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Der lustige Kirmesbruder – Teil 5

Oskar Ludwig Bernhard Wolff
Der lustige Kirmesbruder
welcher durch listige Ränke auf den Kirmessen die Bauern und andere Personen unterhalten und vergnügt gemacht hat

Vierte Kirmes

Wie der lustige Kirmesbruder, außer anderen Streichen, auch zwei Bürgern mit List ihren Kirmeskuchen und andere Speisen abnimmt

Von Possendorf ging ich nach Berbisfeld und besuchte dort den Müller. Bei demselben traf ich auch zwei Bürger an, die sich ganz weidlich zu nähren suchten. Es waren ein paar gemütliche Männer, die bei der Müllerin in großer Gunst standen und ihr manchen Liebesdienst erwiesen, ohne dass sie dafür von ihrem Mann eine Vergeltung forderten. Der Müller erwies ihnen und mir zugleich große Höflichkeit, und wir machten uns recht ver­gnügt; denn er hatte eine ziemliche Anzahl Gäste bei sich, sowohl aus seinem Ort als auch aus anderen Dörfern. Nach der Mahlzeit wurden verschiedene Spiele vorgenommen; doch gefiel den beiden Bürgern und der Müllerin das Spiel Alles in ein Loch allem Anschein nach am meisten. Zuletzt trug die Gesellschaft Verlangen, ein Spiel zu versuchen, bei welchem man einige Bewegung hätte und sich recht satt lachen könnte. Ich als der lustige Kirmesbruder sollte Vorschläge tun, was wir zu diesem Zweck spie­len wollten. Ich riet daher den Balsamsulphurskasten zu tragen. Dieses Spiel wurde von mir folgendermaßen veranstaltet.

Der Müller musste den Balsamsulphurskasten vorstellen. Ich nahm ihn auf meinen Rücken und ließ ihn mit Händen und Füßen fest an mich anbinden, damit er sich so wenig als möglich bewegen konnte. Den Umstehenden aber hatte ich heimlich kleine Stöckchen gegeben, mit welchen sie nach einiger Zeit auf den Müller losprügeln sollten. Ich bot nun meinen Balsamsulphuris aus. Alle Personen griffen, eine nach der anderen, nach ihm, um den Bal­sam zu probieren. Da aber der Müller getragen wurde und dabei sein Leib ein wenig ins Gedränge kam, so wurde allem Anschein nach plötzlich aus dem Wassermüller ein Windmüller.

Die Bür­ger, welche den üblen Geruch, den die Windmühle verbreitete, sogleich empfanden, gaben vor, dass dieser Balsam verdorben sein müsse, weil er einen solchen Gestank von sich gäbe.

Es dauerte nicht lange, so kam man mit den Stöckchen und prügelte auf den Müller als den Sulphurskasten los. Der Müller, dem diese Schläge nicht recht schmecken wollten, machte starke Bewe­gungen, um sich von seinen Banden zu befreien. Da er dies aber nicht vermochte und immer ärger geprügelt wurde, so parfümierte er die Luft in der Stube dermaßen, dass die Bürger ihre Schnupftabakdosen nicht mehr einstecken durften. Dabei führte er bisweilen eine so grobe und donnernde Sprache, dass die Tür davon hätte aufspringen mögen.

Endlich ließ ich die Bänder auf­machen und setzte den Müller in Freiheit. Dieser musste nicht nur die Schläge geduldig ertragen, sondern wurde auch obendrein noch recht ausgelacht. Um ihn jedoch nicht missvergnügt zu machen und auf der anderen Seite auch bei ihm eine Freude zu erwecken, entschloss ich mich dem Hegereiter, der auch als Gast zugegen war, und der unseren guten Müller am meisten geprügelt hatte, einen Betrug zu spielen.

In dieser Absicht ließ ich alle Anwesenden in einen Kreis treten, nahm dann ein Tischtuch und bedeckte mich mit demselben, nachdem ich zuvor mit dem Hegereiter dergestalt niedergekniet war, dass wir einander die Gesichter zuwendeten.

Nun hatte ich dem einen Bürger einen hölzernen Teller gegeben, mit dem Auftrag, dass man ihn weitergeben und man uns wechselweise mit demselben auf die Köpfe schlagen sollte. Wer denjenigen erraten würde, welcher ihm einen Stoß gegeben hatte, der sollte alsdann unter dem Tuch hervorkommen dürfen. An seiner Stelle sollte derjenige hinunterkriechen müssen, welcher erraten worden wäre. Hierzu wurde eine Aufseherin angestellt, welche es genau aussagen sollte, wenn der eine oder der andere recht geraten hätte.

Nachdem ich nun mit dem Hegereiter unter das Tuch gekrochen war, griff ich unvermerkt mit meiner Hand unten hindurch und gab ein Zeichen, dass man mir den Teller in die Hand geben sollte, was denn auch geschah. Hierauf gab ich mir selbst einige Schläge und nannte dabei einen der Umstehenden mit Namen, jedoch natürlicherweise so, dass ich nicht recht gera­ten hatte; dagegen zählte ich dem Hegereiter jederzeit stärkere und mehrere Stöße zu, und ob er gleich dabei verschiedene Namen nannte, so konnte er doch niemals den rechten Mann treffen, worauf er darin eine gewisse List zu begehen schien, dass er sich tiefer als ich unter dem Tuch bückte, in der Hoffnung, er würde auf diese Weise nicht so oft getroffen werden. Allein ob er schon bis an meinen großen Hosenknopf niederkroch, so verfehlte ich doch niemals sein Haupt.

Da er jedoch alles Rates ungeachtet den eigentlichen Täter doch nicht erraten konnte, so wurde er endlich un­geduldig und vermutete, es könne nicht mit rechten Dingen zu­gehen. Er sprang deshalb unter dem Tuch hervor und wollte sehen, ob die Leute noch alle in ihrer Ordnung da ständen. Aber wie erstaunte er, da er meine mit dem Teller in die Höhe geho­bene Hand erblickte! Er rief voller Verwunderung aus: »Da hätte ich mir den Kopf braun und blau schlagen lassen können, ohne dass ich auf den Schalk gefallen wäre.«

Der Abend wurde hierauf noch mit dem Spiel Das Blättchen der Liebe beschlos­sen, um sich wegen der empfangenen Schläge und Stöße einiger­maßen wieder zu erholen. Zu guter Letzt brachte unser Herr Wirt seine Aquavitflasche, um seinen Gästen noch einen Schlaf­trunk zu geben. Hierauf sollten sich die beiden Bürger in zwei für sie eingerichtete Betten legen, während die übrigen Bauern teils nach Hause gehen, teils auf einer Streu die Nacht zu­bringen mussten. Ich aber konnte mich nicht eher zur Ruhe begeben, bis ich den Bürgern noch einen Rang abgelaufen hatte; denn sie wollten in ihrer spießbürgerlichen Manier mich auch gern zum Besten haben.

Ich schlich daher ganz leise in die Oberstube, wo die beiden für sie bestimmten Betten standen. Dort geriet ich der Müllerin über ihr Eierfass und legte einem jeden der Bür­ger unter das Betttuch an verschiedenen Stellen Eier hin, dergestalt, dass ein jeder in seinem Bett deren sechs hatte.

Als sie sich nun niederlegten, zerdrückten sie die Eier und färbten die Betten und ihre Hemden auf eine vortreffliche Art, sodass sie sich des Morgens schämten, herunterzugehen und das über sie erhobene Gelächter der Gesellschaft mit anzuhören. Nach diesem Vorfall verweilten sie noch etliche Tage zu Berbisfeld, um die Schönheiten des Landes noch ein wenig zu genießen. Bei ihrem Abschied gab der Mül­ler einem jeden derselben eine ziemliche Partie Kuchen und Obst, dazu etliche Würste und geräuchertes Fleisch für die lieben jungen Frauen mit; denn es ist Sitte, dass die Kirmesgäste bei ihrer Heimreise sich wie die Grauschimmel bepacken müssen. Dieser Kirmeskuchen erweckte in mir großen Appetit, und aus Liebe zu den Bürgern wünschte ich sie von dieser Last zu befreien, welche sie sich, aus Vorsorge, sie könnten die Speisen gar nicht bekom­men, nicht hatten wollen von jemanden anderes in die Stadt tra­gen lassen, obwohl sich der Müller dazu erboten hatte, die­selben mit seiner Magd hineinzuschicken.

Bei uns Bauern gibt es nämlich ein Sprichwort, welches sagt: »Selbst ist der Mann!« Und ein anderes lautet: »Was nachkommt, das fressen die Hunde!«

Um nun dieses Kuchens teilhaftig zu werden, lief ich durch einen Schleifweg an die Straße, auf welcher die Bürger vorüberwandern mussten. Dort stieg ich auf einen Baum, befestigte einen Strick um meinen Hals und tat nun, als ob ich mich erhängt hätte. Dabei hatte ich mich aber, was wohl zu bemerken ist, ganz anders angezogen, sodass ich ihnen unkennt­lich war. Sobald nun die Bürger an den Baum kamen, stutzten sie und wunderten sich, dass sich zur Kirmeszeit, wo alles in Freu­den lebte, einer gehängt hatte.

Nach langem Stillstehen und Verwundern entschlossen sie sich endlich wieder, ihre Reise weiter fortzusetzen. Während sie langsam einher zogen, stieg ich von mei­nem Baum herab und wählte einen andern Schleifweg, der mich ebenfalls an einem Ort auf die Straße führte, wo sie vor­übergehen mussten. Dort stieg ich wieder auf einen Baum und machte es ebenso, wie ich es vorher getan hatte. Da sie nun hier wiederum einen Erhängten ansichtig wurden, gerieten sie in eine noch weit größere Verwunderung, als da sie den Ersten fanden. Es erhob sich endlich über diese Sache zwischen ihnen ein Wort­wechsel, indem der eine behauptete, es wäre derselbe, den sie an jener Stelle erhängt gesehen hätten; nur konnte er nicht begreifen, wie es damit zuging, dass ich zweimal erschien. Dagegen meinte der andere, es müssten sich zwei Verschiedene an einem Tag ge­hängt haben. Der Streit wurde immer heftiger, ohne dass jemand zugegen war oder herbeikam, der ihn entscheiden und beilegen konnte. Es blieb ihnen also, um sich zu verständigen, wei­ter nichts übrig, als dass sie wieder umkehren und den vorigen Baum mit dem Gehängten noch einmal besehen mussten.

Die beiden Bürger, in deren Oberstübchen es vielleicht auch nicht eben ganz richtig aussehen mochte, weil ihnen der Müller bei ihrem Abschied wacker zugetrunken hatte, stellten miteinander eine Wette an um einen Gulden und beschlossen dann wieder zurückzukehren. Da ihnen jedoch ihre Bündel mit dem Kuchen auf der Reise einige Beschwerlichkeiten machten und sie also dieselben nicht immer mit hin und her tragen wollten, so hatte der eine Bürger den glücklichen und von mir vorausgesehenen Einfall, dass sie die Bündel in einiger Entfernung in das Gebüsch tragen, mit Laub zudecken und dann bei ihrer Rückkehr von da wieder abholen und zu sich nehmen wollten.

Der Vorschlag wurde angenommen; die Bürger versteckten ihren Kuchen und liefen zurück. Sobald sie sich entfernt hatten, stieg ich vom Baum herab, eignete mir mit dem größten Recht die Bündel zu und freute mich wie ein König, dass ich mir bis zur nächsten bevorstehenden Kirmes davon gute Tage machen konnte. Übrigens war ich unbesorgt darum, wie sie sich gebärden würden, wenn sie wieder an die Stelle kämen und ihren Schatz nicht fänden, dessen Last sie bis hierher so schwer auf dem Rücken gedrückt hatte.

Auch war ich vorsichtig genug, dass ich nicht erst abwartete, ob und wie sie mir für diese außerordentliche Gefälligkeit, das ich sie von einer so beschwerlichen Bürde befreit hatte, danken würden. Die Klugheit gebot mir zunächst, dass ich nicht wieder in das Dorf zurückkehrte, weil ich doch nicht wissen konnte, ob nicht vielleicht die Sache bekannt geworden wäre. Überdies war ich nicht eben neugierig zu erfahren, ob sie sich deshalb von Neuem an den Müller gewendet, demselben ihr Leiden geklagt und eine andere milde Beisteuer an Kuchen von ihm verlangt hätten. Vielmehr war ich vollkommen damit zufrieden, dass die Bürger ihren Kuchen eingebüßt und dabei einen schändlichen Selbstbetrug an sich begangen hatten.