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Des Teufels Depressionen

Des Teufels Depressionen

Vorsichtig öffne ich die Türe, nur einen Spaltbreit, und luge hinaus. Rechts und links von mir nur Leere. Niemand da, was mich natürlich nicht verwundert, denn schließlich ist es frühmorgens, aber Vorsicht ist besser … na ja, ihr wisst schon. Ich schleiche mich also hinaus, der weite Morgenmantel weht sacht im Takt meiner Zeitlupenschritte um meine dicht behaarten Beine. Die weißen, ehemals weißen, nun eher grauen Sportsocken dämpfen meine Schritte, lassen mich jedoch gefährlich über den PVC-Boden rutschen. Ich fluche, rein gedanklich, grapsche nach der Zeitung, welche fein säuberlich zusammengerollt und von einem Gummiband gehalten vor der Türe meines Nachbars liegt. Ich habe keine Ahnung, wer er oder sie ist, aber ab und an klaue ich die Zeitung. Rasch blicke ich mich nach allen Seiten um, keiner da, alles in Ordnung und mit mehr oder weniger Elan husche ich zurück in meine Wohnung.

Ja, ja, ich weiß, Stehlen ist eine Sünde. So etwas tut man nicht. Aber, ehrlich gesagt – und wir können ja ehrlich miteinander reden, nicht wahr? – interessiert es mich nicht mal ein kleines bisschen, was andere von mir denken. Hey, erst vor drei Monaten wurde ich gefeuert. Jahrelang habe ich Tag für Tag hart gearbeitet und dann, plötzlich, bekomme ich einen Brief und was steht da? Tut uns leid … bla bla bla … wir müssen uns von Ihnen trennen … bla bla bla … leider, leider … Etatkürzungen, Wirtschaftskrise … – so schnell kann es gehen! Haben Sie schon mal Arbeitslosengeld bekommen? Das reicht ja hinten und vorne nicht. Meine schöne, große Wohnung musste ich aufgeben und bin also in dieses winzige Loch gezogen. Meine Freundin hat sich von mir getrennt. Verstehen Sie jetzt, warum ich mir ab und an mal eine Zeitung klaue? Leisten kann ich mir ja keine. Ich sage das nicht, weil ich jetzt Mitleid erwarte, nein, lediglich, damit Sie mein Leben etwas kennenlernen.

 

Ich werfe die Zeitung also auf den Wohnzimmertisch, der Mittelpunkt meiner Wohnung. Die zerschlissene Zweisitzercouch dient mir auch als Bett, und abgesehen davon steht nur noch eine kleine Küchenzeile in diesem Raum. Meine Kleidung habe ich auf den Boden gelegt, in Stapeln, die ich nach Farbe sortiert habe. Ordnung muss sein. Außerdem trage ich schon seit Wochen den Jogginganzug und den Morgenmantel darüber. Auf dem Fensterbrett reihen sich meine neuen Freunde aneinander. Jack, Jim und wie sie alle heißen. Ich würde nicht sagen, dass ich ein Alkoholproblem habe, nein, wenn ich trinke, vergeht der Tag einfach schneller.

Ich mache also mein Frühstück, etwas Brot, darauf eine Scheibe Wurst und dazu einen riesigen Becher Kaffee, mit Schuss natürlich. Der Fernseher läuft Tag und Nacht, meist habe ich keine Ahnung, worum es geht, aber ich mag die leise Geräuschkulisse und das Flimmern, welches meine Wohnung wenigstens ein wenig erhellt. Natürlich habe ich normales Licht, aber es ist grell und unangenehm und, seien wir ehrlich, ich will mein Spiegelbild nicht sehen. Mein Bart juckt ein wenig, wahrscheinlich von den Brotkrümeln, die sich in dem dunklen Haaren verfangen haben.

Ich zünde mir eine Zigarette an und starre auf den Bildschirm, wo zwei halb nackte Damen sich in Öl wälzen und sich an den Haaren ziehen. Grinsend lehne ich mich an mein Kissen, schlürfe meinen Kaffee, der wärmt angenehm und nehme noch einen tiefen Zug. Draußen ist es noch dunkel, der Horizont beginnt ganz langsam sich in ein zärtliches, helles Blau zu verwandeln.

 

Plötzlich höre ich ein lautes Räuspern.

»Mist!«, brülle ich, schleudere die Tasse zur Seite, wo sie an der Wand zerspringt und ihren Inhalt über mein Kleidungsstapel vergießt. Die Zigarette kippt mir aus dem offenstehenden Mund und fällt in meinen Schoß. Ich fluche wie ein Droschkenkutscher, fische den glühenden Stängel hervor und werfe ihn in den übervollen Aschenbecher.

Eine dunkle Gestalt steht im Schatten, am Eck, genau hinter dem Fernseher. Nur ein Umriss ist zu sehen.

»Hey! Wer sind Sie? Wie sind Sie hier reingekommen?«

Ich nehme das Erstbeste, die Zeitung und halte sie drohend wie einen Prügel.

»Ich bin bewaffnet«, sage ich, aber es klingt nicht einmal annähernd so drohend, wie ich gehofft hatte. Ein leises Seufzen erklingt.

»Du willst mich mit einer Zeitung erschlagen?«, fragt der Umriss und klingt deutlich amüsiert.

Ich lasse die Zeitung fallen und setze mich wieder. Gut, da hatte er recht, war eine ziemlich dumme Idee.

»Hast du dich beruhigt?«

Ich nicke, murre etwas und, da ich ohnehin neugierig bin, mache ich eine Handbewegung. Die Gestalt folgt ihr und tritt ins flirrende Licht des Fernsehers.

»Scheiße!«, brülle ich und falle rückwärts vom Sofa. Wie ich also so am Boden liege, denke ich mir, dass ich unbedingt mit dem Trinken aufhören sollte. Langsam krabble ich wieder zurück und er steht noch immer da. Ich reibe mir die Augen, nein, er verschwindet nicht. Er steht nur ruhig da und grinst mich an.

»Na? Hast du dich wieder beruhigt? Ich weiß, ich weiß, der erste Moment ist immer der Schlimmste. Der Schock, die Panik. Du hältst dich aber ziemlich gut, bis jetzt.«

Mit offenem Mund starre ich ihn an. Er deutet auf die Couch, ich nicke und er setzt sich. Dann klopft er auf den Platz neben sich und sagt: »Komm schon. Ich beiße nicht.«

Ich setze mich also ans äußerste Ende und beobachte ihn aus den Augenwinkeln. Mist, ich brauche doch etwas zu trinken. Ich grapsche nach der Flasche Billigfusel unter der Couch und nehme einen tiefen Zug. Ja, das tut gut. Erneut zünde ich mir eine an, mit furchtbar zittrigen Händen.

»Du bist …«, beginne ich, aber ich kann es nicht aussprechen. Das darf doch alles nicht wahr sein!

»Sag es ruhig. Ist ja kein Geheimnis«, entgegnet er und grinst.

Ich sage nichts, und er greift nach der Flasche und nimmt einen Schluck. Er schüttelt sich und verzieht angewidert das Gesicht. Seine kleinen Hörnchen an der Stirn wackeln sogar.

»Starkes Zeug!« Er hustet und ich muss lachen.

»Nicht gewohnt, was? Nimm noch einen, der Erste ist immer am Schlimmsten. Danach wird’s besser.«

Er nimmt also noch einen und noch einen und grinst.

»Du hast recht. Es wird immer besser. Na ja, man bietet mir nicht oft was an, du verstehst?«

Ja, ich verstand sehr gut. Ich wandte mich zu ihm und rutschte ein Stück näher.

»Au! Verflucht! Pass doch auf! Mein Schwanz, der ist sensibel.«

Ich gucke recht blöd, wie er seinen langen Schwanz zur Seite schiebt. Der ist übrigens ganz fein mit Schuppen besetzt und wippt hin und her, wenn er geht. Ich entschuldige mich und gucke immer noch blöd.

»Du fragst dich sicher, was ich hier will, nicht wahr?«

»Jo!«

Er grinst und nimmt noch einen Schluck. Die Flasche bekomme ich heute wohl nicht mehr. Dafür qualme ich eine nach der anderen, das beruhigt auch ein wenig. Eigentlich wollte ich ja wissen, wie er hier reingekommen ist, aber das hat sich mittlerweile erübrigt.

 

Er sieht sich also in der Wohnung um und plötzlich fängt er an zu schluchzen.

»Och, es ist einfach perfekt. Perfekt!«, jammert er und ich schaue weiterhin dämlich.

»Hä?«, frage ich. Wird eine ziemlich einseitige Konversation, wenn ich weiterhin nur so einsilbige Wörter in den Raum werfe.

Er wedelt mit den roten Händen vor seinem Gesicht, will wohl die Tränen trocknen. Ich bin ehrlich erstaunt.

»Okay, ich habe mich wieder im Griff. Entschuldige, ich bin etwas sensibel, zurzeit.«

Ist klar, denke ich und zünde gleich zwei Zigaretten an. Zigarren, ich hätte Zigarren kaufen sollen.

»Also, pass auf. Ich habe dich einige Zeit beobachtet und festgestellt, dass du eine total arme Sau bist. Also, das meine ich nicht so negativ, wie es klingt. Ach, egal.«

Er zuckt mit den monströsen, muskulösen, dunkelroten Schultern und die kleinen Schuppen darauf vibrierten. Ich wartete gespannt und hatte Mühe, an meine beiden Zigaretten zu ziehen. Das war ein Albtraum, ich war mir sicher, aber interessant war es trotzdem. Mal sehen, wie es weiterging.

»Wie auch immer, du kennst mich ja, wer nicht? Jeder kennt mich, aber alle haben ein falsches Bild von mir. Ich bin immer der Böse, der Widersacher, das Übel, du weißt schon.« Ich nicke doof und schiele zu meinem Freund Jack. Ein guter Freund, den könnte ich jetzt brauchen, aber ich bleibe sitzen und höre weiter zu. Er jammert noch etwas über seinen schlechten Ruf und dann kommt es: »Na ja, weißt du, wie schwer es ist, wenn man mit jemandem reden will und alle nur kreischen davonlaufen oder anfangen zu beten oder sonstigen Unsinn? Also dachte ich mir: Such dir jemandem, der einfach genauso ein bescheidenes Leben hat wie du und da bin ich.«

»Aha«, sage ich. »Das heißt, im Klartext, der Teufel sitzt bei mir im Wohnzimmer, trinkt Fusel, übrigens ist die Flasche schon halb leer, weil die Welt ihn hasst und ist deshalb deprimiert. Und jetzt willst du also mit mir reden, weil ich genauso deprimiert bin wie du. So ungefähr?«

Er nickt, grinst, steht auf, schwankt etwas, geht zum Fenster und schnappt sich meinen Freund Jack. Ich seufze und starre sehnsüchtig die kupferfarbene Flüssigkeit darin an. Er nickt.

»Du hast es erfasst, mein Lieber. Was sagst du?«

»Dass ich doch einen Schluck brauche und viel, viel mehr Schlaf. Vielleicht noch einen guten Psychiater, aber ich denke, ich fange mit dem Schluck an.«

 

Ich will nach der Flasche greifen, aber er kippt sie auf einmal hinunter. Er rülpst kräftig und grinst. Inzwischen lallt er ganz schön.

»Gutes Zeug hast du.« Sein roter Schuppenschwanz zittert unkontrolliert umher, genauso wie sein Besitzer. »Also, pass auf. Es soll ja nicht dein Schaden sein. Nur etwas reden und so und sonst, wie wäre es, wenn ich dein Leben etwas verlängern würde? Oder wir machen einen 5-Jahres-Vertrag und danach überhäufe ich dich mit Gold?«

»Moment, Moment – und was ist mit meiner Seele?«

Er verdreht die Augen, erhebt sich, nach dem dritten Versuch und torkelt zum Fenster, greift, nach dem zweiten Versuch, meinen Freund Jim, räumt die anderen, leeren Flaschen ab, welche über den Boden rollen. Wenigstens bleiben sie heil. Er öffnet das Fenster und brüllt: »Diese ver … ver … dummen Klischees!«

Hastig zünde ich mir noch eine an. Der Teufel dreht sich zu mir, kratzt sich seinen Sack bzw. seinen braunen Lendenschurz, ja, da habe ich auch zweimal gucken müssen, und lehnt sich an das Fensterbrett.

»Ich will deine Seele nicht, was soll ich mit dem Ding? Weißt du wie viele da unten herumlaufen, mit denen ich nichts anfangen kann? Die brauchen soviel Platz, das glaubst du nicht …«

Nein, ich glaub es nicht. Ich muss einfach einen Albtraum haben. Er kippt weiter und weiter den Fusel und starrt mich an.

»Also, was sagst du? Mach hin, ich hab noch andere Termine.«

»Öh – und was ist, wenn ich nicht will?«, frage ich vorsichtig.

Er lacht lauthals, klammert sich ans Fenster und guckt hinaus. Atmet tief die Morgenluft ein, seltsamerweise ist es immer noch dunkel.

»So läuft das nicht. Ich will, dass du mit mir redest. Da gibt es kein Nein. Sonst nehme ich mir deine Seele.«

»Hä? Ich dachte diese Seelen nerven dich und du hast keinen Platz.«

»Stimmt ja, aber es ist einfach ein gutes Druckmittel. Und ohne Seele keine Erlösung. Also auch kein Himmel, kein Gloria, bla bla bla – du weißt schon.«

Ich nicke. Verzwickte Situation. Ich habe überhaupt keine Lust, den Seelsorger für den Satan zu spielen. Was tun?

Ich lächle, zünde eine zweite Zigarette an, gehe zu ihm und reiche sie rüber.

»Lass uns unseren Vertrag besiegeln, nimm einen Zug, einen tiefen. Ist guter Tabak.«

Ich klopfe ihm auf die Schulter, verdammt, ist die heiß!

Er nimmt einen Zug, so tief wie möglich. Natürlich ist es sein Erster. Er hustet und seine Gesichtsfarbe ändert sich von Rot zu einem leichten, schwammigen Grün.

»Beugt dich nach vorne und hole tief Luft, das hilft«, sage ich fürsorglich, und als er sich nach draußen beugt, verpasse ich ihm einen kräftigen Rempler und sehe seinem roten Körper nach, der nach unten segelt, auf dem Pflaster aufkommt und dann zu zäher Flüssigkeit verläuft. Wow, ich bin begeistert.

 

Okay, das ist jetzt schon einige Monate her, inzwischen habe ich wieder Arbeit, Teilzeit, und seither habe ich nie wieder etwas von dem Teufel gehört, aber heute Morgen lag eine Flasche Jack vor meiner Tür und eine Einladung. Ich fand es auch nett, zunächst, aber dann – die Einladung begann zu brennen, nachdem ich sie geöffnet hatte und ein grässliches, kreischendes Lachen ertönte, das von ganz tief unten kam, da bin ich mir sicher. Seither sitze ich wieder auf der Couch, rauche, trinke und warte …

Seit ich Arbeit hatte, war ich zwar trocken, aber ich denke, man kann es nachvollziehen, wenn ich wieder angefangen habe. Wusstet ihr, dass er sich bei mir Termine geben lässt? Oder besser gesagt: Er schickt mir Einladungen, witzig nicht? Der Teufel lädt sich selber sein. Oh ja, schon spät …

Ich muss noch einkaufen. Er mag es nicht, wenn kein Alkohol mehr da ist, denn mittlerweile verträgt er einiges und übrigens, mein Fenster ist verschwunden.

(sk)