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Nick Carter – Band 13 – Der geheimnisvolle Nachbar des Detektivs – Kapitel 1

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Der geheimnisvolle Nachbar des Detektivs
Ein Detektivroman

Auf dem Fußballplatz

Der berühmte Detektiv Nick Carter hatte, wie viele seiner amerikanischen Landsleute, eine Schwäche für Fußball.

Er widmete sich eifrig diesem Nationalspiel. Wenn es seine anstrengende Tätigkeit ihm erlaubte, begab er sich zum Spielfeld der Fußball-Liga hinaus, wo er mit Interesse dem Gang des Spieles folgte.

An einem Tag, zeitig in der Saison, saß er auf einem Tribünenplatz und verfolgte eifrig die Bewegungen der Spieler. Neben ihm stand sein getreuer Gehilfe Chick, welcher ebenfalls einen freien Nachmittag hatte, was bei den beiden sehr selten vorkam.

Auch er verfolgte das Spiel mit großem Interesse.

In einer Pause, während die Parteien ihre Plätze wechselten, wurde Nicks Aufmerksamkeit auf einen Mann gelenkt, welcher direkt vor ihm saß. Was sein Interesse erregte, war, dass der Mann eine Perücke trug, welche schlecht saß.

Sie war von dunkelbrauner Farbe, und Nick bemerkte, dass ein Kranz von natürlichen Haaren hervorlugte, der beinahe flachsfarben war.

Die ganze Körperhaltung des Mannes kam ihm merkwürdig bekannt vor. Die Gewissheit, den Mann schon einmal getroffen zu haben, und die Tatsache, dass dieser Mann eine Perücke trug, die nicht mit seiner natürlichen Haarfarbe übereinstimmte, erweckte Nicks berufliches Interesse.

Aber nach einem Moment des Nachdenkens, als er gerade Chick fragen wollte, ob er den Mann vor ihm kenne, lachte Nick über sich selbst und murmelte: »Dieser Verdacht wird mich wieder ganz einnehmen, es ist ja meine zweite Natur. Ich werde jedoch alle Gedanken an den Mann verbannen und mich an dem Ballspiel erfreuen, wozu ich doch eigentlich hergekommen bin.«

Er musste jedoch Anstrengungen machen, seine Gedanken von dem Unbekannten abzulenken, und wenn das Spiel nicht gerade einen aufregenden Moment gehabt hätte, wären seine Blicke immer wieder dorthin gewandert, wo vorhin seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen worden war.

Das Spiel war vielleicht halb vorüber, als ein Herr von seinem Sitz aufstand, um sich dem Mann, der vor Nick saß, bemerkbar zu machen. Als ihm dies gelungen war, hielt er ein Stück Papier in die Höhe und bat seinen Nachbarn, dasselbe weiterzugeben.

Er saß in einiger Entfernung, und das Papier musste durch eine ganze Anzahl von Händen gehen, ehe es den Mann, für den es bestimmt war, erreichte.

Als dieser es erhielt, öffnete er es mit einer ganz eigentümlichen Handbewegung, was die Aufmerksamkeit von Nick und Chick auf sich zog. Es war eine Bewegung, die vielleicht erst einer von Hundert bemerkt hätte.

Der Mann hatte sich nichts anmerken lassen, woraus man vielleicht auf den Inhalt der Notiz hätte schließen können, und er begann nun, sie in seiner Hand zu rollen und zu zerknittern, wobei er seine Aufmerksamkeit wieder dem Spiel zuwandte.

Dieser Umstand, an und für sich nicht wichtig, veranlasste Nick, seinen Gehilfen zu fragen, ob er den Mann schon einmal gesehen hatte.

Chick erwiderte, dass er sich dessen nicht bewusst wäre, und für den Augenblick wurde die Unterhaltung durch den rauschenden Beifall des Publikums unterbrochen, als die blaue Partei ein glänzendes Goal gewann.

Nach einer Weile meinte Chick wieder: »Ich habe mir den Mann nochmals sorgfältig angesehen. Ich kann mich nicht erinnern, ihn schon einmal gesehen zu haben, aber von hinten kommt er mir eigentlich bekannt vor.«

Nick lachte, und Chick fügte schnell hinzu: »Ich weiß, es klingt komisch, dass man eine Person von hinten erkennen kann, und doch geht es mir oft so.«

»Es ist durchaus nicht verwunderlich«, erklärte Nick. »Für einen sorgfältig beobachtenden Mann ist die Rückseite eines Menschen ebenso wichtig wie das Gesicht. Sie kann uns ebenso wie dieses über den Charakter eines Menschen aufklären, wenn wir nur genau hinsehen.«

Chick gab seine Zustimmung, und Nick fuhr fort: »Ich lachte nur, weil ich eben denselben Eindruck hatte. Aber sieh dir seine Perücke an, sie stimmt nicht mit seiner natürlichen Haarfarbe überein!«

Chick sah hin und meinte nachdenklich: »Ob das Absicht ist?«

»Das ist schwer zu sagen«, antwortete Nick. »Wenn es eine Verkleidung ist, ist es die ungeschickteste, die ich je gesehen habe. Aber das denke ich nicht. Ich bilde mir ein, der Mann ist so kahlköpfig, dass er nur noch diesen kleinen Kranz von Haaren hat und dass seine Perücke etwas verrutscht ist. Ihm werde ich keine Aufmerksamkeit mehr schenken. Ich bin hergekommen, um mir das Ballspiel anzusehen.«

In diesem Augenblick, als wolle er Nicks Bemerkung bestätigen, bewegte der Mann seinen Kopf und rückte seine Perücke zurecht, sodass der Kranz von natürlichen Haaren, den Nick bemerkt hatte, verdeckt wurde.

Nun schien sich die Sache für die zwei Detektive erledigt zu haben, und sie wandten ihr Interesse endgültig wieder den Spielern zu.

Eine halbe Stunde später, gegen Schluss des Spieles, drehte sich der Mann, der der Gegenstand der Unterhaltung zwischen den beiden gewesen war, plötzlich auf seinem Platz um und sprach Nick an: »Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich Sie als den berühmten Mr. Nicholas Carter begrüße?«

Ein wenig überrascht verbeugte sich Nick.

»Erlauben Sie, dass ich mich vorstelle«, sagte der Mann. »Mein Name ist James Avery. Es wird mich entschuldigen, wenn ich Ihnen sage, dass ich heute bemerkte, dass wir Nachbarn sind.«

»Dann sind Sie der Bewohner der neben meinem Haus liegenden kleinen Villa, welcher gestern einzog?«

»Jawohl.«

Er lächelte belustigt und fuhr fort: »Abergläubische Leute würden sagen, dass es ein schlechter Anfang war, der Tag war Freitag und der dreizehnte des Monats. Zudem wurde auch beim Hereintragen ein Spiegel zerbrochen.«

»Durch den Fall des Spiegels«, erwiderte Nick, »erfuhr ich von Ihrem Einzug. Meine Cousine erzählte mir gestern Abend davon.«

»Ich hoffe«, gab Mr. Avery zurück, »Sie werden nicht denken, dass dieser Zufall es verhindern wird, dass wir gute Nachbarn werden.«

Nick lachte und sprach: »Ich glaube es kaum.«

»Wie ich gehört habe, Mr. Carter, spielen Sie Schach. Das ist auch eine von meinen Lieblingsbeschäftigungen, und ich hoffe, Sie werden mir ab und zu ein Spiel nicht abschlagen.«

»Wenn ich irgend Zeit habe, spiele ich Schach«, erwiderte Nick.

»Dann darf ich aber später einmal auf ein Spiel hoffen«, gab Mr. Avery zur Antwort, indem er seinen Platz wieder einnahm.

Nick verneigte sich und verfolgte wieder den Gang des Spieles.

Wenige Minuten vor Beendigung desselben kam ein Mann an der Tribüne vorbei, welcher einen eigentümlichen Pfiff hören ließ.

Nick blickte hin und erkannte seinen langjährigen Bekannten Inspektor McClusky, den großen Leiter der New Yorker Kriminalpolizei.

Mit dem Pfiff hatte jener seinen Freund Nick aufmerksam machen wollen, den er nicht anderes hätte erreichen können als dadurch, dass er über eine Anzahl Leute hinweggestiegen wäre.

Als Nick ihn nun bemerkte, rief er: »Ich möchte dich sprechen und werde dich hier erwarten, wenn das Spiel vorüber ist.«

»Was mag schon wieder passiert sein?«, fragte Chick.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Nick kurz, »aber er telefonierte mir heute Morgen, dass er mich bestimmt sprechen müsse.«

Diese kleine Unterhaltung war kaum vorüber, als Mr. Avery aufstand und sagte: »Ich bin ein wenig lahm und werde jetzt gehen, damit ich nicht in das Gedränge komme.«

Das war nichts Unnatürliches, und der Mann ging.

Er war kaum außer Sicht, als Chick unter dem leeren Sitz ein zusammengerolltes Stück Papier liegen sah. Er beugte sich nieder, hob es auf und entfaltete es.

Auf der einen Seite war eine Zeile mit Bleistift geschrieben, ziemlich verwischt durch das Zusammenrollen. Trotzdem konnte Chick es leicht entziffern. Er las: »Wary, Nick Carter sitzt direkt hinter dir.«

Chick reichte Nick das Papier. Dieser las es überrascht und sagte dann: »Es ist ziemlich verdächtig, aber es würde nicht so sein, wenn das eine Wort nicht gebraucht worden wäre.«

»Welches Wort meinst du?«, fragte Chick.

»Das Wort Wary. Das andere würde richtig sein. Wir könnten denken, dass der Mann, der unser Nachbar geworden ist, gern meine Bekanntschaft machen wollte, und dass ein Freund, der mich hinter ihm sitzen sah, ihm die Gelegenheit, dieses zu tun, mitzuteilen beabsichtigte. Aber das Wort Wary gibt dem Ganzen eine schlimme Bedeutung.«

»Das ist wahr«, lautete Chicks Antwort. »Aber ich kenne den Mann, der diesen Zettel schrieb.«

»Du kennst ihn? Wer ist es?«

»Er ist ein Börsenspekulant der Wall Street und heißt Albert Cummings.«

»Was weißt du sonst noch von ihm?«

»Nichts Schlechtes. Er führt ein flottes Leben, wenn sein Geschäft gut geht. Das einzig Tadelnswerte, was ich von ihm gehört habe, ist, dass er oft mit professionellen Spielern zusammenkommt.«

»Das ist doch aber nicht das Schlimmste«, war Nicks Antwort. »Das könnte doch mit dem Zettel nichts zu tun haben. Ich denke, das Blättchen hat keinerlei Bedeutung für uns.«

Er nahm das Blatt wieder in die Hand, sah es noch einmal an und sagte: »Zum Beispiel, Chick, würde es dir wohl kaum schwerfallen, eine Ähnlichkeit zwischen den Wörtern Avery und Wary zu finden.«

Chick sah es sich nochmals an und gab dies kopfnickend zu.

Als das Spiel zu Ende war, bahnten sich die zwei Detektive einen Weg zu dem Platz, wo der Chef des Detektivbüros sie erwartete.

»Nick«, sagte der Inspektor, »ich möchte einen wichtigen Gegenstand mit dir besprechen. Komm in zehn Minuten hinunter zur Restauration. Wenn wir da nicht ungestört sind, gehen wir irgendwo anders hin.«

Der Beamte ging davon, und Chick meinte: »Ich nehme an, dass es hier wieder etwas für uns zu tun gibt.«

»Ich hoffe nicht«, gab Nick zurück. »Wenn der Inspektor etwas von Wichtigkeit hat, so möchte ich es ihm nicht abschlagen. Ich habe nämlich schon einen anderen, sehr dringenden Fall angenommen.«

»Wenn er dir etwas bringt«, erwiderte Chick, »so kannst du sicher sein, dass es wichtig und zugleich schwierig ist, sonst würde man dir es nicht übertragen.«

»Zweifellos«, sagte Nick. »Natürlich würde die Detektivzentrale mir keine Sache bringen, welche leicht durch die eigenen Leute erledigt werden könnte.«

Für einen Augenblick schwiegen sie, und dann fragte Chick: »Hast du nun, nach der Unterredung mit dem Mann, der sich Avery nennt, irgendetwas gefunden, das dich daran erinnern könnte, ihn schon einmal gesehen zu haben?«

»Nein. Wenn ich je gedacht habe, ihn zu kennen, so schwand dieser Gedanke ganz und gar, als ich mit ihm sprach.«

»Ich beobachtete ihn aufmerksam, während er mit dir plauderte«, sagte Chick.

Nick sah rasch auf und fragte: »Sahst du irgendetwas Verdächtiges?«

»Nichts, was mich hätte an ihn erinnern können. Aber es schien mir, während er mit dir sprach, als hätte er dich eifrig studiert.«

»Studiert«, wiederholte Nick. »Was meinst du damit?«

»Es schien mir, als ob er sich vergewissern wollte, ob du ihn kennst.«

Sie hatten während des Gespräches die Tür des Restaurants erreicht, wo der Chef der Detektivzentrale mit ihnen zusammentreffen wollte.

Sie trafen ihn am Eingang, und er sagte: »Es hat keinen Zweck, hier eine Unterhaltung zu führen. Es sind zu viele Leute drinnen. Gehen wir woanders hin.«