Als E-Book erhältlich

Archive

Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – 11. – 14. Bändchen – Kapitel XV

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Elftes bis vierzehntes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

XV. Die drei Leutnants des Generalissimus

Verabredetermaßen begaben sich Athos und Aramis, als sie den Gasthof Zum Grand-Empereur-Charlemagne verließen, ins Hotel des Herzogs von Bouillon.

Die Nacht war rabenschwarz, widerhallte aber beständig von dem tausendfachen Geräusch einer belagerten Stadt. Auf jedem Schritt traf man Barrikaden, an jeder Biegung der Straßen ausgespannte Ketten, auf jedem Kreuzweg Biwaks. Die Patrouillen zogen, das Losungswort austauschend, aneinander vorbei; die von den verschiedenen Chefs abgeschickten Boten durchzogen die Plätze; lebhafte, die Aufregung der Geister bezeichnende Gespräche wurden zwischen friedlichen Bürgern, die an den Fenstern standen, und ihren kriegerischen Mitbürgern gepflogen, die mit der Partisane auf der Schulter oder der Büchse im Arm in den Straßen umherliefen.

Athos und Aramis machten keine hundert Schritte, ohne von den an den Barrikaden aufgestellten Wachen angehalten und nach dem Losungswort gefragt zu werden; aber sie erwiderten, sie gingen zu Herrn von Bouillon, um ihm eine wichtige Nachricht zu überbringen. Man begnügte sich, ihnen zur Bewachung einen Führer mitzugeben.

Als sie in die Gegend des Hotels Bouillon kamen, begegneten sie drei Reitern, in denen sie unschwer die drei Edelleute aus dem Wachtzimmer wiedererkannten.

»Wie zum Teufel«, fragte Aramis, »können sie sich so in die Nähe des Hotels Bouillon wagen?«

Athos lächelte, antwortete aber nicht. Fünf Minuten danach klopften sie an die Tür des Prinzen.

Es stand eine Schildwache davor, wie dies bei Leuten, die mit einem höheren Grad bekleidet sind, der Fall ist; ein kleiner Posten befand sich sogar im Hof, bereit, den Befehlen des Leutnants des Prinzen von Conti zu gehorchen.

Herr von Bouillon hatte die Gicht, weshalb man damals auf den Gassen sang:

Herr von Bouillon, der brave Mann,
Ist mit der Gicht gar übel dran.

Er lag im Bett, aber trotz dieser Krankheit, die ihn seit einem Monat, das heißt seit der Belagerung von Paris, am Reiten hinderte, ließ er nichtsdestoweniger sagen, er sei bereit, den Herrn Grafen de la Fère und den Herrn Chevalier d’Herblay zu empfangen.

Die Freunde trafen den Kranken in seinem Zimmer im Bett, aber von militärischem Apparat umgeben. Überall an den Wänden hingen Schwerter, Pistolen, Panzer und Büchsen.

»Ah! Meine Herren«, rief der Herzog, als er die beiden Besucher erblickte, und machte dabei, um sich in seinem Bett zu erheben, eine Anstrengung, die ihm eine Grimasse des Schmerzes entriss. »Ihr seid sehr glücklich! Ihr könnt zu Pferde steigen, kommen, gehen, für die Sache des Volkes kämpfen. Ich aber bin, wie ihr seht, an das Bett gefesselt. Ah! die verdammte Gicht!«, murmelte er mit einer neuen Grimasse, »die verdammte Gicht!«

»Monseigneur«, sprach Athos, »wir kommen von England, und bei unserer Ankunft in Paris war es unser erstes Geschäft, hierher zu gehen, um uns nach Eurer Gesundheit zu erkundigen.«

»Großen Dank, meine Herren, großen Dank!«, versetzte der Herzog. »Schlecht steht es mit meiner Gesundheit, wie ihr seht … Die verdammte Gicht! Oh! Ihr kommt von England! Und der König Karl befindet sich wohl, wie ich gehört habe?«

»Er ist tot, Monseigneur«, erwiderte Aramis.

»Bah!«, rief der Herzog erstaunt.

»Gestorben auf dem Blutgerüste, verurteilt vom Parlament.«

»Unmöglich.«

»Hingerichtet in unserer Gegenwart.«

»Was sagte mir denn Herr von Flamarens?«

»Herr von Flamarens?«, fragte Aramis.

»Ja, er geht soeben von hier weg.«

Athos lächelte.

»Mit zwei Gefährten?«, fragte er.

»Mit zwei Gefährten, ja«, antwortete der Herzog, dann aber fügte er mit einer gewissen Unruhe bei, «solltet Ihr ihnen begegnet sein?«

»Ja, auf der Straße, wie mir scheint«, sprach Athos.

»Die verdammte Gicht!«, rief Herr von Bouillon, dem offenbar gar nicht wohl war.

»Monseigneur«, versetzte Athos, »es bedarf in der Tat Eurer ganzen Anhänglichkeit an die Sache der Pariser, um leidend, wie Ihr seid, an der Spitze der Armee zu bleiben, und diese Beharrlichkeit nötigt mir und Herrn d’Herblay unsere vollste Bewunderung ab.«

»Was wollt Ihr, meine Herren, man muss sich der öffentlichen Sache opfern. Ich opfere mich auch, wie Ihr seht, aber ich gestehe, mit meinen Kräften geht es zu Ende. Der Kopf ist gut, das Herz ist gut, aber diese verdammte Gicht bringt mich um, und ich spreche es offen aus, wenn der Hof meinen Forderungen, meinen billigen Forderungen Gerechtigkeit widerfahren ließe, wenn man mir Domänen im Wert des mir genommenen Fürstentums Sedan gäbe und einige andere Kleinigkeiten gewährte, so zöge ich mich sogleich auf meine Güter zurück und ließe den Hof und das Parlament die Sache unter sich ausmachen.«

»Und Ihr hättet sehr recht, Monseigneur«, sprach Athos.

»Nicht wahr, das ist Euer Rat, Herr Graf de la Fère?«

»Ganz und gar.«

»Und der Eurige auch, Herr Chevalier d’Herblay?«

»Vollkommen.«

»Nun wohl, ich gestehe euch, meine Herren«, versetzte der Herzog, »dass ich ihn höchst wahrscheinlich befolgen werde. Der Hof macht mir in diesem Augenblick Anerbietungen; es hängt nur von mir ab, sie anzunehmen. Bis zu dieser Stunde habe ich sie zurückgewiesen; da mir aber Männer, wie Ihr seid, sagen, ich habe unrecht, und besonders, da mich diese verdammte Gicht in die Unmöglichkeit versetzt, der Pariser Sache Dienste zu leisten, so habe ich meiner Treue große Lust, Euren Rat zu befolgen und den Antrag anzunehmen, den mir Herr von Châtillon gemacht hat.«

»Nehmt ihn an, Prinz, nehmt ihn an«, sagte Aramis.

»Meiner Treue, ja, es ärgert mich auch, dass ich ihn diesen Abend beinahe von mir gewiesen habe, aber morgen findet eine Konferenz statt, und wir werden sehen.«

Die Freunde verbeugten sich vor dem Herzog und entfernten sich. Aber die schmerzlichen Ausrufungen des Herrn von Bouillon folgten ihnen bis in das Vorzimmer. Der arme Prinz litt offenbar wie ein Verdammter.

Als sie zu der Haustür gelangt waren, sagte Aramis zu Athos: »Nun, was denkt Ihr?«

»Wovon?«

»Von Herrn von Bouillon.«

»Mein Freund, ich denke, was das Volk singt«, erwiderte Athos.

Herr von Bouillon, der brave Mann,
Ist mit der Gicht gar übel dran.

»Ich habe deshalb auch nicht das Geringste von dem Gegenstand erwähnt, der uns hierher führte«, sprach Aramis.

»Und daran habt Ihr wohl getan, denn Ihr hättet einen neuen Anfall veranlasst. Gehen wir zu Herrn von Beaufort.«

Die Freunde gingen zum Hotel Vendôme.

Es schlug zehn Uhr, als sie dort ankamen.

Es war offenbar eine zum Zusammentreffen besonders geeignete Nacht, denn auch hier begegneten sie den Herren von Châtillon und Flamarens im Schlosshof. Sie wechselten mit ihnen ein paar Worte, in denen sie der Hoffnung auf Wiedersehen am nächsten Tag Ausdruck gaben, und stiegen ab.

Kaum hatten sie den Zügel ihrer Pferde ihren Lakaien zugeworfen und sich ihrer Mäntel entledigt, als sich ihnen ein Mann näherte, der, nachdem er sie einen Augenblick betrachtet hatte, einen Schrei des Erstaunens ausstieß und sich ihnen in die Arme warf.

»Graf de la Fère!«, rief dieser Mann. »Chevalier d’Herblay! Wie kommt Ihr hierher nach Paris?«

»Rochefort!«, riefen die Freunde in einem Atem.

»Allerdings. Wir sind, wie Ihr wohl erfahren habt, vor vier oder fünf Tagen von Vendôme hierhergekommen, und schicken uns an, Mazarin Arbeit zu geben. Ich setze voraus, Ihr gehört immer noch zu den Unseren.«

»Mehr als je. Und der Herzog?«

»Ist wütend über den Kardinal. Kennt Ihr die Erfolge dieses teuren Herzogs? Er ist der wahre König von Paris. Er kann nicht ausgehen, ohne dass man ihn beinahe erdrückt.«

»Desto besser«, sprach Aramis. »Aber sagt mir, sind nicht die Herren von Flamarens und Châtillon soeben von hier weggeritten?«

»Ja, sie haben Audienz bei dem Herzog gehabt. Ohne Zweifel kommen sie im Auftrag Mazarins. Aber ich stehe Euch dafür, sie werden eine schlimme Aufnahme gefunden haben.«

»Gut«, sagte Athos, »könnte man nicht die Ehre haben, Seine Hoheit zu sehen?«

»Warum nicht? Sogleich. Für Euch ist er immer sichtbar, wie Ihr wisst. Folgt mir; ich bitte mir die Ehre aus, Euch vorstellen zu dürfen.«

Rochefort ging voraus. Alle Türen öffneten sich vor ihm. Sie fanden Herrn von Beaufort im Begriff, sich zu Tisch zu setzen. Kaum hatte er aber die zwei Namen, die Rochefort ankündigte, gehört, als er vom Stuhl aufstand, den er gerade dem Tisch näher rücken wollte, und den zwei Freunden entgegenging, indem er lebhaft rief:

»Seid willkommen, meine Herren, soupiert doch mit mir, nicht wahr? Boisjoli, sagt Noirmont, ich habe zwei Gäste. Ihr kennt Noirmont, nicht wahr, meine Herren? Es ist mein Haushofmeister, der Nachfolger von Vater Marteau, der die vortrefflichen Pasteten macht, wie Ihr wisst. Boisjoli, er soll eins seiner Produkte schicken, aber keins, wie er sie für La Ramée gemacht hat. Gott sei Dank, wir bedürfen der Strickleitern, der Dolche und Maulbirnen nicht mehr.«

»Monseigneur«, sagte Athos, »belästigt unsertwegen Euren vortrefflichen Haushofmeister nicht, dessen zahlreiche und verschiedenartige Talente wir kennen.«

»Diesen Abend werden wir mit Erlaubnis Eurer Hoheit nur die Ehre haben, uns nach Ihrer Gesundheit zu erkundigen und Ihre Befehle entgegenzunehmen.«

»Ah, was meine Gesundheit betrifft, so seht Ihr, meine Herren, dass sie vortrefflich ist. Was jedoch meine Befehle betrifft, so gestehe ich, dass ich sehr in Verlegenheit bin, Euch solche zu geben, indem jeder die seinen gibt, und ich am Ende, wenn es so fortgeht, gar keine mehr geben werde.«

»Wirklich?«, sprach Athos, »ich glaubte doch, das Parlament rechne auf Eure Einhelligkeit?«

»Ah, ja, unsere Einhelligkeit, sie ist gar schön. Mit dem Herzog von Bouillon geht es noch; er hat die Gicht und verlässt sein Bett nicht; mit ihm kann man sich noch verständigen; aber mit Herrn von Elboeuf und seinen Elefanten von Söhnen niemals. Sie schreien und prahlen auf öffentlichen Plätzen; sobald es aber zum Schlagen kommt, dann gute Nacht, kriegerischer Mut. Doch bei dem Koadjutor ist es hoffentlich nicht so?«

»Ah! jawohl, bei dem ist es noch schlimmer. Gott bewahre Euch vor streitsüchtigen Prälaten, besonders wenn sie einen Panzer über dem Talar tragen. Wisst Ihr, was er tut, statt sich ruhig zu verhalten und Tedeum für die Siege zu singen, die wir nicht davontragen, oder für die Siege, wo wir geschlagen werden?«

»Nein.«

»Er bildet ein Regiment, dem er seinen Namen gibt: das Regiment Korinth. Er macht Leutnants, Kapitäne, nicht mehr und nicht weniger als ein Marschall von Frankreich, und Oberste, wie der König.«

»Ja«, sprach Aramis, »aber wenn man sich schlägt, wird er hoffentlich in seinem erzbischöflichen Palast bleiben?«

»Keineswegs. Ihr täuscht Euch, mein lieber d’Herblay. Wenn man sich schlägt, schlägt er sich auch, sodass man ihn, da er durch den Tod seines Oheims Sitz im Parlament erhalten hat, beständig zwischen die Beine bekommt … im Parlament, im Rat, in der Schlacht. Der Prinz von Conti ist ein Fantasie-General, und was für eine Fantasie ist dies! Ein buckeliger Prinz, ein Nussknacker wäre ebenso viel wert. Ah, es geht alles schlecht, meine Herren, alles geht sehr schlecht.«

»Monseigneur, Eure Hoheit ist also unzufrieden?«, sprach Athos, einen Blick mit Aramis austauschend.

»Unzufrieden, Graf? Sagt lieber wütend und zwar dergestalt, dass ich, wenn die Königin alles Unrecht, welches sie gegen mich gehabt hat, anerkennen würde, wenn sie meine verbannte Mutter zurückrufen wollte, wenn sie mir die Anwartschaft auf die Admiralswürde, die meinem Vater gehörte und die mir nach seinem Tod versprochen worden ist, erteilte, nun ein noch viel bezeichnenderes Lächeln aus, und wären sie auch den Herren von Flamarens und von Châtillon nicht begegnet, so hätten sie doch erraten, woher Herrn von Beauforts so sehr geänderte Stimmung komme.

»Monseigneur, wir sind nun befriedigt«, sprach Athos. »Als wir zu dieser Stunde zu Eurer Hoheit kamen, hatten wir keinen anderen Zweck, als Euch unsere Ergebenheit an den Tag zu legen und zu sagen, dass wir als Ihre gehorsamsten Diener ganz und gar zu Ihrer Verfügung stehen.«

»Als meine treuesten Freunde, meine Herren, als meine treuesten Freunde … Ihr habt es mir bewiesen, und wenn ich mich je mit dem Hof aussöhne, so werde ich Euch beweisen, dass ich Euer Freund sowie der Freund jener Herren geblieben bin … wie nennt Ihr sie doch?«

»D’Artagnan und Porthos.«

»Ah, ja, so ist es. Ihr begreift also, Graf de la Fère, Ihr begreift, Chevalier d’Herblay, ganz und immer Euer Freund.«

Athos und Aramis verbeugten sich und verließen das Zimmer.

»Mein lieber Athos«, sprach Aramis, »Gott verzeihe mir, ich glaube, Ihr habt mir Eure Begleitung nur geschenkt, um mir eine Lehre zu geben?«

»Wartet doch, mein Lieber«, sprach Athos, »es ist noch Zeit zu dieser Bemerkung, wenn wir vom Koadjutor kommen.«

»Gehen wir also in den erzbischöflichen Palast!«, erwiderte Aramis.

Beide schritten der Altstadt zu. Bei dem Koadjutor sahen sie im Vorzimmer ein ganzes Dutzend vornehmer Herren warten. Sie riefen einen Bedienten und drückten ihm eine halbe Pistole in die Hand, um sofort gemeldet zu werden. Als sie aber erfuhren, es sei soeben der Herr von Bruy beim Koadjutor – unter diesem Namen verbarg sich, wie unseren Lesern bekannt ist, Mazarin selbst –, verzichteten sie auf eine Unterredung, schritten durch den Haufen der Lakaien hindurch und verließen den erzbischöflichen Palast.

»Nun«, fragte Athos, als Aramis und er wieder in der Barke waren, »fangt Ihr an zu glauben, dass wir mit der Verhaftung des Herrn von Mazarin diesen Leuten einen sehr schlimmen Streich gespielt haben würden?«

»Ihr seid die eingefleischte Weisheit, Athos«, erwiderte Aramis.

Den zwei Freunden war ganz besonders das geringe Gewicht aufgefallen, das der Hof von Frankreich auf die furchtbaren Ereignisse legte, die sich in England zugetragen hatten, während die Hinrichtung des Königs ihrer Ansicht nach die Aufmerksamkeit von ganz Europa in Anspruch nehmen musste.

Die zwei Freunde verabredeten, am nächsten Morgen um zehn Uhr wieder beisammen zu sein, denn obwohl die Nacht sehr weit vorgerückt war, als sie an den Gasthof gelangten, behauptete doch Aramis, er habe einige sehr wichtige Besuche zu machen, und ließ Athos allein.

Als es am anderen Morgen zehn Uhr schlug, waren sie beisammen. Schon um sechs Uhr morgens war Athos ebenfalls ausgegangen.

»Nun, habt Ihr irgendeine Nachricht?«, fragte Athos.

»Keine; man hat d’Artagnan nirgends gesehen, und Porthos ist auch noch nicht erschienen. Und Ihr?«

»Nichts.«

»Teufel!«, rief Aramis.

»In der Tat«, sprach Athos, »dieses Zögern ist nicht natürlich. Sie haben den geradesten Weg eingeschlagen und sollten daher vor uns eingetroffen sein.

Bedenkt dabei noch, dass wir d’Artagnans Hurtigkeit kennen, und wissen, dass er nicht der Mann ist, eine Minute zu verlieren, wenn er weiß, dass wir auf ihn warten.«

»Er gedachte, wie Ihr Euch erinnert, am fünften hier zu sein.«

»Und wir haben heute den neunten. Diesen Abend läuft die bestimmte Frist ab.«

»Was beabsichtigt Ihr zu tun«, fragte Athos, »wenn wir diesen Abend keine Nachricht haben?«

»Bei Gott, wir müssen nachforschen.«

»Gut«, versetzte Athos.

»Aber, Raoul?«, fragte Aramis.

Eine leichte Wolke zog über die Stirn des Grafen.

»Raoul macht mir große Unruhe«, sagte er. »Er hat gestern eine Botschaft vom Prinzen von Condé erhalten, ist zu ihm nach Saint-Cloud gegangen und nicht wieder zurückgekehrt.«

»Habt Ihr Frau von Chevreuse nicht gesehen?«

»Sie war nicht zu Hause. Aber Ihr, Aramis, Ihr müsst wohl bei Frau von Longueville vorübergekommen sein?«

»In der Tat, so ist es.«

»Nun?«

»Sie war auch nicht zu Hause; aber sie hatte wenigstens die Adresse ihrer neuen Wohnung zurückgelassen.«

»Wo war sie?«

»Ratet.«

»Wie soll ich erraten, wo man um Mitternacht ist? Denn ich setze voraus, dass Ihr Euch, als Ihr mich verließet, zu ihr begeben habt. Wie soll ich erraten, wo sich um Mitternacht die Schönste und Tätigste aller Frondeusen befindet?«

»Im Stadthaus, mein Lieber.«

»Wie, im Stadthaus? Ist sie zur Sekretärin der Handelsleute ernannt worden?«

»Nein, aber sie hat sich zur interimistischen Königin von Paris gemacht. Und da sie es nicht wagte, sich sofort im Palais-Royal oder in den Tuilerien zu installieren, so quartierte sie sich einstweilen im Stadthaus ein, wo sie demnächst diesem lieben Herzog einen Erben oder eine Erbin geben wird.«

»Ihr habt mir diesen Umstand nicht mitgeteilt«, sprach Athos.

»Wirklich? Eine Vergessenheit; entschuldigt.«

»Nun sprecht, was wollen wir von jetzt bis zum Abend machen? Es scheint mir, wir sind sehr müßig.«

»Ihr vergesst, mein Freund, dass wir ein ganz bestimmtes Geschäft haben.«

»Wo dies?«

»Bei Charenton. Ich habe Hoffnung, versprochenermaßen einen gewissen Herrn von Châtillon dort zu treffen, den ich seit langer Zeit hasse.«

»Und warum?«

»Weil er der Bruder eines gewissen Herrn von Coligny ist.«

»Ah, das ist wahr, ich vergaß es … der auf die Ehre Anspruch gemacht hat, Euer Nebenbuhler zu sein. Er ist sehr grausam für diese Kühnheit bestraft worden, mein Lieber, und in der Tat, das müsste Euch genügen.«

»Ja, aber was wollt Ihr, das genügt mir nicht. Ich bin streitsüchtig, das ist der einzige Punkt, in dem ich kirchlich bin. Ihr begreift hiernach, Athos, dass Ihr keineswegs genötigt seid, mir zu folgen.«

»Still«, erwiderte Athos, »Ihr scherzt.«

»Gut, mein Lieber; wenn Ihr also entschlossen seid, mich zu begleiten, so haben wir keine Zeit zu verlieren. Man hat die Trommel gerührt, ich begegnete den abziehenden Kanonen und sah die Bürger sich in Schlachtordnung vor dem Stadthaus aufstellen. Man wird sich sicherlich bei Charenton schlagen, wie gestern der Herzog von Châtillon gesagt hat.«

»Ich hätte geglaubt, die Unterredungen in dieser Nacht würden die kriegerische Stimmung ändern.«

»Allerdings, man wird sich aber dessen ungeachtet schlagen, und wäre es nur, um diese Unterredungen zu maskieren.«

»Arme Leute!«, versetzte Athos, »die sich töten lassen, damit man dem Herrn von Bouillon Sedan zurückgibt, Herrn von Beaufort die Anwartschaft auf die Admiralswürde verleiht, und damit der Koadjutor Kardinal wird.«

»Still, still, mein Lieber«, sagte Aramis, »gesteht, dass Ihr nicht so sehr Philosoph wäret, wenn Euer Raoul nicht in diesen ganzen Streit verwickelt sein könnte.«

»Ihr sprecht vielleicht die Wahrheit, Aramis.«

»Nun, so lasst uns dahin gehen, wo man sich schlägt. Es ist ein sicheres Mittel, d’Artagnan, Porthos und vielleicht sogar Raoul wiederzufinden.«

»Ach!«, seufzte Athos.

»Mein lieber Freund«, sagte Aramis, »jetzt, da wir in Paris sind, müsst Ihr durchaus Euer beständiges Seufzen aufgeben. Frisch auf in den Kampf, Athos! Seid Ihr nicht mehr der Mann des Schwertes? Habt Ihr Euch zur Kirche gewendet? Seht, da kommen hübsche Bürger vorüber. Das ist bei Gott lockend. Und dieser Kapitän, er hat beinahe eine militärische Haltung.«

»Sie kommen aus der Rue du Mouton.«

»Trommeln voraus, wie wahre Soldaten. Es macht mir kein Vergnügen, mit diesen Leuten hier Kameradschaft zu halten. Wollen wir nicht vorausmarschieren? Wir werden dann alles besser sehen.«

»Und dann würde Euch Herr von Châtillon auch nicht auf der Place Royale aufsuchen, nicht wahr? Vorwärts, mein Freund.«

»Habt Ihr Eurerseits nicht ein paar Worte mit Herrn von Flamarens zu sprechen?«

»Freund, erwiderte Athos, »ich habe den Entschluss gefasst, den Degen nicht mehr zu ziehen, wenn ich nicht durchaus dazu genötigt werde.«

»Seit wann?«

»Seitdem ich den Dolch gezogen habe.«

»Ah! gut, noch eine Erinnerung an Herrn Mordaunt. Es fehlte nur noch, mein Lieber, dass Ihr Gewissensbisse bekämt, weil Ihr diesen Menschen getötet habt.«

»Still«, sagte Athos, mit dem traurigen Lächeln, das nur ihm eigentümlich war, einen Finger auf seinen Mund legend. »Sprechen wir nicht mehr von Mordaunt; das würde uns Unglück bringen.«

Und Athos ritt in Richtung nach Charenton, zuerst an der Vorstadt hin und dann durch das Tal von Fécamp, das von bewaffneten Bürgern ganz schwarz war.

Es versteht sich von selbst, dass ihm Aramis auf eine halbe Pferdelänge folgte.