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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Detektiv – Band 27 – Die Wahrsagerin von Jorjakara – Teil 4

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 27
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Zweite Geschichte des Bandes
Die Wahrsagerin von Jorjakara

Teil 4

In unseren Bastkoffern, die wir in Surakarta gekauft hatten, befanden sich in der Hauptsache ein paar kostbare indische, golddurchwirkte Decken, die wir dort bei einem Chinesen aufgestöbert und teuer bezahlt hatten.

Am nächsten Vormittag gegen elf Uhr begannen wir zum Schein unsere Handelsgeschäfte, wobei die indischen Decken die ihnen vorherbestimmte Rolle spielten. Wir besuchten ein paar Villen im Europäerviertel, forderten aber – alles durch Zeichensprache – so hohe Preise, dass wir überall abgewiesen wurden. Ebenso fragten wir nach Edelsteinen, gingen auch in zwei Basare, alles nur, um möglichst jeden Verdacht zu vermeiden, wir könnten unecht sein, denn wir mussten ja mit dem fein arbeitenden Spionagesystem der Bellingson rechnen.

Gegen halb 1 Uhr mittags betraten wir den Park des Schlosses und setzten dann den Türklopfer am Haupteingang in Bewegung. Unsere Lage war kritisch. Gerade weil die Bellingson lediglich indische Dienerschaft hielt, konnten wir in unseren Masken nur zu leicht durchschaut werden.

Erst nach einer geraumen Weile öffnete ein alter, langbärtiger Inder, der uns unheimlich durchdringend fixierte.

Harst bedeutete ihm, dass wir Edelsteinaufkäufer seien und auch die seltenen, kostbaren Decken der Herrin des Hauses anbieten möchten.

Der Alte schloss die Tür und ließ uns draußen auf der Treppe warten. Vor der Treppe zog sich ein breiter Kiesweg hin. Dann kam der Rasenplatz, der sich nach dem Parktor zu bis zum Anfang einer Allee aus indischen Koniferen hinzog. Die Entfernung bis zu den ersten Alleebäumen betrug vielleicht hundert Meter. Dichtes Gebüsch und kleinere Bäume rahmten diesen eiförmigen Rasenplatz ein.

Harst hatte sich auf die oberste Stufe der Steintreppe gesetzt. Er blickte scheinbar tief in Gedanken geradeaus – dorthin, wo das von einer Buschkulisse halb verdeckte, noch leidlich erhaltene Parktor lag.

Dann – und er flüsterte die Sätze, fast ohne die Lippen zu bewegen – dann hörte ich Folgendes, als ich mich neben ihn gesetzt hatte: »Erste Konifere links … Reste von buntem Papier … dazu ein paar dünne Bambusstäbchen …«

Ich suchte mit den Augen, bis ich das entdeckt hatte, worauf er mich aufmerksam machen wollte. Es stimmte: Dort oben hingen an einem der dem Haus zugekehrten Äste Papierfetzen und ein paar ganz dünne Stäbe, dazu noch ein paar lange Bindfadenenden.

Hinter uns knurrte der schwere Türflügel. Wir standen schnell auf. Der alte Inder winkte. Wir folgten ihm in eine große Vorhalle, deren Rückwand die gekrümmte Mauer des durch die Mitte des Gebäudes hindurchgehenden Turmes bildete. Eine schmiedeeiserne, kunstvolle Tür verschloss den Zugang zum Turm. Der Alte öffnete sie. Es ging eine Steintreppe hinauf, die in einem engen Schacht emporlief. Sie endete auf einem Vorplatz in Form eines Sechsecks. Die holzgetäfelten Wände zeigten nirgends eine Tür. Trotzdem war eine solche gerade gegenüber der Treppe vorhanden. Der alte Hindu pochte in besonderer Art an das Getäfel, worauf zwei große, zusammenhängende Quadrate der Schnitzerei sich nach innen auftaten. Er deutete in das sonnenhelle Gemach hinein, worauf wir eintraten. Der Raum glich mehr einem orientalischen Museum als einem Wohngemach. Niemand befand sich darin. Die Tür hatte sich hinter uns lautlos geschlossen. Auch hier war keinerlei Eingang wahrzunehmen. Durch die drei Bogenfenster, die oben bunte Scheiben hatten, fielen leuchtende Sonnenstreifen auf seltsame, reich eingelegte Sessel, Truhen und Schränke.

Harst hatte sich flüchtig umgeschaut, markierte nun eine frei erfundene Fingersprache und setzte sich auf einen niedrigen Elfenbeinhocker. Ich folgte seinem Beispiel. Gerade vor mir an der Wand hingen in breiten Ebenholzrahmen unter Glas auf rote Pappe geheftete bunte, offenbar indische Seidentücher, in Kranzform geschlungen. Ich zählte: Es waren vier von diesen merkwürdigen eingerahmten Tüchern vorhanden. Aber ich sah noch mehr: Unter jedem Tuch war mit goldenen Buchstaben, offenbar in indischen Schriftzeichen etwas geschrieben.

Ich blickte nach Harst hin, wollte ihn auf diesen seltsamen Wandschmuck aufmerksam machen. Doch er hielt den Kopf gesenkt und hantierte an dem Schloss seines Bastkoffers herum, öffnete diesen nun, holte zwei der kostbaren Decken hervor und breitete sie dann über einem Muschelschemel aus, wobei er sich ganz so benahm wie ein Händler, der seine Ware möglichst gefällig zur Schau stellen will.

Dann – ich prallte mit einem Satz bis an das mittelste Fenster zurück und Harst tat sofort ein Gleiches – dann war ganz lautlos von hinten neben uns ein glänzend schwarzer Panther aufgetaucht, dessen langer Schweif langsam hin und her pendelte.

Erst als wir (Harst spielte fraglos nur den heftig Erschrockenen) bei der Flucht zum Fenster hin uns umschauten, sahen wir noch zwei weitere, ebenso prächtige Panther und – Mistress Maria Bellingson in einem langen, schwarzen Seidengewand.

Heute, wo kein Hut ihr schneeweißes, volles Haar bedeckte, wo das Tageslicht die hohe schlanke Gestalt und das vornehme, feinlinige Greisinnengesicht traf, gewann man sofort den Eindruck, hier einer Frau von ganz besonderer Veranlagung gegenüberzustehen. Das Hoheitsvolle, Gebieterische ihrer Erscheinung wirkte so stark, dass ich über diesem Anblick beinahe vergaß, dass ich doch nur ein einfacher, brauner Händler war und ihr beinahe eine sehr europäische Verbeugung gemacht hätte.

Sie stand regungslos und fixierte uns scharf mit ihren großen, dunklen Augen. Einmal war es mir, als ob um ihren Mund etwas wie ein spöttisches überlegene Lächeln flog. Aber ich konnte mich auch getäuscht haben.

Harst begann nun auch schon, nachdem er sich mit über der Brust gekreuzten Armen mehrfach sehr tief verneigt hatte, durch Zeichen dieser ungewöhnlichen Frau zu erklären, weshalb wir sie aufgesucht hätten, hob die eine Decke auf, brachte sie in die richtige Beleuchtung und deutete durch Abzählen an den Fingern den Preis an.

Maria Bellingson schüttelte den Kopf. Dann legte Harst zwei ungeschliffene Edelsteine an die Hand und wiederholte seine stummen Erklärungen, die nun auf die Frage hinausliefen, ob die Hausherrin Edelsteine kaufe oder zu verkaufen hätte.

Wieder nur das Kopfschütteln als Antwort.

Währenddessen strichen die drei Panther unruhig im Zimmer umher. Ich kann nicht behaupten, dass mir sehr wohl bei alledem war. Im Gegenteil: Ich hatte nur den Wunsch, wir möchten wieder ganz heil ins Freie gelangen.

Nun – meine Angst war überflüssig. Plötzlich tat sich die unsichtbare Tür wieder auf. Der alte Inder winkte, und Harst packte seine Decken wieder ein.

Mistress Bellingson hatte noch immer dieselbe Stellung inne. Ihre Augen ließen nicht von uns ab. Wir verbeugten uns mit den Armen über der Brust mehrmals bis zur Erde und gingen hinaus. Als ich die Treppe hinabschritt, glaubte ich, dass jeden Moment irgendetwas uns Ungünstiges sich ereignen würde. Nichts geschah. Wir waren nun wieder im Park, durchschritten die Koniferenallee und betraten die Straße. Harst unterhielt sich mit mir in der Fingersprache. Erst als wir in unserem Zimmer waren, als Harst auch nochmals die Tür geöffnet und sich überzeugt hatte, dass niemand draußen lausche, trat er dicht vor mich hin und flüsterte: »Lieber Alter, wir werden Mühe haben, hier wieder unversehrt davonzukommen. Nachmittags wollen wir noch ein wenig die Händler spielen und dann diesen Ort, der für uns eine so ungesunde Luft hat, mit unserem Wägelchen wieder verlassen. Nur so hoffe ich – ich hoffe nur –, werden wir dieser Frau entgehen, die ten Brinken doch sehr – sehr unterschätzt. Wir beide richten gegen sie nie etwas aus. Wir müssen Hilfe haben: Freund Schliepner mit einem ganzen Polizeiaufgebot. Nur so wage ich es, gegen sie vorzugehen. Mach dazu kein so zweifelndes Gesicht. Ich meine es völlig ehrlich mit alledem. Vergiss nicht, dass das alte Jagdschloss das Hauptquartier derjenigen Leute ist, die der Familie Wolpoore ewige Rache und Vernichtung geschworen haben, dass alles, was gegen die Wolpoores unternommen wurde, von dieser hochintelligenten Frau ausging! Ich habe jetzt die Beweise, dass sie das Oberhaupt der Reste der Thugsekte ist, dass sie es war, die das Attentat gegen uns angestiftet hat, dass sie – auch Grund hat, mich – uns beide wie Todfeinde zu hassen! Die Papierfetzen und die Stäbchen in der Konifere waren zweifellos Reste eines der Versuchsdrachen, die sie hergestellt hatte. Denn das Feuerwerk wurde ja bei dem Fest, das sie letztens veranstaltet hatte, in den rückwärtigen Teilen des Parkes abgebrannt, wie Lian Schen uns mitteilte. Maria Bellingson dürfte uns heute als Europäer erkannt haben – vielleicht als Harst und Schraut trotz der auch hier verbreiteten Nachricht von unserem Toe. Mithin – abends geht es nach Semarang!«

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