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Catherine Parr Band 1 – Kapitel 7 Teil 1

Luise Mühlbach
Catherine Parr
Erstes Buch
Historischer Roman, M. Simion, Berlin 1851

VII.

Vater und Tochter

Tiefe Stille herrschte nun im Schloss von Whitehall, wie in ganz London. Die glücklichen Untertanen König Heinrichs durften auf einige Stunden wenig­stens ungefährdet in ihren Häusern bleiben und hinter verschlossenen Fensterladen und bei verriegelten Türen entweder schlummern und träumen oder sich ihren Andachtsübungen, um welche man sie am Tage vielleicht als Verbrecher denunziert hätte, hingeben! Sie durften sich einige Stunden dem süßen und beseligenden Traum überlassen, freie, und in ihrem Glauben und ihrem Denken unbehinderte Menschen zu sein, denn König Heinrich schlief, und auch Gardiner und der Lord Kanzler Wriothesly hatten ihre wachsamen und spä­henden frommen Mörderaugen geschlossen und ruhten ein wenig aus von ihrem christlichen Häscheramt!

Der König, wie gesagt, schlief, und der ganze Hofstaat der beiden Majestäten ruhte aus von den Festlichkeiten des königlichen Hochzeitstages, welche dieses Mal an Pomp und Glanz die fünf vorhergehen­den Vermählungen noch bei Weitem übertroffen hatten!

Indessen schien es, als ob nicht alle Hofbeamten der Ruhe pflegten und dem Beispiel des Königs folgten. Denn unfern von dem Schlafzimmer des königlichen Paares konnte man, obwohl die Fenster mit schweren Damastvorhängen verhüllt waren, dennoch an dem helleren Schein erkennen, dass man die Lichter noch nicht ausgelöscht, und wer genauer hingesehen hatte, würde bemerkt haben, dass dann und wann sich ein menschlicher Schatten an den Vorhängen abzeichnete.

Der Bewohner dieses Zimmers war also noch nicht zur Ruhe gegangen und beängstigende Gedan­ken mussten es sein, welche ihn so ruhelos hin und wieder gehen machten!

Dieses Zimmer wurde von Lady Jane Douglas, der ersten Ehrendame der Königin bewohnt! Gardiners, des Bischofs von Winchester mächtiger Ein­fluss, hatte den Wunsch Catherines, die geliebte Ju­gendfreundin in ihrer Nähe zu haben, unterstützt, und ohne es zu ahnen, hatte die Königin die Hand geboten, um die gegen sie selbst gerichteten Pläne des heuchlerischen Erzbischofs der Erfüllung näher zu bringen!

Denn Catherine wusste nicht, welche Veränderung in den vier Jahren, in welchen sie Jane nicht gesehen hatte, in dem Charakter ihrer Freundin vorgegangen waren. Sie ahnte nicht, wie unheilvoll der Aufenthalt in dem strengkatholischen Dublin auf das leicht empfängliche Gemüt ihrer Jugendgespielin gewesen, und wie sehr es ihr ganzes Wesen umgestaltet hatte!

Die einst so heitere, so lebenslustige Lady Jane war eine strenggläubige Katholikin geworden, welche in fanatischem Eifer glaubte, Gott zu dienen, wenn sie der Kirche diente und ihren Priestern unbedingten Gehorsam zollte!

Lady Jane Douglas war daher, Dank ihrem Fanatismus und der Lehre der Priester, eine vollkommene Heuchlerin geworden. Sie konnte lächeln, während sie heimlich in ihrem Herzen Hass und Rache brütete, sie konnte die Lippen derer küssen, denen sie eben vielleicht Verderben geschworen, sie konnte sich eine harmlose, unschuldige Miene bewahren, während sie Alles beobachtete und auf jeden Atemzug, jedes Lächeln, jedes Zucken der Augenwimpern achtete!

Es war daher für Gardiner, den Erzbischof von Winchester sehr wichtig gewesen, diese Freundin der Königin an den Hof zu bringen und aus dieser Schü­lerin Loyolas sich eine Bundesgenossin und Freundin zu machen!

Lady Jane Douglas war allein, und im Zimmer auf und abgehend überlegte sie die Begebenheiten des heutigen Tages.

Nun, da niemand sie beobachtete, hatte sie diese sanfte, ernste Miene abgelegt, welche man sonst an ihr zu sehen gewohnt war. Ihr Antlitz verriet in raschem Wechsel all die verschiedenen traurigen und heiteren, stürmischen und zärtlichen Gefühle, welche sie bewegten!

Sie, welche bis dahin nur das eine Ziel vor Augen gehabt hatte, der Kirche zu dienen und diesem Dienst ihr ganzes Leben zu weihen, sie, deren Herz bis dahin nur dem Ehrgeiz und der Frömmigkeit offen gewesen war, sie fühlte heute ganz neue, nie geahnte Gefühle in demselben auftauchen!

Ein neuer Gedanke war in ihr Leben getreten, die Frau in ihr war erwacht, und es klopfte stürmisch an dieses Herz, um welches die Frömmigkeit eine ver­härtende Rinde gelegt hatte!

Sie hatte versucht, im Gebet sich zu sam­meln, und ihre Seele so ganz anzufüllen mit dem Gedanken an ihren Gott und ihre Kirche, dass gar kein irdisches Denken und Wünschen mehr Platz darin finden könne. Aber immer wieder tauchte das edle und ernste Angesicht Henry Howards vor ihrem inneren Auge empor, immer wieder glaubte sie seine ernste, melodische Stimme zu hören, welche wie mit zaube­rischen Klängen ihr Herz erbeben und zittern machte!

Sie hatte sich anfangs selbst gesträubt vor diesen holden und beglückenden Fantasien, welche ihr so seltsame und nie geahnte Gedanken aufdrängten, aber endlich siegte die Frau in ihr über die fanatische Ka­tholikin. In einen Sessel niedergleitend überließ sie sich ihren Träumen und Fantasien.

»Ob er mich wiedererkannt hat?«, fragte sie sich selbst, »ob er noch sich erinnert, dass wir vor einem Jahr uns täglich in Dublin am Hofe des Königs sahen? Aber nein«, sagte sie dann traurig, »er weiß nichts davon! Er hatte damals nur Augen und Sinn für seine junge Gemahlin! Ach, und sie war schön und lieblich wie eine Grazie! Aber ich, bin ich denn nicht auch schön, und haben nicht die edelsten Kavaliere mir gehuldigt und in vergeblicher Liebe nach mir geseufzt?

Wie kommt es denn, dass ich da, wo ich gefallen möchte, immer übersehen werde? Wie kommt es, dass diese beiden einzigen Männer, an deren Aufmerksamkeiten mir jemals gelegen war, mich niemals bevorzugten? Ich fühlte, dass ich Henry Howard liebte, aber diese Liebe war eine Sünde, denn Graf Surrey war ver­mählt. Ich riss also mein Herz gewaltsam los von ihm und gab es Gott, weil der einzige Mann, den ich hätte lieben können, meiner nicht begehrte! Aber selbst Gott und die Frömmigkeit sind nicht imstande, das Herz einer Frau ganz auszufüllen! Es war in meiner Brust noch Raum für den Ehrgeiz, und weil ich denn keine glückliche Frau sein konnte, wollte ich mindestens eine mächtige Königin sein! Oh, es war alles so gut berechnet, so fein angelegt! Gardiner hatte schon beim König von mir gesprochen und ihn seinem Plan geneigt gemacht. Während ich auf einen Ruf von ihm von Dublin hierhereile, kommt diese kleine Catherine Parr, entreißt ihn mir und stürzt alle unsere Pläne um! Ach, ich werde ihr das nie vergeben! Ich werde mich zu rächen wissen! Ich werde sie zwingen, diese Stelle zu ver­lassen, welche mir gehört, und wenn es dazu keinen anderen Weg gibt, so muss sie den Weg zum Schafott

gehen, wie es Catherine Howard getan hat! Ich will Königin von England werden, ich will …«

Sie unterbrach sich plötzlich in ihrem Selbstgespräch und lauschte. Es war ihr, als habe sie ein leises Klopfen an ihre Tür vernommen!

Sie hatte sich nicht getäuscht; dieses Klopfen wieder­holte sich nun, und zwar in einem eigentümlichen, absichtlichen Takt.

»Es ist mein Vater!«, sagte Lady Jane, und indem sie wieder ihre ernste und stille Miene annahm, ging sie hin, die Tür zu öffnen.

»Ach, du erwartetest mich also«, sagte Lord Archimbald Douglas, seine Tochter auf die Stirn küssend.

»Ja, ich erwartete Euch, mein Vater!«, erwiderte Lady Jane lächelnd. »Ich wusste, dass Ihr kommen würdet, um mir Eure Erfahrungen und Beobachtun­gen des heutigen Tages mitzuteilen und mir Verhaltensregeln für die Zukunft zu geben!«

Der Graf ließ sich auf die Ottomane niedergleiten und zog seine Tochter zu sich nieder.

»Du bist gewiss, dass uns niemand belauschen kann?«

Meine Frauen schlafen im vierten Zimmer und ich selbst habe die Türen bis zu ihnen verschlossen. Das Vorzimmer aber, durch welches Ihr gekommen seid,

ist, wie Ihr wisst, ganz leer und niemand könnte sich darin verbergen. Es bleibt also nur noch übrig, die von dort auf den Korridor führende Tür zu schließen, um vor jeder Überraschung sicher zu sein!«

Sie eilte in das Vorzimmer, die Tür zu schließen.«

»Jetzt, mein Vater, sind wir vor jedem Lauscher sicher«, sagte sie zurückkehrend und wieder ihren Platz auf der Ottomane einnehmend.

»Und die Wände, mein Kind, weißt du auch, ob die Wände sicher sind? Du siehst mich zweifelnd und erstaunt an? Mein Gott, welch ein harmloses und unschuldiges kleines Mädchen du noch immer bist! Habe ich dir nicht immer diese weise und große Lehre wiederholt: Zweifle an allem und misstraue jeglichem Ding, selbst dem, welches du siehst? Wer am Hof sein Glück machen will, muss zuallererst jedermann misstrauen und ihn für seinen Feind halten, dem er deshalb schmeicheln muss, weil er ihm schaden könnte, und den er so lange umarmt und küsst, bis er ihm endlich in einer glücklichen Umarmung entweder den Dolch ganz unbemerkt in die Brust stoßen oder das Gift in den Mund gießen kann! Glaube weder den Menschen noch den Wänden, Jane, denn ich sage dir, beide können noch so glatt und unschuldig aus

sehen. Es befindet sich doch ein Versteck hinter dem glatten Äußeren! Aber ich will es für heute glauben, dass diese Wände unschuldig sind und keinen Lauscher bergen! Ich will es glauben, weil ich dieses Zimmer kenne! Es waren schöne und bezaubernde Tage, in denen ich es kennenlernte! Damals war ich noch jung und schön, und König Heinrichs Schwester war noch nicht vermählt an den König von Schottland, und wir liebten uns beide so sehr! Ach, ich könnte dir wundersame Geschichten aus jenen glücklichen Tagen erzählen! Ich könnte …«

»Aber, mein teurer Vater«, unterbrach ihn Lady Jane, heimlich erbebend vor der entsetzlichen Aussicht, die so unzählige Male schon vernommene Geschichte seiner Jugendliebe noch einmal anhören zu müssen, »ohne Zweifel seid Ihr so spät in der Nacht nicht hierhergekommen, um mir zu erzählen, was ich, verzeiht mir, Mylord, was ich lange schon weiß! Ihr wolltet mir vielmehr das mitteilen, was Euer scharfer und untrüglicher Blick hier entdeckt hat!«

»Es ist wahr«, sagte Lord Douglas traurig, »ich werde jetzt zuweilen schwatzhaft, ein sicheres Zeichen, dass ich alt werde! Ich bin allerdings nicht gekommen, von der Vergangenheit zu sprechen, sondern von der Gegenwart! Sprechen wir also davon! Ach, ich habe an dem heutigen Tag viel erfahren, viel gesehen, viel beobachtet, und das Resultat meiner Beobachtungen ist: Du wirst König Heinrichs siebente Gemahlin!«

»Unmöglich, Mylord!«, rief Lady Jane, deren Antlitz wider ihren Willen einen freudigen Ausdruck annahm.

Ihr Vater bemerkte es. »Mein Kind«, sagte er, »ich mache dich darauf aufmerksam, dass du immer noch deine Züge nicht ganz in deiner Gewalt hast! Du beabsichtigtest zum Beispiel eben die Zurückhaltende und Tugendhafte zu spielen, und dein Gesicht hatte dennoch den Ausdruck einer stolzen Freude! Aber dies nebenbei! Die Hauptsache ist: Du wirst König Hein­richs siebente Gemahlin! Aber um es zu werden, bedarf es großer Aufmerksamkeit, einer vollständigen Kenntnis der hiesigen Verhältnisse, eines unablässigen Beobachten aller Menschen, einer undurchdringlichen Verstellungskunst, und endlich vor allen Dingen einer ganz genauen und gründlichen Kenntnis des Königs, seiner Regierungsgeschichte und seines Charakters! Besitzest du diese Letztere?«

»Vielleicht ein wenig, aber sicher nicht genügend! Denn, wie Ihr wisst, Mylord, lagen diese weltlichen Dinge mir weniger am Herzen als die heilige Kirche, deren

Dienst ich mich geweiht und welcher ich freudig mein ganzes Dasein, meine ganze Seele, mein ganzes Her­z weihen würde, wenn sie selbst nicht anders über mich bestimmt hätte! Ach, mein Vater, wäre es mir ver­gönnt gewesen, meiner Neigung zu folgen, so würde ich in Schotttand mich in ein Kloster zurückgezogen haben, um mein Leben in stiller Betrachtung und from­men Bußübungen hinzubringen und vor jedem profanen Geräusch meine Seele und mein Ohr zu verschließen! Aber man hat meine Wünsche nicht berücksichtigen wollen, und durch den Mund seiner ehrwürdigen und heiligen Priester hat mir Gott befohlen, in der Welt zu bleiben, und das Joch der Größe und des Königsglanzes auf mich zu nehmen. Wenn ich also danach trachte und strebe, Königin zu werden, so geschieht es nicht, weil dieser eitle Prunk und Glanz mich reizt, sondern einzig nur, weil durch mich die alleinseligmachende Kirche wieder einen Stützpunkt bei diesem schwachen und wankelmütigen König finden und weil ich ihn dem allein wahren Glauben wieder zu­führen sollte!«

»Sehr gut gespielt!«, rief ihr Vater, welcher ihr, während sie sprach, starr und unverwandt ins Angesicht gesehen hatte. »Auf mein Wort, sehr gut gespielt. Alles war im vollkommenen Einklang, die Gebärden, das Augenspiel und die Stimme! Meine Tochter, ich nehme meinen Tadel zurück! Du hast dich vollkommen in deiner Gewalt! Aber lass uns von König Heinrich sprechen! Wir wollen ihn jetzt einer gründlichen Analyse unterwerfen, und keine Faser seines Herzens, kein Atom seines Gehirns soll von uns unbeachtet bleiben! Wir wollen ihn in seinem häuslichen, seinem politischen und seinem religiösen Leben beobachten und uns genau jede seiner Charakter­eigenschaften klarmachen, um ihn danach behandeln zu können!

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