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Nick Carter – Band 12- Eine gestörte Hochzeit – Kapitel 8

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Eine gestörte Hochzeit
Ein Detektivroman

Ida besucht Miss Rainforth

Am nächsten Morgen hörte Nick Carter mit Überraschung und tiefem Interesse, was die beiden ihm zu berichten hatten.

»Als wir uns gestern Abend trennten, schien uns kaum eine Lösung der rätselhaften Angelegenheit möglich zu sein«, sagte Nick. »Es scheint sich aber heute Nacht der Konflikt gelöst zu haben.«

»Ja«, fiel Chick ein, »es schien ziemlich richtig zu sein, wenn Patsy vermutete, dass wir die Frau, welche die beiden Briefe schrieb, in Gesellschaft Lannigans zu suchen hätten. Nun, wir haben die Briefschreiberin gefunden, gleichzeitig aber entdeckt, dass sie nichts mit Lannigan zu tun hat, während die Frau, die wir bei demselben fanden, nichts mit den Briefen zu tun hat, wohl aber mit Ellison in Verbindung zu bringen ist.«

»Well«, meinte Nick nachdenklich, »ihr müsst weiterführen, was ihr begonnen habt. Die Geschichte mit Lannigan müsst ihr heute zu Ende bringen. Das wird euch nach Philadelphia führen, denn Lannigan fuhr heute früh dorthin. Ihr müsst über Ellisons dortige Verbindungen genau Erkundigungen einziehen und zu erfahren suchen, mit wem er dort verkehrte.«

»Dann zweifelst du nicht daran«, fragte Chick, »dass der Engländer, von dem Alice sprach, Ellison gewesen ist?«

»Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln«, entgegnete der große Detektiv. »Denn während ihr auf der einen Seite Erkundigungen einzogt, habe ich erfahren, dass Ellison im letzten Sommer eine Vergnügungsfahrt auf einer Yacht unternahm und dass er einige Zeit in Philadelphia zubrachte.«

Er stand vom Stuhl auf und fuhr fort, im Zimmer auf- und abgehend: »Ich weiß nicht, was ich von dem jungen Sanborn denken soll; für einen Mann, welcher mit Ellison so gut bekannt ist, wie er behauptet, ist er entweder fürchterlich naiv, oder er verweigert uns zu sagen, was er von ihm weiß. Gestern ließ er den Namen eines Mannes fallen, den ich sehr gut kenne und bei dem Ellison einen großen Teil seiner Zeit zugebracht haben soll. Von ihm erfuhr ich von der Yachtfahrt, den Besuchen in Philadelphia und dass Ellison in zwei oder drei bedenkliche Affären verwickelt war, die nicht an die Öffentlichkeit gelangten. Ich denke, der junge Sanborn kann uns nichts mehr nutzen.«

»Das Mädchen Alice«, fiel Chick ein, »teilte uns mit, dass er, wenn er jener junge Engländer ist, sehr aufmerksam gegen Frau Ladew war. Damit sagte sie die Wahrheit, weil Fräulein Rainforth mir in der Kutsche erzählte, dass Ellison eine Liebelei mit ihr gehabt habe.«

»Das erklärte alles«, schrie Patsy.

»Was erklärt es?«, fragte Chick.

»Nun, dass Ellison der bewusste junge Engländer ist.«

Auch Nick gab dies zu und meinte dann: »Einen oder zwei Tage werdet ihr euch in Philadelphia aufhalten müssen. Haltet die Augen offen, Boys, ob ihr Spuren von Ellisons Diener findet und vielleicht auch die Fährte des Mannes, in dessen Mantel Ellison entfloh. Dass Patsy beide gesehen hat, ist ein großer Vorteil. Ich werde die Rainforth’sche Sache hier aufnehmen, aber ich denke, Ida wird hierbei die Hauptarbeit haben. Ihr könnt nicht schnell genug fortkommen.«

»Zuerst«, ergänzte Chick, »müssen wir ausfindig machen, in welcher Beziehung Lannigan zu dem geplanten Diebstahl stand.«

»Natürlich«, bestätigte der Meister, »ist hier auch eine Verbindung mit Ellison zu suchen. Ob nun Ellison davon wusste oder nicht, die Hauptsache ist, dass ihr wertvolle Anhaltspunkte für sein geheimnisvolles Verschwinden findet.«

Die zwei jungen Detektive verließen das Zimmer, um sich für die Reise nach Philadelphia vorzubereiten.

Sobald sie fortgegangen waren, rief Nick Ida zu sich.

Sie ließ nicht lange auf sich warten, und als sie kam, sagte Nick zu ihr: »Ida, ich habe etwas für dich zu tun, was ich für noch schwieriger halte als alles, was du bisher unternommen hast, oder doch wenigstens für ebenso schwer.«

Er erzählte ihr von Chicks und Patsys Ermittlungen über Miss Rainforth und die Entdeckung, dass sie die Schreiberin der beiden Briefe sei.

»Diese junge Dame gibt mir zu denken«, meinte Nick. »Ich habe einiges über sie erfahren. Ihr Vater ist ein alter, pensionierter Offizier und sehr reich. Das Mädchen lernte manches, was nicht zur Erziehung eines jungen Mädchens zu gehören pflegt. Sie reitet das wildeste Pferd, weiß mit Büchse und Revolver umzugehen und kann den Säbel ebenso gut führen wie ein Soldat. Sie spielt Lawn-Tennis, Golf, rudert und boxt. Alles das, obwohl viel darüber gesprochen wurde, hat ihr nicht den Namen einer Emanzipierten geben können. Aber es bleibt doch eine merkwürdige Geschichte, die Patsy uns von ihr erzählte und die aus Chicks Unterhaltung mit ihr hervorging. Tatsache ist, dass sie von dem beabsichtigten Raub wusste und dass sie Ellisons Vorleben besser kennt als alle andern.«

»Dem, was du hier sagst«, sprach Ida, »entnehme ich, dass all ihre Kenntnisse von der Verbindung mit Ellison herstammen.«

»Das könnte sein«, antwortete Nick. »Doch glaube ich eher, dass sie diese Kenntnisse benutzte, um Ellison für sich zu gewinnen und an sich zu fesseln.«

Ida lachte.

»Die Frauen sind nun einmal voller Widersprüche. Dieses Fräulein Rainforth scheint eine sehr energische und couragierte junge Dame zu sein. Wenn du recht hast und Ellison nichts mehr von ihr wissen will, dann wissen wir immer noch nicht, worauf sie hinaus will.«

»Gut«, sagte Nick, »deine Arbeit wird es nun sein, dich mit ihr bekannt zu machen. Es ist dies nicht so leicht, wie wirst du es anfangen?«

»Das erscheint mir weniger schwierig«, antwortete Ida, »als die richtige Umgangsweise mir ihr herauszufinden.«

»Auch mit ihr eine Bekanntschaft anzuknüpfen, ist nicht leicht, Ida«, sagte Nick. »Miss Rainforth ist eine vornehme Dame. Sie wird sich stets in ihren Kreisen bewegen. Ihre Ausschweifung von gestern ist auch nicht von gewöhnlicher Art.«

»Überlasse es mir nur«, meinte Ida. »Die Hauptsache ist, wie ich dir vorhin schon sagte, wie ich am besten mit ihr auskommen werde.«

»Hast du irgendeinen Plan?«, fragte Nick.

»Nach dem, was du mir erzählt hast, denke ich, dass man bei ihr mit Schmeicheleien nichts erreichen kann. Sollte aber gar nichts helfen, dann müssen wir versuchen, sie in Furcht zu versetzen.«

»Well«, sagte Nick, »das alles müssen wir dir überlassen, und du musst es dir überlegen, wenn du zu ihr gehst.«

Bald verließ Ida Nicks Behausung und dachte darüber nach, wie sie sich bei der jungen Dame einführen könnte.

Sie begab sich geradewegs zum Haus der Rainforths, und als sie es erreichte, zog sie die Klingel.

Als die Tür geöffnet wurde, fragte Ida den Diener: »Kann ich Fräulein Rainforth sprechen?«

»Wen darf ich melden?«, fragte dieser.

»Mein Name wird Fräulein Rainforth gar nichts erklären. Sagen sie also, eine Dame, die sie in einer Sache von größter Wichtigkeit sprechen möchte.«

Der Diener führte Ida in ein kleines Empfangszimmer und verschwand.

Bald darauf kam der Diener mit Papier, Tinte, Feder und einem Briefumschlag zurück und sagte höflich: »Fräulein Rainforth trug mir auf, Sie zu bitten, Ihren Wunsch kurz niederzuschreiben.«

Ida nahm die Feder und schrieb hastig: »Ellison. Geheimnisvolles Verschwinden. Elise Sanborn. Frau Ladew.«

Als sie schrieb, bemerkte sie, dass jemand den Korridor heraufkam, und als sie schärfer hinsah, konnte sie einen Blick durch die etwas geöffnete Portiere werfen. Doch dieser eine Blick genügte, um sie den Mann erkennen zu lassen, der am Tage der Hochzeit zu Ellison gekommen war. Sie glaubte noch nicht fest, dass dieser es war, aber sie hatte einen Gedanken.

Hastig fügte sie zu dem Brief noch Folgendes hinzu: »Der seltsame Fremde, der Ellison am Tage der Hochzeit besuchte.«

Sie faltete nun das Papier zusammen, schloss den Umschlag und übergab das Billett dem Diener.

In kurzer Zeit kam dieser zurück und meldete, dass Fräulein Rainforth den Besuch in ihrem eigenen Zimmer empfangen werde.

Der Diener führte nun Ida in ein reich ausgestattetes Gemach im zweiten Stock. Eine junge Dame, untersetzt, breitschultrig und kräftig gebaut, stand in der Mitte des Zimmers.

Ida betrachtete sie einen Augenblick aufmerksam. Sie sah, dass das Gesicht einen fast harten Ausdruck hatte, was wohl von ihren männlichen Passionen herrühren mochte. Die Augen der Dame waren dunkel, und nun schossen sie einen herausfordernden Blick auf Ida, während sie sagte: »Ich weiß tatsächlich nicht, wie ich zu der Ehre Ihres Besuches komme.«

Das war ihre Begrüßung.

Ida bemerkte, dass das Zimmer zwei Türen hatte, und zwar waren beide geöffnet. Ohne die Ungezogenheit zu beantworten, ging sie zu der einen zu und schloss sie.

»Das finde ich unverschämt«, rief Miss Rainforth aus.

Ohne darauf zu achten, ging Ida hinüber, um auch die andere Tür zu schließen.

»Was möchten Sie damit bezwecken?«, fragte die junge Dame, starr vor Erstaunen, ohne Ida an ihrem Ansinnen zu hindern.

»Ich möchte damit bezwecken«, versetzte Ida, »dass uns niemand stören soll.« Dann nahm sie einen Stuhl und sagte: »Da Sie mich nicht zum Niedersetzen auffordern, so muss ich es ohne diese Aufforderung tun. Aber vorher möchte ich Ihnen plausibel machen, dass ich weiß, dass Sie gut schießen können. Ich kann es jedoch ebenfalls. Sie können, wenn Sie wollen, Ihre Revolver nehmen, denn ich werde den meinen bereithalten, um einen etwaigen Angriff zu verhindern.«

Entrüstet stieß Miss Rainforth hervor: »Sie sind das unverschämteste Wesen, das mir je begegnet ist.«

»Durchaus nicht«, gab Ida zurück. »Ich bin nur entschlossen, mich nicht derart beleidigen zu lassen, wie Sie es soeben getan haben.«

»Verlassen Sie das Zimmer«, rief Miss Rainforth leidenschaftlich.

»Das werde ich nicht tun«, sagte Ida entschlossen.

Das erzürnte junge Mädchen machte eine Bewegung, als wolle sie das Zimmer verlassen.

Doch Ida befahl ihr in drohendem Ton, sofort zurückzukommen.

Augenscheinlich einen solchen Ton gar nicht gewohnt, drehte sich die junge Dame um und kam zurück, mehr vor Erstaunen als Furcht.

»Sie werden die Güte haben, Ihren Platz wieder einzunehmen«, sagte Ida gemessen.

In maßlosem Erstaunen sah die junge Dame ihre Gegnerin an.

»Es ist nutzlos, jemanden zu rufen«, erklärte Ida trocken. »Sie würden sich selbst nur Unannehmlichkeiten bereiten. Da Sie in mir eine Person gefunden haben, die Sie an Entschlossenheit noch übertrifft, werden Sie sich fügen müssen.«

»Wer sind Sie eigentlich?«, stieß Miss Rainforth atemlos hervor.

»Mein Name hat keinerlei Nutzen für Sie. Es ist genug, wenn ich Ihnen sage, dass ich zu Nick Carters Beamten gehöre. Ich werde Sie nun einiges fragen, was Sie mir beantworten müssen.«

»Müssen, müssen, müssen!«, wiederholte die andere, außer sich vor Zorn und Aufregung. »In meinem ganzen Leben hat mir noch kein Mensch gesagt: Du musst! Wenn es nicht einmal mein Vater tat, was gibt Ihnen denn das Recht dazu?«

»Einfach der Entschluss, nicht eher fortzugehen, als bis ich von Ihnen etwas über Ellison erfahren habe.«

Die ruhige, entschlossene und selbstbewusste Art und Weise Idas machte gewaltigen Eindruck auf die junge Dame. Sie kam auf Ida zu und studierte deren Gesicht, als ob es ihr etwas ganz Neues wäre.

»Ich weiß, dass Sie eine mutige, junge Dame sind«, meinte Ida leichthin. »Ich weiß auch, dass es für Sie nichts Besonderes ist, sich in gefährlichen Situationen zu befinden. Hier sind Sie augenblicklich nicht in Gefahr, außer Sie verweigern mir eine Auskunft, die für uns von Wichtigkeit sein könnte.«

Die junge Dame wechselte ihr Benehmen und lachte laut, als sie sagte: »Das ist mir wirklich neu. Ich denke, ich werde mich dabei amüsieren.«

Sie ging zu ihrem Stuhl und setzte sich.

»Nun, Fräulein – eine von Nick Carters Leuten –, was haben Sie mir zu sagen?«

»Miss Rainforth, Sie teilten meinem Chef mit, dass ein Überfall auf das Haus Sanborns gestern geplant war; darauf, als Mr. Ellison das Haus verließ, schrieben Sie einen zweiten Brief, der Nick Carter mitteilte, dass eine Frau der Grund zu Ellisons Verschwinden sei. Später am Abend erschienen Sie verkleidet im Tenderloin unter Umständen, die, wenn sie öffentlich geworden wären, den Ruf der geachtetsten jungen Dame erschüttert hätten.«

Miss Rainforth sprang auf und rief aus: »Woher wissen Sie das? Was wissen Sie? Wie viel wissen Sie?«

Ida sah, dass die junge Dame mehr verraten hatte, als sie wollte; nun war es sonnenklar, dass sie an den Vorgängen der vergangenen Nacht beteiligt gewesen war und dass sie in etwas verwickelt war, an dessen Verheimlichung ihr noch mehr lag als an derjenigen der nächtlichen Begegnung im Restaurant.

Ida begriff, dass sie den Vorteil ausnutzen musste, welchen sie nun gewonnen hatte, obwohl sie den gefährlichen Boden kannte, auf dem sie sich augenblicklich befand, und nicht wusste, was die junge Dame so erregt hatte.

»Sie wissen wenig von Nick Carter und seinem ausgezeichneten System«, entgegnete Ida, »wenn Sie nicht wissen, dass er von allem sofort unterrichtet wird, was für ihn von Interesse sein könnte.«

Miss Rainforth lehnte sich in ihren Stuhl zurück und sagte mehr zu sich selbst als zu Ida: »Ich habe es gehört, bin gewarnt worden, habe es aber nicht geglaubt.« Dann wandte sie sich zu ihrem Besuch: »Sagen Sie mir bitte deutlich, was Sie zu wissen wünschen.«

Ida stand auf, steckte umständlich den Revolver in die Tasche und setzte sich ruhig nieder. Sie fühlte, dass sie schon gewonnen hatte, wenn sie die Unterredung geschickt zu Ende führte, da die sonst so mutige und energische junge Dame gänzlich eingeschüchtert war.

Während dieser Zeit verfolgte Miss Rainforth gespannt die weiteren Worte Idas.

»Mr. Carter«, sagte Ida, »wird Ihnen Ihre Extravaganzen von verflossener Nacht nicht weiter nachtragen; sie haben keine Bedeutung für ihn, so wichtig Sie sich in dieser Sache selbst vorkommen mögen. Außer, Sie stehen in irgendwelcher Beziehung zu Ellison, die uns auf eine Spur seines Verschwindens führen könnte.«

»So bin ich Mr. Carter also gewissermaßen verpflichtet?«, fragte Miss Rainforth höhnisch.

»Zunächst möchte ich wissen, wodurch Sie von dem Überfall, der gestern geplant war, Kenntnis hatten«, begann Ida bedächtig.

»Wirklich?«, warf Miss Rainforth im vorigen Ton ein.

Ida merkte, dass sich die junge Dame von ihrer Bestürzung erholt hatte und ihre Selbstbeherrschung wiedergewann. Das war für ihre Pläne nicht gut. Sie machte den Versuch, diese noch einmal einzuschüchtern.

»Ich nehme an, Miss Rainforth«, fuhr Ida unbeirrt fort, »dass Sie sich klarmachen, dass Sie gegenwärtig in der Stellung eines solchen Menschen vermutet werden, der Verbindung mit Lannigan, einem Einbrecher, unterhält.«

»Lannigan?«, wiederholte diese, heftig errötend.

»Lannigan machte den Versuch, in Sanborns Haus einzudringen«, sagte Ida. »Es gelang ihm auch, doch wurde er von Mr. Carter erkannt. Er wurde vertrieben, und obwohl seine Helfer noch zwei Versuche machten, wurden sie von Nicks Leuten entlarvt und aus dem Haus getrieben.«

»Sie machten also den Versuch?«, meinte Miss Rainforth nachdenklich. »Ich dachte, sie hätten es nicht getan.«

Ida trieb ein gewagtes Spiel, indem sie nun erwiderte: »Nun, Sie hätten doch Ihren Anteil erhalten.«

Sie hatte einen falschen Weg eingeschlagen, denn die junge Dame sah sie bestürzt an.

Ida sah dies sofort, und um sich zu verbessern, fragte sie von Neuem: »Sie haben vorhin meine Frage nicht beantwortet. Woher wussten Sie von dem geplanten Überfall?«

»Sie suchen Mr. Ellison«, wich Miss Rainforth aus. »Was könnte Ihnen meine hiervon erlangte Kenntnis daher nützen?«

»Es ist ein Schritt für den Anfang«, antwortete Ida. »Verstehen Sie, Miss Rainforth, Sie stehen in Verbindung mit Ellisons Flucht oder wissen wenigstens wichtige Tatsachen darüber.«

Ein Ausdruck heimlicher Angst erschien auf dem Gesicht des jungen Mädchens, und Ida war sicher, dass ihre Bemühungen Erfolg haben würden, wenn sie sich auf Miss Rainforths Furcht vor der Öffentlichkeit stützte.

»Über diese Frage muss ich noch nachdenken.«

»Es gibt viele Wege, unser Geschäft zu erledigen. Wenn es möglich ist, arbeiten wir im Geheimen. Aber es kommen Zeiten, wo wir die Öffentlichkeit sogar brauchen, indem wir mithilfe von Zeitungen Nachforschungen anstellen. Wir vermeiden das gern, aber in diesem Fall scheint es nötig zu sein. Sie können sich Ihre Stellung dabei ausmalen. Sie, eine Dame der Gesellschaft, vor der Öffentlichkeit als Verbündete eines Verbrechers hingestellt! Ihr mitternächtlicher Aufenthalt an einem gewissen Ort aufgedeckt!«

Die junge Dame sprang ungestüm auf und rief entsetzt: »Das würden Sie denn doch nicht wagen!«

»Warum nicht?«, lautete die kühle Antwort. »Unser ganzes Leben ist eine Kette von Wagnissen.«

»Die männlichen Mitglieder meiner Familie würden Sie unschädlich machen!«

»Das haben sich alle die Diebe und Einbrecher schon vorgenommen. Wir sind nun einmal dazu da.«

Die junge Dame begann, hastig auf- und abzugehen, dann blieb sie plötzlich vor Ida stehen und begann unsicher: »Es geschah nur durch Zufall.«

»Meinen Sie, dass Sie vom beabsichtigen Diebstahl nur zufällig erfuhren?«

»Gewiss«, antwortete Miss Rainforth.

»Unter welchen Umständen?«, fragte Ida zurück.

»Das kann ich Ihnen nicht sagen, es ist ein zu schweres Geständnis.«

Ida versuchte es mit einer neuen List.

»Miss«, entgegnete sie, »ich sagte Ihnen schon, dass Mr. Carter Sie nicht direkt belästigen will. Sie befinden sich in einer gefährlichen Lage. Sie sind der Möglichkeit ausgesetzt, Ihren guten Namen durch die Affäre zu verlieren. Der beste Schutz dagegen ist, dass Sie uns alles anvertrauen.«

Das junge Mädchen wollte eine Antwort geben, aber Ida fuhr fort: »Lassen Sie mich ausreden. Natürlich kann Sie niemand zwingen. Wenn Sie uns Auskunft in Dingen, die Sie wissen, verweigern, so sind wir deshalb mit unseren Möglichkeiten noch nicht am Ende. Was wir auf der einen Seite nicht ausfindig machen, das finden wir auf der anderen.«

Diese Worte schienen Eindruck auf Miss Rainforth zu machen. Sie stand einen Augenblick still, den Kopf gesenkt, dann begann sie: »Ich ging in die Wohnung Mr. Ellisons, um ihn in der Nacht vor seiner Hochzeit aufzusuchen. Er war erst nicht anwesend, als ich kam. Dann traten zwei Männer in das Zimmer, und da ich nicht gesehen werden wollte, so verbarg ich mich vor ihnen und hörte dadurch ihre Unterhaltung, während sie ebenfalls auf Ellison warteten. Nun erfuhr ich, dass sie den Bräutigam zwingen wollten, ihnen zu helfen, in das Haus einzudringen. Ich hörte auch, dass sie vorher von Ellison über den Wert der Geschenke unterrichtet worden waren sowie über den Platz der Aufbewahrung. Weiter hörte ich, dass der Raub während des Empfanges der Hochzeitsgäste ausgeführt werden sollte und dass der Zweck ihres Besuches war, Mr. Ellison zu zwingen, ihnen am Hochzeitstag Eingang in das Haus zu verschaffen.«

»Meinen Sie«, fragte Ida, nicht wenig überrascht, »dass Ellison an dem Diebstahl beteiligt war?«

»Das denke ich nicht. Ich bin sogar sicher, dass dies nicht der Fall ist.«

»Aber von ihm hatten jene Männer doch den Wert der Geschenke erfahren?«, fragte Ida weiter.

»Das war sicher nur Zufall«, antwortete die junge Dame, »dass er mit ihnen davon sprach.«

»Mr. Ellison wäre also dann ein Verbündeter dieser Diebe?«

»Ich glaube«, war die Antwort, »dass er sie nicht als Diebe, sondern als Spieler kennen gelernt hat.«

»Spieler?«, fragte Ida.

»Mr. Ellisons einzige Schwäche ist das Spiel. Obwohl seine New Yorker Freunde wenig oder gar nichts davon wussten, ging er oft nach Philadelphia, um zu spielen. Dort pflegte er Poker um hohe Summen zu spielen, mit einer Gesellschaft, unter der sich auch Lannigan befand. Einigen von jenen Herren schuldet er große Summen.«

»Befanden Sie sich noch in Ihrem Versteck, als Ellison nun ins Zimmer trat und die beiden Männer erblickte?«

»Gewiss!«

»Hörten Sie auch die Unterhaltung, die sie nun führten?«

»Ich konnte jedes Wort verstehen.«

»Wurde Herr Ellison in ihren Plan eingeweiht?«

»Nein.«

»Welchen Grund gaben sie ihm an, das Haus am Hochzeitstag betreten zu wollen?«

»Nur den Wunsch, bei der Hochzeit anwesend zu sein.«

»Weiter gaben sie keinen Grund dafür an?«

»Nein.«

»Verweigerte Ellison ihnen ihre Bitte?«

»Jawohl, sehr bestimmt.«

»Und was taten sie dann?«

»Wenn er es nicht nachgeben würde, drohten sie ihm damit, seinen zukünftigen Schwiegervater von seinen Spielschulden in Kenntnis zu setzen.«

»Nun, und was erwiderte Herr Ellison?«

»Er hielt sich tapfer. Er sagte ihnen, es würde sie niemand davon abhalten, dies zu tun. Aber er würde ihnen auch nie erlauben, bei der Hochzeitsfeier anwesend zu sein.«

»Was taten die Männer hierauf?«

»Sie entfernten sich, Drohungen ausstoßend.«

»Denken Sie«, fragte Ida, »dass Ellison einen Verdacht hegte?«

»Das weiß ich nicht.«

»Dann sagen Sie mir, Miss Rainforth, was in aller Welt veranlasste Sie, in solch später Stunde Herrn Ellison in seiner Wohnung aufzusuchen?«

Die junge Dame blickte Ida unsicher an, ging ein paar Mal im Zimmer auf und ab und äußerte dann: »Ich war nicht ganz allein. Mein Bruder war in der Nähe. Er wusste, dass ich mich dort befand.«

»Und wenn es so war«, meinte Ida missbilligend, »ist es eine gewagte Sache für ein junges Mädchen, um Mitternacht die Wohnung eines jungen Mannes aufzusuchen, und noch dazu am Vorabend seiner Hochzeit.«

In einer plötzlichen Aufwallung heißer Leidenschaft rief das Mädchen aus: »Die Verzweiflung ließ mich diesen Schritt wagen! Ich begab mich zu ihm, um noch einen Versuch machen zu können, diese unglückselige Heirat zu verhindern!«

»Seine Heirat zu verhindern?«, wiederholte Ida erstaunt.

»Allerdings«, gab Miss Rainforth gepresst zurück. »Es ist die volle Wahrheit, denn er war an mich gebunden, und mich würde er auch geheiratet haben.«

»So waren Sie miteinander verlobt?«

»Ja, wenn ein Heiratsversprechen als eine bindende Verpflichtung gilt.«

Die junge Dame hielt inne, dann sagte sie leidenschaftlich: »Diese Elende, die Ladew, hat es verschuldet, aber er konnte sie ja nie ausstehen.«

»Miss Rainforth«, fiel Ida ein, »ich fürchte, Sie lassen sich von ihrer Aufregung zu weit fortreißen. Jedenfalls scheinen Sie nicht zu wissen, dass Ellison seit seiner Ankunft in New York zu den Bewerbern um Fräulein Sanborns Hand gehörte!«

»Das ist nicht wahr. Er ging dieser Familie aus dem Weg, immer verfolgt von Elsie Sanborn.«

»In Ihrem letzten Brief an Herrn Carter schrieben Sie«, sagte Ida lächelnd, »dass eine Frau der Grund zu Ellisons Flucht sei.«

»Dessen bin ich ganz sicher«, war die Antwort, »und zwar war es Frau Ladew. Sie war bei der Hochzeitsfeier anwesend, als er so plötzlich das Haus verließ.«

»Und Sie waren auch dort?«, fragte Ida.

»Gewiss. Und von der Ladew erfuhr ich, dass Ellison geflohen war. Wenn sie nicht die Veranlassung dazu gegeben hatte, wie konnte sie es dann wissen, wenn es noch niemand anders erfahren hatte?«

Ida war nun gewiss, dass Miss Rainforth jenen Ellison liebte, dass sie gehofft hatte, Frau Ellison zu werden, dass zwischen ihnen zarte Bande bestanden hatten, die durch seine Liebelei mit der Ladew natürlich zerstört worden waren. Nachdem dieses Verhältnis ein Ende gehabt hatte, war er nicht zu Miss Rainforth zurückgekehrt, sondern hatte sich nun Elsie Sanborn gewidmet.

Die Verlassene hatte dann versucht, die Heirat rückgängig zu machen, und als ihr das nicht gelang, wollte sie die Ladew bestrafen, indem sie dieselbe bei Nick verdächtigte.

Idas hauptsächlicher Erfolg war nun gewesen, dass sie von der jungen Dame über Ellisons Verbindung mit einer Gesellschaft von zweifelhaften Personen, zu denen Lannigan gehörte, erfahren hatte. Auch glaubte sie, dass sie jetzt nichts Wichtiges mehr erfahren würde.

»Sie waren klug«, meinte Ida, »offen gegen mich zu sein. Wir sind nun imstande, Ihren Ruf und Namen zu schützen, und wir werden es auch tun.«

Sie stand von ihrem Sitz auf, während Miss Rainforth äußerte: »Was ich vorige Nacht tat, hatte nur den Zweck zu ermitteln, wohin Ellison gebracht worden war.«

»Gebracht worden war?«, gab Ida ganz erstaunt zurück.

»Ja, gebracht«, fuhr diese fort. »Ich habe die Gewissheit, dass Ellison aus dem Haus gelockt und dann fortgeschafft wurde.«

So überraschend diese Bemerkung auch war, fand Ida bald heraus, dass Miss Rainforth für ihre Behauptung keinerlei Anhaltspunkte hatte, sondern nur mutmaßte.

Nun ging Ida, nicht ohne ihrer neuen Verbündeten das Versprechen abzunehmen, auch die kleinste Beobachtung, die sie machte, Mr. Carter sofort mitzuteilen.