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Nick Carter – Band 18 – Ein Dynamitattentat – Kapitel 11

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Ein Dynamitattentat
Ein Detektivroman
Kapitel 11

Hilfe zur rechten Zeit

Inzwischen hatte der berühmte Detektiv in seinem Verließ lange und äußerst leise geschlafen. Selbst das Fallen einer Stecknadel hätte ihn sofort geweckt.

Schließlich wurde er durch Schritte, die von der Treppe kamen, geweckt. Als er die Augen öffnete, erblickte er Lichtschein.

Ein Mann mit einer Kerze in der Hand öffnete die Tür, hielt sie offen und ließ zwei Männer mit einem großen Koffer an sich vorbeigehen.

Unmittelbar hinter diesen kam Cecile Gerard.

Als sie sich in der Mitte des Raumes befand, wurde die Tür geschlossen. Die beiden Männer setzten den Koffer ab, näherten sich Nick und halfen ihm auf. Sie entfernten das Taschentuch von seinen Lippen und traten dann zurück.

Cecile hatte unterdessen die Kerze in die Hand genommen, war dicht an den Detektiv herangetreten und hatte ihm ins Gesicht geleuchtet.

»Haben Sie sich meinen Vorschlag mittlerweile überlegt, Mr. Carter?«, begann sie.

»Dazu kam ich nicht, denn ich schlief bis jetzt!«, erklärte Nick trocken.

Er bemerkte, wie ein fürchterlicher, teuflischer Ausdruck in ihr Gesicht trat und die Kerze in ihrer Hand vor Erregung zu zittern begann.

»Glauben Sie mir also nicht?«, zischte sie. »Haben Sie vergessen, dass Sie sich in meiner Gewalt befinden?«

»Nichts habe ich vergessen – nicht einmal im Schlaf!«, entgegnete Nick Carter kaltblütig. »Sind Sie hierhergekommen, um mich auf die Probe zu stellen? Bitte, beeilen Sie sich. Ich kann Ihnen kostbare Zeit sparen, indem ich Ihnen sage, dass ich meiner früheren Wahl treu bleibe!«

»Sie wissen nicht, was Sie sagen! Blicken Sie dorthin!«

Nick versuchte, sich in die angedeutete Richtung umzuschauen.

Doch er konnte den Kopf nicht so weit drehen. Die Männer mussten ihn herumdrehen, während Cecile mit der Kerze leuchtete.

Der Detektiv erblickte eine Winde, die von einem Seil umschlungen war. Dieses schien von einer darüber befestigten Haspel zu kommen und sich dann in der Dunkelheit zu verlieren.

»Zeigt ihm den Mechanismus!«, befahl der schöne Dämon.

Einer der Männer legte ein Holzscheit unterhalb der Winde auf den Zementboden und rückte an einem Hebel.

Die Haspel schnurrte mit großem Getöse ab und ein mächtiger Eisenblock fiel aus der Höhe auf das Holzscheit, das dabei zerschmettert wurde.

»Windet das Gewicht wieder hoch!«, befahl Cecile Gerard.

»Das sieht ungefähr wie ein Rammblock aus – oder wie eine Art roh zugerichteter Eisenhammer«, bemerkte der Detektiv gleichgültig.

»Für Sie ist es schlimmer als eine Guillotine!«, zischte das Weib.

»Das dachte ich mir – damit kann man einen Menschenkörper zu Brei zerquetschen!«, sagte Nick gelassen. »Handelt es sich um Ihre eigene Erfindung?«

Sie wendete ihm den Rücken zu und schaute den Männern zu, die angestrengt an der Winde arbeiteten und den schweren Eisenblock wieder langsam hochzogen.

Als sie damit fertig waren, deutete Cecile schweigend auf den Riesenkoffer. Er wurde direkt auf den Platz gestellt, wo kurz zuvor das Holzscheit zermalmt worden war.

Die Männer öffneten den Deckel.

Dann packten sie Nick, als hätten sie diese Verrichtung schon häufig ausgeführt, und zwängten ihn in den geräumigen Koffer.

Dem Detektiv war das schreckliche Vorhaben der Frau völlig klar. Wurde der Hebel erneut betätigt, fiel das schwere Eisenstück herunter und zerstampfte seinen Körper zu Brei. Sein Tod trat augenblicklich ein. Die Männer schlossen den innen und außen eisenbeschlagenen Koffer, durch den kein Blut durchsickern konnte, und brachten ihn aus dem Haus – vermutlich, um ihn im Michigansee zu versenken.

»Ich will mein Wort bis zuletzt halten, Mr. Carter!«, zischte die Furie zwischen den geschlossenen Zähnen hervor. »Ich gebe Ihnen fünf weitere Minuten Bedenkzeit. Entscheiden Sie sich bis dahin nicht für eine Zusammenarbeit mit mir, erteile ich den Befehl zu Ihrer Hinrichtung!«

»Was hülfe es Ihnen, gäbe ich mein Wort mit dem Vorsatz, es hinterher zu brechen!«, rief der Detektiv bitter.

»Nein, das tut ein Nick Carter nicht!«, entgegnete sie schroff. »Ihr Schicksal ist binnen fünf Minuten entschieden.

Sie wandte sich zur Tür, begleitet von einem der Männer, der nun die Kerze trug. Unter der Tür blieb sie stehen und blickte zu den beiden zurück.

»Ihr kennt meine Befehle!«, sagte sie kurz und verließ mit ihrem Begleiter den Raum.

In der Sekunde darauf waren die Schritte der sich Entfernenden oben auf der Treppe verhallt.

Sekundenlang herrschte Grabesstille.

»Ich hoffe, es bleibt dabei!«, sagte dann einer der Männer knurrig.

»Ich auch, denn vor einem toten Nick Carter braucht man keine Angst mehr zu haben!«, äußerte sein Kumpan.

Seine Stimme war noch nicht verhallt, als ein merkwürdiger Lärm im Zimmer begann.

Nick Carter versuchte angestrengt, sich über die Vorgänge zu vergewissern.

Er konnte nichts sehen, doch was er hörte, klang, als fände in seiner Nähe ein kurzer, verzweifelter, fast lautloser Kampf statt.

Er hörte nur ein krampfhaftes Röcheln und Ächzen – und dann war wieder alles still.

Nick Carter roch ein aufdringlich starkes, süßliches Parfüm, das ihn an Chloroform erinnerte.

Dann spürte er eine Hand auf seiner Schulter, und eine ihm bekannte Stimme, die wie Himmelstöne auf ihn wirkte, drang in schwachem Flüsterton zu seinen Ohren: »Nick, Nick!«

»Du … du … Chick?«, stammelte der Detektiv fassungslos.

Doch es war keine Zeit für Fragen, egal, wie das Unglaubliche möglich geworden war. Es war nur Zeit für blitzschnelles Handeln!

»Aus dem Koffer! Die Maschine muss zur rechten Zeit funktionieren!«, wisperte Chick.

Mit starken Armen hob er den geliebten Meister aus dem Koffer und legte ihn behutsam auf den Boden.

Dann zog er seine elektrische Laterne hervor, öffnete mit einem bereitgehaltenen Schlüssel die Fesseln und befreite den Detektiv.

Einen Augenblick später war Nick Carter frei.

»Soll ich meine Kleidung wechseln?«, fragte er Chick, denn er wusste, dass diesmal er den Befehl erteilen musste.

Dieser nickte nur hastig.

Sie wagten nicht, das Licht zu gebrauchen, denn es könnte irgendwo ein Spion verborgen sein, der sie sonst beobachten könnte.

Im Dunkeln kroch Nick Carter zu dem Mann, den sein Gehilfe überwältigt und mit Chloroform betäubt hatte. Er begann, seine Kleidung mit der des Mannes zu tauschen.

Wie der aufmerksame Leser bereits erraten hat, war der andere Gefährte des am Boden liegenden Schurken niemand anderes als Chick selbst.

Es war ein waghalsiges Unternehmen, denn der Bursche konnte jederzeit aus seiner Betäubung erwachen oder zumindest stöhnen.

Als Nick Carter endlich mit dem Umkleiden fertig war, verabreichten sie dem Betäubten eine weitere Dosis Chloroform.

Inzwischen hatte Chick den Koffer unter der tödlichen Höllenmaschine weggezogen.

Sie waren noch damit beschäftigt, als zu ihren Ohren der scharfe, aber nicht laute Klang einer Glocke drang.

»Stopfe den Burschen in den Koffer und schminke dir seine Fratze an!«, befahl Chick und drängte zur Eile.

»Es ist das Signal!«

Vorsichtig hielt Nick Carter die elektrische Laterne über das Gesicht des Bewusstlosen. So schnell hatte er sich in seinem ganzen Leben noch nie ein anderes Gesicht geschminkt!

Chick begab sich derweil zur Winde und rief mit lauter Stimme: »Nick Carter, es ist deine letzte Wahl! Entscheidest du dich für die gemeinsame Tat mit Cecile Gerard oder für den Tod?«

»Antworte!«, fügte Chick flüsternd hinzu.

»Ich wähle den Tod!«, rief der Detektiv dumpf.

»Willst du nicht mit Cecile Gerard leben?«, fragte Chick mit lauter Stimme. Leise setzte er hinzu: »Sag nein!«

»Nein!«, schrie Nick Carter, der gerade dabei war, letzte Hand an seine Maskerade zu legen.

»Dann stirb!«

Die Haspel wand sich rasselnd ab.

Nick Carter stieß einen markerschütternden Schrei aus, als befände er sich in Todesangst. Doch in derselben Sekunde brach er ab, als das schwere Eisengewicht krachend niederschlug.

Fast augenblicklich waren Schritte zu hören, die die Treppe hinunterkamen.

»Voran jetzt – nimm den Koffer mit!«, wisperte Chick.

»Vielleicht geht’s gut? Hast du auch deine beiden Revolver bei dir?«

»Gewiss!«, flüsterte der Detektiv zurück.

»Wenn es schiefgeht, schießen wir alle über den Haufen!«, entschied Chick mit eiserner Entschlossenheit.

Die Tür wurde geöffnet und in ihrem Rahmen erschien ein Mann mit einer Laterne, um ihnen den Weg zu leuchten.

Die beiden Detektive hatten den Koffer bereits aufgehoben, bevor die Tür geöffnet wurde, und trugen ihn nun durch diese über die Treppe in den darüber liegenden Korridor.

Dort brannte Gas, doch sie warteten geduldig, bis der Mann mit der Kerze nachkam und die Tür vor ihnen öffnete.

Sie führte in den Hauptkorridor des Hauses und die Vordertür war keine dreißig Fuß von ihnen entfernt.

Sie hatten den Koffer schon fast bis zur Vordertür getragen, als sich plötzlich die Tür vom Wohnzimmer öffnete.

Cecile Gerard erschien im Korridor und befahl ihnen, den Koffer abzusetzen.

Ihre Augen glühten unheimlich, und ihr Gesicht war totenbleich. Sie schien sich in einem unzurechnungsfähigen Zustand zu befinden.

»Hat es ihn wirklich getötet?«, brachte sie mit heiserer Stimme hervor. »Kann er nicht durch einen Zufall am Leben geblieben sein?«

»Soll ich den Koffer öffnen?«, fragte Chick mit rauer Stimme und legte die Hand auf den Deckelgriff.

Das junge Weib zitterte wie Espenlaub. Sie streckte abwehrend die Hände aus, schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück.

»Nein!«, stieß sie tonlos hervor. »Er muss entsetzlich aussehen. Ich möchte ihm nicht ins Gesicht schauen müssen. Doch lass mich den Koffer hochheben!«

Ihre letzten Worte waren an Nick gerichtet, der gehorsam zur Seite trat.

Sie packte den Koffer an einem Seitengriff und versuchte, ihn hochzuheben, doch die Last war zu schwer für sie.

»Ich bin zufrieden«, sagte sie und holte tief Luft. »Dieser Mann wird meinen Weg nicht mehr kreuzen. Schaff den Koffer fort!«

Damit wandte sie sich um, kehrte in das Wohnzimmer zurück und warf die Tür hinter sich ins Schloss.

Der Mann mit der Kerze öffnete die beiden Türflügel.

Vorüber schritten die Detektive mit ihrer Last und trugen den Koffer die Freitreppe hinunter.

Neben dem Bürgersteig stand ein Planwagen, in den sie den Koffer schoben – mit ihrem Gefangenen darin.

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