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Fleischwölfe – Der Roman zum Film & Noirvelle

Fleischwölfe – Der Roman zum Film
Eine durch Inzucht degenerierte Familie widmet sich mit Inbrunst dem Verzehr von Menschenfleisch, nachdem sie die Rinderzucht aufgeben mussten. Als schließlich alles herausgekommen und die Familie inhaftiert worden ist, wird ein Film über ihre Gräueltaten gedreht, in dem die Mitglieder der Familie, ihre Opfer und andere Beteiligte zu Wort kommen.

Noirvelle
Erzählt werden die Lebensgeschichten zweier Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Sonja Katzenhof ist als Nacktmodell der personifizierte feuchte Traum vieler Männer. Um sich ihren Status als Sexsymbol zu sichern, muss Sonja immer mehr von ihrer Würde und ihrer Individualität ablegen und sich regelrecht prostituieren, bis sie eines Tages einfach verschwindet. Jetzt sieht die biedere Hausfrau Susanne ihre einzigartige Chance für gekommen. Denn um der brutalen Willkür ihres Ehemannes Paul und seinen ständigen Erniedrigungen zu entfliehen, sieht Susanne nur einen Ausweg: Sie muss selbst zu Sonja Katzenhof werden.

Guido Rohm, selbst ernannter Literatur-Terrorist und Ausnahmeschriftsteller, hat mit diesen beiden Werken, vereint in einem einzigen Buch, ein kleines Meisterwerk geschaffen, das in keinem Bücherschrank fehlen sollte. Es sei denn, man schätzt keine gesellschaftskritischen Texte und mag auch nicht gerne über den literarischen Tellerrand blicken. Das wäre allerdings äußerst bedauerlich, denn jenseits der Auslagen dominierender Buchdiscounter und einschlägiger Bestsellerlisten gibt es eine Literatur-Landschaft, die zu entdecken es sich lohnt. Ein leuchtendes Beispiel dafür ist Guido Rohms vorliegendes Buch, erschienen im österreichischen Evolver-Verlag. Allerdings sind beide Texte, die zusammengenommen nur knapp 200 Seiten Umfang haben, keine leichte Kost. Allein Rohms Stil ist alternativ und erfrischend, und sowohl Fleischwölfe als auch Noirvelle sind die besten Beweise dafür, dass aussagekräftige Geschichten nicht Hunderte Seiten lang sein müssen. Fleischwölfe ist der Roman zu einem fiktiven Film, dessen Grundlage frappant an gewisse Splatterfilme wie The Texas Chainsaw Massacre erinnert. Rohm zeigt auf sehr subtile und eindrucksvolle Weise, dass man sich dem Thema weitaus innovativer nähern kann, als auf die plakativ-brutale Art wie es in vielen Büchern und Filmen immer wieder geschieht. In lautmalerischen Monologen berichten Vater und Sohn der Kannibalenfamilie von ihren Taten, Polizisten von der Tatortbesichtigung und tote Opfer von ihren prä- und postmortalen Martyrien. Auch Helfershelfer und Pfleger der psychiatrischen Einrichtung kommen zu Wort. Herausgekommen ist eine beißende Mediensatire, in der am Ende alle Beteiligten zu Tätern und Opfern gleichermaßen werden. Bis auf den Welpen natürlich. Doch im Fokus des Autors liegt weniger die kannibalisch veranlagte Familie, sondern vielmehr die Ausschlachtung der Geschichte als grenzüberschreitender Film, dessen Produzenten vor nichts und niemandem haltmachen. Kein Opfer bleibt ungeschoren, kein Täter unbefragt; zumindest wenn es nach ihnen geht. Hauptsache jedes schmutzige Detail wird in einem Akt blutiger Pornografie ans Licht gezerrt. Eine Vorgehensweise, die man tagtäglich in den Medien beobachten kann. Doch kein Angebot ohne Nachfrage, und so bekommt natürlich auch das willige Publikum sein Fett weg. Nach der Lektüre des großartigen Vorwortes von Georg Seeßlen in vier Versuchen kommt man an dem Genuss von Fleischwölfe garantiert nicht mehr vorbei.

In der Noirvelle werden zwei Opfer des Molochs Mann beschrieben, die ihr Dilemma zwar irgendwann begreifen, sich jedoch außerstande sehen etwas dagegen zu unternehmen. Stattdessen ziehen sie die Flucht in das Nichts vor, verschwinden einfach von der Bildfläche des gesellschaftlichen Lebens, geschluckt von Anonymität, Desinteresse und Austauschbarkeit. Was bleibt von einer Sonja Katzenhof, wenn sie nicht mehr im Brennpunkt des Interesses steht, fragt sich der Leser. Wie verhält sie sich, wenn die Brüste schlaff werden und sich die Erkenntnis einen Weg bahnt, dass sie ihr Leben lang lediglich das unerreichbare Objekt libidinöser Fantasien triebgesteuerter Männer war. Wer wird sie auffangen in ihrer oberflächlichen, von Geld und Macht dominierten Welt, in der das Interesse der Männer mit schwindender Attraktivität schmilzt wie Schnee in der Sonne und Geschlechtsgenossinnen sie entweder mit Verachtung strafen oder bestenfalls eine Rivalin in ihr sehen? Und doch scheint ein solches Leben, solange es im Zenit der öffentlichen Aufmerksamkeit steht, erstrebenswert zu sein. Zumindest für Frauen wie Susanne, die in einer alltäglichen, banalen Hölle gefangen sind. Auch wenn dies alles sehr pathetisch klingen mag, so hat es der Autor in seiner Noirvelle gezielt auf den Punkt gebracht und wirft einen schonungslosen Blick hinter die bröckelnde Fassade. Was bleibt ist die Erkenntnis, dass selbst im Zeitalter der Emanzipation und Gleichberechtigung Frauen immer noch zu Opfern gemacht werden. Obwohl man das Buch binnen kurzer Zeit, an einem Nachmittag lesen kann, so ist seine Wirkung sehr viel nachhaltiger.

Evolver Books präsentiert sein erstes Double-Feature als sogenanntes »Ace Double«, also zwei Bücher in einem Band, mit zwei Titelillustrationen, geschaffen von Hanspeter Ludwig. Schriftsatz, Papierqualität und Lektorat sind von herausragender Güte und ihr Geld ebenso wert wie der Inhalt.

Fazit:
Genial! Prägnant und zielsicher ist Guido Rohms zweifache Gesellschaftskritik, verpackt in zwei Kurzromane, vereint in einem einzigen Band. Das erste Doppel des Evolver-Verlags ist keine schlichte Feierabendlektüre, sondern ein Text, der trotz seiner Kürze zum Nachdenken anregt und dessen Klang noch lange im Leser nachhallt.

Copyright © 2013 by Florian Hilleberg

 

Guido Rohm
Fleischwölfe
Der Roman zum Film / Noirvelle
Evolver Books, Wien
September 2012
Taschenbuch, Thriller
200 Seiten, 14,00 €
ISBN: 9783950255874
Titelillustration von
Hanspeter Ludwig
www.evolver-books.at
guidorohm.wordpress.com/