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Der Galgenvogel

Antonia Hodgson
Der Galgenvogel
Originaltitel: The Last Confession of Thomas Hawkins
Hodder & Stoughton, London, 2015

History, Hardcover, Knaur, München, November 2016, 464 Seiten, 19,99 Euro, ISBN: 9783426653463, aus dem Englischen von Katharina Volk und Sonja Rebernik-Heidegger, Covergestaltung: ZERO Werbeagentur München, Coverabbildung: Arcangel Images/Mark Owen

Antonia Hodgsons Roman Das Teufelsloch (Originaltitel: The devil in the Marshalsea) habe ich im Jahr 2014 regelrecht verschlungen. Im gleichen Jahr erhielt Sie für ihr Erstlingswerk den CWA Historical Dagger in der Kategorie »Best First Novel«. In ihrem zweiten Roman setzt die Autorin die Abenteuer des Tom Hawkins fort, und ich konstatiere, dass sie im Vergleich zum ersten noch einige Schippen mehr drauflegen konnte.

Wir schreiben das Jahr 1727, und Tom Hawkins, welcher volle drei Monate im berüchtigten Londoner Gefängnis Marshalsea inhaftiert war, lebt mit seiner Gefährtin Kitty Sparks in Covent Garden. Drei Monate nach seiner Entlassung wird er des brutalen Mords für schuldig befunden und auf einem Karren zum Tyburn Tree gezogen, um gehängt zu werden, während die Menge seinen Namen verspottet.

Was in aller Welt ist für ihn schiefgegangen, dass ihn an den Galgen bringt? Und warum nimmt Hawkins an, dass niemand anderes als die Königin von England ihn in letzter Minute begnadigen kann? Das ist der Beginn eines spannungsgeladenen neuen Abenteuers von Tom Hawkins, Sohn eines Norfolker Vikars, der beschlossen hat, nach der Universität nicht der Kirche beizutreten. Er lebt in einem Haus, in welchem Pornografie betrieben wird, verbringt in Bars mit Trinken und Spielen seine Freizeit.

Im Nachbarhaus wohnt Joseph Burden, ein Riese von Mann, der stets das sündhafte Leben von Tom und Kitty anprangert und sie bekehrt, wieder anständige Menschen zu werden. Er ist ein Mitglied der Organisation mit dem Namen The Society For The Reformation of Manners, die vor vielen Jahren gegründet wurde, um die Stadt von Huren, Dieben und Sodomiten zu säubern. Zusammen mit John Gonson, ein städtischer Amtsrichter und führendes Mitglied der Gesellschaft, übt Burdon einen großen Einfluss darauf, entsprechende Untersuchungen durchführen und Bordelle schließen zu lassen. Darüber streitet sich Tom mit seinem Nachbarn so manches Mal sehr heftig.

Tom Hawkins sieht sich auf dem Weg zum Tyborn Tree, der offenbar mehr als zwei Stunden dauern kann, hinter seinem noch leeren Sarg. Der Verlauf der Story versetzt den Leser in die Lage, diejenigen Umstände zu rekapitulieren, welche zu Hawkins missliches Dilemma führten.
Wie in Das Teufelsloch versteht es Antonia Hodgson famos, einerseits die Farbenvielfalt, die Gerüche und das Elend von Londons Rotlicht- und Elendsvierteln, andererseits den Glanz und den Duft der Salons und Wohnzimmer der Reichen beim Lesen hervorzurufen. Man taucht in Kaffeehäuser, in zwielichtige Geschäfte, in Druckereien oder auch in Polizeikerker und Gefängnisse ein. Man findet hier alle Vertreter der Londoner Bevölkerung, von den Barfüßigen in den stinkenden Gassen bis hin zu denen, die der Krone am nächsten stehen, wo Korruption sowohl am königlichen Hof als auch in den Straßen auf der Tagesordnung steht. Die Story ist fantastisch gezeichnet, die Erzählkunst mit einem starken, authentisch wirkenden Gefühl, sich wahrhaftig im London zu Beginn des 18. Jahrhunderts fremd und exotisch und doch vertraut mit Ortsnamen und Sehenswürdigkeiten, die heute noch existieren, leicht angehaucht.
Der Galgenvogel hat einen großartigen Plot und übertrifft, so meine ich, seinen Vorgänger Das Teufelsloch um einiges. Jetzt, wo wir Tom Hawkins besser kennenlernen durften, ist der Fokus nicht mehr vordergründig auf ihn gerichtet, sondern eher auf das fabelhafte Konstrukt an Lügen, Geheimnissen, Mord und Sünde.

Als ich das erste Buch von Antonia Hodgson Das Teufelsloch durch hatte, schrieb ich, dass es der beste historische Roman sei, den ich bisher gelesen habe. Doch mit Der Galgenvogel hat sich die Autorin um Längen gesteigert. Die Tiefe der Recherche, die detaillierte Schilderung des Lebens jener Zeit sind wirklich bemerkenswert und eine Klasse für sich. Antonia Hodgson ist in der Tat eine ausgezeichnete Schriftstellerin und wird, so sagt mir mein Gefühl, in Zukunft in der Literaturlandschaft an Bedeutung zunehmen.

Fazit:
Der Galgenvogel ist flott, furios, gut recherchiert sowie historisch korrekt geschrieben. Antonia Hodgsons sehr gute Beschreibungen von Hofintrigen, Hahnenkämpfen, Bordellen, Exekutionen oder auch weiblichen Gladiatoren tragen dazu bei, ein wahres Feuerwerk an Gefühlen zu entfachen sowie ein farbenprächtiges Spektakulum, zu Beginn des 18. Jahrhunderts angesiedelt, im Kopf entstehen zu lassen. Das zweite Werk der Autorin ist Lesespaß pur!

(wb)