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Der Detektiv – Band 24 – James Palperlons Vermächtnis – Teil 5

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 24
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
James Palperlons Vermächtnis

Teil 5

Um uns herum war es völlig still. Harst bewegte nun dauernd die Arme. Die Stricke lockerten sich. Sehr bald schwand auch der unerträgliche Druck im Genick. Ich konnte nach hinten in die Schlüsseltasche der Beinkleider langen und die Pistole herausziehen, entsicherte sie und flüsterte nun aufatmend: »So, ich bin bereit!«

Harst keuchte nun vor Anstrengung. »Nein, der Kistendeckel sitzt fest«, meinte er. »Ich werde mal unser Gefängnis ableuchten. Fass mir doch in die Brusttasche und nimm die Taschenlampe …«

Wir hörten Stimmen; es wurde gerufen – irgendetwas. Zu verstehen war jedoch nichts.

»Aha, die Rückversicherung!«, brüllte Harst plötzlich derart mit allem Stimmaufwand, dass ich erschrocken zusammenfuhr. »Hallo Dalbott! Hier stecken wir!«

Gleich darauf fiel der Lichtstrahl einer Laterne in unseren Kasten. Harst sprang schon auf die Füße.

»Verbindlichsten Dank!«, sagte er zu Kommissar Dalbott, der mit zwei Polizisten gebückt in dem niedrigen Laderaum zwischen allerlei gefüllten Obst- und Gemüsekörben vor uns stand. »Ich hatte halb und halb auf Sie gerechnet. Ich dachte mir, dass Sie an diesen harmlosen Besuch bei den Vapaures nicht glauben und das Haus überwachen lassen würden. Absichtlich machte ich Ihnen gegenüber die Bemerkung, ich hätte Ihnen beim Diner vielleicht etwas Interessantes mitzuteilen. Sie sollten ahnen, dass ich etwas Berufliches vorhätte. Es war dies meine Rückversicherung.«

Dalbott half mir aus der großen Kiste heraus und erklärte dabei: »Ja, ich habe das Haus beobachten lassen, Monsieur Harst. Ganz unauffällig. Als diese Kiste dann von drei Indern durch den Garten zum Kanal und auf dieses Frachtboot getragen wurde und die beiden Vapaures den Transport begleiteten, wurde mir dies sofort gemeldet. Da griff ich zu. Nun sitzt die ganze Bande in der Kajüte – die Brüder und vier Inder. Hm, sehr behaglich ist mir bei alledem nicht, offen gestanden. Was haben Sie denn eigentlich mit den Vapaures vorgehabt? Gewiss, diese Art Freiheitsberaubung ist strafbar. Aber Sie wissen ja, wie es mit den Vapaures steht! An die wagt man sich nicht gern heran.«

»Nun, vielleicht einigen wir uns im Guten mit ihnen«, meinte Harst. »Gehen wir also in die Kajüte. Ich werde mit den Brüdern reden.«

Die sechs Gefangenen wurden von zwei Polizisten in der kleinen Kajüte bewacht, die in Gestalt eines Bambushüttchens auf dem Hinterdeck des Frachtbootes stand. Dieses kam mir sofort bekannt vor. Und es war auch dasselbe, das in der verflossenen Nacht unter der Brücke hindurchgefahren und von Chester Blindley so scharf aufs Korn genommen war.

Die Vapaures saßen nebeneinander auf der Seitenbank der Kajüte und rauchten in aller Gemütsruhe ihre Zigarren. Als wir drei eintraten, sagte Charles Vapaure sehr gehässigen Tones zu Dalbott: »Ich fürchte, diese Dummheit wird Sie Ihre Stellung kosten. Die beiden Deutschen da wollten ein Testament unterschlagen. Ich werde gegen sie Anzeige erstatten. Nochmals, Dalbott, es liegt in Ihrem Interesse, die beiden zu verhaften. Wenn Sie es sofort tun und ihnen alles an Papieren abnehmen und uns aushändigen, will ich von dieser Ihrer Rücksichtslosigkeit gegen uns schweigen. Aber auch nur dann!«

Harst lehnte sich an den Türpfosten.  »Sie scheinen ja zu den Justizbehörden Pondicherrys ein ungeheures Vertrauen zu haben, Charles Vapaure!«, meinte er ironisch. »Glauben Sie wirklich, dass man es wagen wird, Sie zu schonen, wenn ich als Ankläger auftrete? Die ganze zivilisierte Welt würde zu mir stehen, würde mir helfen, mein Recht zu finden! Sie sprachen soeben von der Unterschlagung eines Testaments. Sie spielen also auf die andere Hälfte der Urkunde an, die Sie in Verwahrung hatten. Nun, diese andere Hälfte existiert nicht. Das, was Palperlon Ihnen beiden aushändigte, war eine genial erdachte Vorsichtsmaßregel gegen Ihre von ihm angezweifelte Redlichkeit – war nichts als ein Prüfstein. Damit auch Kommissar Dalbott alles versteht, will ich diese Dinge nochmals kurz erläutern.

Ihr Schwager Palperlon händigt Ihnen anscheinend die eine Hälfte eines Testaments aus, in dem von einer Hinterlassenschaft von Millionen die Rede ist. Er sagt Ihnen, die Ergänzung zu dieser Hälfte würde ich einst in Besitz haben. Ich war dann Zeuge seines Sterbens, nahm sein wahres Testament an mich. Hier ist es. Es besteht, wie Sie sehen, aus diesem Briefumschlag mit zahlreichen Kniffen und der Adresse an mich, dann aus diesem Seidenpapierblättchen, das aus Ihrem Geschäft stammt. Dieses Blättchen stellt eine Warnung vor Ihnen dar.«

Er erklärte die Bedeutung des Firmenaufdrucks, fuhr dann fort: »Das eigentliche Testament ist der Umschlag. Hier, ich habe die Klappen des Mittelstücks des Umschlags gelöst. Auf der Innenseite des Mittelstückes steht hier ein Viereck, mit Bleistift gezeichnet. Der Umschlag war sehr eng zusammengefaltet worden, damit er in die Höhlung eines Absatzes hineinging. Aber er war nicht willkürlich so eng gefaltet, nein, diese Linien, die durch die Falten im Papier entstanden, haben – und das herauszufinden kostete mich einiges Nachdenken – eine ganz bestimmte Bedeutung. Sie sind nämlich eine Skizze der Wege Ihres Gartens, Charles Vapaure! Hier ist der Mittelweg, der auf das Viereck, das Haus, zuläuft; hier sind die Seitenwege. Gestern Abend habe ich nachgeprüft, ob alles auch stimmte. Und hier – hier ist an der Kreuzung dreier Seitenwege mit einer Nadel das Papier durchlöchert. An dieser Stelle werde ich sofort nachher nachgraben. Und dort dürften wir Palperlons Vermächtnis finden. Das Papierstück, das er Ihnen gab, sollte lediglich dazu dienen, Ihre Ehrlichkeit zu prüfen. Die darin angedeuteten Millionen haben Sie beide denn auch wirklich verführt, zu versuchen, mir die andere Hälfte des Testaments, die es gar nicht gibt, in der Absicht zu rauben, Ihres Schwagers Vermächtnis für sich zu behalten und seine Tochter Ellen leer ausgehen zu lassen. Sie wollten Schraut und mich spurlos verschwinden lassen. Dann hätten Sie ungestört, so glaubten Sie, die Erbschaft an sich reißen können. Kommissar Dalbott wird Sie beide jetzt hier noch festhalten, bis Schraut und ich in Gegenwart Ellen Palperlons zutage gefördert haben, was deren Vater an der bestimmten Stelle vergraben hat.«

Ich will alle Einzelheiten übergehen. Als wir Ellen mitteilten, dass Palperlon ihr Vater sei, nahm sie dies mit einem glücklichen Lächeln hin.

In ein Meter Tiefe gruben wir dann an der Kreuzung der drei Seitenwege ein flaches Eisenkästchen heraus, in dem ein versiegelter Brief mit der Aufschrift

An Herrn Harald Harst, oder

meine Tochter Ellen

lag.

Es war dies Palperlons richtiges Testament, in dem er ganz genau ein bestimmtes Felsental in den Bergen des zentralistischen Fürstentums Railpur beschrieb, wo er auf einem Jagdausflug vor Jahren auf eine Ader goldhaltigen Gesteins gestoßen war.

Dann hieß es weiter: ›Sollte sich mein Verdacht bestätigen, sollten also meine Schwäger Vapaure versucht haben, meine Millionenerbschaft durch Heimtücke an sich zu bringen, so mag Harald Harst als mein Testamentsvollstrecker für meine Tochter allein die Anrechte an jene Goldader sichern. Meine Schwäger aber sollen leer ausgehen. Der Ertrag der Goldader darf jedoch nur zu ein Fünftel von Ellen für sich verwandt werden. Vier Fünftel sollen zur Unterstützung von Familien benutzt werden, deren Ernährer zu lebenslänglichem Zuchthaus oder zum Tode verurteilt worden sind, in erster Linie solcher französischer Abstammung. Wenn meine Schwäger sich als zuverlässig erwiesen haben, soll Ellen ein Sechstel des Ertrages erhalten, ein zweites Sechstel die beiden Vapaures, der Rest aber wie oben verteilt werden.‹

Es folgten dann noch Worte hingebender Liebe für Ellen und für Harst wärmster Dank für alles, was er in Ellens Interesse tun würde.

So sah das Testament dieses seltsamen Mannes aus, der auf diese Weise für die Familien von Verbrechern eine Millionenstiftung schuf, die in ihrer Art einzig dasteht. Die Goldfundstelle erwies sich als äußerst reich, und der Abbau der Goldader nahm volle drei Jahre in Anspruch. Harst hat mit diesem Vermächtnis noch viel Arbeit gehabt. Ellen Palperlon heiratete einen Ingenieur und ist sehr glücklich geworden.

Die Vapaures machten damals gute Miene zum bösen Spiel, ließen Ellen und Kommissar Dalbott unbelästigt und verschwanden bald aus Pondicherry, wo sie sich nicht mehr recht behaglich fühlen mochten.

Und der Zettel, den Harst mir auf dem Dampfer während der Überfahrt nach Kapstadt gegeben und den ich in einem Umschlag in meiner Mütze verwahrt hatte?

Nun – als ich ihn an demselben Tag noch las, als wir Palperlons Testament ausgegraben hatten, fand ich nur folgende Worte: Goldaufdruck Warnung, Umschlagkniffe Skizze bestimmter Örtlichkeit.«

Harst hatte also tatsächlich schon auf dem Dampfer das Richtige vermutet.

Hiermit endete die Episode James Palperlon für uns. Es begann ein neuer Abschnitt unsrer Erlebnisse, die vielfach mit der Person Lord Wolpoores zusammenhingen, so auch die Geschichte, die ich betitelt habe

Die Siegellacktröpfchen

Und mit der ich diesen neuen Abschnitt im nächsten Band einleiten will.