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Westernkurier 02/2013

Auf ein Wort, Stranger,
war der Wilde Westen wirklich überall so wild, wie Hollywood ihn darstellt? Waren die Saloons nicht mehr als Spelunken, wo der Whisky in Strömen floss? Wo sich Gunfighter, Cowboys und Banditen Saufgelagen hingaben? Wo endet die Wirklichkeit und wo beginnt die Fantasie? Fundstücke von Ausgrabungen in Virginia City, Nevada, rücken manches in ein anderes Licht. Sie zeigen, dass die Welt in Saloons durchaus glamourös und luxuriös war.

Virginia City liegt in der trockenen Reno-Tahoe Region Nevadas auf 1896 Meter Seehöhe. In den späten 1850igern stießen Pat McLaughlin und Peter O’Reilly in diesem Gebiet auf eine Goldader. Einen Teil des ertragreichen Claims beanspruchte der Goldsucher Henry Comstock. Man sagte ihm nach, er sei zu faul, um Brot zu backen, daher der Spitzname Pancake. Dass die Comstock Lodge nach ihm benannt wurde, schrieb man seiner Prahlerei zu. Die entstehende Stadt benannte der Goldsucher James Finney – Old Virginny nach sich selbst. Aus Virginny Town wurde später Virginia City. Im Gegensatz zu Finney, der seinen Claimanteil für wenige Dollar verkaufte, veräußerte Comstock seinen Teil um mehrere Tausende von Dollar. Beide starben verarmt.

Hunderte Prospektoren bevölkerten die Umgebung, um ihr Glück zu suchen. An die 20.000 Claims entstanden und am Höhepunkt lebten ungefähr 30.000 Menschen rund um Virginia City, Gold Hill und Silver City. 1863 wurden in Virginia City Gold und Silber um elf Millionen Dollar abgebaut. Abraham Lincoln erhob Nevada 1864 zum Bundesstaat, um die Erlöse aus den Gold- und Silberfunden für den Krieg zu nutzen.

In der Comstock Mine wurde rund um die Uhr gearbeitet. Ein Arbeiter erhielt vier Dollar für einen Achtstundentag. Die Tunnel wurden im Inneren des Berges immer breiter und auch gefährlicher. Der Deutsche Philip Deidesheimer entwickelte ein spezielles Stützsystem, das später weltweit im Bergbau eingesetzt wurde. Die Comstock Lodge war weltweit die erste, die mit Dynamit experimentierte. Vorher wurden Sprengungen mit Schwarzpulver durchgeführt. Um die Tunnel besser belüften zu können, entwickelte Adolph Sutro ein System, das 1878 fertiggestellt wurde, als die größten Goldadern bereits versiegten.

Die Legende, dass Julias Palace eine Zeit lang das bekannteste Bordell der Stadt war, begann nach der Ermordung von Julia Bulette. Julia war ein Grib Girl, das heißt, sie arbeitete selbstständig und bewohnte ein kleines Haus, wahrscheinlich eher eine Hütte, in dem sie ihre Kunden empfing. Sie unterstützte die städtische Feuerwehr mit Geld- und Sachspenden, bei Einsätzen bediente sie den Spritzenwagen. Während des Sezessionskrieges beteiligte sie sich an Sammelaktionen für die Union. Sie fand eine gewisse Anerkennung in Virginia City und feierte ihren bedeutendsten Triumpf, als ihr am Independence Day 1861 in aller Öffentlichkeit die Ehrenmitgliedschaft der Feuerwehr verliehen wurde. Am 20. Januar 1867 fand man sie erwürgt auf. Ihre Beerdigung am nächsten Tag war ihr letzter Trumpf. Betriebe und Saloons hielten ihr zu Ehren geschlossen, Hunderte Menschen säumten den Weg des Leichenzugs mit 16 Kutschen, der von Feuerwehrmännern und der städtischen Blasmusik angeführt wurde. Es kam zu Protesten der weiblichen Bevölkerung. Als Sünderin blieb Julia Bulette eine Grabstelle in geweihter Erde verwehrt. Sie wurde im näheren Umfeld des Flowery-Hill-Friedhofs beerdigt. Ein einziges nachweisbares Foto existiert von Julia Bulette. Alle anderen angeblichen Fotos sind Bilder anderer Frauen.
Ihr Mörder, John Millain, in dessen Besitz sich persönliche Gegenstände von Julia befanden, wurde ein Jahr später verhaftet. Seine Hinrichtung am Galgen am 24. April 1868 war eine der größten Veranstaltungen dieser Zeit in Nevada, bei der unzählige Schaulustige zugegen waren.

Eine weitere Berühmtheit war Samuel Clemens, der sich kurz als Goldgräber versuchte. Unter dem Pseudonym Mark Twain schrieb er für den Territorial Enterprise über Tagesgeschehen mit der berühmten journalistischen Freiheit, wenn es mal weniger Neuigkeiten gab. Angeblich freute er sich, wenn es bei Schießereien Tote gab, da dies die Anzahl der Zeitungsverkäufe steigerte. Der Konkurrenzkampf unter den Journalisten des Territorial Enterprise war groß. Dan DeQuille notierte, dass sein Kollege Twain ein sehr enges Verhältnis zu dem schwarzen Saloonbesitzer Brown hätte. Ob an der Geschichte etwas Wahres dran ist, dass Twain einen gestohlenen Mantel und Stiefel an Brown für eine Flasche Whisky verkaufte, dessen ihn seine Freunde beschuldigten, wissen nur die Beteiligten selbst.

Neun Friedhöfe entstanden während der Boomjahre für die verschiedenen Religionsgruppen. Die Virginia & Truckee Railroad verband die umliegenden Städte. Je mehr Gold und Silber gefunden wurde, desto größer und luxuriöser wurde die Stadt aufgebaut. Kunstvoll gebaute Ziegelhäuser, ganze Häuserreihen, Pensionen, Apotheken, Metzgereien, Geschäfte, Schneider, Hotels, Restaurants, Bordelle, 100 Saloons, Theater, Kirchen, Feuerwehr, Blasmusikkapelle und das Piper Opera House machten aus der einstigen Goldgräbersiedlung eine Boomtown. Menschen aus aller Welt und allen Nationalitäten drängten sich zwischen Fuhrwagen, Postkutschen, Pferden und sogar Kamelen auf den staubigen Straßen.

Kelly Dixon, Professorin für Anthropologie an der Universität Montana, führte zwischen 1993 und 2001 Ausgrabungen an vier verschiedenen Stellen in Virginia City durch. Aufzeichnungen, Zeitungsberichte, Katastereintragungen, historische Fotografien und Fundstücke ergeben ein eindrucksvolles Bild, wie Virginia City in jenen Tagen ausgesehen hatte. Ein Feuer brannte 1875 einen Großteil der Stadt nieder. Die Gebäude wurden auf den verbrannten Fragmenten wieder errichtet, wie verkohlte Fundstücke zeigen.

Saloons waren mehr als nur Spelunken, in denen Whisky durch durstige Kehlen rann. In Virginia City gab es Saloons für jeden Geldbeutel und jedes Vergnügen. Bestanden die ersten aus einem Zelt und grob gezimmerten Tischen, wurden sie später aufwendiger und kostspieliger gebaut, aus Stein, Ziegel und Holz kombiniert, mit hohen Torbögen und Fenstern. Ganz anders, als wir die Etablissements aus Hollywood Filmen kennen, wo Gunfighter durch halbhohe Schwingtüren eintreten. Ganz abgesehen davon, dass diese Türen in Gebieten, wo es bei Minusgraden stürmt und schneit, gänzlich unrealistisch sind. Die Eingangstür repräsentierte nicht nur das Etablissement, sondern auch den Besitzer. Je luxuriöser die Einrichtung, desto aufwendiger wurden Türen und Fenster gebaut. Die Konkurrenz war groß, da galt es, den Kunden etwas zu bieten. Spieltische, Piano, Glasleuchter, riesige Spiegel hinter der Theke und Frauen, die die Gäste unterhielten, waren nicht genug. Die Besitzer inserierten in der Zeitung, dass es in ihren Etablissements die besten Liköre, Brandys und Zigarren gab. Die Piper’s Old Corner Bar warb mit einer Liste exquisiter Produkte wie Old Bourbon, Napoleon Cabinet, Champagner und Otard und Dupuy Brandys. In vielen Saloons wurde Essen serviert.

Der O’Brien and Castello’s Saloon war zweistöckig. Im Erdgeschoß befand sich der Saloon, die beiden Stockwerke dienten als Pension und eventuell als Unterkunft für Prostituierte. Auf der Nordseite im Erdgeschoss, wo sich der Schießstand befand, gab es keine Fenster.

Die jetzigen Besitzer des Bucket of Blood Saloon stimmten Ausgrabungen auf ihrem Grundstück zu. Katastereintragungen zufolge befand sich hinter dem heutigen Gebäude einst der Boston Saloon. Das Besondere daran war, dass der Besitzer William Brown, der den Saloon 1864 eröffnete, afroamerikanischer Herkunft war. In manchen Teilen der USA gab es zu dieser Zeit noch die Sklaverei. Laut historischen Unterlagen verkaufte Brown sein Lokal vor dem großen Brand 1875.
Der Asphalt auf dem Parkplatz wurde abgetragen und darunter erschienen die ersten Fundstücke. Hinter dem Boston Saloon befand sich ein Müllverbrennungsplatz, wie Analysen der verbrannten Knochen und anderen Rückständen zeigten. Mehrere Tonscherben, die in der Gasse neben dem Saloon verstreut lagen, wurden im Labor mit verschiedenen Techniken untersucht. Als ein Mitarbeiter dachte, Blut daran zu finden, war die Aufregung groß und es wurden sogleich verschiedene Thesen erstellt. Genaue Untersuchungen dementierten etwaige Blutspuren. Die Tonkrüge wurden zur Lebensmittelaufbewahrung verwendet. Aus einem Glasscherbenhaufen fügte das Team die älteste Tabascoflasche der Welt zusammen, sowie Worcester-Shiresoße- und Pfeffersoßenflaschen. Im Boston Saloon wurde scharf gegessen.
Interessant war der Fund eines Pfeifenstückes, an dessen Tonstiel sich Zahnabdrücke befanden. DNA-Spuren, die nach 125 Jahren auf dem Fragment noch immer vorhanden waren, ergaben, dass eine Frau die Pfeife geraucht hatte. Forensische Untersuchungen konnten die ethnische Gruppe nicht hundertprozentig zuordnen, doch die DNA ist eher afrikanischer als europäischer Abstammung. Das heißt aber auch, dass Saloons nicht nur dem männlichen Geschlecht vorbehalten waren. Ob die anwesenden Frauen der Prostitution nachgingen oder die Gäste nur unterhielten, wissen wir nicht. Es wird wohl beides richtig sein. In einem erstklassigen Saloon wurde weibliche Gesellschaft erwartet.

Der deutsche Einwanderer John Piper baute 1861 ein kleines Holzhaus und eröffnete einen Saloon, Piper’s Old Corner Bar. Zwei Jahre später baute er ein feuerfestes Gebäude. Das Piper‘s Opera House ist ebenfalls auf ihn zurückzuführen. Während des Booms traten zahlreiche Stars aus dem ganzen Land und aus Europa auf. Wahre Schätze wurden unter dem Opera gefunden. Fensterglass, das durch die große Hitze schmolz und seine glatte Form veränderte, Goldmünzen, verschiedene Glas- und Tonflaschen, Kleiderknöpfe aus Glas und ein Wasserfilter, mit dem man verunreinigtes Wasser als Trinkwasser aufbereitete und viele Gegenstände des alltäglichen Lebens gehörten zu den Fundstücken.

Im Hibernia Brewery Saloon wurden Fragmente von gelb/braunem Linoleum gefunden, das dem Saloon einst ein edleres Ambiente bot als die einfachen Holzfußböden. Eisenrohre und Leitungen lassen darauf schließen, dass im Piper’s, Boston und in den angrenzenden Saloons nicht nur Kerosinlampen, sondern auch Gaslichtlaternen verwendet wurden. Die Wände wurden mit Gipsfiguren und Stuckaturen sowie Tapeten verziert. An einigen Stellen fand man bis zu fünf verschiedene Tapetenschichten, die im Laufe der Jahre übereinander geklebt wurden. Die Designs beinhalteten geometrische Muster mit goldfarbenen Highlights sowie großen Blumendekoren. Die Piper’s Old Corner Bar verzierten extravagante Messingsterne. Sensationell waren die Funde von zerschlagen Glaswänden, die rund um Überbleibsel von Korallen, Muscheln und Krabbenklauen verstreut lagen. Obwohl der Beweis fehlt, ist es wahrscheinlich, dass es sich hier um ein Aquarium handelte, als Attraktion für die Gäste. In einem Artikel von 1873 einer Carson City Zeitung wurde von Aquarien berichtet, die man in San Francisco bestaunen konnte. Eine Sensation in jenen Tagen.

Virginia City war in ihren Boomjahren eine Stadt, in der der man Luxus genoss, sofern man es sich leisten konnte. Nicht nur unzählige Scherben von Ton- und Glaskrügen, Jamaika Ginger, italienischen Magenbitter, Sodawasserflaschen, Mineralwasserflaschen aus Nassau, Flaschen von verschiedenen Brandy- und Whiskysorten beweisen das. Das Essensangebot war umfangreich, umfasste alle Arten von Wild- und Haustieren, Geflügel und Fisch, wie gefundene Knochen zeigen. Die Funde lassen darauf schließen, dass der Boston Saloon und die Piper’s Old Corner Bar das umfangreichste und teuerste Speisenangebot hatten, während der Hibernia Brewery durchschnittliche Speisen anbot. Der gehobene Gast besuchte die beiden erst erwähnten Lokale, um Champagner und Austern zu genießen.

Seit 1961 ist Virginia City denkmalgeschützt. Viele Gebäude sind restauriert, doch die Stadt gilt als gefährdet. Durch unterirdische Minen kam es zu geologischen Verwerfungen, durch die manche Gebäude einsturzgefährdet sind. Einige Häuser sind in Privatbesitz und werden von den Eigentümern kaum oder gar nicht gepflegt.

So long Fellows
Eure Montana

Quellen:

Copyright © 2013 by Montana

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