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Nick Carter – Das Opfer eines Giftmischers – Kapitel 3

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Das Opfer eines Giftmischers
Ein Detektivroman

Minen und Gegenminen

Zwei Stunden später befand sich der berühmte Detektiv wieder in seinem Arbeitszimmer und in eifriger Beratung mit seinen vertrauten Gehilfen begriffen.

»Mit einem Wort, der Zufall hat es gefügt, dass wir von zwei verschiedenen Seiten mit der Ausarbeitung desselben Falles beauftragt worden sind«, eröffnete Nick Carter den aufmerksam Lauschenden. »Natürlich können wir nur einer Partei dienen – und diese ist unfraglich Mrs. Boughton, denn, um meine Meinung kurz auszusprechen, so halte ich diesen Alfred Copeland für einen hartgesottenen Schurken, welcher verbrecherische Ziele vor sich hat und wirklich, wie Mrs. Boughton befürchtet, den Untergang seiner Stiefschwester plant, um sich in gesetzlich unanfechtbarer Weise in den Besitz der Erbschaft seines Mündels zu setzen. Wie ich euch schon sagte, entschloss ich mich dazu, ihm gegenüber mit anscheinend offenen Karten zu spielen. In Wirklichkeit aber wird unser Verfahren derart gehalten werden müssen, dass wir diesen Mr. Atherson als den Feind betrachten, dessen Geheimnisse wir ergründen müssen.«

»Der springende Punkt scheint mir darin zu liegen, herauszubekommen, warum und auf welche Weise diese Myrtle Copeland aus dem Haus ihres Bruders floh«, warf Chick nachdenklich sein.

»Wie immer, so triffst du auch diesmal ins Schwarze«, stimmte der Meisterdetektiv lächelnd zu. »Doch hier stehen wir sofort vor einer neuen Schwierigkeit. Ich habe das ganze Haus abgesucht und ebenso die Dienerschaft eingehend verhört, ohne etwas herausbekommen zu haben. Nur zwei Punkte vermochte ich ausfindig zu machen. Einmal erschien vor etwa zwei Wochen ein fremder, junger Mensch im Haus, der vorgab, von dem Besitzer geschickt worden zu sein, um nach etwa notwendigen Reparaturen Umschau zu halten. Ihm wurde gestattet, sich auf das Dach zu begeben. Etwas später wurde er von Mr. Atherson dabei überrascht, wie er mit Myrtle Copeland durch die vergitterten Fenster eifrig sprach. Atherson schloss das Fenster sofort, und eine Anfrage bei dem Hausbesitzer ergab, dass von diesem der fremde junge Mensch nicht geschickt worden war. Wohlgemerkt, dieser unbekannt gebliebene junge Mann war der einzige Fremde, mit welchem die Kranke nachweislich gesprochen hat. Was die beiden miteinander verhandelten, weiß niemand, denn Myrtle erwies sich jeder Befragung gegenüber unzugänglich.«

»Du sprachst noch von einem anderen Punkt, Nick«, warf Chick ein.

»Nun, hierbei handelt es sich um den logischen Schluss, dass eins der Dienstmädchen ihr bei der Flucht behilflich gewesen sein muss, denn die Zimmertür war durch einen Außenriegel verwahrt, der eben nur von dritter Hand zurückgeschoben worden sein kann. Nun liegt der Gedanke nahe, dass zwischen den betreffenden Dienstmädchen und dem unbekannt gebliebenen jungen Mann irgendwelcher Zusammenhang bestehen muss.«

»Scheint mir auch so«, brummte Chick nachdenklich. »Doch dir erschien keine der Dienerinnen verdächtig?«

»Nein«, gestand der Detektiv unter einem Achselzucken. »Verdächtig ist mir nur die Erklärung des von mir gleichfalls befragten Dr. Rullmann, wonach Myrtle Copeland eigentlich nicht geisteskrank, sondern auf ihm selbst unerklärliche Art in einem Zustand stetig zunehmender Verblödung begriffen ist. Daran aber trägt seines Wissens nicht das längst überstandene Nervenfieber irgendwelches Verschulden. Übrigens hat auch er hervorgehoben, dass Myrtle mit aller erdenklichen Sorgfalt umgeben wurde und von grausamer Behandlung oder sonst einen Umstand, der in ihr Fluchtgedanken hervorgerufen haben konnte, nicht die Rede ist.«

»Mit anderen Worten also«, fiel Ida ein, »die Flucht geschah nicht aus dem Wunsch der Kranken selbst heraus, sondern sie wurde ihr vermutlich von dritten Personen nahegelegt.«

»Genauso«, bemerkte der Detektiv. »Nun könnte man ja meinen, dass es sich um einen Erpressungsplan handelt. Man hat die Kranke beiseitegeschafft, um für deren Rückkehr eine gehörige Summe Geldes herauszuschlagen.«

»Ich glaube wohl, Nick, hier ist der springende Punkt, wo wir anzusetzen haben«, brummte Chick bedächtig. »Doch dann müsste dir doch jemand unter den Dienstboten verdächtig vorgekommen sein.«

»Nicht, dass ich wüsste; es könnte sich höchstens um das Zimmermädchen handeln, welches außer Atherson und Mrs. Thompson Zutritt zu dem Gemach hatte, in welchem Miss Myrtle eingeschlossen gehalten wurde. Dieses Mädchen heißt Mary Bryan, sie ist eine geprüfte Krankenwärterin und soll besondere Zuneigung für Myrtle empfunden haben. Umso auffälliger will es mir nun erscheinen, dass sie trotzdem, und obwohl sie ausgezeichnet bezahlt wird, ohne irgendwelche Veranlassung ihre höchst angenehme Stellung vor gerade einem Monat gekündigt hat. Mit anderen Worten, sie wird heute noch ihre Stelle verlassen.«

»Warten Sie einmal«, rief Patsy, der bis dahin schweigend zugehört hatte, ein. »Wie sieht diese Mary Bryan denn aus?«

»Hm, sie ist ein hübsches Mädchen, vielleicht 25 Jahre alt, schlank, blond und von entschieden irischem Typus. Doch warum fragst du?«

»Well, mir fiel nur der Name auf, obwohl der ja so ziemlich verbreitet ist«, entgegnete Patsy. »Ich habe nämlich einen guten Freund, der Jim Bryan heißt und auf der Ostseite wohnt. Wir kennen uns von früher her, und er hat keine Ahnung, dass ich inzwischen Detektiv geworden bin. Ich weiß nun, dass Jim eine Schwester Mary hat, welche Krankenpflegerin ist – ich traf ihn zufällig gestern Abend, und da fragte er mich, ob ich ihm nicht behilflich sein wolle, den Koffer seiner Schwester heute mit fortzuschaffen, da diese ihre Stelle wechsele.«

»Well, Patsy, mir will es scheinen, als bewahrheite sich hier wieder einmal ein sprichwörtlich gewordenes Glück«, meinte der Detektiv lächelnd. »Eigentlich wollte ich dich direkt zum Athersonschen Haus schicken. Doch suche einmal deinen Freund Jim auf. Der Zufall spielt oft seltsam – wer weiß, vielleicht handelt es sich wirklich um seine Schwester Mary – das wirst du ja bald herausfinden. Handelt es sich nur um eine leere Vermutung, so wirst du zum Haus des Mr. Atherson gehen, dir diese Mary Bryan ansehen und sie alsdann beschatten, also ihr auf Schritt und Tritt nachfolgen.«

»Was mir da einfällt«, bemerkte Ida, welche aufmerksam zugehört hatte. »Vielleicht hat Mr. Atherson noch keine andere Krankenpflegerin angenommen. Dann könnte ich vielleicht als solche Anstellung im Haus finden.«

»Famos! Du begegnest meinen Wünschen«, rief Nick Carter lachend. »Ich wollte Mr. Atherson schon einen diesbezüglichen Vorschlag machen. Doch ungleich besser wäre es vermutlich, könnten wir ihn im Unklaren darüber lassen, dass du zu uns gehörst. Well, Patsy mag sich über den Fernsprecher mit dir verständigen, sobald er selbst erst einmal weiß, woran er sich zu halten hat. Alles Weitere wird sich dann finden.«

Patsy war eine Minute darauf schon unterwegs, und es gelang ihm unschwer, seinen früheren Bekannten aufzuspüren. Schon die ersten Worte klärten ihn darüber auf, dass sein Glück ihm nicht untreu geworden war: Jims Schwester war mit der bisher im Athersonschen Haus beschäftigten Wärterin identisch, und es handelte sich auch um deren Koffer, welcher fortgeschafft werden sollte.

Selbstverständlich erwies sich Patsy als hilfsbereiter Freund und begab sich ungesäumt mit seinem Bekannten zu dem Haus an der 5th Avenue, um dort als Kofferträger tätig zu sein.

Mary, eine hübsche, lebhafte Blondine, kannte Patsy gleichfalls von früher her. Sie öffnete den beiden selbst die Souterraintür und zeigte sich erfreut, den Freund ihres Bruders wieder einmal begrüßen zu können.

Unter ihrer Führung begaben sich die beiden zu dem obersten Flur, wo sich das von Mary bewohnte Zimmer befand, holten aus ihm den ziemlich gewichtigen Koffer und schleppten ihn über die Treppen hinunter. Sie hatten mit ihrer Last gerade wieder den Parlor–Floor erreicht, als ihnen mit ungestümer Gebärde ein hochgewachsener Mann den Weg vertrat, in welchem der junge Detektiv sofort den angeblichen Mr. Atherson witterte.

Sekundenlang starrte Atherson betroffen auf die beiden jungen Männer. Dann trat er drohend näher auf sie zu.

»Was soll denn das heißen?«, herrschte er sie an. »Wer seid ihr, und was soll es mit dem Koffer da?«

»Es ist mein Koffer«, erklärte Mary Bryan, welche inzwischen auch aufgetaucht war.

»Was soll das heißen, frage ich?«, ereiferte sich Atherson. »Wollen Sie etwa das Haus verlassen?«

»Allerdings«, lautete die unbefangene Antwort. »Ich habe meine Stellung vor einem Monat gekündigt.«

»Wer sind die jungen Leute hier?«

»Well, der eine ist mein Bruder und der andere sein Freund.«

»Wollen Sie den Dienst wegen des heutigen Vorkommnisses verlassen?«, erkundigte sich Atherson scharf.

»Durchaus nicht, ich kündigte Mrs. Thompson vor genau einem Monat.«

»Das erste Wort, das ich höre!«, rief Atherson unwillig. »Kommen sie mit mir in die Bibliothek, Mary, doch zuvor rufen Sie Mrs. Thompson. Ihr beide bleibt vorläufig mit dem Koffer hier im Gang!«

Damit begab er sich zu einem dem Hof zu gelegenen Zimmer, in welchem bald darauf auch die schon ältliche Mrs. Thompson und Mary verschwanden.

Die beiden jungen Leute hatten sich derweil auf den Koffer gesetzt, und da die Tür zum Bibliothekzimmer angelehnt geblieben war, so konnten sie jedes Wort von dem drinnen stattfindenden Gespräch deutlich vernehmen.

»Warum will das Mädchen hier heute den Dienst verlassen?«, hörten sie Atherson unwillig fragen.

»Ich sagte es Ihnen doch schon vor einem Monat, dass Mary den Dienst gekündigt hat.«

»Kann mich wirklich nicht entsinnen – doch warum wollen Sie fortgehen? Gefällt es Ihnen hier nicht?«

»Der Platz ist zu anstrengend für mich«, entgegnete Mary.

»Ach was, Larifari – wissen Sie auch, Mrs. Thompson, dass Mr. Carter ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass meiner Schwester von einem Dienstboten Beistand geleistet worden sein muss?«, rief Atherson zornig.

»Unsinn!«, entgegnete Mrs. Thompson grob.

»Nein, durchaus kein Unsinn, denn ich habe in Ihrer Gegenwart den Außenriegel vorgeschoben, und er kann nur von dritter Hand wieder unbefugt geöffnet worden sein!«, rief Atherson in ärgerlichem Ton.

»Allerdings, daran dachte ich nicht – aber wie in aller Welt …«

»Sie hätten eben wachsamer sein müssen, Mrs. Thompson, denn wir wissen es, dass meiner Schwester ein neu angefertigter Türschlüssel zugesteckt wurde – und dieselbe Hand hat jedenfalls auch den Türriegel zurückgeschoben. Wir haben einen Verräter im Haus!«

»Wollen Sie mich etwa beschuldigen, Mr. Atherson?«, rief Mary nun heftig.

»Ich beschuldige niemanden, doch es will mir eigentümlich vorkommen, dass Sie so rasch nach der Flucht Ihrer Schutzbefohlenen das Haus verlassen wollen!«

»Mary Bryan hat schon vor einem vollen Monat gekündigt. Die Flucht der armen Miss Myrtle kann nur ein zufälliges Zusammentreffen sein – ich kenne Mary und übernehme für sie jegliche Bürgschaft!«

»Warum zum Donner wollen Sie fort?«, rief Atherson nun in scharfem Ton. »Genügte Ihnen Ihre Bezahlung nicht, oder wurden sie schlecht von Mrs. Thompson behandelt?«

»Durchaus nicht!«, rief nun Mary in hellem Ärger. »Ich habe mich über nichts zu beklagen, es sei denn, dass mir gewisse Sachen – oder gewisse Dinge hier im Haus nicht passen, und darum will ich fort, wenn Sie es durchaus hören wollen!«

»Gut denn, ich will Sie nicht zurückhalten – wie viel Lohn haben Sie noch zu fordern?«

»Zwanzig Dollar, soviel bekam ich jeden Monat.«

»Hier sind sogar vierzig Dollar – aber Sie verlassen das Haus sofort!« Er wendete sich aufgebracht an Mrs. Thompson und herrschte diese an: »Haben Sie schon für eine andere Wärterin gesorgt?«

»Nein, ich hoffte bis heute noch, Mary würde sich die Sache anders überlegen und bleiben.«

»Dann schaffen Sie sofort Ersatz herbei!«, entschied Atherson.

Als in diesem Augenblick Mary in Begleitung von Mrs. Thompson wieder im Korridor auftauchte, wendete sich Patsy an die Erstere.

»Das wäre eine Stelle für meine Schwester, Miss Mary«, meinte er im Flüsterton. »Sie ist augenblicklich außer Stellung und hat die besten Empfehlungen aufzuweisen.«

»Das trifft sich gut«, versetzte Mary nun bedächtig. »Benachrichtigen Sie Ihre Schwester, junger Mann, sie soll sich mir sofort vorstellen. Gefällt sie mir und hat sie gute Empfehlungen, so brauche ich mich nicht anderweitig umzuschauen.«

»Ich will nur rasch zum nächsten Groceryladen springen und von dort telefonieren«, erklärte Patsy diensteifrig. »Warte hier auf mich mit dem Koffer, Jimmy, ich bin gleich wieder zurück, und inzwischen kann sich deine Schwester fertiggemacht haben.«

Wenige Minuten darauf war Patsy, der natürlich sofort Nick Carters Cousine Ida über den Vorfall benachrichtigt hatte, wieder zurück, und der Koffer wurde ohne weiteren Zwischenfall aus dem Haus geschafft und dem nächsten Expressagenten zur Weiterbeförderung übergeben.

»Well, nun trinken wir eins«, schlug Jimmy vor. »Du kommst natürlich mit, Mary«, forderte er seine Schwester auf. »Dort an der Ecke ist eine Wirtschaft mit Familieneingang.«

Das Mädchen hatte nichts dagegen, und bald saß das Kleeblatt im Nebenzimmer bei einem Glas Bier. Patsy verstand, fröhlich zu plaudern, und da er von den Geschwistern in keiner Weise beargwöhnt wurde, so glaubte er mit leichter Mühe, alles ihm Wünschenswerte aus dem Mädchen herausholen zu können, ohne Verdacht zu erregen.

Er musste indessen bald wahrnehmen, dass Mary sich über alle Vorgänge im Athersonschen Haus höchst zurückhaltend zeigte. Aus ihren Redewendungen ging nur hervor, dass sie sehr an der jungen Kranken, welche bisher ihrer Obhut unterstanden hatte, hing.

»Well«, meinte Patsy schließlich lachend, »wie mir es scheinen will, Miss Mary, fassen Sie die Flucht des jungen Mädchens nicht sehr tragisch auf!«

Die Gefragte schaute ihn kurz an, während es in ihren hübschen Augen dabei seltsam aufblitzte.

»Mr. Atherson ist ein sehr kluger Mann«, warf sie dann unter spöttischem Achselzucken ein, »doch es gibt Leute, die mindestens ebenso intelligent sind!«

Sie ließ sich über den tieferen Sinn ihrer Bemerkung nicht weiter aus, und Patsy wagte auch nicht zu fragen, sondern trank schnell sein Glas leer, während das Mädchen einen verschlossenen Brief aus der Tasche zog und die Adresse auf ihm sorgsam überlas.

Patsy war einer von denen, die mit ihren scharfen Augen beinahe um die Ecke zu sehen vermögen, und so genügte ihm ein Blick zu der Feststellung, dass der gedruckte Absendervermerk links oben in der Ecke den Namen des Doktors Rullmann aufwies, während der Adressat in einem Haus an der Ost 68 Street wohnen musste.

»Well«, versetzte Mary, den Brief wieder in die Tasche steckend, unter einem listigen Lächeln. »Ich werde schwerlich lange außer Stellung bleiben. Mr. Atherson braucht sich nichts einzubilden, ich habe meine Gründe, warum ich nicht länger dortbleiben wollte!«

Patsy fühlte wohl, dass in der ganzen Art des Mädchens etwas Unaufrichtiges lag.

Doch geflissentlich gab er sich den Anschein, dieses zu übersehen. Er berührte ein anderes Gesprächsthema, und nachdem man noch ein Viertelstündchen miteinander verplaudert hatte, verabschiedete er sich.

Sein Weg führte ihn direkt zur 68. Street, denn er beabsichtigte, sich das ihm der Nummer nach bekannte Haus genau anzusehen, in welchem allem Anschein nach Mary Bryan ihren neuen Dienst antreten würde. Es handelte sich um ein äußerst unscheinbares, kleines Backsteingebäude, in welchem schwerlich, wie überhaupt in der ganzen Umgegend, Leute wohnten, welche sich der Dienste einer hochbezahlten Wärterin bedienen konnten.

Zu seiner Überraschung musste Patsy, der natürlich sorglich Deckung in einem gegenüber befindlichen Haustor gefunden hatte, nach kurzem Warten wahrnehmen, wie die Haustür geöffnet wurde und eine ältliche Dame zum Vorschein kam, in welcher er auf den ersten Blick Mrs. Thompson erkannte.

Das verblüffte ihn nicht wenig. Wie kam Mrs. Thompson, welche anscheinend die Vertraute Athersons war, in dieses so ärmlich erscheinende Gebäude, in welchem Mary Bryan allem Anschein nach eine neue Stellung gefunden hatte? Es war Patsy schon im Athersonschen Haus aufgefallen, dass Mrs. Thompson sich der scheidenden Wärterin so warm angenommen hatte. Ihr Auftauchen hier ließ darauf schließen, dass sie die Kranke genau kannte, zu deren Pflege die hochbezahlte Wärterin angestellt worden war.

»Hm, die Sache scheint mir tiefer zu liegen«, brummte Patsy mit listigem Schmunzeln vor sich hin. »Ich glaube, der Chef wird mir darum nicht böse sein, kann ich ihm melden, wer die Bewohner dieses Hauses sind.«

Patsy war ein Mann der Tat. Ohne Besinnen begab er sich zum nächsten Groceryladen (Kolonialwarengeschäft), um dort Erkundigungen in der Annahme einzuziehen, dass die Hausbewohner zu deren Kunden gehörten.

Darin sah er sich auch nicht getäuscht. Doch trotzdem fiel die erhaltene Auskunft nur mager aus. Es handelte sich um eine in der Nachbarschaft allgemein geachtete und mäßig begüterte kleine Familie Hennig, welche schon seit geraumen Jahren das ihr eigentümlich gehörende Haus bewohnte – die Mutter war Witwe, und der im Beginn der zwanziger Jahre stehende Sohn studierte Medizin. Mutter und Sohn lebten streng abgeschlossen für sich und führten einen mustergültigen Lebenswandel.

Als Nick Carter über den Fernsprecher von Patsy über dessen Erkundigungen verständigt wurde, geizte er nicht mit seiner Anerkennung und versprach ihm, zu seiner Unterstützung sofort Chick senden zu wollen, damit die beiden zusehen sollten, ob Patsys Vermutung zutraf, wonach möglicherweise gar die entflohene Myrtle in jenem unscheinbaren Haus Zuflucht gesucht und gefunden hatte.

Patsy hatte nicht lange zu warten; schon eine halbe Stunde später tauchte Chick auf, und die beiden postierten sich dem kleinen Privathaus gegenüber, um die kommenden Dinge abzuwarten und sich über ihre weitere Handlungsweise schlüssig zu werden.