Manitoba – Band 1 Kapitel 5
Kendall Kane
MANITOBA
Band 1
Ein Greenhorn namens Callaway
Kapitel 5
Callaways Kopf ruckte jäh nach links, dann nach rechts und dann wieder nach links. Aber da war nichts, weder Frenchy noch ihre Pferde noch Gewehre oder sonstige Ausrüstungsgegenstände. Nur dichtgedrängt stehende, zum Teil primitiv zusammengenagelte Häuser und grauweißer Rauch, der hier und da aus den Kaminen emporstieg und in der kalten Luft zerfaserte.
Callaways Haltung spannte sich jäh. Sein Pulsschlag beschleunigte sich, während er instinktiv die Verschlusslasche seiner Revolvertasche öffnete und die Rechte um den Walnussholzgriff des Deane & Adams Revolvers legte. Seine Blicke wanderten über die vor ihm liegende Hauptstraße von Haskett, die in Wirklichkeit nichts anderes war als eine von Menschen, Pferden und Fuhrwerken platt gestampfte Schneise, die den Ort wie eine waagrechte Linie durchzog.
Obwohl der Karrenweg mit unzähligen Hufabdrücken, Fußspuren und Fahrrillen übersät war, konnte er die Fährte seines großen Armeehengstes ohne Schwierigkeiten verfolgen. Die Abdrücke seiner Hufeisen waren in diesem Teil des Landes, in dem man im Winter hauptsächlich Schlittenhundgespanne und Indianerponys als Fortbewegungsmittel benutzte, nicht zu übersehen.
Callaway machte sich sofort daran, den Spuren zu folgen.
Bereits nach wenigen Schritten erkannte er, dass sie wieder in Richtung des Saloons führten, vor dem sie erst vorhin mit Palmer und seinen Männern aneinandergeraten waren. Die Gedanken, die ob dieses Umstands in ihm aufkamen, gefielen ihm überhaupt nicht. Hatte der Geschäftsführer der Haskett Fur Company bei dem plötzlichen Verschwinden von Frenchy und ihren Pferden etwa seine Hände im Spiel?
Je länger Callaway über diese Möglichkeit nachdachte, umso wahrscheinlicher wurde sie für ihn.
Zuzutrauen war es ihm allemal, musste er sich eingestehen. Palmer war nicht der Mann, der sich so einfach niederschlagen ließ, nicht in seinem Revier und nicht vor den Augen anderer Leute. Er war seiner Einschätzung nach mit Sicherheit ziemlich nachtragend und die Männer dazu, um Frenchy zu überwältigen, hatte er auch. Allein die beiden Figuren, die ihn beim Verlassen des Saloons begleitet hatten, waren Gestalten, denen selbst ein wehrhafter Mann des Nachts nur ungern in einer dunklen Seitengasse begegnen wollte. Vor allem der kleinere der beiden, ein untersetzter, stämmiger Kerl mit einem verschlagenen Gesicht und kleinen, hinterlistig funkelnden Augen, machte auf ihn den Eindruck, als könnte er ihm höchstens nur so weit trauen, wie er einen Amboss warf.
Callaway schüttelte sich kurz, als könnte er mit dieser Geste die düsteren Gedanken aus seinem Kopf vertreiben, und machte sich daran, der Spur weiter zu folgen. Dabei blieb er immer wieder stehen und suchte mit seinen Blicken die Umgebung ab, doch so sehr er sich auch anstrengte, er konnte weit und breit nichts Verdächtiges entdecken.
Dafür hörte er plötzlich etwas.
Unvermittelt verharrte er, hob den Kopf und lauschte. Auf der linken Straßenseite, keine zehn Schritte von ihm entfernt, gab es eine kleine Hütte mit einem dahinterliegenden, windschiefen Stall, aus dessen Innern heraus das Schnauben und Stampfen mehrerer Pferde auf die Straße drang. In der Hütte selber waren laute Männerstimmen zu hören. Eine davon klang wie das Röhren eines Büffelbullen in der Brunft, während ihm die andere Stimme irgendwie bekannt vorkam.
War das nicht …?
Callaway machte noch zwei, drei Schritte nach vorn, blieb dann erneut stehen und lauschte wieder. Tatsächlich, die vertraut klingende Stimme gehörte eindeutig Frenchy und er klang nicht so, als ob er in Schwierigkeiten steckte. Im Gegenteil, jetzt lachte er sogar.
Die Sorgenfalten auf der Stirn des Constables machten allmählich einer Empörung Platz, die mit jedem Schritt, mit dem er sich dem Anwesen näherte, immer größer wurde. Was zum Teufel hatte das zu bedeuten?, durchzuckte es den Mountie.
War nicht ausgemacht, dass der Scout mit den Pferden so lange vor dem Haus des Town Mayors auf ihn warten sollte, bis er seine Unterredung mit Jean Marchand beendet hatte? Danach wollten sie eigentlich die Stelle aufsuchen, an der man den toten George Wheelmann gefunden hatte. Eigentlich, stattdessen hatte er nach dem Gespräch weder Frenchy noch die Pferde oder ihre Ausrüstung vor Marchands Haus vorgefunden.
Es schien, als hätte sie allesamt der Erdboden verschluckt. Nach dem Vorfall mit Palmer und seinen Männern hatte er mit allem gerechnet, sogar mit dem Schlimmsten, aber nicht damit, dass Frenchy, wie man an seiner Stimme deutlich hören konnte, sich stattdessen hier, im heruntergekommensten Viertel von Haskett, wunderbar amüsierte.
Aus Callaways Empörung wurde langsam Zorn, während er auf das Anwesen zuging, an dem alle Spuren endeten. Doch bevor er das Wohnhaus erreichte, ging dort die Eingangstür auf.
»Verdammt noch mal, was fällt dir ein?«, bellte er aufgebracht.
Der Mann, der gerade im Begriff war, das Haus zu verlassen, zuckte zusammen und ließ die Rechte sofort auf den Griff seines 45ers fallen. Erst dann erkannte Frenchy den Constable und schüttelte ärgerlich den Kopf.
»Himmel, musst du mich so erschrecken?«
»Was denn, du hast doch damit angefangen!«
»Angefangen?«, entgegnete Frenchy irritiert. »Womit?«
»Das fragst du noch? Es war ausgemacht, dass du vor dem Haus des Town Mayors auf mich wartest, bis ich mit meiner Befragung fertig bin. Aber was machst du? Du verschwindest! Einfach so, ohne eine Nachricht zu hinterlassen oder zumindest Bescheid zu geben.«
»Moment mal, ich bin nicht einfach so verschwunden«, protestierte der Scout. »Ich habe auf dich gewartet, bis ich Charly getroffen habe. Er kam gerade vom Einkaufen und war auf dem Heimweg, und als er mich sah, hat er mich zum Kaffee eingeladen.«
Er hielt einen Moment inne und deutete mit dem Daumen über die Schulter hinweg auf das Haus, das er gerade eben verlassen hatte. »Er wohnt nämlich hier.«
»Schön, aber was hat das damit zu tun, dass du deinen Posten verlassen hast?«
»Das habe ich nicht«, widersprach Frenchy erneut energisch. »Okay, ich habe zwar Charlys Einladung angenommen, aber wie du siehst, liegt das Haus von Marchand keine zwanzig Schritte entfernt und man hat von hier aus freies Sichtfeld auf sein Büro.«
»Du hättest trotzdem vor Marchands Büro auf mich warten können, so lange war ich ja nicht weg.«
»Hast du gewusst, dass eure Unterhaltung nicht einmal eine Viertelstunde dauert?«, wollte Frenchy wissen und sagte, als Callaway die Frage verneinte: »Siehst du, ich auch nicht, und deshalb habe ich Charlys Angebot auch dankend angenommen, weil ich mir hier draußen womöglich sonst irgendwann den Arsch abgefroren hätte. Auch für unsere Pferde ist es gut, dass sie wieder mal einen warmen Stall von innen sehen, wir haben sie die letzten Tage schließlich lange genug durch die Kälte gejagt.«
Callaway brummte unwillig. Obwohl es ihm zutiefst widerstrebte, musste er sich eingestehen, dass Frenchys Argumente nicht von der Hand zu weisen waren. Ihren Pferden hätte in der Tat ein längerer Aufenthalt in einem warmen Stall gut getan und einen besseren Platz, um das Büro des Town Mayors zu beobachten, gab es außer dem Haus von Frenchys Freund tatsächlich nicht. Trotzdem konnte er sein Verhalten so nicht akzeptieren, der Scout hatte immerhin seine Anweisungen als Vorgesetzter missachtet.
Doch bevor er ihn deswegen zurechtweisen konnte, ergriff Frenchy erneut das Wort.
»Außerdem war es ganz gut, dass ich Charly getroffen habe. Er hat mir da nämlich ein paar Dinge erzählt, die unseren Mordfall in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen.«
»Was heißt das?«
»Dass in den letzten sechs Monaten außer Wheelmann noch zwei andere Männer auf dem Overlandtrail verschwunden sind. Nur sind die im Gegensatz zu Wheelmann noch nicht wieder aufgetaucht.«
Callaway spürte, wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten.
»Wer sagt das?«, fragte er spröde.
»Charly und der muss es schließlich wissen. In dieser Gegend passiert nichts, ohne dass der alte Fuchs Wind davon bekommt.«
»Komisch und warum hat mir Marchand davon nichts erzählt?«
»Wahrscheinlich weiß er noch gar nichts davon. Der Town Mayor ist erst seit zwei Monaten im Amt, die Männer aber bereits schon seit sechs beziehungsweise vier Monaten verschwunden.«
»Trotzdem, es muss es doch irgendwelche Berichte darüber geben«, behauptete Callaway.
»Mit Sicherheit«, stimmte ihm Frenchy zu. »Aber ich denke mal, die hat man irgendwo abgeheftet, und bis sich Marchand durch die ganzen Akten arbeitet, die vor seinem Dienstantritt angefallen sind, wird es noch einige Zeit dauern, bis er auf dem Laufenden ist.«
»Das kann natürlich auch sein, denn nach allem, was ich bisher gesehen und erlebt habe, scheint das Gesetz in Haskett noch auf ziemlich schwachen Füßen zu stehen. Weiß dein Freund auch, wer die beiden Vermissten sind?«
»Natürlich«, erwiderte Frenchy grinsend. »Er weiß sogar noch viel mehr, aber das soll er dir am besten selbst erzählen.«
Dabei wandte sich der Scout um und deutete mit einer weit ausladenden Handbewegung auf die Gestalt, die in diesem Moment über die Türschwelle hinweg nach draußen ins Freie trat.
Frenchy musste ihm diesen Mann nicht extra vorstellen, Callaway wusste auch so, dass dieser niemand anderes war als besagter Charly. Ein einziger Blick hatte genügt.
Charles Edward Farnell, wie Charly eigentlich hieß, war ein muskulöser Endvierziger mit einer Größe von mindestens sechs Fuß. Trotz seiner hünenhaften Gestalt erinnerten seine vorsichtige und sparsame Art, sich zu bewegen, Callaway irgendwie an die eines Raubtiers auf Beutefang. Dass auch er die meiste Zeit seines Lebens draußen in der Wildnis verbracht hatte, war an seiner Kleidung zu sehen, die typisch für einen Jäger und Fallensteller war.
Er trug ein Wildlederhemd und eine Hose aus dem gleichen Material. Seine Beine steckten in Fellstiefeln, deren Schäfte bis weit über seine Knie reichten, und auf seinem Kopf thronte eine Fellmütze, die im Moment etwas schief saß. Seine klaren, blauen Augen standen in seltsamem Kontrast zu der von Wind und Wetter lederartigen Haut und seinem Vollbart, der wie sein schulterlanges Haar so rot war wie das Licht der untergehenden Abendsonne.
Abgesehen von dem Tomahawk, der in seinem Gürtel steckte, schien er unbewaffnet.
»Hallo«, sagte Charly mit der Stimme eines Mannes, der es sich im Lauf seines Lebens offensichtlich angewöhnt hatte, keine großen Reden zu schwingen, sondern sofort auf den Punkt kam. »Schätze, du bist wohl dieser Callaway.«
»Yeah.«
»Frenchy hat mir viel über dich erzählt.«
»So, so, darf man auch fragen, was?«
Charlys Antwort kam trocken und unverbindlich, ganz so, wie es anscheinend seine Art war.
»Das du ein Greenhorn bist wie übrigens alle Männer aus dem Osten. Allerdings scheinst du im Gegensatz zu den meisten von denen lernfähig zu sein, offensichtlich hast du bereits schon ein paar von Frenchys Ratschlägen beherzigt.«
»Schön zu hören«, antwortete Callaway mit einem säuerlichen Lächeln. »Dann besteht wohl Hoffnung, irgendwann doch noch von den Leuten hier akzeptiert zu werden.«
»Schon möglich, aber nicht, wenn du weiterhin hier herumstehst und große Reden schwingst wie Marchand, dieser Dummkopf«, knurrte der Trapper. »Frenchy hat mir gesagt, dass ihr nach Haskett gekommen seid, um einen Mord aufzuklären.«
»Da ist richtig.«
»Gut, willst du Informationen dazu oder nicht?«
»Natürlich, ich bin in dieser Sache für jeden Hinweis dankbar.«
Der Trapper verzog für einen Augenblick die Mundwinkel zu etwas, das wohl den Anflug eines Lächelns andeuteten sollte, wurde dann aber sofort wieder ernst.
»Gut, dann spitz mal die Ohren, Greenhorn. Wheelmann ist nicht der Einzige, der in den letzten sechs Monaten auf dem Overlandtrail verschwunden ist. Er ist nur der Einzige, der bisher wieder aufgetaucht ist, wenn auch tot. Aber ich schätze mal, dass man die anderen auch nicht mehr lebend auffinden wird, dazu sind sie schon viel zu lange verschwunden.«
»Wer sind die anderen?«
»Edward Dale und Sam Neill.«
»Tut mir leid«, sagte Callaway nach einem Moment des Nachdenkens. »Aber diese Namen sagen mir überhaupt nichts. Was ist mit ihnen, haben die beiden etwas mit unserem Fall zu tun?«
»Dale und Neill waren ziemlich wohlhabende Männer, genauso wie Wheelmann«, sagte Farnell. »Dale gehörten in diesem County ein halbes Dutzend Stores und Saloons, Neill war einer der größten Rancher in der Umgebung und Wheelmann hatte sich mit seiner Schlittenhundezucht eine goldene Nase verdient. Drei ziemlich vermögende Männer, die innerhalb kurzer Zeit allesamt auf dem gleichen Abschnitt des Trails verschwunden sind.«
»Das ist in der Tat etwas seltsam«, musste Callaway eingestehen.
»Das ist aber noch nicht alles«, mischte sich Frenchy plötzlich in die Unterhaltung ein, während er dabei aufgeregt auf seinen Freund zeigte. »Los Charly, erzähl dem Constable doch von dem Gerücht, das derzeit im Wintercamp der Büffeljäger die Runde macht.«
Callaway verharrte jäh.
Die Unterhaltung mit Charly war noch keine fünf Minuten alt und trotzdem hatte er schon mehr erfahren, als er aus den Akten herausgelesen und ihm der Town Marshal von Haskett erzählt hatte. Er war gespannt, was ihm Farnell noch alles zu berichten hatte und anscheinend war ihm das auch anzusehen, denn der Pelzjäger nickte zustimmend zu Frenchys Worten.
»Es wird davon geredet, dass man Big Nose Pierre in den letzten Wochen immer wieder einmal gesehen hat, wie er mit einer Mackinaw-Jacke durch die Gegend läuft.«
»Und?«, fragte Callaway, der die Vorzüge einer solchen Jacke durchaus zu schätzen wusste, auch wenn ihm die Kleiderordnung der Royal Mountie Police das Tragen einer solchen während der Dienstzeit untersagte. »Bei dieser Kälte wäre mir so eine Jacke auch lieber.«
»Wem nicht, aber das ausgerechnet Big Nose so eine Jacke besitzen soll, ist meiner Meinung nach doch etwas seltsam.«
»Warum?«
»Weil der Kerl in diesem Winter höchstens ein Dutzend Pelztiere erlegt hat, aber dafür mindestens das Zehnfache an Schnapsflaschen. Der Saufkopf ist notorisch pleite, der kann sich so eine Jacke normalerweise doch gar nicht leisten. Ich an eurer Stelle würde da mal nachhaken.«
»So einfach ist das nicht«, behauptete Callaway, während er nachdenklich den Kopf wiegte. »Es gibt viele Möglichkeiten, wie man zu so einer Jacke kommen kann. In diesem Fall können wir da auch als Mounties wenig unternehmen. Das Gesetz verlangt handfeste Beweise, mit einer Anschuldigung allein ist es da nicht getan.«
Callaway hatte kaum ausgeredet, als er sah, wie sich Farnells Gesicht immer mehr verdüsterte. Dann, nach einem Moment des Schweigens, begann es auch in seinen Augen gefährlich zu funkeln.
»Was sind Sam Neills Initialen?«
Für einen Augenblick war der Constable sprachlos. Die Frage erschien nach dem bisherigen Verlauf ihrer Unterhaltung völlig sinnlos.
»Was soll das jetzt? Ich verstehe nicht, was …«
»Wie lauten Sam Neills Initialen?«, unterbrach ihn Farnell augenblicklich und ohne ihm zu antworten.
»S. M.«, erwiderte Callaway leise.
»Genau«, sagte der Trapper mit einer Stimme, die knirschte, als wäre jemand auf zerbrochenes Glas getreten. »Dann reitet doch mal ins Camp der Büffeljäger und fragt Big Nose, woher er die teure Mackinaw-Jacke hat, an deren rechten Ärmel die Buchstaben S und M eingebrannt sind.«
*
Sie erreichten das Wintercamp der Büffeljäger am frühen Mittag des nächsten Tages. Das Lager, eine Ansammlung von etwas mehr als einem Dutzend Lederzelte, befand sich unter einem Felsvorsprung, der die Tierhautbehausungen der Jäger nicht nur vor Regen, sondern auch vor dem kalten, ständig von Norden her wehenden Wind schützte.
Callaway und Frenchy waren kaum auf Sichtweite herangekommen, als ein riesiges Fellknäuel von Hund hinter einem der Zelte hervorsprang und sie mit weit aufgerissenem Fang bösartig anknurrte.
Kurz darauf war ein zweites Tier zu sehen, das gleicher Art sein Maul aufriss und die Zähne zeigte.
Callaways Hand zuckte automatisch zu seiner Revolvertasche, obwohl er inzwischen erkannt hatte, dass die Tiere angebunden waren.
Gewiss waren die beiden Hunde mit Stricken um den Hals an den Stamm eines wuchtigen Baumes gefesselt, der zwischen den Zelten stand, aber irgendwie hatte er das dumpfe Gefühl, dass diese Stricke der gewaltigen Kraft dieser riesigen Biester nicht ewig standhalten würden. Beide Tiere hatten eine Schulterhöhe von deutlich mehr als zwei Fuß und waren bestimmt einhundertzwanzig, wenn nicht sogar einhundertvierzig Pfund schwer. Mit der Waffe in der Hand fühlte sich Callaway daher irgendwie sicherer. Frenchy schien der ganzen Sache ebenfalls nicht so recht zu trauen, denn ein kurzer Seitenblick zeigte ihm auf, dass der Scout inzwischen sogar mit dem Gewehr in Richtung der Hunde zielte.
Bevor er ihn jedoch fragen konnte, wie es nun weitergehen sollte, schlug jemand im Inneren eines der Zelte, neben denen die Hunde angebunden waren, die Decke zurück, die den Eingang verschloss. Einen Atemzug später trat ein Mann ins Freie, der trotz der eisigen Temperaturen nur mit Hemd und Hose bekleidet war.
Als er die Situation erfasst hatte, grinste er schmal und winkte ab.
»Ihr könnt eure Waffen wieder runter nehmen, solange ich bei euch bin, werden sie euch nichts tun.«
Dann wandte er sich den beiden Hunden zu, die inzwischen immer lauter bellten, machte eine herrische Handbewegung und sagte dabei etwas in einer Sprache zu ihnen, die Callaway nicht verstand. Die Tiere verstummten augenblicklich und legten sich auf den Boden. Sie bleckten zwar noch die Zähne, als der Constable sie ansah, aber aus dem wütenden Bellen war inzwischen ein leises Winseln geworden.
Das Grinsen des Mannes wurde noch um eine Spur breiter, als er die Überraschung in den Gesichtern des Mounties und dessen Begleiters erkannte.
»Na, habe ich es euch nicht gesagt, solange ich bei da bin, lassen euch die Hunde in Ruhe.«
»Was zum Teufel ist das für eine Rasse?«, wollte Callaway wissen.
»Russische Bärenhunde, man nennt sie auch Owtscharkas. Als ich die beiden von einem vorbeiziehenden Händler erworben habe, waren sie nicht größer als kleine Katzen. Sie fressen mir zwar inzwischen fast die Haare vom Kopf, aber seit sie mein Lager bewachen, kann ich sogar meine Geldbörse offen herumliegen lassen.«
»Das glaube ich Ihnen aufs Wort«, pflichtete ihm Callaway bei.
»Gut, aber jetzt zu etwas anderem. Ihr seid doch bestimmt nicht hergekommen, um euch mit mir über meine Hunde zu unterhalten. Also, was will die kanadische Mounted Police hier?«
»Wir suchen Big Nose Pierre. Wie wir gehört haben, soll hier im Lager wohnen.«
»Das ist richtig«, sagte der Büffeljäger und deutete auf das Zelt am nördlichsten Rand des Lagers.
»Er wohnt da drüben, wobei dort von wohnen keine Rede sein kann. In diesem Loch würde es nicht einmal eine Ratte aushalten. Warum, was ist mit Big Nose?«
»Wir hätten da ein paar Fragen an ihn wegen einer Diebstahlgeschichte«, sagte Frenchy schnell, weil er befürchtete, dass sich der Mountie vielleicht verplaudern konnte.
Der Büffeljäger verzog das Gesicht. »Ich fürchte, da müsst ihr euch noch ein paar Stunden gedulden. Um diese Zeit schläft Big Nose noch seinen Rausch aus, vor dem Nachmittag ist der nie ansprechbar.«
»So viel Zeit haben wir nicht«, sagte Callaway und glitt ebenso wie Frenchy vom Rücken seines Pferdes.
Gemeinsam stapften sie auf das Zelt von Big Nose zu, während ihnen der Büffeljäger hinterherrief, dass sie beim Betreten der Unterkunft zuallererst die Nase zuhalten sollten. Dass dieser Hinweis mehr als berechtigt war, merkten die beiden, als Frenchy, der zuerst am Zelt war, die Decke zurückschlug, die den Eingang zu Big Noses Tipi verdeckte. Der Gestank, der ihnen aus dem Innern der Behausung entgegenkam, war so widerlich, dass sie Mühe hatten, sich nicht zu übergeben.
Fortsetzung folgt …