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Eine Reise ins Jahr 2000 – Kapitel 2

William Wallace Cook
Eine Reise ins Jahr 2000

Kapitel 2

Dreißig Minuten Gnadenfrist

Eine heftige Hand schlug gegen die Paneele.

»Aufmachen«, rief eine autoritäre Stimme von draußen, »im Namen des Gesetzes!«

»Wer sind Sie?«, fragte der Doktor zögernd.

»Jasper Kinch, Detektiv. Everson Lumley ist da drin, und ich gehe nicht, bis ich ihn habe.«

»Wenn Sie Mr. Lumley dreißig Minuten Gnade gewähren«, sagte der Doktor, »werde ich die Tür öffnen.«

»Das Haus ist von vorn und hinten bewacht, es hat keinen Sinn zu fliehen.«

»Umso mehr Grund, uns die dreißig Minuten zu geben.«

Eine kurze Pause folgte, dann antwortete der Detektiv zu Lumleys Überraschung: »Einverstanden, aber wenn Sie diese Tür nicht in dreißig Minuten öffnen, werde ich sie aufbrechen.«

»Gewalt wird nicht nötig sein. Setzen Sie sich, Mr. Kinch, und machen Sie es sich bequem.«

Dr. Kelpie wandte sich von der Tür ab.

»Kinch ist nicht zu trauen«, sagte Lumley. »Er ist ein harter Mann, Doktor, und er ist gerissen.«

»Wir werden das Beste aus den dreißig Minuten machen, mein lieber Lumley.«

Der Doktor setzte sich, zog eine Uhr aus der Tasche und hielt sie in der Hand.

»Warum ist dieser Mann hinter Ihnen her?«, fuhr er fort.

»Ich soll in eine Bank eingebrochen sein und fünfzigtausend Dollar gestohlen haben. Auf meine Ergreifung ist eine Belohnung von zehntausend Dollar ausgesetzt, und Kinch ist hinter mir her.«

»Ich verstehe. Und Sie sind nicht in die Bank eingebrochen und haben das Geld genommen?«

»Ich fürchte doch, Doktor.«

»Ah!«

»Wenn Sie Kapitel zwei meines Buches gelesen haben, werden Sie verstehen, wie das unterbewusste Ich zu allem fähig sein kann, während das wahre Selbst so unschuldig ist wie ein neugeborenes Kind.«

»Das ist ein Gedanke, der seiner Zeit weit voraus ist!«, rief der Doktor und rieb sich die Hände. »Das verstehe ich natürlich, und ich habe schon lange darüber nachgedacht. Wie ist es dazu gekommen, Lumley?«

»Ich führte eine Reihe von Experimenten mit einem Mann durch, der vorgab, mein Freund zu sein – ein Kriminologe und Hypnotiseur namens Osborne. Osborne hypnotisierte mein bewusstes Ich und schickte mich unbewusst mitten in der Nacht mit Bohrmaschine und Brecheisen in die Bank.

»Wie ich in der Zeitung las, war der Einbruch erfolgreich, aber ich wurde von einem Wachmann gesehen, der verschiedene Hinweise hinterließ. Ich muss Osborne das Geld gegeben haben, denn als ich aus meiner Trance erwachte, war ich allein, und nicht nur das Geld in der Bank war weg, sondern auch meine Uhr, ein unbezahlbares Erbstück, und meine Taschen waren leer.«

»Armer Lumley«, seufzte der Doktor. »Ich fühle mit Ihnen, wirklich.«

»Seit dieser Stunde«, fuhr Lumley in bitterem Ton fort, »bin ich ständig damit beschäftigt, diesem Mann Kinch aus dem Weg zu gehen. Jetzt bin ich mittellos, verlassen und auf Gedeih und Verderb ihm ausgeliefert. Warum bin ich nicht gesprungen?«

Lumley vergrub das Gesicht in den Händen.

»Das Schicksal hat Sie für einen anderen Sprung bewahrt, Lumley«, sagte der Doktor, »einen Sprung durch die Zeit, der Sie in eine Zeit bringen wird, in der Ihre besondere Philosophie geschätzt wird. Sie fragen sich sicher, wie ich Sie in dieser kritischen Zeit am Pier des North River treffen konnte.«

»Ich wünschte, Sie würden es mir sagen«, erwiderte Lumley und blickte auf.

»Ich bin ein Kristallseher«, sagte der Doktor, »aber ich habe diese Kunst fast perfektioniert.«

»In dieser«, er legte eine Hand auf eine Glaskugel auf dem Tisch, »habe ich Tag für Tag und Woche für Woche Ihre Wanderungen gesehen, und darin habe ich auch die Gestalt von Kinch verfolgt. Heute Abend, als ich Sie beide auf dem Weg zum Fluss fand, erkannte ich, dass die Zeit gekommen war, in der Sie, wenn überhaupt, Hilfe brauchten. Also habe ich meine Pläne gemacht.«

»Das war sehr nett von Ihnen und ich bin Ihnen sehr dankbar.«

»Belassen wir es dabei, mein lieber Freund. Wir sind jetzt an einem wichtigen Punkt unseres Gesprächs angelangt. Sie kennen einige meiner Ansichten über Zeit und Raum, aber die wichtigste meiner Entdeckungen wurde nie veröffentlicht.«

»Warum nicht?«

»Ich habe es nicht gewagt. Lumley, für revolutionäre Denker wie uns hat dieses nüchterne Zeitalter nur Gefängnisse und Irrenanstalten übrig.«

»Das ist wahr«, erwiderte Lumley mit einem Seitenblick auf die Studientür.

»Aber Ihnen«, fuhr Dr. Kelpie fort, »kann ich mich als Seelenverwandter anvertrauen. Hier ist der Kern meiner Idee: Wir überwinden den Raum auf verschiedene Weise, durch Dampflokomotiven, Automobile und so weiter. Warum sollten wir nicht auch die Zeit überwinden können?«

»Warum nicht, in der Tat?«, fragte Lumley, wenn auch etwas verwirrt.

»Ich habe, mein Herr«, sagte der Doktor, sprang von seinem Stuhl auf und ging im Zimmer auf und ab, »nichts weniger als eine Zeitkutsche erfunden. Sie steigen ein, ich lege einen Hebel um und drücke einen Knopf, und in zwei Minuten reisen Sie mit Lichtgeschwindigkeit durch die Jahre. Stellen Sie sich das vor!«

»Erstaunlich!«, rief Lumley.

»Meine Kutsche ist ein Zeitkompressor, ein Zerstörer. Sie steigen ein im Jahr Neunzehnhundert, Sie steigen aus im Jahr Zweitausend, und Ihre Reise hat zehn Minuten normaler Zeit gedauert.«

»Wunderbar!«

»Sie wissen selbst, Lumley«, fuhr der Doktor fort, »dass die Zeit elastisch ist. Wie unendlich lang ist eine Stunde des Kummers, wie unendlich kurz ein entsprechender Augenblick des Vergnügens.«

»Ja«, sagte Lumley, »eine Minute mit Kinch dauert dreihundertsechzig Sekunden.

Dr. Kelpie trat an die Seite des Zimmers, zog einen seidigen Vorhang beiseite und öffnete eine Tür.

»Hier entlang, Lumley«, sagte er.

Lumley stand auf und folgte ihm in einen Raum, der auf drei Seiten von einem Tuch umgeben war. In der Mitte des Raumes stand ein …

Nun, es war die Zeitkutsche des Doktors. Sie glich einer Kutsche und nichts anderem auf der Welt.

In gewisser Weise ähnelte sie dem Fahrzeug, das ihrem Namen eine Bedeutung gab. Es gab eine Tür, durch die man einsteigen konnte, und ein Fenster in der Tür.

Räder gab es keine. Vier Erdkugeln – unheimliche, schimmernde Dinge – stützten das Gestell.

Ein silbernes Band, rund und viele Meter im Umfang, war drehbar am Boden des Wagens befestigt und umgab ihn vollständig. Dieses Band war mit den Tierkreiszeichen versehen.

»Sehen Sie«, rief der Doktor und winkte mit der Hand in Richtung der Maschine. »Sie steigen in die Kutsche, ich stelle diesen Schalter auf die Ziffern 2000«, er drückte auf eine kleine Stange an der Seite der Kutsche, »und dann drücke ich diesen Knopf.« Er deutete auf einen Druckknopf neben dem Schalter. »Und in einer Minute beginnen die Globen zu rotieren und der Äquatorkreis dreht sich. Die Jahre laufen rückwärts und, presto! Sie erreichen das Jahr Zweitausend und sind nur zehn Minuten älter als beim Start.«

Lumley stand verzaubert da. Er öffnete den Mund, um zu sprechen, aber die Worte kamen nicht. Der Doktor lächelte und fuhr fort: »Was genau dieses Wunderwerk bewirkt, behalte ich für mich, aber ich habe die Ehre, Lumley vorzuschlagen, dass Sie eine hundertjährige Reise in meiner Zeitkutsche unternehmen und Kinch in diesem langweiligen Jahr Neunzehnhundert zurücklassen.«

»Würden Sie mich begleiten, Herr Doktor?«, fragte Lumley.

Ein Schatten der Enttäuschung huschte über das Gesicht des Doktors.

»Geschäftliche Verpflichtungen binden mich an diese konventionellen Zeiten, Lumley, sonst würde mich nichts mehr erfreuen. Aber nichts hält Sie hier, im Gegenteil, alles drängt Sie nach vorn. Werden Sie gehen?«

»Sehr gern.«

»Das dachte ich mir. Es ist unwahrscheinlich, mein lieber Freund, dass Sie, nachdem Sie die Freuden der Zukunft genossen haben, in diese prosaischen Zeiten zurückkehren wollen.«

»Könnte ich zurückkehren, wenn ich wollte?«

»Gewiss. Die Zeitkutsche fährt vorwärts und rückwärts. Sie müssen nur den Zeiger auf das gewünschte Jahr stellen und auf den Knopf drücken. Den Rest erledigt die Maschine.«

»Ich verstehe.«

Der Doktor zog einen Packen Papiere aus der Tasche.

»Zum Wohle der Wissenschaft und als persönlichen Gefallen«, fuhr er fort, »möchte ich, dass Sie einige Fragen zu der Zeit, in die Sie reisen, untersuchen. Wenn Sie fertig sind, schreiben Sie Ihren Bericht, legen ihn in die Kutsche, stellen den Zeiger auf 1900 und schicken die Antworten zurück. Es ist wohl kaum möglich, dass Sie, wie ich schon sagte, persönlich zurückkehren wollen.«

Der Doktor sah auf die Uhr.

»Unsere Gnadenfrist ist fast abgelaufen. Es ist Zeit für Sie zu gehen, Lumley.«

Lumley ergriff die Hand des Doktors und drückte sie herzlich.

»Ich werde Ihre Güte nie vergessen«, sagte er gerührt. »Auf Wiedersehen, Doktor.«

»Auf Wiedersehen, Lumley. Ich bin sicher, Sie kommen an einen Ort, wo man Sie schätzt.«

Lumley antwortete, dass er das hoffe, öffnete die Tür und stieg in die Zeitkutsche.

Durch das Fenster beobachtete er, wie Dr. Kelpie eine Feder in der Wand des Gebäudes hinter ihnen berührte.

Sofort fielen das Zeltdach und die Seitenwände herunter und gaben den Blick frei auf die Sterne oben und die Lichter der Stadt unten. Über ihnen war nichts als das wolkenlose Himmelsgewölbe.

»Nun«, sagte der Doktor, der neben der Kutsche stand, »bevor ich Sie in die kommenden Jahre entlasse, gibt es noch etwas, was ich hier für Sie tun kann? Ein letztes Wort zu Verwandten …«

»Nein«, sagte Lumley entschieden.

»Oder an Freunde?«

»Ich habe keine Freunde«, murmelte Lumley, »außer Ihnen.«

Der Doktor schüttelte traurig den Kopf.

»Ihre Zukunft ist das Grab, Lumley«, fuhr er fort. »Wenn Sie die Zeitkutsche mit Ihrem schriftlichen Bericht zurückschicken, werde ich die Maschine zerstören – die Frucht von dreißig Jahren geduldiger Studien und Arbeit – und es wird unmöglich sein, eine neue zu bauen. Der Schleier der Zukunft wird sich hinter Ihnen schließen, mein Freund, und Sie werden wie tot verschwinden.«

»Genau so will ich es«, antwortete Lumley, nicht traurig, sondern mit einem triumphierenden Ton in der Stimme. »Alle sollen denken, ich sei vom Pier gesprungen.«

»Aber Kinch wusste, dass ich Sie hergebracht hatte. Es wird unmöglich sein, ihn zu täuschen.«

»Das stimmt«, rief Lumley plötzlich erschrocken. »Ich fürchte, Doktor Kelpie, ich bringe Sie in Schwierigkeiten.«

Der Doktor schnippte mit seinen schlanken Fingern.

»Wegen Kinch und all dem Ärger, den er mir machen kann! Ich habe versprochen, meine Studiotür für ihn zu öffnen, aber nicht, Sie vorzustellen. Können Sie sich nicht an eine letzte Nachricht erinnern, die Sie hinterlassen wollten, Lumley?«

»Wenn Ihr Kristallsehen Ihnen jemals ein Bild von Osborne, dem Kriminologen, zeigen sollte«, sagte Lumley plötzlich, »könnten Sie Kinch auf seine Spur bringen. Meine Rache wäre vollkommen, wenn ich diesen Bluthund des Gesetzes auf Osborne hetzen könnte!«

»Es lässt sich etwas tun«, murmelte der Doktor, »ich werde mein Möglichstes tun.«

»Diesem Detektiv so zu entkommen, gibt mir mehr Glück, als ich seit Langem gekannt habe! Aber«, und hier wurde Lumleys Selbstzufriedenheit plötzlich erschüttert, »sind Sie sicher, dass die Zeitkutsche nicht versagt oder ihre Arbeit nicht tut?«

»Mein Wort darauf, mein lieber Lumley. Schauen Sie! Ich drücke den Knopf so, und in zwei Minuten sind Sie auf dem Weg in die kommenden Jahre.«

Als der Knopf gedrückt wurde, sprang ein Mann über den Rand der Leinwand, die entlang des Geländers lag.

»Ich bin gesegnet, wenn ihr beide nicht verrückt seid«, sagte er. »Ich habe die letzten fünfzehn Minuten auf dieser Feuertreppe verbracht und mir diesen Unsinn angehört. Hundert Jahre zwischen uns bringen, Lumley? Unsinn!«

Es war Kinch. Er hatte die listige Seite seiner Natur gezeigt, und Lumley duckte sich in eine Ecke des Kutschbocks und wartete in gequälter Stille ab, was geschehen würde.

Kinch ging auf die Kutsche zu.

»Zurück!«, rief der Doktor und stellte sich ihm in den Weg.

»Aus dem Weg!« befahl der Detektiv. »Ich habe genug von diesem Unsinn.«

Mit einer Hand schob er den Doktor grob aus dem Weg, stürzte sich auf die Zeitkutsche und riss die Tür auf.

»Endlich, Lumley, gehörst du mir!«, rief er und sprang in die Maschine. »Raus mit dir! Raus, sage ich!«

Er legte seine Hände auf Lumley, und während sie kämpften, ertönte ein surrendes Geräusch, und die Kutsche summte wie eine große Biene. Gleichzeitig begann das Zodiacband die Luft zu peitschen und umgab die Kutsche mit einem Ring aus Feuer.

Bunte Lichter blitzten vor den Augen der beiden in der Maschine auf. Unheimliche Geräusche dröhnten in ihren Ohren, nie gekannte Empfindungen durchzuckten ihre Nerven, und ihre Gehirne wirbelten durcheinander.

Kinch schlug die Hände über den Kopf, taumelte und fiel neben Lumley auf den Sitz.

Ja, sie waren wirklich unterwegs, unterwegs ins Jahr Zweitausend, aber anstatt Kinch zurückzulassen, nahm Lumley ihn mit.