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Aus dem Reiche der Phantasie – Heft 1 – Der letzte Höhlenmensch – 5. Kapitel

Robert Kraft
Aus dem Reiche der Phantasie
Heft 1
Der letzte Höhlenmensch
Verlag H. G. Münchmeyer, Dresden, 1901

Makas Befreiung

Karak war mit Benutzung eines dünneren Baumstammes herabgestiegen und häutete das Tier ab, um es dann in Stücke zu zerlegen.

Unterdessen erlosch im Dorf ein Licht nach dem anderen. Noch einmal begannen die gezähmten Wölfe innerhalb der Palisaden heulend die Stimmen der Kollegen im Wald zu erwidern, dann verstummten auch sie. Sie mochten zur Ruhe gewiesen oder so abgerichtet sein, dass sie nur heulten, wenn sich eine Gefahr näherte.

Ein Zischen rief nun auch Richard von seinem luftigen Sitz herab. Endlich konnte er die eingeschlafenen Glieder dehnen. Karak hatte den größten Teil des Wildes zerlegt und die Stücke in die Haarseite des Felles gepackt. Die blutige Seite desselben aber hatte er nach außen gewandt und daran aus Schlingpflanzen gefertigte Stricke zum Ziehen befestigt.

»Schleppen wir dieses Wild bis in die Nähe der Holzmauer«, sagte er zu Richard, »dann werden die Wölfe nur diese deutliche, blutige Spur und keine andere verfolgen.«

Die Idee war sehr gut. Sie spannten sich also vor und zogen die Last auf dem holprigen Weg zu dem still daliegenden Dorf. Ohne die herkulische Kraft seines Begleiters hätte Richard sie allerdings keinen Zoll vorwärtsgebracht.

In einiger Entfernung von den Palisaden machten sie Halt, und Karak nahm mehrere Zentner der zusammengeschnürten Fleischstücke auf den Rücken und schlich mit Richard bis dicht an die aus jungen Baumstämmen bestehende Wand. Das übrige Fleisch ließen sie liegen, damit es vielleicht auch noch die freigelassenen und ewig heißhungrigen Wölfe von einer Verfolgung ablenkte.

Noch einmal drückte der Höhlenmensch seinem jungen Begleiter die Hand, warf selbst ein Stück Fleisch aus dem aufgeschnürten Bündel über die Holzwand und war im Schatten derselben verschwunden.

Richard befand sich allein mit seinem wild stürmenden Herzen. Schnell warf er einige Fleischstücke nach. Da heulten die gezähmten Wölfe, die ersten, treuen Gesellschafter der Menschheit, die noch nicht wie Hunde bellen konnten, laut auf. Doch bald verstummten sie wieder, und nun ließ sich hinter den Palisaden ein Reißen, Schmatzen, ein leises Knurren und Streiten vernehmen. Es war, als wüssten die vierbeinigen Wichte, dass sie etwas Unrechtes begingen und deshalb leise sein mussten. Immer schneller warf Richard die Fleischstücke, damit ja kein offener Streit zwischen ihnen entstände, während tausend Fragen sein Hirn durchkreuzten.

Wie weit war Karak? Fand er Maka? Waren alle Wölfe hier versammelt? Und was sollte werden, wenn das Fleisch zu Ende ging?

Eine Viertelstunde verstrich so, schon war der Fleischvorrat verzehrt, da rief plötzlich eine raue Stimme: »Hallo, was haben denn die Hunde?«

Richards Herzschlag setzte aus.

»Sie haben Fleisch gestohlen«, erscholl es als Antwort, und dann knallten Peitschenschläge, heulten die Wölfe und begannen entsetzlich zu toben und mit ihrem markerschütternden Geschrei die Luft zu erfüllen. Dazwischen wurden nun auch Menschenstimmen vernehmbar.

»Es sind Feinde in der Nähe! Sie füttern die Hunde! Sie sind schon im Dorf! Lasst die Wölfe los! Zu den Waffen!«

So scholl es unter dem Wolfsgeheul wirr durcheinander.

Gleich darauf flogen auf Richard, der Gewehr und Revolver schussbereit machte, zwei Gestatten zu – Karak und ein Mädchen, das in wallende Gewänder gehüllt war.

»Zum Leichentempel – im Schatten der Mauer, fort!« rief Ersterer, dann war er bereits wieder entflohen, während das Mädchen, das wohl schon vorher von Karak verständigt worden war, Richards Hand fasste, worauf beide die Palisaden entlang zu dem im Mondschein blinkenden Spiegel des kleinen Sees rannten. Hinten ihnen aber erscholl Wolfsgeheul und hetzende Rufe. Das ganze Dorf war rebellisch geworden.

Am Ende der Palisaden blieben sie stehen. Nun galt es über die vom Mond beleuchtete Ebene den Hügel hinabzulaufen. Zögernd blickten sie sich um. Dort floh bereits Karak in mächtigen Sätzen über die Ebene, und hinten ihm her stürmte ein Rudel Wölfe. Nun erreichte ihn der Erste, nun sprang er an ihm empor, da wandte Karak sich etwas im Lauf und schwang die Steinaxt. Ein furchtbares Schmerzgeheul folgte, und mit unverminderter Schnelligkeit flog er weiter. Ob er entkam? Doch sie hatten keine Zeit, darüber nachzudenken, denn sie selbst mussten nun handeln. Schon tauchten Männer auf, schon blitzten die goldglänzenden Bronzeschwerter in ihren Händen.

Der Himmel war ihnen günstig, der Mond trat hinter eine kleine Wolke. Sie erreichten das Wasser und sprangen hinein. Doch bald verloren sie den Grund. Da hob Richard das Gewehr, legte den Lauf desselben auf den Kopf und schwamm neben dem Mädchen. So gelangten beide glücklich zu der Pfahlhütte. Hier fanden sie eine Leiter, und als der Mond wieder hinter den Wolken hervortrat, befanden sie sich im Inneren der Hütte und schlossen die in Angeln drehende Tür hinter sich.