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Der Detektiv – Band 25 – Das Fernrohr Kapitän Pellertans – Kapitel 3

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 25
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Das Fernrohr Kapitän Pellertans

Kapitel 3

Der Ventilator

Eine halbe Stunde später begannen wir mit der Durchsuchung der Jacht. Wir fingen in der Kombüse mit unserer Arbeit an, begaben uns von da in den Vorratsraum, auf den Harst sein besonderes Augenmerk gerichtet hatte. Hier standen in der einen Ecke drei sehr große Kisten, von denen zwei kondensierte Milch in Büchsen, die dritte Fischkonserven in Büchsen enthalten sollten. Harst ließ diese Kisten öffnen – gleich zuerst. Aber – und sein enttäuschtes Gesicht sprach Bände – wir fanden tatsächlich nur das darin, was als ihr ordnungsmäßiger Inhalt infrage kam.

Nachher besichtigte Harst sogar den eisernen Wassertank ganz genau, obwohl Blindley darauf aufmerksam machte, dass dieser auf dem Oberteil doch nur eine Reinigungsöffnung von Kopfdurchmesser und eine Füllöffnung besaß, außerdem aber nach dem Wasserstandsrohr dreiviertel voll war.

»Wir können nicht sorgfältig genug sein!«, verteidigte Harst sich und begann den Raum auszumessen, um später nachprüfen zu können, ob es nicht irgendwo doppelte Zwischenwände gäbe.

Um fünf Uhr nachmittags hatten wir die Kombüse betreten; um halb 8 abends war die ganze Jacht durchforscht. Zuletzt hatten wir den Schornstein, die mit Öltuch überspannten Rettungsboote und die Ventilatoren mit derselben Genauigkeit in Augenschein genommen wie alles andere.

Der Erfolg? Nun, es war ein vollständiger Misserfolg. Nirgends hatten wir auch nur die geringsten Anzeichen dafür gefunden, dass ein Fremder sich in einem Versteck an Bord aufgehalten hätte.

Jetzt schritten wir dem Achterdeck zu, wo der Lord mit den seinen in Liegestühlen das Ende der Durchsuchung abgewartet hatte.

Harald zog einen freien Korbstuhl näher heran und setzte sich. Wir anderen bildeten einen Halbkreis um die beiden. Bisher hatte Harst sich in keiner Weise zu Blindley und mir darüber geäußert, was er nun von dem Mord an Ambermakry halte.

»Mylord«, sagte er leise zu Wolpoore, »ich gebe zu, dass die Situation für uns bedrohlicher als bisher ist. Es muss sich unter der Besatzung ein Verräter befinden. Eine andere Erklärung gibt es nicht. Dieser Mann muss von Ihren Feinden gewonnen worden sein. Er ist auch der Mörder des Maschinisten.«

Der alte Graubart Pellertan stampfte wütend mit dem Fuß auf.

»Master Harst, für meine Leute garantiere ich, für jeden!«, knurrte er. »Ich kenne ihre Gesinnung ganz genau. Nicht einer ist darunter, der nicht für Seine Lordschaft durchs Feuer ginge!«

»Sie können niemandem ins Herz sehen«, meinte Harst kühl.

»Und Sie können sich mit Ihrer ganzen Mordtheorie und mit allem anderen sehr auf dem Holzweg befinden!«, brummte Pellertan bissig. »Ambermakry hat sich selbst erhängt! Sehr einfach! Ihre sogenannten Gegenbeweise sind Spitzfindigkeiten – nichts weiter!« Der Alte war nur deshalb so ergrimmt, weil Harst die Zuverlässigkeit der Besatzung in Zweifel gezogen hatte.

»Lieber Kapitän, Sie werden eines Besseren belehrt werden«, entgegnete Harst gelassen. Dann zu Lord Wolpoore gewandt: »Wir können jetzt zunächst nur eins: Vorsichtig sein! Wir wollen jedoch diese Vorsicht mit Klugheit verbinden. Bitte, treten Sie näher heran, meine Herren. Was wir jetzt besprechen, muss unbedingt unter uns bleiben. Ich schlage Folgendes vor: Wir tun so, als ob ich von meiner ursprünglichen Annahme, Ambermakry sei ermordet worden, wieder abgekommen bin. Mag die Ansicht des Obermaschinisten, Ambermakry hätte das Schmieröl verdorben und sich dann aus Angst vor einer Entdeckung seiner Schuld selbst entleibt, nunmehr als die richtige gelten. Wir müssen eben den Mörder in Sicherheit wiegen. Deshalb darf auch die bisherige Bewachung der Jacht in keiner Weise verschärft werden. Alles muss so aussehen, als wiegten wir uns nun wieder in lässiger Sicherheit. Nur so werden wir den Betreffenden zu einem neuen Streich verführen, den ich schon zu parieren gedenke. Mylord, Sie können mir Ihr und der Ihrigen Leben getrost anvertrauen. Wenn der Verräter nicht gerade durch einen Sprengstoff das ganze Schiff in die Tiefe schickt, vermag ich Sie mit Blindleys und Schrauts Hilfe sehr wohl zu schützen. Aber nur dann, wenn eben meine soeben geäußerten Wünsche genau befolgt werden.«

Lord Wolpoore streckte Harst impulsiv die Hand hin.

»Ja, es soll alles geschehen, was Sie anordnen, alles«, flüsterte er. »Pellertan, ich befehle dies! Richten Sie sich danach.«

Der Alte fasste an die Mütze. »Sehr wohl, Mylord! Mir liegt Eurer Lordschaft Sicherheit wahrhaftig am Herzen.«

Eine halbe Stunde später saßen wir im großen Salon beim Abendessen. Harst verstand es, die gedrückte Stimmung schnell zu beleben. Die Unterhaltung wurde zwanglos und angeregt.

Erst gegen elf wollte sich der Lord dann mit den seinen zurückziehen. Ich sah, dass Harst ihn beiseite nahm. Sie flüsterten nur wenige Minuten miteinander.

Als die vier Wolpoores sich in ihre Schlafgemächer begeben hatten, blieben wir noch eine halbe Stunde beisammen, rauchten und plauderten. Pellertan erzählte wieder Erlebnisse aus seinen Jugendjahren, und wir hörten scheinbar aufmerksam zu.

Scheinbar! In Wahrheit lastete auf uns, die wir in die wahre Sachlage eingeweiht waren, eine Art elektrische Hochspannung. Wir waren nervös, zerstreut. Nur Harst hatte sich besser in der Gewalt.

Endlich sagten wir uns Gute Nacht. Pellertan stampfte in seine Kajüte im Mittelschiff. Wir anderen – Halfing, Blindley, Harst und ich – stiegen die Achterschifftreppe wieder hinab und verschwanden in unseren Kabinen, die auf demselben Gang auf Steuerbordseite lagen.

Harst und ich bewohnten eine der großen Luxuskabinen. Wir waren kaum drei Minuten allein, und ich hatte gerade anfangen wollen, mich auszuziehen, als Harst mir zuwinkte.

»Lass das, mein Alter!« flüsterte er. »Wir bleiben nicht hier. Ich drehe das Licht sofort wieder aus.«

Er tat es. Wir standen nun im Dunkeln. Dann wurde viermal leise gegen die Tür gepocht. Harst öffnete. Ich sah, dass auch auf dem Gang draußen das Licht ausgeschaltet war, das sonst doch die ganze Nacht über brannte. Harst hatte meine rechte Hand erfasst. Ich merkte, dass mehrere Personen in unsere Kabine huschten. Harst zog mich nun in den Gang, wo es stockdunkel war. Wir tappten weiter, betraten eine andere Kabine. Ich roch dasselbe Parfüm, das Lady Wolpoore benutzte.

»Wir sind im Schlafgemach des Ehepaares«, raunte Harst mir zu. »Die vier Wolpoores aber werden bis zum Morgen bei uns logieren. Ah – da kommt auch Blindley schon.«

Auch hier herrschte tiefste Dunkelheit. Ich vernahm nur leise das Einschnappen eines Türschlosses und das Knacken der Riegel, die der Detektivchef vorschob.

Dann saßen wir drei nebeneinander auf dem Rand eines Bettes, Harst in der Mitte, ich links von ihm. Bisher hatten wir mit Harst in keiner Weise erörtern können, weshalb eigentlich der Mörder den armen Ambermakry umgebracht hatte. Nun schnitt Blindley diese Frage an. Wir unterhielten uns nur im vorsichtigsten Flüsterton.

»Der Mörder ist von Ambermakry fraglos im Proviantraum überrascht worden«, erklärte Harst. »Bei der Durchsuchung der Jacht und der Kabine des Toten habe ich in dessen Wandschrank ein Heft mit tagebuchartigen Aufzeichnungen gefunden. Ich konnte nur flüchtig vorhin im Baderaum hineinschauen, fand aber doch ein paar Notizen, aus denen hervorgeht, dass Ambermakry auf eigene Faust einem Menschen nachgespürt hat, den er einmal nachts im Maschinenraum flüchtig erblickte.«

Harst machte eine kurze Pause. Dann fuhr er fort: »Ich will hier einfügen, dass ich meine Meinung wieder geändert habe. Der Mörder ist doch ein Fremder, gehört nicht zur Besatzung und muss sich an Bord befinden! Denn Ambermakry schreibt an jener Stelle, wo er sein Zusammentreffen mit dem Unbekannten kurz erwähnt: ›Ich prallte zurück. Ich war über das braune, bärtige Gesicht und das turbanartige Kopftuch des nackten Menschen so erschrocken, dass ich kostbare Sekunden verlor, die dem Mann genügten, spurlos zu verschwinden. Wie sollte ich auch ahnen, im Maschinenraum um diese Stunde einem Eingeborenen zu begegnen?‹ So etwa hat der Maschinist sich ausgedrückt.«

»Herr Himmel – also wirklich ein Inder!«, stieß Blindley hervor. »Wo aber – wo in aller Welt steckt der Mensch?«

»Still!«

Harsts Stimme war nur wie ein Hauch gewesen.

Ich muss noch nachholen, dass vom Deck her ein Rohr eines Ventilators in diese Schlafkabine gerade in der Mitte mündete. Auch unsere Kabine besaß einen solchen Ventilator. Ich wusste daher, dass die Ventilatoröffnung in der Decke durch ein engmaschiges Drahtgeflecht verschlossen war, welches zwar die Luft durchließ, aber sonst nicht einmal Gegenstände in Erbsengröße.

Wir lauschten; wir saßen nun sprungbereit da. All unsere Sinne waren aufs Äußerste angespannt; wir wagten kaum zu atmen; wir horchten, verließen uns lediglich auf unsere Ohren.

Da – ein kaum wahrnehmbares Geräusch schräg über uns.

Abermals Stille.

Nun wieder dasselbe Geräusch – etwa wie ein feines Knistern.

Es dauerte mit Unterbrechungen wohl fünf Minuten an.

Jetzt nichts mehr – nichts.

Mir lief der Schweiß in Strömen über das Gesicht. Was ging hier vor – was?

Dann – von draußen aus der Richtung der Kabinentür eine Stimme, halblaut, aber sehr energisch: »Mylord – Mylord, einen Augenblick!«

Ich fühlte plötzlich Harsts Finger meinen Arm umkrallen.

Da meldete sich Blindley anstelle des Lords.

»Was gibt es?«, rief er.

Ich hörte, dass er aufstand – hörte dann etwas wie ein qualvolles Ächzen und einen dumpfen Schlag.

Harst ließ meinen Arm frei. Er hatte seine Taschenlampe eingeschaltet. Der weiße Lichtkegel zerteilte das Dunkel, blieb nun auf etwas haften, das mir einen Ruf des Entsetzens entlockte.

Ich war hochgeschnellt. Ich stierte empor. Dort – dort – mit dem Kopf in der Ventilatoröffnung hing Chester Blindley und schlug krampfhaft mit Armen und Beinen um sich!

Harst hatte jetzt meine Schulter gepackt schob mich mehr zur Seite.

»Steh still!«, rief er. Dann kletterte er an mir empor, stellte sich auf meine Schultern, nahm sein Taschenmesser, öffnete es mit den Zähnen und langte an Blindleys Nacken vorbei in den Ventilator hinein.

»Fang ihn auf!«, rief er wieder.

Da fiel Blindley auch schon herab. Ich griff zu, ließ ihn auf den Teppich gleiten.

Und ich sah nun, dass Blindley eine Schlinge um den Hals hatte, dass der Strick der Schlinge durchschnitten war.

Harst kniete neben dem halb Erdrosselten, löste die Schlinge, trug Blindley auf einen Wanddiwan.

Der Detektivchef kam wieder zu sich. Inzwischen hatte Harst mir den Strick unter die Augen gehalten. Ich sah, dass um den Strick der gleiche bunte Seidenfaden gewunden war wie um den, der Ambermakrys Tod verschuldet hatte.