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Das Steppenross – Kapitel 17 – Teil 2

Das-SteppenrossEduard Wagner
Das Steppenross
Eine Erzählung aus dem Jahr 1865 zu den Zeiten des amerikanisch-mexikanischen Krieges, nach dem Englischen des Kapitän Mayne Reid

Kapitel 17 Teil 2
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Garey und ich stellten uns zu beiden Seiten des Weges auf, indem wir die aufgewickelten Lassos bereit hielten. Der Trapper verstand sich auf den Gebrauch dieser seltsamen Waffe, und ich war ebenfalls einigermaßen in ihrer Anwendung erfahren. Die Bäume hinderten uns ein wenig, aber um gehörig springen zu können, beabsichtigten wir, aus dem Gehölz hervorzubrechen und den Reiter zu fesseln.

Rube war mit der Büchse in der Hand hinter Garey geduckt, und die Jäger hielten sich ebenfalls in Bereitschaft für den Fall, dass unsere beiden Lassos und Rubes Büchse ihr Ziel verfehlen sollten.

Den Indianer durften wir weder seinen Weg verfolgen noch zurückkehren lassen, denn in beiden Fällen würde er uns verraten haben. Kam er an unserem Aufenthaltsort vorüber, so musste er unsere Spur unter den tausend anderen augenblicklich entdeckt haben und würde auf einem anderen Weg zurückgekehrt sein. Entrann er uns und galoppierte zurück, so war es noch viel schlimmer. Da er mithin weder vorwärts noch rückwärts durfte, so mussten wir ihn gefangen nehmen oder töten.

Ich wünschte das Erstere, denn ich war frei von jedem Rachegefühl, und ich würde ihn nach Belieben haben seines Weges reiten lassen, wäre seine Gefangennahme nicht für unsere Sicherheit notwendig gewesen.

Einige meiner Kameraden hatten ganz andere Gründe. Einen Comanchen zu töten, war nach ihrer Meinung kein größeres Verbrechen, als ob man einen Wolf, einen Panther oder einen grauen Bären erlegte. Auch der Trapper hatte die übrigen nicht etwa aus Barmherzigkeit vom Schießen zurückgehalten, sondern nur aus Furcht, dass der Knall der Flinte gehört werden könnte.

Während der Wilde herankam, konnte ich ihn durch das Laub genauer betrachten. Er war ein schöner Bursche und wahrscheinlich einer der vornehmsten Krieger seines Stammes. Von seinem Gesicht war nichts zu sehen, da es durch hässliche Malereien entstellt war. Aber sein Körper war groß, seine Brust breit und gewölbt, seine Glieder ebenmäßig und bis zu den Fußspitzen schön gestaltet. Er saß zu Pferde wie ein Zentaur. Ich hatte keine Gelegenheit, ihn lange zu beobachten, denn er kam schnell auf uns zu galoppiert.

Ich sprengte aus dem Gehölz heraus, schwang das Lasso um den Kopf, schleuderte es nach dem Wilden und sah, wie die Schlinge über seine Schultern und bis auf die Hüften herabfiel.

Ich spornte mein Ross nach der entgegengesetzten Seite und merkte an dem scharfen Ruck und dem angespannten Seil, dass ich das Opfer gefasst hatte.

Als ich mich im Sattel umwandte und zurückblickte, sah ich, wie Garey mit seinem Lasso den Hals des Steppenrosses und des Indianers umschlungen hatte und festhielt. So waren also Ross und Reiter in unserer Gewalt.

Der Wilde ergab sich nicht, ohne Widerstand zu leisten, denn dies ist bei einem Indianer ebenso wohl Naturtrieb wie bei einem wilden Tier. Er warf sich vom Pferd, zog sein Messer und durchschnitt die fesselnden Riemen mit einem Ruck. Er wäre im nächsten Augenblick in das Gebüsch entsprungen. Aber ehe er sich von der Stelle rühren konnte, war er von einem halben Dutzend kräftiger Arme umschlungen und wurde, obgleich er mit seinem langen spanischen Messer wild um sich stieß, zu Boden gerissen und festgehalten.

Meine Gefährten wollten in aller Kürze mit ihm verfahren, und manche Hand griff nach der Klinge, um ihn den letzten Stoß zu geben. Aber ich mischte mich ein. Ich wollte sein Blut nicht vergießen. Ich befahl und bat, sein Leben zu schonen.

Damit er uns jedoch nicht weiter lästig werde, banden wir ihn in solcher Weise an einen Baum, dass jede Flucht unmöglich war.

Der Hinterwäldler Stanfield gab an, wie wir ihn fesseln sollten. Dies war eine einfache und sichere Art. Es wurde ein Baum ausgewählt, der so stark war, dass der Wilde den ganzen Stamm mit den Armen umspannte und seine Finger kaum zusammentrafen. Mit den Riemen von ungegerbtem Leder, die wir fest um die Handgelenke knüpften, wurden die Arme hierauf zusammengebunden, dasselbe geschah mit seinen Knöcheln. Wir machten die Enden der Riemen so fest, dass er sich nicht um den Baum drehen und dadurch seine Fesseln zerreißen oder zerreiben konnte. Die Fesseln waren so vollkommen, dass selbst der geschickteste Indianer sich nicht davon hätte befreien können.

In dieser Weise wollten wir ihn zurücklassen. Es geschah dies in der Voraussetzung, dass wir ihn befreien könnten, wenn wir auf dem Weg zurückkehrten. In diesem Augenblick bedachte ich nicht, welche Grausamkeit wir begingen. Wir hatten freilich Barmherzigkeit geübt, indem wir das Leben des Indianers schonten, und ich war zu sehr durch andere Gedanken in Unruhe versetzt, als dass ich weiter hätte über diese Sache nachdenken können. Zur Vorsicht hatten wir ihn von der Fährte entfernt angebunden, denn es war möglich, dass andere seiner Bande kämen, ihn entdeckten und unseren Plan verhinderten. Er war in der Tiefe des Waldes ein Gefangener, und selbst wenn jemand die Fährte verfolgte, hätte er seinen Ruf nicht hören können.

Wir wollten ihn nicht ganz allein lassen, sondern ihm ein Pferd zur Gesellschaft geben, aber nicht sein eigenes, denn einer von den Jägern hatte Lust zum Tausch bekommen. Stanfield, der ein schlechtes Pferd hatte, schlug dieses Tauschgeschäft vor, er band seinen müden Gaul an einen Baum und entführte das scheckige Steppenross mit der heiteren Erklärung, er sei mit dem Indianer quitt. Eben wollten wir den Ort verlassen, als mir ein glücklicher Gedanke einfiel. Es wurde mir klar, dass ich ebenfalls mit unserem Gefangenen ein vorteilhaftes Geschäft abschließen konnte, nicht etwa einen Pferdetausch, sondern einen Austausch der Personen.

Dieser Gedanke war glücklich und versprach einen guten Erfolg. Wie erwähnt, hatte ich den Plan zur Befreiung meiner Verlobten während der Nacht entworfen und diesen Plan unterwegs zur größeren Reife gebracht.

Der jüngste Vorfall erweckte eine Menge neuer Gedanken in mir, und von allen verhieß einer, mir zur Ausführung meines Zweckes dienlich zu sein. Jetzt betrachtete ich die Gefangennahme des Wilden als einen glücklichen Umstand, während dies mich am Anfang beunruhigt hatte. Ich schöpfte neue Hoffnungen.

Zur Ausführung des einfachen von mir entworfenen Planes gehörte mehr Mut als List. Die gefährliche Lage, in welcher wir uns befanden, hatte indessen meinen Mut genügend erhöht. Ich wollte das Indianerlager heimlich und unter dem Schutz der Nacht betreten, die Gefangene aufsuchen, ihre Fesseln lösen und eine Flucht versuchen.

Befand ich mich erst im Lager und in ihrer Nähe, so ließ sich dies alles mit einem einzigen Schlag ausführen. Der Erfolg war weder unmöglich noch unwahrscheinlich, und es fiel mir kein anderer Plan ein, der einen sichereren Erfolg versprochen hätte.

Es wäre eine Torheit gewesen, mit der geringen Zahl meiner Gefährten die Indianer zu überfallen und gegen ihre Übermacht anzukämpfen. Wir hätten nicht nur unterliegen müssen, sondern auch jede Hoffnung, die Gefangene frei zu machen, wäre vereitelt worden.

Waren die Wilden erst einmal aufgeschreckt und gewarnt worden, so blieb jede weitere Annäherung unmöglich, und Isolina war auf immer verloren.

Auch meine Begleiter waren der Meinung, dass ein solches Unternehmen unvorsichtig wäre. Dies sagten sie nicht aus Furcht, denn ich wusste, dass sie Mann für Mann bereit waren, alles zu wagen und auf meinen Befehl mit der Büchse in der Hand in das feindliche Lager einzubrechen. Selbst der Kanadier, der nicht für sehr tapfer gehalten wurde, hätte nicht gezaudert.

Es fiel uns ja doch nicht ein, ein solches törichtes Verfahren einzuschlagen. Als ich meinen Gefährten daher auf dem Halteplatz meinen Plan mitteilte, wurde er von allen gebilligt. Mehrere erboten sich, mich zu begleiten, sich mit mir in das Lager der Wilden zu wagen und alle Gefahr mit mir zu teilen. Ich fühlte mich jedoch aus verschiedenen Gründen bewogen, allein zu gehen, denn es war mir klar, dass die Gefahr verdoppelt wurde, wenn mich auch nur einer begleitete. Es bedurfte hier nur der List und vor allem der Schnelligkeit; Stärke war weniger nötig. Freilich erwartete ich nicht, die Gefangene unbemerkt und nicht verfolgt fortzuschaffen. Diese Hoffnung wäre töricht gewesen. Isolina wurde jedenfalls gut bewacht; nicht allein von den Hütern sondern auch von den beiden Männern, welche sich um sie stritten.

Ich erwartete also im Gegenteil eine hastige und schnelle Verfolgung, vielleicht einen Kampf. Aber ich vertraute auf meine Schnelligkeit und wusste, dass ich keine hilflose Bürde fortzuschaffen hatte, sondern dass Isolina Mut und Gewandtheit besaß.

Ich konnte auch hoffen, Isolinas Verfolger zurückzuhalten, während ich selber davoneilte. Ich vertraute auf meinen Dolch und meine Revolver, die ich mitnehmen wollte, und auf meine gute Sache. Mein Herz war voll Hoffnung.

Andere Vorsichtsmaßregeln, welche ich beabsichtigte, waren Folgende: Es sollten so nahe wie möglich Pferde in Bereitschaft stehen, und auch mehrere mit der Büchse bewaffnete Männer sollten sich in der Nähe aufhalten, für den Fall, dass ein Kampf oder eine Flucht nötig sei.

Zu solchem Unternehmen, welches Gelingen oder den Tod zur Folge haben musste, war ich entschlossen. Wenn es missglückte, so lag mir nichts am Leben.

Ich ging indessen nicht unbesonnen ans Werk. Je mehr ich aber über den Plan nachdachte, desto größer wurde meine Hoffnung auf Erfolg. Die größte Schwierigkeit bestand darin, in das Lager zu gelangen. War ich erst dort zwischen den Lagerfeuern und Zelten, so konnte ich mich beinahe für sicher halten, denn ich wusste aus Erfahrung, da ich schon öfter ein Lager der Steppenindianer besucht hatte, dass man mitten unter ihnen und selbst beim Schein der lodernden Feuer viel schwerer entdeckt wird, als wenn man versucht, bei ihnen einzudringen. Vermutlich hatten sie vorgeschobene Posten, hinter diesen die Pferdewächter und dann die Pferde selbst. Letztere sind aber ebenso zu fürchten wie die Menschen. Ein Indianerpferd ist eine gefährliche Schildwache. Es hasst die Weißen ebenso wie sein Herr und lässt keinen an sich herankommen. Während der menschliche Wächter zuweilen nachlässig ist, sogar auf seinem Posten schläft, bleibt das Steppenross immer aufmerksam. Sobald es einen Weißen wittert oder eine Gestalt heranschleichen sieht, fängt es an zu schnauben und zu wiehern und bringt in wenigen Minuten ein ganzes Lager in Aufregung. Auf diese Weise ist durch das Schnauben eines wachsamen Pferdes schon mancher sorgsam entworfene Plan vereitelt worden.

Größere Befürchtung war zu hegen, wenn Hunde in dem Indianerlager vorhanden waren. Diese klugen Tiere hätten mich selbst im Lager ungeachtet einer Verkleidung als Feind erkannt.

Der Indianerhund unterscheidet sogleich durch den Geruch einen Weißen von einem Roten und hegt einen wirklichen Widerwillen gegen den sächsischen Stamm. Ein Wanderer, der selbst in Friedenszeiten ein Indianerlager betritt, kann kaum gegen die mörderische Meute geschützt werden.

Ich wusste aber, dass keine Hunde vorhanden waren, denn wir hatten keine Spuren von ihnen angetroffen. Auf Kriegspfaden oder auf einem Zug zu einer großen Unternehmung lassen die Indianer die Hunde zu Hause. Dies ist ihre Gewohnheit, welche mir jetzt sehr zu statten kam.

Mein Vorhaben war, verkleidet dorthin zu gehen. Es wäre wahnsinnig gewesen, mich in meiner Uniform dort sehen zu lassen, denn selbst in der dunkelsten Nacht musste ich mich doch dem Schein des Feuers nähern, wenn ich die Gefangene aufsuchte.

Ich beabsichtigte daher, die Kleidung der Indianer nachzuahmen, und hatte schon seit einiger Zeit darüber nachgedacht, wie sich dies tun lasse. Der Besitz des Büffelfells kam mir sehr zu statten. Es fehlten aber noch viele andere Sachen, um meinen Anzug vollständig zu machen. Die Gamaschen und Wildschuhe, der Federschmuck um den Kopf und den Hals, das lange, straffe Haar, die braune Farbe für Arme und Brust, die Bemalung des Gesichtes mit Kreide, Kohle und Zinnober – woher sollte ich dies alles nehmen?

In dem Augenblick, als wir den Wilden gefangen nahmen, war mir dies nicht gleich eingefallen. Aber eben, als wir im Begriff standen, uns von ihm zu trennen, geriet ich auf den glücklichen Einfall, dass er mich mit allem Nötigen versehen konnte.

Ich stieg ab und betrachtete ihn genau von Kopf bis zu den Füßen. Mit Entzücken beschaute ich seine hirschledernen Gamaschen, seine mit Perlen gestickten Wildschuhe, die breite Halskette mit Schweinszähnen, die rotgefärbten Adlerfedern und den weiten Mantel aus Jaguarfell, der von seinem Rücken herabfiel. Jetzt vertauschte ich Letzteren schnell mit dem Büffelfell. Ich warf meine Stiefel weg und steckte meine Beine in die mit Skalpe besetzten Gamaschen und in die ledernen Hosen und meine Füße in die Wildschuhe des Comanchen. Alles passte glücklicherweise ganz genau. Dennoch fehlte mir noch viel, mich zum Indianer zu machen.