Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Carrier, der Erzteufel – Teil 7

Carrier, der Erzteufel, in eine Menschenhaut eingenäht, der in wenigen Monaten in der französischen Stadt Nantes mehr als fünfzehntausend Menschen von jedem Alter und Geschlecht erwürgen, ersäufen, erschießen, martern und guillotinieren ließ, ein blutdürstiges Ungeheuer und höllischer Mordbrenner
Zur Warnung vor blutigen Revolutionen
Von Dr. F. W. Pikant (Friedrich Wilhelm Bruckbräu)
Verlag der J. Lutzenbergerschen Buchhandlung, Altötting, 1860

Ein Unbekannter

»Still! Horcht! Hört ihr nichts? Dort in der finsteren Ecke, beim Flaschenzug der Versenkung?«

»Ich höre nichts!«

»Und doch! Holla, da kommt ein Unbekannter! Greift nach den Dolchen!«

In diesem Augenblick trat ein Mann in den Lichtkegel der Lampe, mit langen grauen Haaren, nussbraunen gefurchten Wangen, eine dunkelfarbene Brille auf seiner Nase; seine Kleider waren altmodisch. Schweigend trat er dem Tisch immer näher.

»Wer da?«, rief Richard.

»Gut Freund!«, erwiderte der Fremde.

»Das kann jeder sagen; aber was für ein guter Freund?«

»Woher? Nenne deinen Namen, damit wir wissen, mit wem wir es zu tun haben.«

So wechselten die drei Freunde ihre Reden, welche aufgestanden waren und dem Fremden ihre blitzenden Dolche entgegen hielten.

Dieser lachte laut auf und entgegnete: »Steckt eure Austernmesser nur wieder ruhig ein und begrüßt mich als euren alten guten Freund Brial!«

Die graue Perücke flog weg; die Freunde erkannten und umarmten ihn.

»Setz dich zu uns, lieber Freund, und trink und erzähle uns, warum du in dieser Verkleidung zu uns kommst!«, sagte Duprier.

»Das ist eine kuriose Geschichte«, erwiderte Brial, erzählte seinen Freunden von der Frau Vidot, die zu seiner Frau gelaufen war, ihr den Besuch des Chablais gemeldet und eine Verkleidung ihres Mannes angeraten habe, und fuhr dann fort: »Meine Frau, welche wusste, dass ich um diese Zeit in die Weinkneipe Zum ewigen Rausch komme, brachte mir in einem Bad diese Kleider, als ich eben in die Seitenstube unseres Wirtes getreten war, wo sie mir beim Verkleiden half. Sie bemerkte dabei, dass Chablais sie mit diesem Pack habe gehen sehen und vielleicht Verdacht schöpfte. Sie riet mir, mich vor ihm sehr in Acht zu nehmen, dann eilte sie wieder nach Hause. Da überfiel mich eine große Angst, der schurkische Chablais könnte bei dem Anblick des Bades etwas gewittert haben und schon auf dem Weg sein, meine Frau als verdächtig zu verhaften und so dem Henker in die Krallen zu liefern. Ich beschloss also, ohne Säumen auf Umwegen nach Hause zu gehen, zum Schutz meiner Frau, und den Chablais, sobald er käme, um meine Frau zu verhaften, ohne Weiteres umzubringen und im Keller zu verscharren.«

»Es blieb dir auch kein anderes Mittel zu eurer Rettung«, bemerkte Richard, »denn du wärest ebenso gewiss zur Guillotine verurteilt worden wie deine Frau.«

»Sehr richtig! Ich ging dicht am Ufer der Loire hinunter, um in einem Bogen in eine untere Nebengasse und durch diese unbemerkt von hinten in mein Haus zu gelangen. Zu diesem Zweck musste ich an dem ehemaligen alten Kloster vorübergehen, worin das Bluttribunal mit den beiden Tigern Fouquet und Lamberty haust, und die große Niederlage der Gefangenen sich befindet.«

»An der Höhle der Tiger vorüberzugehen, war unbesonnen und verwegen«, meinte Brochard.

»Ich musste diesen Weg wählen, da kein anderer so sicher gewesen wäre, denn auf diesem Weg vermutete mich Chablais gewiss nicht, weil er mir eine solche Verwegenheit nicht zutraute. In Gedanken versunken ging ich so meines Weges und war eben noch ein paar hundert Schritte von der Tigerhöhle entfernt, als ich hinter mir rufen hörte: ›Guten Morgen, Bürger Brial!‹ Die Stimme klang sehr freundlich. In der Zerstreuung oder Dummheit, wie ihr wollt, wandte ich mich um, und vor mir stand – Chablais.«

»Ah, ah!«

»Ich bin sehr begierig, zu hören, auf welche Art du von ihm losgekommen bist«, sagte Richard.

»Ihr könnt euch denken, Freunde, dass ich durch meine Dummheit wie vom Donner gerührt war. Der Tod war mir gewiss. Dennoch fasste ich mich und erwiderte, scheinbar unbesorgt und heiter: ›Ei, guten Morgen, Bürger Chablais‹

›Schau, schau! Erraten! An den Pack, den deine Frau trug, mich erinnernd, dachte ich mir eben: Diese Maske außerhalb der Zeit des Faschings könnte wohl mein lieber Bürger Brial sein, und richtig, ist er es. Du musst nun schon die Gefälligkeit haben, mit mir zum Tribunal zu gehen, in dessen Nähe wir bereits sind, und den beiden guten Herren, die so schwere Berufspflichten zum Wohl des Vaterslandes zu erfüllen haben, den Herren Fouquet und Lamberty, durch deinen Anblick einige heitere Minuten bereiten. Sie werden herzlich lachen, dir höchstens wegen der Maskierung einen kleinen Verweis geben und dich dann wieder entlassen. Du brauchst dich also gar nicht zu fürchten.‹ Dies war aber, wie ich wohl wusste, nur ein leerer Trost, damit ich ihm willig folgen sollte. Und tat ich dies nicht, so würde ein Pfiff von ihm aus dem schwarzen Pfeifchen an seinem Hals hingereicht haben, die bewaffneten Wächter innerhalb des Portals des Klosters zu seinem Beistand herbeizurufen, und dann würde ich meinen Kopf schon wegen Widersetzung verloren haben. Die Gefahr hatte den höchsten Grad erreicht. Was sollte ich nun tun?

›Bruder Chablais‹, erwiderte ich ganz ruhig, ›ich folge dir recht gerne, aber zuvor muss ich dir eine Herzensangelegenheit anvertrauen und dich um deinen Beistand bitten.‹

›Mit Vergnügen, wenn ich mich jetzt nicht zu entfernen brauche‹, erwiderte Chablais.

›Nein, es kann gleich hier abgemacht werden.‹

›So sprich!‹

›Höre! Ich habe diese Verkleidung bei meiner Frau unter dem Vorwand bestellt, ihren Bruder, (ich bemerke euch aber, dass sie gar keinen Bruder hat), in dem von ihm gewöhnlich besuchten Spielhaus zu belauschen. Der eigentliche Grund aber war, dass ich einer hübschen Frau, mit der ich ein geheimes Liebesverhältnis habe, auf Verlangen ihre an mich geschriebenen Liebesbriefe persönlich und von jedermann unerkannt, zurückgeben wollte. Wegen des guten Rufes dieser Frau wär es mir sehr unangenehm, wenn diese Briefe zur Kenntnis des Tribunals kämen. Dieses Päckchen Briefe steckt in meiner linken Brusttasche. Wenn du mir dein Ehrenwort gibst, es mir aufzubewahren, bis ich vom Tribunale wieder entlassen werde, so schenke ich dir 100 Livres.‹

›Oh, mein Ehrenwort gebe ich dir ohne Bedenken. Mit dem Geschenk von 100 Livres hat es gerade keine Eile. Gib nur geschwind das Päckchen her!‹«

»Da kenne ich mich noch nicht aus!«, sagte Brochard.

»Ich begreife gar nicht, wie ein so zärtlicher Ehemann, wie du, zu einem Liebesverhältnis und zu Liebesbriefen kommen konnte«, bemerkte Richard.

»Die Hauptsache ist jetzt«, meinte Duprier, »zu erfahren, auf welche Art Brial von Chablais loggekommen ist.«

»Auf eine sehr einfache Art«, erwiderte Brial. »Ich griff mit der rechten Hand unter Scherzworten in meine linke Brusttasche, presste plötzlich mit der linken Hand seine Kehle wie in einem Schraubstocke zusammen, rammte bis ans Heft ihm den Dolch mit der hohlgeschliffenen Doppelklinge, den ich stets bei mir trage, mitten ins Herz, worin ich ihn auch stecken ließ, um beim Herausziehen keine Blutflecken an meine Kleider zu bringen, und schleuderte den niederträchtigen Schuft Chablais in die Loire, deren Flut über ihm zusammenschlug. Er kam nicht mehr in die Höhe.«

»Bravo! Bravo! Das war eine Meistertat!«, riefen die drei Freunde aus.

»Ich kehrte um«, sagte Brial, »ungesehen und unbemerkt, und ging nach Hause, wo ich meiner im Laden sitzenden Frau, die noch immer ängstlich an Chablais dachte, zu ihrer Beruhigung sein Ende erzählte. Dann eilte ich zu euch, zu meinen lieben Freunden, mit dieser überraschenden Botschaft.«

»Willkommen! Willkommen!«

»Die Gläser gefüllt!«

»Angestoßen!«

»Brial soll leben … hoch … dreimal hoch!«

»Aber sag mir doch, Brial«, fragte Brochard, »wozu hast du denn zuvor noch dem Chablais das Märchen mit dem Päckchen Liebesbriefe aufgetischt, anstatt ohne Zeitverlust sofort zur Tat zu schreiten?«

»Aus einem sehr guten Grund, Freund! Chablais war ein lauer, durchtriebener Spitzbube. Hätte ich langsam oder schnell in meine Brusttasche gegriffen, ohne ihn auf diesen Griff täuschend vorzubereiten, so würde er sogleich Verdacht geschöpft und mit einem raschen Rückwärtssprung den Wächtern im Portal gepfiffen haben; dann wäre ich verloren gewesen.«

»Sehr richtig. Das war ein guter Einfall von dir!«

»Sicher hat ihn Gott mir eingegeben.«

»Jetzt iss und trink, Freund, und Freund Ricard wird uns die Freude machen, die Geschichte des Ungeheuers Carrier zu erzählen, der morgen nach Nantes kommen wird, zum Verberben dieser Stadt und ihrer Einwohner.«

»Gerne will ich euch diese Geschichte erzählen, aber sie wird euch mit höllischem Entsetzen erfüllen«, erwiderte Richard.