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Der Flüchtling

Padua, 1976

Durch Zufall findet der 19-jährige Massimo Carlotto die Studentin Margherita Magello, die in ihrer Wohnung mit 59 Messerstichen ermordet wurde. Er verständigt umgehend die Carabinieri, die ihn sofort verhaften, in dem Verdacht, dass er der Mörder sei. Damit beginnt für den jungen Mann ein Martyrium von beispielloser Grausamkeit, das ihn physisch und psychisch an seine Grenzen führt. Im Jahr 1978, nach über einem Jahr der Ermittlungen, wird Massimo schließlich freigesprochen, nur um bei der Revision des Oberlandesgerichts doch noch zu 18 Jahren Zuchthaus verurteilt zu werden. Massimo Carlotto flieht nach Paris und von dort weiter nach Mexico City, wo er schließlich an die dortigen Behörden verraten und ausgeliefert wird. Massimo Carlotto lernt als Flüchtling unter Seinesgleichen zu überleben, doch sein Leben im Gefängnis und auf der Flucht hat Spuren auf Körper und Seele hinterlassen.

Massimo Carlotto gilt als einer der besten Kriminalschriftsteller Italiens, doch Berühmtheit erlangte er schon viel früher, als Der Fall Carlotto (Caso Carlotto), der beispiellos in der italienischen Justizgeschichte ist. Ironischerweise wurde dadurch der Grundstein für seine Karriere als Schriftsteller gelegt, denn es ist dieser Roman, seine Geschichte, die Carlotto als erste niederschrieb und veröffentlichte. Womit ich nicht in Abrede stellen möchte, dass er auch ohne diese leidvolle Erfahrung zu einem bemerkenswerten Schriftsteller geworden wäre. Aber vermutlich hätte er dann andere Texte verfasst. Der Flüchtling ist auch die erste Taschenbuchveröffentlichung von Carlotto im Heyne Verlag, die nicht unter dem Label Heyne Hardcore erschienen ist, obwohl der Roman wohl Carlottos härtester sein dürfte, zumindest unter dem persönlichen Aspekt des Schriftstellers betrachtet. Der Flüchtling ist gerade mal 180 Seiten lang und besitzt nicht unbedingt eine klassische Dramaturgie. Der eigentliche Fall, wegen dem Carlotto verurteilt wird, wird lediglich in Nebensätzen erwähnt und über das Verhältnis von Carlotto zu der ermordeten Studentin erfährt der Leser überhaupt nichts. Vielmehr geht es dem Autor um die plastische Beschreibung seines Lebens als Häftling und als Flüchtling. Dabei geht er nur bei wenigen Episoden, die ihn nachhaltig beeinflusst haben, ins Detail. Er erwähnt, wie er unter verschiedenen Identitäten in Paris und Mexico City als Heimatloser überlebt hat, immer auf dem Sprung und immer mit der Angst im Nacken entdeckt, verhaftet und ausgeliefert zu werden. Ein Martyrium, das man seinem ärgsten Widersacher nicht wünscht, und zu Recht eine öffentliche Debatte über Justizirrtümer auslöste. Trotz der unkonventionellen, chronologischen Berichterstattung ist Carlottos minimalistischer Stil deutlich erkennbar und gestaltet die Lektüre durchaus kurzweilig, wenn auch erschütternd. Eine dem Roman angeschlossene »Chronik der Ereignisse« gibt dem Leser eine kurze und bündige Übersicht über den »Fall Carlotto«, von seiner Verhaftung im Jahr 1976 bis zu seinem endgültigen Freispruch im Jahr 1993.

In der Taschenbuchausgabe von Arrivederci amore, ciao findet man auf der Innenseite des Umschlags ein Porträt von Massimo Carlotto. Leider wurde in diesem Band darauf verzichtet. Auch das Cover ist lediglich eine allgemeine und nichtssagende optische Untermauerung des Titels. Schriftsatz, Übersetzung und Lektorat des Taschenbuchs sind indes von sehr hoher Güte.

Fazit:
Vom Überleben als unschuldig verurteilter Mörder im Gefängnis und im Exil. Die ebenso wahre wie tragische Geschichte von Massimo Carlotto – schnörkellos und stringent zu Papier gebracht. Eine kurze aber eindrucksvolle Darstellung des Irrsinns der irdischen Gerichtsbarkeit.

Copyright © 2013 by Florian Hilleberg

 

Massimo Carlotto
Der Flüchtling
Il Fuggiasco, Italien 1994
Heyne, München
Dezember 2012
Taschenbuch, Thriller
184 Seiten, 8,99 Euro
ISBN: 9783453436381
Aus dem Italienischen von
Hinrich Schmidt-Henkel
Titelgestaltung: Nele Schütz Design,
München

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