus den Baumwollfeldern oder eine Matrone mit Haaren auf der Oberlippe oder Warzen am Kinn stellten dem Fahrgast einen halb gefüllten Teller mit einem dampfenden Etwas auf den Tisch und kassierten dafür eine unverschämt hohe Summe. Es gab nur ein Essen, das aus Steak, Eiern und Bratkartoffeln bestand. Die einzige Abwechslung bestand in der Vielfalt der Getränke. Man hatte die Wahl zwischen pappsüßer, klebriger Limonade, lauwarmem Bier, gefärbtem Wasser, das nicht annähernd die Bezeichnung Kaffee verdiente, oder Tee, der wie Spülwasser schmeckte.
Harvey brachte Brathuhn, gekochten Schinken, warmes Maisbrot, Forellen und Geflügelragout sowie frisches Obst und Salate mit ins Spiel und, was noch mehr für Aufsehen sorgte: Kellnerinnen.
Seine Zeitungsannoncen, mit denen er junge, attraktive und intelligente Frauen zwischen 18 und 30 Jahren mit guten Zeugnissen und noch besseren Manieren suchte, brachten Scharen solcher Geschöpfe in den Westen.
Sie bekamen 17,50 Dollar die Woche sowie freie Unterkunft und Verpflegung. Dazu Trinkgelder, die je nach Manieren und Aussehen durchaus noch einmal einen halben Wochenlohn einbringen konnten. Zum Vergleich dazu: Ein guter Cowboy kam in dieser Zeit selten über 40 und der Monatslohn von einem Heizer oder Bremser war kaum 5 Dollar höher. Die mit gestärkten Schürzen bekleideten Harvey Girls bezauberten die männlichen Reisenden derart, dass schätzungsweise über 5000 dieser adretten Mädchen vom Fleck weg geheiratet wurden.

Ein anderer aus dieser illustren Runde, der es wert ist, dass man mehr als nur einige Zeilen über ihn verliert, war Henry Clay French. Gerade seine Aufzeichnungen geben ein umfassendes Bild über das Leben und Arbeiten eines Eisenbahners in der damaligen Zeit wieder.
Er übte so ziemlich jede Tätigkeit aus, die es damals bei der Eisenbahn gab.
Er war Heizer, Bahnhofsvorsteher, Telegrafist, Bremser, Zugbegleiter, Rangierer und Kuppler. Dazu war er lange Lokführer, bis er nach einem Zusammenstoß, den er unbeschadet überlebte, erkannte, dass es in seinem Alter an der Zeit war auszusteigen.
French kam zum ersten Mal mit der Eisenbahn in Kontakt, als er noch ein blutjunger Waisenjunge war. Ein Kontakt, der jedem anderen die Lust auf Lokomotiven und Züge sofort genommen hätte, er sah nämlich mit an, wie ein Bremser zwischen zwei Plattformwagen regelrecht zu Brei zerquetscht wurde.
Beim zweiten Mal lief er zum Bahnhof und fuhr als blinder Passagier mit dem Zug mit. Er war gerade 13 Jahre alt. Noch im selben Jahr bekam er als Botenjunge seinen ersten Posten bei der Eisenbahn und lernte von einem verständnisvollen, älteren Mann das Morsealphabet. Mit 14 war er regulärer Eisenbahntelegrafist und mit 16 Jahren Rangierer an einem Verschiebebahnhof. Ein alter Hase namens Jack Foster brachte ihm alle Tricks und Kniffe bei, auch wie man mit Schaken- und Bolzenkupplungen umgehen musste, ohne dabei verletzt oder gar getötet zu werden.
Die Schake war ein Ring von 32,5 Zentimeter Durchmesser, der genauso aussah wie das Glied einer riesigen Kette. Um einen Zug zusammenzustellen, schob der Rangierer ein Ende der Schake in den schmiedeeisernen Zughaken des Wagens und befestigte sie mit einem großen Bolzen, der durch eine Öffnung in den Zughaken gesteckt wurde. Das andere Ende und ein anderer Bolzen kamen in den Zughaken des angekoppelten Wagens.
Ein Vorgang, der nicht so einfach war, wie er hier beschrieben ist. Wenn die Schake aus einem Wagen ausgeklinkt wurde, hing sie vom anderen in einem Winkel von etwa 30 Grad herab. Um an sie hinzugelangen, stellte sich der Rangierer zwischen die Wagen oder lief – wie meistens – zwischen ihnen mit, wenn sie in Bewegung waren. Dabei hob er die hängende Schake mit der Hand hoch und führte sie in den Zughaken des anderen Wagens ein.
Die Zughaken zweier Wagen befanden sich aber vom Gleisbett aus gemessen fast immer in unterschiedlicher Höhe und das Gleiche galt für die schweren Eisenbalken, die als Puffer zwischen den Wagen dienten. Dazu musste der Rangierer seine Beine von den Weichen und den rollenden Zugrädern fernhalten, während er sich auf die widerspenstige Schakenkupplung konzentrierte. Deshalb ist die Aussage: Wenn man einen Rangierer erkennen wolle, muss man nur nach einem Mann Ausschau halten, dem ein paar Finger fehlen, auch nicht weiter verwunderlich.
Auch Jack Foster, Frenchs Mentor, ereilte solch ein Schicksal, trotz aller Erfahrenheit. Sein Körper wurde in einer Regennacht von zwei Wagenpuffern wie von einem riesigen Schraubstock erfasst.
Henry French nahm daraufhin eine Stelle bei den Viehtransporten der Santa Fe Railroad nach Dodge City an. Zwar musste er sich jetzt von seinen Eisenbahnerkollegen Worte wie Bremse oder Nachläufer gefallen lassen, aber diese Stellung bot seiner Meinung nach nur Vorteile gegenüber der eines Rangierers.
Wie sehr er sich irren sollte, zeigte bereits der nächste Winter.
Vorbei war die Zeit, in der er bei schönem Wetter auf ebener Strecke auf einem schwankenden Güterwagen saß und die Beine herunter hängen ließ, während die Prärie an ihm vorbei zog. Jetzt galt es, mit von Regen und Schnee durchweichter Kleidung selbst in finsterster Nacht von einem Güterwagen zum anderen zu springen, um auf ein Signal des Lokführers hin ihre Bremsen zu lösen oder festzudrehen. Die Wagendächer waren vereist, der Abstand zwischen ihnen betrug fast einen Meter und die Lokomotiven donnerten nicht selten mit über fünfzig Stundenkilometern über das unebene Gleisbett hinweg.
Aber French überstand auch diese Zeit.
Danach verdingte er sich als Talgtopf, wie man damals einen Heizer auch nannte, und stieg schließlich bis zum Zugführer auf.
In diese kurze Dienstzeit fiel auch der Zwischenfall, der ihn letztlich dazu veranlasste, der Bahn den Rücken zuzukehren. Er war mit seiner Lokomotive und einem einzigen Wagen von einer Baustelle im Hochgebirge ins Tal unterwegs.
Als der Zug mit dem Baumaterial auf der abschüssigen Strecke nach unten donnerte, zog Frenchs Bremser die Bremse so stark an, dass die Bremskette riss und der Rückprall den Mann um die eigene Achse drehte. French selber kletterte nach mehrmaligen misslungenen Versuchen, den Zug doch noch irgendwie zum Stehen zu bringen, die Stufen des Führerstandes hinunter, duckte sich und sprang mit einem Gebet auf den Lippen auf die Erde. Als er nach etlichen Überschlägen wieder einigermaßen heil auf die Beine kam, sah er nur noch die Trümmer seines Zuges, umgeben von einer Wolke aus Dampf und Rauch.
French humpelte zur Baustelle zurück, ließ sich den Morseapparat geben und kündigte auf der Stelle.
Seine Tagebuchaufzeichnungen sind heute noch der wahrscheinlich ehrlichste und wahrheitsgetreueste Bericht über das wirkliche Leben der Eisenbahner dieser Zeit.

Damit schließe ich den Bericht über das Leben und Wirken jener einfachen Menschen, die die Geschichte der Eisenbahn prägten.
Aber es wird nicht der letzte Artikel über diese Thematik sein, dazu ist das Ganze einfach zu komplex. In diesem Sinne bis zum nächsten Mal, wenn es wieder heißt … auf ein Wort, Stranger.

Euer Slaterman

Quellen:

  • Das große Buch vom Wilden Westen, Thomas Jeier, Verlag Ueberreuter 2011
  • Der Bau der Eisenbahnen, Keith Wheeler, Time Life International 1979
  • Im Westen ging die Sonne auf, Dee Brown, Hoffmann und Campe 1975
  • Archiv des Autors sowie die Internetseiten www.lokomotive.org. und www.cppr.org

Copyright © 2013 by Slaterman