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Adventskalender 2024 – 1. Türchen

Der Müller im Himmel

Es war ein schlauer Müller, der lehrte die Säcke tanzen. Wenn sie in seine Mühle kamen, pfiff er ihnen ein Liedchen vor, und wenn sie nicht dazu tanzen wollten, mussten sie zur Strafe Korn lassen. Als er nun gestorben war, wollten ihn gleich zwei Pfarrer ehrlich begraben, weil seine Mühle auf der Grenze zweier Kirchspiele lag und der eine Pfarrer ihn gern begraben hätte und der andere noch lieber. Um den Streit zu schlichten, band man ihn auf den Rat eines klugen Mannes auf einen Esel: Wo der ihn trage, da solle er begraben werden. Und siehe, der Esel wusste es am besten, denn er trug ihn gerade unter den Galgen, und da wurde er auch begraben. Seine Seele aber nahm ein Teufel und führte sie vor das Höllentor. Da stand Meister Satanas und fragte: »Wen schleppst du da?«

»Den schlauen Müller von Zweibrücken«, sagte der Teufel.

»Holla, Passamagori«, rief Satanas, »so kann er nicht kommen. Zuerst muss er ins Himmelreich schauen, damit es ihn umso mehr ärgert, wenn er die Seligkeit dort sieht und nicht daran teilhaben kann.«

Da führte ihn der Teufel vor die Himmelspforte: Da war Gesang und Spiel, und die Engelchen tanzten auf der Mauer.

»Siehst du nun«, fragte ihn der Teufel, »wie lustig es da zugeht?«

»Dummrian«, entgegnete der Müller, »kann ich durch die Wände sehen? Warte nur, bis die Tür aufgeht.«

Da kam gerade der heilige Petrus an die Pforte, um einen frommen Mann einzulassen, dem er die Tür weit auftat.

Der listige Müller tat so, als wolle er nur hineinschauen; aber ehe der Teufel sich versah, war er hinter dem Rücken des heiligen Petrus hereingekommen. Der Teufel machte sofort Lärm und verlangte seinen Braten: Das sei keine Speise für solche Feinschmecker.

Der heilige Petrus, der die Klage für berechtigt hielt, hatte ihn bald wieder los und fragte: »Wie bist du hier hereingekommen? Verschwinde, hier hast du nichts zu suchen.«

»Fein sachte«, spottete Pfiff, »so eilig ist es noch nicht! Es ist zu schön hier, als dass ich schon wieder hinauswollte. Ehe der Hahn dreimal kräht, verleugne ich meinen Heiland nicht.«

Der hat Haare auf den Zähnen, dachte der heilige Paulus, da muss ich dem Alten zu Hilfe kommen. »Nun seid so gut, Freund, und trollt Euch Eures Weges. Da hat der Zimmermann ein Loch gelassen.«

»Ei, wer seid Ihr denn?«, fragte der Müller höflich. »Ich bin St. Paul, der Apostel.«

»Wenn Ihr der heilige Paulus seid«, sagte der Müller, »dann haltet Frieden und werft keinen Stein auf mich. Ich bin nicht der heilige Stephanus. Blinder Eifer schadet nur.«

»Auch du hast deinen Anteil«, sagte Petrus.

Paulus ging beschämt weg und klagte Gott, dem Herrn, die Missetat.

Der schickte sogleich den heiligen Christophorus, ihn hinauszuwerfen.

Der kluge Müller erkannte ihn sogleich an seiner großen Keule und an seinen ungeschlachteten Gliedern und sprach: »Meinst du, ich fürchte mich vor deiner großen Keule, du alter Heide? Du hast damit große Morde begangen, viel unschuldiges Blut klebt daran.«

Da sandte der Herr noch andere Heilige zu ihm; aber allen gab er ihre Gebrechen vor, dass sie die Augen niederschlugen und verstummten. Nun waren sie in großer Verlegenheit, wie sie ihn hinausbringen sollten. Endlich kamen sie auf den Gedanken, die unschuldigen Kinder, die Herodes ermordet hatte, gegen ihn zu schicken, denn denen konnte er nichts anhaben. Aber der listige Müller dachte sich gleich einen neuen Trick aus und verteilte ihnen Pfefferkuchen und Äpfel mit roten Backen und hübsche Bildchen in bunten Farben und mit Gold verziert. Dann schüttelte er ihnen Birnen und Pflaumen von den Bäumen und ließ sie die Fische in den Teichen füttern. Er bastelte ihnen auch Windmühlen und Waldteufel und allerlei anderes Spielzeug. Zuletzt pfiff er ihnen ein Liedchen und lehrte sie hüpfen und im Kreise tanzen, und sie verstanden es besser als seine Säcke. An Vertreibung war nicht zu denken.

Endlich machte sich die Mutter Gottes selbst auf, kam zu ihm und sprach: »Mensch, du musst hinaus! Du kannst hier nicht länger bleiben.«

»Schöne Frau«, sagte die Mutter Gottes, »wer seid Ihr? Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie etwas so Schönes gesehen. Die Sonne am Himmel muss sich vor Euch verbergen.«

Da sprach die Muttergottes: »Ich bin die Mutter Gottes.«

»O heilige Jungfrau«, rief der Müller, »von Euch wird mir nichts geschehen, Ihr seid voll der Gnaden, Mutter der Barmherzigkeit, auf Eure Fürsprache hofft die ganze Welt, und Euer Sohn kann Euch nichts versagen. Ihr seid die Königin des Himmels. In Euren Schutz befehle ich mich.«

Da wandte sich die Mutter Gottes wieder um, kam zu ihrem Sohn und sprach: »Ich kann dem Menschen nichts tun, er hat mich so beschieden, dass ich es nicht übers Herz bringen kann, ihn hinauszuwerfen.«

Da sprach der Sohn Gottes: »So muss ich selbst zu ihm gehen, wenn ich ihn loswerden will.«

Da kam er im Gefolge der himmlischen Heerscharen und sprach zu dem Müller: »Mensch, hier ist deine Heimat nicht, deine Ränke und Pfiffe und deine scharfe Zunge helfen dir nicht mehr.«

Da sprach der Müller: »Ihr seid klar und schön und kommt mit großem Gefolge; wer seid ihr?«

»Ich bin«, sprach Gott der Herr, »der Himmel und Erde gemacht und die Menschen erlöst hat.«

»Ihr seid Gott selbst«, sagte der Müller, »das höre ich wohl. Dann werde ich nicht verstoßen, denn Ihr habt selbst gesagt, wie ich oft predigen hörte: Wer zu Euch kommt in Eures Vaters Haus, den wollt Ihr wohl aufnehmen.«

»Ja«, sprach der Herr, »wenn er auch meines Vaters Willen getan hat. Hätte dich mein Vater zu mir gesandt, so würdest du ewig bei mir leben. Aber du hast nichts Gutes getan, darum kann deiner Seele nicht geholfen werden.«

»Wie geht es mir?«, fragte der Müller, »habe ich Euch nicht einmal einen alten Sack gegeben? Wo ist der jetzt?«

Da sprach Gott der Herr: »Geht hin und holt ihm den alten Sack, er soll ihn nur wieder mitnehmen. Hier soll er nicht bleiben.«

Sogleich wurde ihm der alte Sack gebracht. Der Müller überlegte nicht lange, sondern breitete den Sack auf der Erde aus und setzte sich darauf.

»Nun geh«, sprach der Herr, »du hast deinen Anteil.«

»Ich sitze hier auf meinem Teil«, sagte der Müller, »ich will sehen, wer mich davon vertreiben will.«

Da lachte unser Herrgott selbst über seinen Schalk und ließ ihn sitzen, und da sitzt er noch immer hinter der Tür, wenn er seitdem keinen besseren Posten gefunden hat.