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Jimmy Spider – Folge 15

Jimmy Spider und der geheime See

Man sollte ja meinen, dass es nach einem Auftrag, einen dümmlichen Psychopathen irgendwo in der Walachei Mexikos auszuschalten, nicht mehr schlimmer kommen könnte – aber weit gefehlt. Diesmal ging es um eine Gruppe von zehn Wanderern, die irgendwo in einer hinterwäldlerischen Region Deutschlands (mein Chef nannte mir den Namen Taunus) in einem schauerlichen Wald verschwunden waren. Schauerlich deshalb, weil dort laut irgendeiner mir nicht näher bekannten Legende irgendwelche Geister umgehen sollten. Da war sofort – zu meinem Unverständnis – die TCA hellhörig geworden.

Prompt war ich nach Frankfurt geflogen, wo ich auf meinen deutschen Kollegen Hans Olo getroffen war, den ich bereits von einem äußerst sinnentleerenden Fall her kannte. Der Mann trug genau dasselbe Outfit wie bei unserer ersten Begegnung: Weiße Turnschuhe, grüner Schlapphut, brauner Ledermantel, abgenutzte blaue Jeans und einen nicht unerheblichen Bauchvorbau.

Nun befanden wir uns auf dem Weg zu dem angeblichen Tatort. Olo fuhr einen etwas älteren, blauen Sportwagen.

Olo hatte mich bereits mit den Örtlichkeiten vertraut gemacht. Der Wald lag irgendwo im Nirgendwo, umgeben von Orten, deren Namen mir in ein Ohr hinein und aus dem anderen wieder hinaus gingen. Außerdem lag in dem Wald ein netter kleiner See.

Das besondere war jedoch, dass Olo einen Hinweis vom BKA erhalten hatte, dass dieser Wald nur auf eigene Gefahr zu betreten war. Was auch immer das bedeuten sollte.

Das einzig Positive an der ganzen Sache war, dass ich für diesen Fall einen neuen Einsatzkoffer zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Dessen Vorgänger hatten leider ein schmähliches Ende erlebt: Einer war in einer Schlucht in Spanien zerschellt, ein weiterer vor der Küste Brasiliens ersoffen.

Wälder und Ackerlandschaften zogen an uns vorbei, ebenso wie einsame Gehöfte und mehr oder minder große Ortschaften. Ich achtete kaum auf sie. In solchen Momenten vermisste ich irgendwie den urbanen Charme von Manchester. Aber ein bisschen Landluft hatte noch niemanden umgebracht. Vermutete ich zumindest.

Irgendwann nickte ich ein. Ich musste der unausgegorenen Langeweile Rechnung tragen.

Kaum war ich eingeschlafen, begann ich zu träumen …

 

Felsen, überall Felsen. Ich stand in einem wahren Felsenmeer. Wo das Auge hinsah, alles Fels. Erwähnte ich schon die Felsen?

Am Himmel erstrahlte keine Sonne, auch kein Mond, Gestirne oder gar Wolken waren zu sehen. Stattdessen blickte ich auf ein brennendes Firmament. Unzählige Glutbälle fuhren über dieses Himmelsschauspiel hinweg. Aber war das wirklich noch der Himmel? War es nicht viel mehr der einer völlig anderen Welt?

Es war müßig, sich darüber Gedanken zu machen. Schließlich war das nur ein Traum.

Aber da ich nichts Besseres zu tun hatte, wollte ich dem getriebenen Traumaufwand auch Genüge tun und setzte mich in Bewegung.

Vorsichtig sprang ich von einem Felsblock zum nächsten. Warum eigentlich?

Schnell bekam ich eine Antwort. Aus einer Lücke schoss eine glühende Lavafontäne.

Jetzt wurde es im wahrsten Sinne des Wortes brenzlig. Hastig sprang ich weiter, immer bedacht, weiteren Fontänen auszuweichen, wollte ich nicht als Grillhähnchen enden.

Aber wohin wollte ich eigentlich? Die Frage war berechtigt, schließlich befand ich mich innerhalb eines riesigen Felsenmeeres, welches nur ein Traumprodukt war.

Auch auf diese Frage wurde mir eine Antwort gewährt. Direkt vor mir, nur etwa zehn Meter entfernt, brach unter lautem Getöse die Erde – oder vielmehr das Felsmassiv – auf.

Doch statt einer weiteren Lavafontäne schoss ein gewaltiger schwarzer Thron hervor.

Auf ihm saß eine Gestalt, ein Mensch, ein Mann. Zumindest sah er auf den ersten Blick so aus.

Der Ankömmling hatte lange braune Haare, die ein relativ dünnes und knochiges Gesicht umspielten. Seine Bekleidung bestand einzig aus einer langen schwarzen Robe. Einzig der Kopf war von diesem Mann wirklich zu sehen.

Er starrte mich an, ich starrte zurück; hinein in strahlend blaue Pupillen.

Genügsam öffnete er seinen Mund, ohne etwas zu sagen. Stattdessen formten seine Lippen ein faunisches Lächeln.

»Du bist also Jimmy Spider.« Seine Worte waren kaum mehr als ein leises Wispern, aber ich verstand ihn.

»Und mit wem habe ich die Ehre?«

»Das tut nichts zur Sache.« Mit seinem rechten Arm griff er über die Lehne des Throns und zog einen etwa einen Meter langen roten Stab hervor, um den silbrige Blitze zucken.

»Ich bin gekommen, um dich vorzuwarnen.«

Ich zögerte kurz. Vielleicht täuschte ich mich, aber ich bekam den Eindruck nicht los, dass ich dieses Gesicht schon einmal irgendwo gesehen hatte. Aber doch nicht ganz so, wie jetzt. Irgendwie …anders.

»Ich bin gekommen, um dir deinen Tod anzukündigen.« Er sprang auf und lachte. »Du hast einmal einen schweren Fehler begangen, und ich habe ihn nicht vergessen, verfluchter McShady! Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen, vielleicht nicht mal in einem Jahr. Aber dein Tod ist beschlossene Sache. Und es wird ein grausamer sein …«

 

Schlagartig wachte ich auf. Tief musste ich durchatmen, um wieder Luft zu bekommen. Mein Kopf war schweißgebadet.

Als ich meinen Blick zur Fahrerseite des Wagens wendete, blickte ich in das Gesicht meines deutschen Kollegen, der mich schief angrinste. »Na, schlecht geschlafen? Wie auch immer, wir sind da. Aussteigen, wenn ich bitten darf.«

Ich folgte ihm aus dem Wagen, ohne ein Wort zu sagen. Zu sehr stand ich noch unter dem Eindruck meines Albtraums.

Ein Albtraum … was sollte es anderes sein?

Ich wollte nicht glauben, dass dies Realität gewesen sein sollte. Schließlich war ich trotz allem in Olos Wagen geblieben. Andererseits … hatte ich erst vor kurzem, als es gegen einen Kobold ging, einen sehr realen Traum empfangen.

Doch es war nun nicht die Zeit, um über diesen Traum nachzudenken. Erst hieß es, diesen angeblichen Fall abzuschließen.

Nach dem Aussteigen empfing mich die berüchtigte deutsche Landluft. Es roch nach Dünger, Rinderexkrementen und Harz. Letzteres war wohl darauf zurückzuführen, dass wir uns nur wenige Meter von einem Wald entfernt aufhielten.

Geistesabwesend griff ich nach meinem Einsatzkoffer und ging ich auf die ersten Bäume zu. Dabei orientierte ich mich an dem neben mir laufenden Olo, dem mein Zustand offenbar nicht wirklich auffiel. Erst als ich über irgendetwas stolperte, erhielt ich seine Aufmerksamkeit.

»Sind sie betrunken?«

»Nein, ich…« Als ich sah, über was ich gestolpert war, schwieg ich.

Ein Schild, etwa einen halben Meter groß. Imbiss stand darauf. Glücklicherweise war ich sowohl der deutschen Sprech- als auch Schriftsprache mächtig, sodass ich einigermaßen überrascht war.

»Haben sie Lust auf eine Zwischenmahlzeit, Olo? Ich habe nämlich einen Imbiss entdeckt.«

Der Kommissar kratzte sich am Kopf. »Sie sind betrunken. Aber was soll ich anderes von Engländern erwarten?«

Ich hielt ihm das Schild entgegen, das ihn auf der Stelle verstummen ließ.

Nach wenigen Sekunden betroffenen Schweigens gewann er seine Fassung zurück. »Also … das ist wirklich ein Hammer. Was der wohl anbietet? Wildschwein-Currywurst? Pommes mit Pilz-Ragout?«

»Wir werden es herausfinden.«

»Ja – aber wo?«

Ich sah mich um, mein gestochen scharfer Blick fixierte die Umgebung.

Irgendwo musste es doch sein. So ein Imbiss kann sich doch nicht mitten im Wald verstecken.

Vielleicht aber doch, denn etwa einhundertfünfzig Meter von uns entfernt, wo das Unterholz bereits dichter zu werden begann, entdeckte ich die Silhouette des Imbisses – beziehungsweise eher die des Lieferwagens, in den der Imbiss integriert war.

Ich tippte Olo auf die Schulter und zeigte ihm meine Entdeckung. Er kratzte sich nur am Kopf und schüttelte selbigen.

Auf dem Weg zu dem Imbissstand begegneten uns zwei Hasen, drei Igel, ein Rucksack, ein Uhu, ein paar Pil… – Moment, ein Rucksack?

Möglicherweise war das die erste Spur zu den verschwundenen Wanderern. Oder aber wir hatten eine illegale Mülldeponie entdeckt.

Ich blieb kurz stehen und beugte mich zu der grauen Tasche herunter, die völlig unbeschädigt den Waldboden verschönerte. Etwas Verdächtiges war nicht zu entdecken. Auf eine Durchsuchung verzichtete ich, denn in dem Rucksack würden sich wohl kaum die zehn Vermissten versteckt halten.

Nach diesem kurzen Intermezzo setzte ich meinen Weg fort.

Hans Olo hatte sich bereits einen gewissen Vorsprung erarbeitet, blieb aber zu der Imbissbude in einem Sicherheitsabstand, bei dem er auf mich wartete.

Als ich ihn erreicht hatte, sprach er mich sofort an. »Was denken Sie?«

»Dass ich einen Imbiss vertragen könnte.«

Verdutzt schaute er mich an, bis ich meinen Weg zu der Bude auf Rädern fortsetzte.

Zu meiner Überraschung war der Imbiss jedoch alles andere als verlassen. Hinter der Theke, in der einige Würste, belegte Brötchen und Salate zur Auswahl lagen, befand sich ein recht beleibter, glatzköpfiger Mann mit einer Schürze vor der Brust, der mich grinsend anblickte. Sein dichter schwarzer Schnurrbart hatte sich dabei in recht bizarrer Weise mit verschoben.

»Was darf’s denn sein, der Herr?«

»Moment … wie nennt sich das noch mal? Currywurst?«

»Mit Magen?«

»Nein, den hab ich schon.«

Mein gegenüber stutzte kurz. »Hm. Wie Sie meinen.«

Kommissar Hans Olo trat an meine Seite. »Finden Sie das nicht auch etwas merkwürdig – irgendwas ist doch an diesem Imbiss faul.«

Ich flüsterte zurück. »Ich hoffe, das Essen nicht.«

Während mir der Wirt die Currywurst zubereitete, vertrat ich mir etwas die Beine.

An der Umgebung war nichts Ungewöhnliches zu erkennen. Ein ganz normaler Wald, vielleicht ein etwas dichtes Unterholz. Doch von den verschwundenen Wanderern war, außer dem einsamen Rucksack, nichts zu sehen oder zu hören. Nur ein paar singende Vögel, ein leises Rascheln und … das Platschen von Wasser. Also musste der See ganz in der Nähe sein.

»Es ist angerichtet.«

Der Ruf brachte mich zurück zu dem Imbiss. Tatsächlich war meine Currywurst, mit ein paar Pommes garniert, angerichtet. Während ich mir den ersten Bissen hinein schob (der mich jetzt nicht gerade aus den nicht vorhandenen Socken fahren ließ, aber immerhin keine Magenfolter wie Fish & Chips war), beobachtete ich den Imbissbudenbesitzer, der scheinbar geistesabwesend seine Messer schärfte.

Ich ergriff als erster das Wort. »Sagen Sie, Mr. …«

»Schächter. Hans Schächter.«

»Noch einer.«

»Wie meinen Sie das?«

Ich wies mit meinem rechten Daumen auf meinen deutschen Kollegen.

Der Kommissar trat einen Schritt nach vorne und nickte dem Mann zu. »Kommissar Hans Olo. Polizei Frankfurt.«

Er nickte ebenfalls und wandte seinen Blick mir zu. »Und Sie sind …?«

»Jimmy Spider, TCA.”

Der Mann in der Schürze beugte sich über den Tresen und verengte die Augen. »Wollen Sie mich verarschen?«

Ich hob meinen Zeigefinger. »Hey, noch bin ich am Essen.«

Schächter murmelte etwas Unverständliches in seinen Schnurrbart. Ich konnte es zwar nicht verstehen, aber an dem wie erkannte ich eine Art Dialekt, den ich irgendwo schon einmal gehört hatte.

Hans Olo tippte mich von der Seite an. »Der ist Österreicher.«

Offensichtlich hatte nicht nur ich diesen Gedanken gehabt.

Aber was machte einen österreichischer Imbissbudenbesitzer mitten im Nirgendwo von Deutschland, und das ausgerechnet in einem Wald, in dem kürzlich zehn Menschen verschwunden sind und der irgendwie für das BKA interessant ist? Dafür gab es im Prinzip nur eine Erklärung.

Ich schritt, so nah wie es ging, auf den Imbiss zu und wies mit dem Zeigefinger auf Hans Schächter. »Sie sind vom österreichischen Geheimdienst!«

Schächter grinste wieder. »Erraten.«

»Seit wann hat Österreich eigentlich einen Geheimdienst? Davon hab ich noch nie gehört.« Hans Olo trat wieder an meine Seite.

»Ist das nicht das größte Lob für unseren Verein?« Schächter winkte ironisch mit seinen Messern.

»Und was machen Sie genau hier?«

»Dasselbe wie Sie.«

»Da irren Sie sich. Wir verkaufen keine Würste.«

Schächters Grinsen verschwand. »Nein, ich meine, ich bin wegen den Vermissten hier.«

Hans Olo lachte. »Abwarten und Currywurst essen, oder wie?«

»So in etwa.«

Ich merkte schon, dass aus diesem Kerl nichts heraus zu bekommen war. Dennoch gab er uns noch einen kleinen Hinweis.

»In der Nähe befindet sich ein kleiner See. Vielleicht sollten Sie sich den mal ansehen.«

Ich nickte und gab meinem deutschen Kollegen ein Zeichen, dass wir uns auf den Weg machen sollten. Gleichzeitig zog ich bereits meine Waffe hervor. Man konnte nie vorsichtig genug sein.

Während wir bereits in die Richtung liefen, in der ich den See vermutete, hörte ich hinter mir noch einmal die Stimme des Geheimdienstlers.

»Ah, eine Desert Eagle. Sieht man nicht oft, diese Waffe.«

»Und diese hier werden Sie nur einmal sehen. Sie ist die erste jemals gebaute.«

»Ein Sammlerstück also?«

»So in etwa.«

Von Schächter hörte ich nichts mehr. Es war mir im Prinzip auch egal, denn der See war mir wichtiger.

Wir brauchten nur wenige Minuten zu suchen, dann hatten wir das kleine Gewässer erreicht. Es hatte die Größe eines Fußballfeldes und war vollkommen vom Wald umschlossen. Viel mehr Erwähnenswertes gab es kaum. Bis auf den Rucksack, der zwischen den wenigen Schilfrohren am Ufer trieb.

Ich stellte meinen Einsatzkoffer ab und fischte die Tasche aus dem Wasser.

Irgendetwas störte mich daran.

Als ich den Rucksack in der Hand hielt, wusste ich, was es war: Jemand, oder vielmehr etwas, hatte den Boden des Rucksackes abgerissen. Oder abgebissen?

Die Rätsel wurden immer größer, aber ohne wäre es ja auch langweilig, oder?

»Ähm, Jimmy…«

»Nicht jetzt, Hans.« Wir duzten uns wieder, nachdem wir uns dies bereits in Frankfurt angeboten hatten. Aber irgendwie war das heute bisher in der Gewohnheit untergegangen.

Was konnte diese Zerstörung nur verursacht haben? Etwas in dem See? Aber was…? Vielleicht wurden hier die Dreharbeiten zu Piranhas III vorbereitet. Oder es befanden sich irgendwelche unfassbaren, durch Experimente wahnsinniger Wissenschaftler erschaffenen, unfassbaren Kreaturen in dem See, die so unfassbar waren, dass sie in diesem unfassbar gottverlassenen See mitten in der deutschen Walachei versteckt gehalten werden mussten. Ziemlich unfassbar.

»Jimmy, ich …«

»Nur einen Moment, Hans.«

Wenn das wirklich so war, dann musste auch der österreichische Geheimdienst etwas damit zu tun haben. Hatte er die hier hausenden Kreaturen etwa mit Mozartkugeln gefüttert? Waren deshalb alle zehn Wanderer gefressen worden? Oder machte ich mir gerade nur völlig unwichtige Gedanken, während das Entscheidende gerade ganz woanders geschah?

»Jimmy, du solltest wirklich…«

»Gleich, ich…«

»… vom Ufer zurücktreten.«

Eine innere Stimme sagte mir, dass das nicht die schlechteste Entscheidung wäre. Im nächsten Moment offenbarte sich auch der Grund dafür.

Etwa zehn Meter vom Ufer entfernt schäumte und brodelte das Wasser, als würde gerade jemand Fischsuppe kochen.

Irgendetwas kam da auf uns zu.

Ich ging zu meinem Einsatzkoffer und klappte ihn auf. Eine Flasche Wodka, Ersatzmunition, ein paar Handgranaten und eine Karte von Deutschland befanden sich darin.

Ich wandte mich wieder dem See zu. Das Schäumen und Brodeln hatte an Intensität noch zugenommen.

Hans Olo zog nun ebenfalls seine Waffe, was beinahe lächerlich wirkte, denn im nächsten Augenblick schoss das wahrscheinlich grässlichste Ungetüm, das jemals die Sonne des Taunus erblickt hatte, aus den Fluten hervor.

Ein riesiger Krake, mindestens fünfzehn Meter groß und ebenso breit. Acht Fangarme, die mit Sicherheit ganze Busse umherschleudern konnten. Dazu ein Maul, das so gar nicht zu dem eines Kraken passte, ebenso wie die Haut. Diese war teilweise von Schuppen, ähnlich denen eines Krokodils, bedeckt. Auch das Maul ähnelte entfernt dem eines Reptils. Statt eines Schnabels blitzten uns rasiermesserscharfe Reißzähne entgegen, die mit Sicherheit längst ihre Jungfräulichkeit verloren und zumindest zehn Wanderern ein schmerzhaftes Ende beschert hatten.

Einer der Fangarme schoss plötzlich auf uns zu. Während sich Olo mit einem Hechtsprung in Sicherheit brachte, zielte ich mit meiner Desert Eagle auf den Tentakel.

Der erste Schuss ging fehl, der zweite traf einen der Saugnäpfe.

Wie ein waidwunder Auerochse zur Brunftzeit brüllte das Biest auf, zog seinen Arm aber nicht zurück. Stattdessen schoss er erneut auf mich zu und umschlang mich.

Als ob ich ein Spielzeug wäre, hob mich der Fangarm in die Lüfte und zog mich näher an den Kopf des Monsters heran. Aber noch hatte ich ein paar Asse im Ärmel, allen voran meine Desert Eagle.

Bevor mich dieses Vieh zu Meeresfrüchten verarbeiten konnte, schoss ich drei Mal auf den Kopf.

Alle Kugeln hieben in das weiche Fleisch des Kraken. Erneut schrie er auf, aber das hinderte ihn nicht daran, mich näher an das hungrige Maul zu schieben.

Langsam wurde es brenzlig.

»Hans?«

»Ja?«

»Jetzt frag nicht so dumm, tu was!«

Kaum hatte ich zu Ende gesprochen, flogen mir die Bleigeschosse nur so um die Ohren. Immerhin lenkte das den Kraken ab, die Frage war nur, wie lange ich das überleben würde.

»Hans!«

»Ja?«

»Willst du mich umbringen?«

»Wenn du möchtest.«

»Nein! Lass das mit der Pistole. Geh lieber zum Einsatzkoffer.«

»Und dann?«

»Wirst du schon sehen…«

Der Mann war wirklich schwer von Begriff. So blieb mir nichts anderes übrig, als ein neues Magazin in meine Waffe einzuführen (dankenswerter Weise hatte mich das Biest nämlich an der Hüfte umschlungen) und den Kraken weiter mit Kugeln zu traktieren. Ein Auge traf ich leider nicht, aber immerhin brachte ich ihn aus dem Konzept.

»Okay, ich bin jetzt beim Einsatzkoffer. Und jetzt?«

»Siehst du die Handgranaten? Lass dir was einfallen.«

»Oh … okay.«

Inzwischen hatte mich der Fangarm in die direkte Nähe des Monstermauls vorgeschoben. In wenigen Sekunden würde ich den zehn Wanderern in die ewigen Fischgründe folgen, wenn nicht…

»Komm Krakikraki, put put put. Onkel Hansi hat leckeres Happihappi für dich…”

Ich verdrehte meine Augen. Bizarrer konnte es nun wirklich nicht werden. Oder etwa doch?

Ich griff meinem Kollegen unter die Arme. »Das funktioniert nicht. Mach das Vieh irgendwie anders auf sie aufmerksam.«

»Okay.« Gesagt, getan – Hans Olo feuerte erneut eine Salve auf das Monster ab. Und diesmal reagierte es.

Brüllend wie ein Löwe auf Brautschau schoss der Krake auf das Ufer zu.

Gleichzeitig sah ich (der natürlich immer noch in der Luft und im Griff des Monsters hing; der Krake war offenbar Multitaskingfähig), wie Olo eine Handgranate aus meinem Einsatzkoffer nahm und sie auf das Monster warf.

»Friss das, Wabbelbacke.«

Und tatsächlich, das Monster riss das Maul noch weiter auf und verschlang die Handgranate.

Ich blickte auf die Uhr. Zehn Sekunden dauerte es bis zur Detonation.

5…4…3…2…1…0…1…2 … Nichts geschah. Auch der Krake warte offenbar darauf, dass etwas passierte. Doch der erhoffte Knall blieb aus.

»Hans?«

»Ja?«

»Kann es sein, dass du die Granate nicht scharf gemacht hast?«

»Muss man das etwa?«

»Ja.«

»Oh. Ich hab mit diesen Dingern nicht so viel Erfahrung. Aber da ist auch nirgendwo ein Splint zu sehen.«

Was für ein Pech. »Das ist eine Spezialanfertigung. An der Oberseite der Eier befindet sich ein schwarzer Knopf. Wenn du darauf drückst, läuft ein zehnsekündiger Countdown bis zur Detonation an.«

»Achsooo …«

Vielleicht würde es ja jetzt einmal etwas mit meiner Rettung.

Der Krake hatte inzwischen genug vom Zuhören und brüllte infernalisch auf.

Die Gelegenheit nutzte der Kommissar. Er machte eine Granate scharf und warf sie dem Monster zielgenau in den Rachen.

Wieder hieß es warten. 5… 4…. 3… 2… 1…

Ein scheußlich anzuhörender, gedämpft wirkender Knall unterbrach die Stille.

Sekunden später sah ich die Bescherung. Die Granate hatte eine noch schlimmere Wirkung als Rizinusöl. Das Wasser um den Kraken herum färbte sich braun, es tauchten auch einige Fleisch- und Tentakelfetzen in der Seesuppe auf.

Nun wurde aus dem Kraken ein wildes Karussell. Furios drehte sich das Vieh brüllend um die eigene Achse, während Hans Olo, wie ich im Augenwinkel erkannte, Becherwerfen mit dem Monster spielte. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass seine Bälle scharfe Handgranaten waren.

Weitere Explosionen zerrissen das Brüllen des Kraken, der sich immer noch drehte, sich aber jetzt sichtbar im Todeskampf befand. Die letzte Explosion hatte gut ein Viertel des Schädels weggesprengt, auch ein Auge war in Mitleidenschaft gezogen worden. Dennoch brachte er es fertig, sich weiter auf das Ufer zuzuschieben.

Die letzte intakte Tentakel, ausgenommen der, der mich festhielt, schoss ausgerechnet auf meinen Einsatzkoffer zu und packte ihn mit letzter Kraft.

Gleichzeitig erschlaffte der mich haltende Fangarm, sodass ich sehr unsanft in der braunen Brühe des Sees landete.

Das Wasser schlug über mir zusammen, doch sofort schoss ich wieder empor. Dies gab mir die Gelegenheit, den Untergang des Kraken zu beobachten.

Lautlos sank der Körper des schon beinahe toten Monsters in die Untiefen des Sees hinab, während der letzte funktionierende Tentakel meinen Einsatzkoffer wie ein Fanal seines letzten Triumphes empor hielt, bis auch er im Wasser verschwand.

Ich atmete tief durch und schwamm dem Ufer entgegen, an dem Hans Olo bereits auf mich wartete.

Er lächelte mich etwas verlegen an. Ich dagegen torkelte vor lauter Schwindel ziellos umher.

Auf eine Zigarre verzichtete ich lieber, sonst hätte ich die Currywurst ein zweites Mal schmecken dürfen.

Copyright © 2009 by Raphael Marques