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Der Welt-Detektiv Band 6

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Nick Carter – Ein fingierter Einbruch – Kapitel 5

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Ein fingierter Einbruch
Ein Detektivroman

Mr. Hopkins aus London

Nicht umsonst galt Nick Carter als unerreichter Verkleidungskünstler. Seine Masken waren unerschöpflich und seine schauspielerische Gewandtheit, was Mimik, Verwandlungsfähigkeit in Haltung und Stimme anbelangte, eine derart beispiellose, dass er es zum gefeiersten Mimen hätte bringen könne, wäre sein gefahrvoller Beruf ihm nicht so fest ans Herz gewachsen gewesen.

Zuhause angekommen, schminkte er sich zunächst eine robuste Gesichtsfarbe an. Dann setzte er eine fuchsige Perücke auf, verlieh seinen Pupillen durch Einspritzung eines Tropfens Atropin einen glotzenden, starren Ausdruck, klebte ein paar kurze Bartkoteletten auf die Wangen und bedeckte seine Hände mit zahlreichen Leberflecken, nachdem er zuvor einen grob karierten Anzug, welcher dem Geschmack der mittleren Klassen im nebelfeuchten Albion am besten zusagt, angezogen hatte.

Es machte ihm ein besonderes Vergnügen, als er in einem Hochbahnzug zufällig neben Inspektor McClusky, der zum Luncheon den heimischen Penaten zueilte, zu sitzen kam und von diesem mit dem versteckten spöttischen Lächeln gemustert wurde, das der Yankee jederzeit für John Bull übrig hatte. Doch es war klar, dass selbst der kundige Blick des geschickten Chefs der Geheimzentrale den Freund in seiner Verkleidung nicht erkannte.

Pünktlich um halb vier Uhr betrat Nick die Bank und ließ sich unter dem Namen Mr. Robert Hopkins von Scotland Yard, London anmelden.

Man hatte offenbar schon sehnlich auf sein Kommen gewartet, denn er wurde unverzüglich in das Privatbüro des Präsidenten geführt und sah sich gleich darauf mit diesem allein.

»Nehmen Sie Platz, Mr. Hopkins«, versetzte Wilson mit einer einladenden Handbewegung. »Ich vermute, Sie besuchen mich auf Veranlassung von Inspektor McClusky?«

»Ich komme in seinem Auftrag!«, entgegnete Nick mit einer öligen Stimme, bei deren Anhören man unwillkürlich an eine getrüffelte fette Wachtel denken musste.

»Wir haben in New York einen gewissen Nick Carter, der ein Berufskollege von Ihnen ist. Meinen Sie, dass Sie es an Fähigkeit mit ihm aufnehmen könnten?«

»Natürlich, daran ist gar kein Zweifel«, erwiderte der Londoner, sich in die Brust werfend.

»Stolz liebe ich den Spanier!«, meinte Wilson mit einem Versuch zu scherzen.

Er amüsierte sich heimlich über die unglaubliche Fettstimme des Briten.

»Ich setze voraus, dass Mr. McClusky Sie mit den Einzelheiten des Falles, für den ich Ihren Beistand benötige, vertraut gemacht hat?«

»Nein, der Inspektor hat mir nichts weiter gesagt, als dass hier ein Einbruch stattgefunden hat. Ihr Nachtwächter soll verschwunden sein. Ferner wurde ein neu angestellter Policeman verwundet. Schließlich weiß ich noch, dass 350.000 Dollar geraubt wurden und dass Sie nun meinen Beistand wünschen, um das Geld wieder zur Stelle zu schaffen und die Einbrecher zu entdecken. Das ist alles, was ich weiß!«

»Sehr gut, ausgezeichnet! Doch zunächst wollen wir uns über die Höhe Ihres Honorars verständigen!«, rief der Präsident eifrig.

»Nichts, wenn ich nicht erfolgreich bin … Ein Prozent der geraubten Summe und die Auslagen, schaffe ich das Geld zur Stelle«, entgegnete Nick in kaltem Geschäftston. »Für die Festnahme der Einbrecher überlasse ich die Bestimmung der Entschädigung Ihrem Ermessen.«

»Einverstanden! Ich denke, Sie sind mein Mann!«, rief der Präsident, sich schmunzelnd die Hände reibend. »Also zur Sache, ich werde Ihnen den ganzen Fall in der Auslegung, wie Mullen ihn dargestellt hat, der Einfachheit halber ausführlich vortragen!«

Das geschah.

Mit einer so interessierten Miene, als habe er von alledem noch nichts gehört, lauschte Nick den Worten des Präsidenten. Als er geendet hatte, schwieg der Mann von Scotland Yard nachdenklich eine Weile.

»Hm«, meinte er schließlich. »Was ist nun Ihre Ansicht, Mister Wilson?«

»Die möchte ich lieber für mich behalten, zumal ich durch meine freimütige Darlegung Ihren berühmten Kollegen heute Morgen arg verschnupft habe!«

»Das würden Sie nun zwar nicht bei mir zu befürchten haben … Doch wie Sie wollen, Mr. Wilson. Ich werde mich dann darauf beschränken, Ihnen einige direkte Fragen vorzulegen«, erwiderte Nick.

»Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung!«, versetzte der Präsident, der sich inzwischen wieder eine seiner geliebten Papyros angesteckt hatte.

»Wie lange stand der Wächter schon im Dienste der Bank?«

»Nicht ganz ein Jahr.«

»Wie heißt der Mann?«

»Ambrose Pike«, antwortete Wilson nach kurzem Nachdenken.

»Hatten Sie jemals Veranlassung, seine Redlichkeit zu bezweifeln?«

Der Präsident lachte.

»Selbstverständlich nicht, sonst wäre er längst entlassen worden!«

»Offen heraus, Mr. Wilson, halten Sie den Mann jetzt für schuldig?«

»Wenn Sie mich direkt fragen: Ja, Pike muss einer der Schuldigen sein!«

»Sie behaupten das mit großer Bestimmtheit. Gründet sich Ihr Verdacht auf bloße Vermutung oder haben Sie irgendwelche stichhaltigen Beweise?«

Wilson lachte kurz.

»Der Mann ist mit dem Geld zugleich verschwunden! Das ist genügend!«, rief er wegwerfend.

»Pike soll ermordet worden sein!«, warf der angebliche Londoner ein.

»So sagt Mullen!«, entgegnete der andere sarkastisch. »Mullen sagt auch, er sei niedergeschlagen worden. Mullen behauptet viel!«

»Hm, Sie sind nicht gut auf Mr. Mullen zu sprechen?«, meinte Bob gedehnt.

»Mit gutem Recht! Ich habe nicht die Gewohnheit, Menschen zu verdächtigen, ehe ich von deren Verschulden überzeugt bin!«

»Sie halten also Mullen für mitschuldig und glauben an ein Komplott zwischen Ihrem eigenen und dem öffentlichen Sicherheitswächter. Worauf stützen Sie nun Ihre Verdachtsgründe?«, erkundigte sich Nick gelassen.

»Nun, zunächst erscheint mir der ganze Bericht des Policeman blödsinnig, ich halte ihn von Anfang bis zum Ende für erfunden.«

»Das ist Ihr Eindruck, Mr. Wilson, mag sein, es ist auch der meine. Doch darum braucht Mullen nicht zu lügen. Die Wirklichkeit zeitigt oft die unglaublichsten Vorkommnisse!«

»Der Mann ist aber auch erst seit drei Wochen Policeman, und ich behaupte, er ist überhaupt nur in das Polizeikorps eingetreten, um dies offenbar von langer Hand geplante Verbrechen vorbereiten zu helfen. Er mag den geheimen Einfluss haben, der seine Zuerteilung an die Old Slip Policestation, dem zuständigen Bezirk durchsetzte. Damit war ihm die Möglichkeit an die Hand gegeben, freie Bahn für seine Mitschuldigen zu schaffen.«

»Hm, das sind schwere Beschuldigungen, Mr. Wilson. Er soll noch ein junger Mann sein, und diese sind für gewöhnlich viel zu unüberlegt, um nach einem derart von langer Hand vorbereiteten Plan zu handeln!«

»Diesem Mullen traue ich alles zu!«, ereiferte sich der Präsident. »Denken Sie nur, der Mensch war Bartender bei Badgers in der Beaverstreet, einem recht zweifelhaften Lokal, und er verließ seine Beschäftigung erst am selben Tag, an dem er seine Berufung zum Polizisten erhielt.«

»Nun, das berechtigt uns immer noch nicht, ihn für einen Verbrecher zu halten!«

»Well, verstehen Sie mich recht, Mr. Hopkins«, meinte Wilson ungeduldig. »Er war jahrelang Bartender bei Badgers … Nun kenne ich den Platz nicht und weiß nicht einmal, ob er in demselben Bezirk liegt wie die Bank hier … Doch ich weiß, dass in solchen öffentlichen Wirtschaften nur das verworfenste Gesindel verkehrt. Wer sagt Ihnen nun, dass Mullen sich da nicht mit Gesinnungsgenossen verständigt und zusammen mit ihnen einen Plan ausgeheckt hat, dessen Gelingen sie sämtlich zu reichen Leuten machen musste.«

»Das leuchtet mir ein«, äußerte der Mann von Scotland Yard bedächtig. »Es ist möglich, dass auch Pike dieser Verbrecherbande angehörte und durch irgendeinen geheimnisvollen Einfluss Anstellung in Ihrer Bank gefunden hat.«

In Wilsons Augen blitzte es auf.

»Sehen Sie!«, rief er triumphierend. »Sie bekehren sich schon zu meiner Ansicht. Pike steckte mit im Komplott, es ist gar nicht anders möglich. Er hat die Männer eingelassen, nachdem er zuvor die Alarmeinrichtungen abstellte. Mullen aber hat seinen zweitägigen Urlaub dazu benutzt, alle Vorbereitungen zu treffen … Was mir da einfällt!«, unterbrach er sich. »Ich glaube zwar nicht, dass eine Ambulanz mit im Spiel war, man könnte aber immerhin Mullens Kleider daraufhin nachsehen … Es soll ein Polizist neben dem Ambulanzkutscher gesessen haben … Wenn der nicht in Mullens Uniform steckte!«

»Wohl möglich«, meinte Nick, bedächtig nickend. »Ich glaube, wir werden gut tun, unsere weiteren Schritte Ihrer Ansicht anzupassen, denn sie leuchtet mir ein!«

»Das freut mich!«, schmunzelte Wilson, und geschmeichelt fuhr er fort: »Sehen Sie, wenn ich auch kein Detektiv bin, so habe ich doch unablässig nachgedacht; wir verstehen uns also.«

»Durchaus!«, bestätigte der Mann von Scotland Yard. »Mullen wurde Bartender, schon in der bestimmten Absicht, seine Stellung zu missbrauchen. Darum trat er in einen Platz, wo Bankbeamte, Bankwächter und dergleichen verkehren. Seine Aufgabe war es, deren Bekanntschaft zu machen, wer weiß, ob bei Badgers nicht die Rede auf die bei Ihnen vakant gewesene Nachtwächterstelle kam. Einer Ihrer Beamten hörte von Mullen, dass dieser von einem vertrauensvollen Mann wisse. Du lieber Himmel, die meisten derartigen Posten werden durch Empfehlung besetzt. Es mag Mullen auf solche Weise gelungen sein, Pike bei Ihnen anzubringen. Schon zuvor hatte Mullen seine Einreihung in das Polizeikorps beantragt. Wer weiß, welcher Einfluss ihm da wieder gefällig zu Diensten stand, im guten Glauben natürlich. Die Stadtpolitiker verkehren häufig in den Wirtschaften, der eine oder andere mag Gefallen an dem flinken Bartender gefunden und beschlossen haben, dessen Glück zu machen. So setzte er im guten Glauben, einem ehrlichen und anstelligen Burschen auf die Beine geholfen zu haben, die Ernennung unseres Mannes durch … Und Mullen benutzte nunmehr die früheste Gelegenheit zum Losschlagen. Das Resultat kennen wir. O ja, ich mache Ihnen mein Kompliment, Mr. Wilson, so und nicht anders ist es!«

»Sie sind der intelligenteste Detektiv, der mir je vorgekommen ist!«, versetzte der Präsident anerkennend. »Ihr Vorgänger ist im Vergleich mit Ihnen ein trauriger Schafskopf.«

»Das dachte ich mir bereits!«, warf Nick trocken ein, während ein breites, geschmeicheltes Lachen seine Lippen umzog. »Well, wir wollen den Burschen schon fassen! Nur eines will mir nicht einleuchten, warum dann der mitschuldige Pike von seinen eigenen Genossen totgeschlagen wurde.«

Der Präsident lachte herzlich.

»Aber bester Mr. Hopkins, das ist doch nur alles ein großes Lügengewebe!«, belehrte er den Detektiv gönnerhaft. »Alles Schwindel von diesem Mullen … Und wäre es auch an dem, es wäre nicht das erste Mal, dass solche zu allem entschlossenen Bösewichter sich gewaltsam eines unzuverlässigen Genossen entledigten!«

»Sehr wahr!«, pflichtete der anscheinend völlig überzeugte Nick bei. »Wir haben die Schuldigen schon beim Wickel. Pike ließ seine Verbündeten ein. Der große Kassenschrank, in welchem das Wechselgeld verwahrt wurde, war unschwer zu öffnen. Vielleicht ist Pike selbst von Beruf Kunstschlosser und hatte somit die beste Gelegenheit, sich während seiner nächtlichen Dienststunden einen passenden Nachschlüssel anzufertigen.«

»Bravo! Sie sind mein Mann!«, unterbrach ihn Wilson ganz begeistert. »So und nicht anders war es!«

»Hm, was mir da einfällt«, wendete der Mann von Scotland Yard wieder ein. »Sie sagten vorhin, dass nur Sie und Ihr Hauptkassierer von der Niederlegung der bewussten 350.000 Dollar im Wechselgeldkassenschrank wussten. Wie kam dieser Umstand zur Kenntnis des Wachmannes?«

Wilson antwortete nicht sofort. Er saß zusammengesunken im Sessel und starrte in das erwartungsvoll auf ihn gerichtete Gesicht des Detektivs, während seine eigenen verschlossenen Züge nichts von den ihn eben beschäftigenden Gedanken verrieten.

»Well, Mr. Hopkins«, begann er schließlich zögernd, »Sie stellen mir da eine Frage, die ich nicht zu beantworten weiß. Ich stehe in dieser Hinsicht vor einem Rätsel! Auch mir ist es schleierhaft, wie Pike etwas von der Existenz dieser großen Summe in Erfahrung bringen und wissen konnte, dass wir sie über Nacht gerade außerhalb des Zeitverschlusses verwahrten. Immerhin liegt die Möglichkeit vor«, setzte er rascher hinzu, wie von einem neuen Gedankengang beeinflusst, »dass der Mann einen Nachschlüssel besaß, der ihm gestattete, sich allabendlich von dem Inhalt des Kassenschrankes mit dem Wechselgeld zu überzeugen. Er mag dies auch in der verflossenen Nacht getan und dabei die große Summe entdeckt haben. Für solche Fälle mochte er mit seinen Spießgesellen ein unverfängliches Signal verabredet haben, das er ohne Weiteres durch den Fernsprecher gegen konnte.«

»Möglich!«, warf der Mann von Scotland Yard ein. »Jedenfalls war Pike dann die Vorsicht selbst, denn er rührte bei seinen vorherigen nächtlichen Inspektionen nichts von dem Inhalt des Kassenschrankes an.«

»Das nimmt mich weiter nicht Wunder!«, bemerkte Wilson. »Der Mann wusste genau, dass die Banknotennummern aufgeschrieben werden.«

»Wie konnte er nun aber wissen, dass dies bei den in letzter Nacht von ihm vorgefundenen Banknotenbündeln nicht der Fall war?«

»Sehr richtig!« Der Präsident legte die Hand an die Stirn, als ob diese ihn schmerzte. »Daran habe ich auch schon gedacht, und es zwingt mich zu der Annahme, dass Pike, der ein für seine Lebensstellung ungewöhnlich intelligenter Bursche ist, in geheimem Einverständnis mit irgendeinem meiner Angestellten stehen muss.«

»Aber Sie sagen doch vorhin erst, dass nur Sie und Ihr Kassierer von dem Vorhandensein der Summe wussten«, wendete der Detektiv ein.

»Hm, ja, ganz gewiss!«, brummte der unbehaglich im Sessel herumrückende Präsident. »Well, Mr. Hopkins«, fuhr er dann rasch fort, »bei aller Vorsicht treibt oft der Zufall sein unberechenbares Spiel. Einer meiner Clerks mag meine dem Kassierer gegebene Anweisung mitgehört haben; er mag zu der Bande gehören, was weiß ich; den Zusammenhang herauszufinden ist schließlich Ihre Sache!«

»Beschäftigen Sie denn Angestellte, welchen Sie eine derartige Verfehlung zutrauen könnten?«, fragte der Detektiv dann weiter.

Wilson schüttelte mit dem Kopf.

»Nun, es ist selbstverständlich, dass ich von all meinen Leuten die günstigste Meinung habe, aber wer kann den Menschen in das Herz sehen?«

»Sehr wahr!«, pflichtete Nick bei. »Jedenfalls sind die 350.000 Dollar geraubt – und da mir Ihre Version die einzig stichhaltige zu sein scheint, so muss ein unehrlicher Bankclerk im Spiel sein … Ich kann mich in den Sachverhalt hineindenken. Der Umstand, dass die große Summe zur Zahlung vorbereitet wurde, ließ sich demzufolge nicht geheim halten.«

»Sehen Sie, da haben wir es schon!«, fiel Wilson schnell wieder ein. »Natürlich sollte der ganze Vorgang geheim gehalten werden, und ich war auch der Meinung, dass uns dies gelungen war. Doch ein ungetreuer Angestellter findet tausend Möglichkeiten, die äußerste Vorsicht seiner Vorgesetzten zu vereiteln … Er mag dort an der Tür gelauscht haben, während ich mit dem Kassierer verhandelte … Der Zufall mag ihm einen Brief in die Hände gespielt haben … Was weiß ich, jedenfalls hat die Bank, wie Sie sehr richtig bemerkten, den Verlust der Riesensumme zu beklagen!«

»Sie können mir unter Ihren Leuten keinen nennen, der verdächtig erscheint?«

»Keinen!«, äußerte Wilson kopfschüttelnd. »Unsere Angestellten sind sorglich ausgewählt und werden fortgesetzt überwacht.«

»Und doch muss einer von ihnen schuldig sein und den Wachmann verständigt haben. Wir werden den Leuten auf den Zahn fühlen müssen!«

Abwehrend hob der Präsident die Hände hoch. »Wo denken Sie hin! Niemals werde ich meine Leute einem sie herabwürdigenden Verhör unterziehen lassen! Bedenken Sie nur das Aufsehen!«

»Wie viele Clerks sind jetzt noch in der Bank anwesend?«

»Nahezu alle, denn die eigentliche Arbeit für die Angestellten beginnt bekanntlich erst nach Bankschluss.«

»Sie besitzen eine Liste Ihrer sämtlichen Leute?«

»Ja, mein Kassierer hat die Gehaltsliste mit ausführlichem Namensverzeichnis.«

»Schön! Würden Sie den Mann veranlassen, mir die Liste vorzulegen? … Übrigens noch eine Frage … Der Kassierer selbst ist einwandfrei?«

Wilson schlug die Hände zusammen. »Herr des Himmels … Der Erste Kassierer einer Bank wie der unsrigen! Der Mann ist über jeden Verdacht erhaben!«

»Dann haben Sie die Güte, den Mann ganz unauffällig zum Hierherkommen mit der Liste zu veranlassen. Ich werde mit ihm dieselbe durchgehen und bei jedem Namen mir von ihm ein kurzes Charakterbild der betreffenden Person entwerfen lassen … Und auch Sie werden die Freundlichkeit haben, die Liste zusammen mit mir durchzugehen.«

»Das soll geschehen!«, versetzte der Präsident und wollte nach seinem Privattelefon auf dem Schreibtisch greifen.

»Noch eins«, warf der Detektiv ein. »Würden Sie mir gestatten, zunächst die Liste mit Ihrem Kassierer unter vier Augen durchzugehen?« Er schien den befremdeten Blick des anderen nicht zu gewahren. »Ich habe nämlich herausgefunden«, fuhr er im selben Ton fort, »dass Angestellte sich in Gegenwart ihrer Vorgesetzten immer beengt fühlen. Der Mann muss frisch von der Leber weg mit mir sprechen, soll ich klar sehen können. Er wird mir auf diese Weise vielleicht Aufschlüsse geben, zu denen er sich in Ihrer Gegenwart nicht entschließen würde und die mir unter Umständen wertvolle Fingerzeige gewähren können – um ganz offen zu sein!«, setzte er mit verbindlichem Lächeln hinzu. »Es ist wertvoll für mich, Ihre und des Kassierers Beurteilung der Charaktereigenschaften Ihrer Leute ganz unabhängig voneinander zu erhalten.«

Die umwölkte Stirn des Präsidenten heiterte sich auf, und der Blick seiner kalten, durchdringenden Augen verlor den misstrauischen Ausdruck. »Wie Sie wollen!«, sagte er kurz. »Ich habe die Sache in Ihre Hand gelegt, und die mir von Ihnen entwickelten Ansichten enthalten so viel gesunden Menschenverstand, dass ich Ihnen unbedingt vertraue … Ich werde an dem Zahlgitter des Kassierers vorübergehen und ihn hereinschicken. Inzwischen werde ich mich draußen zu schaffen machen.«

»Well, Mr. Wilson, ich verspreche mir viel von einer solchen getrennten Aussprache. Es soll mich wundern, ob ich Ihnen nachher den oder die Männer nicht nennen werde, die sofort observiert werden müssen, denn gerade in unserem Fall tut Eile dringend Not!«

Als sich die Tür hinter dem Präsidenten geschlossen hatte, schmunzelte Nick unmerklich vor sich hin. »Ja, mit Speck fängt man Mäuse!«, sagte er leise. »Dass diesen alten Fuchs aber noch niemand mit seinem famosen Lockstep aufgezogen hat!«