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Nick Carter – Arizona-Jack als Detektiv – Kapitel 10

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Arizona-Jack als Detektiv
Ein Detektivroman

Der Kampf im Central Park

So rasch sie nur irgend konnten, waren Nick und seine beiden Begleiter hinter der Kutsche hergestürmt. Da diese gleich darauf anhielt, so waren sie nur eben so weit hinter ihr zurück, um genau beobachten zu können, was sich nun zutrug.

Sie sahen die drei Kerle aus dem Hinterhalt hervorstürzen und auf die Kutsche zueilen. Gerade im selben Augenblick rissen sie auch schon die beiden Wagentüren gleichzeitig auf.

»Es ist nur das Mädchen drinnen!«, hörte Nick den Kutscher brüllen. Dieser Zuruf genügte ihm. Er wusste nun, dass der Mann auf dem Bocke von den Attentätern entweder bestochen war oder zu ihnen überhaupt gehörte.

»Steigt ein!«, hörte der immer näher herankommende Detektiv den Kutscher rufen. »Wir fahren zu der 110th Street.«

Doch im selben Moment geschah etwas Unerwartetes, was nicht nur für die an den beiden geöffneten Wagentüren verteilt stehenden drei Rowdys gänzlich unerwartet kam, sondern auch den Detektiv in starres Erstaunen versetzte. Vom Wageninneren aus wurden nämlich gleichzeitig durch die beiden Türöffnungen zwei Schüsse abgegeben – augenscheinlich nur zur Warnung, denn aus beiden Feuerblitzen konnte Nick entnehmen, dass die Schüsse unschädlich über die Köpfe der Angreifer abgefeuert worden waren.

Immerhin war die Wirkung eine erstaunliche. Die drei Angreifer prallten mit einem entsetzten Aufschrei zurück, und auch der Kutscher fuhr wie von einer Natter gestochen herum.

»Wer hat geschossen?«, stöhnte er.

»Du Narr … Im Wagen ist ja ein Mann!«, kreischte einer der Angreifer.

»Schnell, schnell!«, schrie auch vom Gebüsch her eine befehlende Stimme, in welcher Nick sofort Gould erkannte. Zugleich sprang aus demselben ein weiterer Mann, um sich dem einzelnen Angreifer an der einen Wagenseite zuzugesellen. Es war derselbe Mensch, der mit dem nunmehrigen Kutscher den Anschlag wider den eigentlichen Wagenlenker ausgeführt und sich, sobald er seinen Kumpan auf dem Bock gesehen hatte, schleunigst zu Gould begeben hatte, um diesem den Erfolg ihres Anschlages zu melden. Daraufhin hatte James ihn mit zum Central Park genommen und ihn nun angefeuert, den übrigen Burschen zu Hilfe zu eilen, während er die eigene werte Person wohlweislich in den Büschen versteckt hielt.

»Haltet die Pferde auf, Jack!«, schrie in diesem kritischen Moment Nick den Hinterwäldler zu. »Der Kerl auf dem Bock scheint zu den Rowdys zu gehören.« Damit warf er sich auch schon selbst auf die zwei Kerle an der einen Wagenseite, während Patsy mit Ungestüm die Burschen auf der anderen Seite angriff und Arizona-Jack in weitem Bogen um das Gefährt herumeilte und dann mit einem wilden Kriegsschrei den erschreckt sich bäumenden Pferden in die Zügel fiel.

Im selben Moment sprang Chick aus der Kutsche. »Bleiben Sie ruhig im Wagen sitzen, Miss Armory!«, rief er ihr zu. »Mit den Kerlen da werden wir rasch fertig sein!«

Damit hatte er bereits den einen baumlangen Burschen gefasst, während Patsy den Kampf mit einem nicht minder kräftigen Rowdy aufgenommen hatte. Auf der anderen Wagenseite hatte Nick Carter es mit zwei verzweifelten Burschen zu tun, die ihm scharf zusetzten.

Im selben Moment erlebte Arizona-Jack eine böse Überraschung. Der Kutscher nämlich, der mit wütenden Peitschenhieben auf die Pferde einschlug, um offenbar so rasch wie möglich zum Parkausgang an der 110th Street zu gelangen und die nur noch allein im Wagen sitzende Grace Armory dem dort harrenden Macklyn zu überliefern, hieb dem Wildwester, der unter unausgesetztem Geschrei die beiden erregten Pferde beim Zügel festhielt, so unbarmherzig quer über das Gesicht, dass Arizona-Jack zurücktaumelte – und im selben Moment auch die scheu gewordenen Pferde mitsamt dem Wagen über ihn hinweggingen.

Ein Schrei der Enttäuschung entrang sich den Lippen Nicks. Er sah Jack stürzen und den Wagen davonsausen und konnte nicht das Geringste dagegen tun, denn er durfte keinen Blick von seinen beiden Gegnern abwenden. Ebenso erging es auch seinen beiden Gehilfen. Nicht umsonst hatte Gould nur starke Männer, die gewandte Boxer und Ringer waren und sich vor dem Teufel nicht fürchteten, ausgewählt. Sie standen nun ihren Mann und machten den Detektivs gehörig zu schaffen.

Doch mit einem ellenlangen Fluch hatte sich Arizona-Jack bereits wieder aufgerafft. Er hatte Geistesgegenwart genug besessen, sich blitzschnell herumzuwerfen, sodass das Gespann mit dem Wagen über ihn hinwegging, ohne ihn zu verletzen. In der Sekunde darauf war er wieder auf den Füßen und stürmte dem Gefährt nach. So schnell die Pferde auch galoppierten, die in ihm kochende Wut und die langjährige Übung ließen Jack noch schneller sein. Mit Riesensprüngen setzte er sich zuerst an der Wagenseite fest, dann strebte er bis zu der Kruppe des Stangenpferdes und gleich darauf war er auch schon mit einem Indianersprung, den er in jedem Zirkus hätte sehen lassen können, auf dem Rücken des Pferdes. Ehe der Mann auf dem Bock noch wusste, wie ihm geschah, fühlte er mit einem mächtigen Ruck die Zügel festgehalten, und Jacks Stentorstimme donnerte ihm zu: »Angehalten … Ich bin der Kutscher!«

Ein wütender Peitschenhieb war die Antwort. Er würde jeden anderen vom Pferd geschlagen haben, zumal die beiden scheuen Tiere sinnlos davonjagten. Doch Arizona-Jack saß fest und hielt sich mit mächtigem Schenkeldruck. Ehe der wütend mit der Peitsche um sich Schlagende ihn daran hindern konnte, hatte er einen seiner Revolver hervorgerissen und feuerte. Doch natürlich war durch das Schütteln und Springen der Pferde sein Ziel nicht sicher; er traf nur den Hut des Kutschers. »Runter vom Bock, du Höllenhund!«, schrie nun Jack.

Doch der Kutscher verdoppelte nun die Peitschenhiebe. Im selben Moment hatte Jack ein zweites und drittes Mal geschossen. Sein dritter Schuss traf den Rowdy in die Schulter. Mit lautem Aufschrei stürzte im nächsten Augenblick der Mann vom Bock. Da er die Hand mit den Zügeln umwickelt hatte, so wurde er eine Strecke weit mitgeschleift, bis die Pferde von dem inzwischen auf den Bock gekletterten Jack kraftvoll angehalten wurden.

Immerhin kostete es den Mann aus Arizona einige Zeit, bis er die Pferde so weit gebändigt hatte, um vom Bock springen und die Zügel dem bewusstlos ausgestreckt liegenden aus der Hand winden zu können. Die ganze Jagd hatte ihn so in Aufregung versetzt, dass er nicht bemerkte, dass von der anderen Seite her sich ein dunkler Schatten dem Wagen genähert, dessen Schlag unhörbar leise geöffnet und sich im Wagen etwas zu schaffen gemacht hatte.

Hurtig erkletterte Jack den Bock wieder, trieb die Pferde an und lenkte in weitem Bogen zurück. Bald hatte er die Stätte des Überfalles wieder erreicht, und er kam gerade zurecht, um zu sehen, wie die drei Detektive ihre Gegner nach hartem Kampfe bezwangen.

»Wo befindet sich Miss Armory?«, rief Nick dem Präriemann zu.

»In der Kutsche drinnen«, gab Jack gemütsruhig zurück. »Der Rowdy, der hier auf dem Bock gesessen hatte, liegt eine kleine Viertelstunde weiter im Park. Eine Kugel von mir hat ihm die Schulter verstaucht … Es war eine heiße Jagd, und das Fräulein drinnen wird es hoffentlich nicht übel nehmen, wenn es laut zugegangen ist.«

Nick Carter hatte bereits den Wagenschlag geöffnet. Er trat in großer Bestürzung zurück. »Der Wagen ist leer – Miss Armory ist nicht drinnen!«, rief er erregt.

»Unmöglich!«, stammelte Chick, der voran schnellte und in das Wageninnere starrte. Er mochte aber noch so lange hineinsehen, die zierliche Gestalt Grace Armorys vermochte er beim besten Willen nicht zu entdecken. »Wie geht das zu … Als ich den Wagen verließ, saß sie noch drinnen – und im gleichen Moment trieb der Schuft auf dem Bock auch schon die Pferde an!«

»Well, unterwegs ist sie nicht verlorengegangen … Da hatte sie keine Zeit dazu!«, widersprach der nicht wenig verdutzte Arizona-Jack. »Die Pferde standen nur so lange, wie ich brauchte, um dem Kutscher die Zügel aus der Hand zu wickeln … Schaut einmal zu, die Miss ist gewiss in Ohnmacht gefallen und liegt unter dem Wagensitz.«

Nick Carter stand wie vom Donner gerührt und nagte an der Unterlippe.

»Im Wagen war sie, daran ist kein Zweifel möglich – und ebenso sicher ist sie nicht mehr darin. Folglich muss sie selbst herausgesprungen oder entführt worden sein.«

»Was geht denn hier vor?«, ließen sich gerade in diesem Moment einige Stimmen vernehmen, und in großer Eile kamen dunkle Männergestalten herangestürmt. Es waren Parkpolizisten, die das Schreien und Schießen vernommen hatten und erst zu dem Ort gelaufen waren, wo es Jack gelungen war, den Schurken auf dem Bock zu überwältigen und das durchgegangene Gespann zum Stehen zu bringen.

»Ihr seid alle verhaftet!«, schrien sie schon von Weitem. »Ergebt Euch – oder wir schießen!«

»Unsinn!«, entgegnete Nick scharf. »Ich bin Nick Carter, das sind meine Gehilfen, und …«

»Ach was!«, brummte einer der inzwischen herangekommenen Parkpolizisten. »Das kann jeder sagen … Und wenn Sie zehnmal Nick Carter sind, darum haben Sie doch kein Recht, hier im Central Park ruhestörenden Lärm zu verüben … Vorwärts, mit zum Stationshaus!«

»Well, ich bin ein guter Bürger dieses Landes und gehorche«, versetzte Nick schwer atmend. »Doch alle Verantwortung werfe ich auf Sie.«

Im selben Augenblick geschah etwas Unerwartetes. Arizona-Jack stieß einen gellenden Kriegsschrei aus, der jedem Indianerhäuptling Ehre gemacht haben würde, und als Nick aufschaute, da sah er den Präriemann wieder auf dem Kutschbock sitzen, ihm zur Seite Patsy, der ausgelassen lachte.

»Platz da!«, schrie Arizona-Jack, indem er mit seiner langstieligen Peitsche wahre Koloraturen knallte. »Wir fahren zur 110th Street – und den will ich sehen, der mich daran hindert!«

»Sie sind verhaftet … Runter vom Bock!«, schrie der erbitterte Roundsman und wollte den Pferden in die Zügel fallen. Doch mit einem gewaltigen Zügelruck riss Jack die sich bäumenden Pferde herum und sauste in entgegengesetzter Richtung davon, während die helle Stimme Patsys noch zurückklang: »Unbesorgt, Meister, wir bringen alles wieder ins richtige Geleis.«

Immerhin war der so schneidig auftretende Roundsman vorläufig Herr der Situation. Er war offenbar nicht wenig stolz darauf, den großen Detektiv verhaftet zu haben, und erteilte nun dem Patrolman mit gespreizter Wichtigkeit seine Befehle. Nach einer Ambulanz war schon vom nächsten Meldeposten im Park aus telefoniert worden. Diese traf bald darauf ein. Sie hatte unterwegs schon den von Jack vom Bock Geschossenen aufgelesen. Nun wurden auch die drei gefesselten und mehr oder minder bedenklich Zugerichteten in den Wagen geladen und es ging in langem Zug zur Polizeiwache an der West 68th Street.

Dort angelangt, stellte es sich heraus, dass der Policeman einen schweren Missgriff getan hatte, denn so selbstbewusst der Roundsman auch noch ins Stationshaus marschiert war und Meldung von Nick Carters Verhaftung erstattet hatte, so jämmerlich geknickt stand er auch schon wenige Minuten später, als der Kapitän des Distriktes ihm in gerechtem Zorn über seine unglaubliche Borniertheit das silberne Dienstschild von der Brust gerissen und ihn vom Dienst suspendiert hatte.

Natürlich erging sich der Kapitän dem Detektiv gegenüber in Entschuldigungen, was diesem indessen nur geringen Trost gewähren konnte, zumal anzunehmen war, dass die tölpelhafte Überheblichkeit des Roundsman die gesamte mühselige Arbeit der Nacht wertlos gemacht hatte.

»Well, Nick«, meinte Chick, als sie im Begriff standen, das Stationshaus wieder zu verlassen, »du hättest vielleicht doch besser daran getan, Ida Wort zu halten … Unterhaltender wäre es jedenfalls gewesen, denn nun werden wir schwerlich noch Delmonico offen finden.«

Doch der Detektiv war zu gereizt, um auf einen Scherz einzugehen. »Es liegt immer noch die Möglichkeit vor«, sagte er ernst, »dass Miss Armory geängstigt aus dem Wagen sprang, sobald Jack diesen zum Anhalten gebracht hatte … Ich werde unverzüglich nach ihrem Haus telefonieren … Es wundert mich, dass Mr. Armory es so gelassen geschehen ließ, dass der Wagen ohne ihn fortfuhr … Er hätte sich doch mit der Station hier verständigen müssen.«

Der gefällige Sergeant hatte bereits die Verbindung hergestellt. Doch die über den Fernsprecher geführte Unterredung war nur dazu geeignet, dem Detektiv ein neues Rätsel aufzugeben. Am anderen Ende des Telefons im Armory’schen Haus befand sich ein weiblicher Dienstbote und diese erklärte, Mr. und Miss Armory seien nicht zu Hause. Das Fräulein sei zu einer schwerkranken Freundin gefahren; Mr. Armory dagegen sei wohl wegen des Kutschers Tommy unterwegs, denn dieser sei doch vor dem Haus vom Schlag getroffen worden. Das war alles.

»Merkwürdig!«, brummte Nick, vom Fernsprecher zurücktretend. »Nun ist auch noch Mr. Armory verschwunden.«

»Vielleicht haben sie ihn auch entführt«, meinte Chick. Als sein Vetter nur ärgerlich abwehrte, fügte er hinzu: »Well, Mr. Armory hat dich vielleicht antelefoniert … Es ist nun halb ein Uhr.«

»Du hast recht, wie immer!«, rief der Detektiv aufatmend. »Eigentlich müsste Mr. Armory den Versuch gemacht haben, sich mit mir zu verständigen, wenn er auch wissen musste, dass ich nicht zu Hause sein konnte.« Damit rief er die eigene Nummer an; doch wer beschreibt sein Erstaunen, als ihm seine alte Wirtschafterin meldete, dass Miss Ida vor einer Stunde wohl nach Hause gekommen, dann aber plötzlich wieder fortgegangen sei, ohne zu hinterlassen, wohin und warum.

»Sie wird bei Delmonico sitzen … oder vielleicht ist sie auch entführt worden«, meinte Chick.

Trotz seiner Gereiztheit musste der Meister lachen.

»Du bist verrückt, Chick … Ida und sich entführen lassen!«

Der Gedanke erschien ihm so urkomisch, dass er wider Willen laut auflachte.

Plötzlich hörte man Wagengerassel, dazwischen Peitschenknallen, das sich wie unausgesetztes Revolverknallen anhörte … und dann hielt ein Wagen draußen.

Da kam auch schon Patsy ins Stationshaus gestürmt und schien nicht übel Lust zu haben, eine Art Kriegstanz zu vollführen.

»Hurra, wir haben ihn!«, schrie er dabei unaufhörlich.

»Aber so nimm doch nur Vernunft an, Patsy!«, wehrte der Detektiv ab. »Wen habt Ihr?«

»Mr. Macklyn haben wir … hurra!«

Sie hatten ihn wirklich. Die Art und Weise aber, wie ihnen der junge Bankier ins Garn gelaufen war, war so urkomisch, dass nicht nur die beiden verhaftet gewesenen Detektive, sondern die gesamte Polizeimannschaft Tränen lachen mussten.

Wie der geneigte Leser weiß, waren Jack und Patsy kurz entschlossen, ungeachtet aller Proteste des Roundsman, auf und davon gefahren. Unterwegs war nun Patsy auf den Gedanken gekommen, sich in die Kutsche zu setzen, damit es dem unzweifelhaft am Parkausgang an der 110th Street harrenden Macklyn nicht auffiel, dass zwei Männer auf dem Kutschbock saßen. Als nun Patsy in den Wagen gestiegen war, hatte er in diesem Grace Armorys Mantel sowie ihren Hut entdeckt und im Nu einen ebenso kühnen wie aussichtsreichen Plan ersonnen. Er wollte sich für das junge Mädchen ausgeben und zusehen, ob er sich nicht auf diese Weise der Person des Hauptschuldigen bemächtigen konnte. Jack hatte vor Vergnügen geschrien, als er den Kleinen im langen Damenmantel und mit Hut nebst Schleier angetan erblickte.

Sie waren nun zum Parkausgang gefahren. Dort hatten sie richtig einen Wagen stehen sehen. Arizona-Jack brachte in kurzer Entfernung von dem anderen Gefährt seine Pferde zum Stehen. Macklyn, der nebst zwei anderen Männern auf der Lauer gelegen hatte, trat schnell an den Wagenschlag, öffnete diesen und schaute in das Wageninnere.

»Well, Miss Armory!«, hatte er jubelnd ausgerufen. »Diesmal sind Sie in meiner Macht … Fürchten Sie nichts, es wird Ihnen nichts geschehen … Jedoch schreien Sie nicht, denn sonst würde ich mich zu meinem Bedauern genötigt sehen, meine zukünftige Gattin zu fesseln und zu knebeln.«

Damit hatte Macklyn auch schon die Hände nach der vermeintlichen Grace Armory, die bewegungslos in der einen Wagenecke kauerte, ausgestreckt, um sie gewaltsam aus der Kutsche zu ziehen. Doch zu seiner äußersten Bestürzung musste der Schurke alsbald wahrnehmen, wie er von zarter Hand einen Linkshänder empfing, der ihn bewusstlos niederstreckte.

»Fahrt zu!«, schrie schon im selben Moment Patsy jubelnd auf, und ehe die beiden anderen Kerle auch nur begriffen, was sich eigentlich zutrug, da war die Kutsche mit dem von Patsy vollends in den Wagen gezogenen bewusstlosen Macklyn davongesaust. Als Letzterer wieder zur Besinnung kam, da war er längst gefesselt, und gleich darauf hielt der Wagen auch schon vor dem Stationshaus.

Umsonst versuchte Macklyn hier einen hochfahrenden Ton anzunehmen und sich als den entrüsteten Ehrenmann aufzuspielen. Er wurde auf Antrag des Detektivs als verdächtige Person in einer Zelle untergebracht. Der Kapitän versprach Nick, den Gefangenen unter keinen Umständen – auch nicht gegen Stellung einer Bürgschaft – auf freien Fuß setzen zu wollen.

»Well«, sagte Nick Carter, als er mit seinen drei Gefährten wieder draußen auf der Straße stand, »den Entführer hätten wir – doch wo ist die Entführte? Rein wie vom Erdboden verschwunden … Und bei diesem Verschwinden hat kein anderer als Gould seine Hand im Spiel!«, setzte er nach kurzem Nachdenken hinzu. »Er war im Park, als die Kutsche angehalten wurde … Ich hörte deutlich seine Stimme, und im allgemeinen Durcheinander muss es ihm geglückt sein, sich unbemerkt dem Wagen zu nähern und Miss Armory aus diesem zu entführen.«

»Würde die Miss nicht geschrien haben?«, warf Chick zweifelnd ein.

»Vermutlich – wenn sie nicht in Ohnmacht gefallen war«, gab Nick zurück. »Jedenfalls kann uns nur Gould Auskunft über den Verbleib des Mädchens geben … Und ich will nicht eher zu Bett gehen, bis wir den Halunken gleichfalls beim Wickel haben!«

»Dann müssen wir zu Larry«, rief Patsy zuversichtlich dazwischen. »Dort befindet sich Gould sicher!« Er unterbrach sich lachend. »Ja, ja, ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, Meister, Ihnen mein Abenteuer zu berichten. Ich war heute Nacht an jenem Platz, denn dort hat Gould die Rowdys gedungen … Gewiss sind auch die beiden Kerle, die am Parkausgang bei Macklyn warteten, zu Larry zurückgeeilt … Wenn wir schnell sind, so finden wir sicherlich die ganze Bande einträchtig beieinander.«

Rasch berichtete er nunmehr sein Erlebnis, und der Detektiv entschied hierauf, dass sie ungesäumt zu dem Larry’schen Saloon fahren würden.

»Hurra«, rief Jack geräuschvoll. »Gibt es noch mehr Vergnügen, eh?«

»Well, Jack, das alles war bisher Kinderspiel«, erwiderte Patsy. »Jetzt wird es blutiger Ernst!«

»Boys, das ist die schönste Nacht meines Lebens!«, rief Arizona-Jack, indem er einen Luftsprung vollführte.

Als sie nun eine Viertelstunde später mit bereit gehaltenen Revolvern durch den Seiteneingang in den Larry’schen Saloon eindrangen, da ließ Arizona-Jack einen gewaltigen Kriegsschrei erschallen, der an Schauerlichkeit all seine bisherigen Leistungen weit übertraf.

»Hände hoch!«, brüllte er, seine beiden riesigen Schießeisen auf die trotz der späten Nachtstunde den Saloon noch füllende Menge richtend. »Die Ranch gehört mir!«

Ein wilder Aufruhr entstand sogleich unter den zumeist betrunkenen Anwesenden.

»Dort sind die beiden Kerle, die bei Macklyn gestanden haben!«, schrie Patsy, indem er auf die sich erbittert zur Wehr setzenden Strolche eindrang. Chicks scharfer Blick hatte inzwischen Gould entdeckt, der gerade im Begriff war, durch eine Tapetentür hinter der Bar zu entwischen, sich nun aber zu seinem Leidwesen an seinem Vorhaben gehindert sah. Nick Carter dagegen machte kurzen Prozess mit dem ihm von Patsy bezeichneten anderen Mann. Er hatte ihn beim Kragen gepackt, ehe der arme Kerl noch recht wusste, wie ihm eigentlich geschah.

Kaum zwei Minuten waren seit dem Eintritt der Detektive verstrichen, da waren die drei Männer sicher gefesselt. Gould brüllte, als ob er am Spieß stecke, und schrie um Hilfe. Die anwesenden Frauen zeterten und kreischten, die Männer blickten verdutzt drein und wussten nicht, ob sie feige davonlaufen oder sich zur Wehr setzen sollten.

»Schlagt sie tot – schlagt sie tot!«, schrie in diesem Moment die tiefe Bassstimme Larrys.

Im selben Moment trat in dem wüsten Durcheinander eine unverkennbare Wendung ein. Die Männer rafften sich auf und drängten sich zu der Ecke, wo der Wirt unaufhörlich hetzte und anfeuerte. Gleich darauf sah man, wie eine Anzahl Rowdys ihre Revolver zogen und sich anschickten, das Feuer auf die vier Männer zu eröffnen.

»Ruhe!«, durchdrang nun Nick Carters machtvolle Stimme den Raum. »Wer den geringsten Widerstand wagt, wird niedergeschossen. Wir sind Detektive und haben diese Leute mit Recht verhaftet.«

»Nein, überfallen habt ihr uns!«, knirschte Gould, vor Wut außer sich. »Doch ihr sollt es büßen – ich will euch lehren, einen Mann wie mich zu fesseln … Ins Zuchthaus bringe ich euch alle miteinander.«

»Gould«, konterte Nick verächtlich lächelnd, »da mögen Sie zunächst für sich selbst Quartier bestellen … Ebenso für Ihren Auftraggeber Macklyn, der sich bereits in Nummer Sicher befindet.«

Der Schurke wurde so weiß wie eine Kalkwand. Mit unnatürlich vergrößerten Augen starrte er den Detektiv an.

»Was … was soll das heißen?«, brachte er rau hervor. »Sie sind verrückt.«

»Mag sein«, erklärte Nick Carter frostig, »doch ich habe bereits Ihrem Auftraggeber gesagt, dass wir Beweise haben und jeden Ihrer Schritte kennen … Diesmal rettet Sie kein politischer Einfluss von irgendwelcher Seite. Vielleicht interessiert es Sie zu erfahren, dass einer meiner Leute die zwischen Ihnen und Macklyn in dem Restaurant an der 8th Avenue geführte Unterhaltung belauschte.«

Der Verhaftete zuckte sichtbar zusammen.

»Ebenso hören Sie es vielleicht mit Interesse, dass ich der Mann war, der Ihnen in Macklyns Haus an der 72th Street die Tür öffnete und dass ich sogar, natürlich ohne Ihr Vorwissen, im selben Zimmer weilte, als Sie mit Ihrem Auftraggeber das zweite gegen Miss Armory gerichtete Attentat besprachen.«

»Tod und Teufel!«, zischte nun Gould, dem vor Schrecken die Knie zitterten.

»Schließlich mögen Sie wissen, dass einer meiner Leute zugegen war«, fuhr Nick triumphierend fort, »als Sie hier in diesem Saloon die Helfershelfer anwarben … Und wiederum ein anderer meiner Leute sah, wie Sie, mit noch einem Kumpan, den Armory’schen Kutscher durch vergifteten Schnaps betäubten … Der Mann befindet sich in kritischem Zustand im Hospital. Geben Sie darum jedes Leugnen auf und gestehen Sie, wo Sie Miss Armory versteckt halten … Nur ein offenes Geständnis kann Sie vor dem Zuchthaus retten.«

Der Verhaftete starrte ihn entsetzt an. »Wie … was … Miss Armory ist nicht … aber sie … hm, hm, hm …«, stotterte er wie geistesabwesend. »Sie wurde mir doch aus den Armen gerissen … Mit dem Revolver wurde ich bedroht … Waren denn dies nicht Ihre Leute?«

»Welche Leute?«, war nun an Nick Carter die Reihe, sich zu wundern. »Wovon sprechen Sie eigentlich, Mann? Wer entriss Ihnen Miss Armory und wo?«

»Well!«, knurrte Gould, der nahe dem völligen Zusammenbruch war. »Was soll ich nur sagen? Es gelang mir, Miss Armory, die in tiefer Ohnmacht vom Wagenpolster gesunken war, zu packen und mit ihr ins Gebüsch zu fliehen … Dort war es so dunkel, dass man die eigene Hand nicht vor Augen sehen konnte. Zu meinem Entsetzen fühlte ich plötzlich einen Revolver an meiner Stirn, und eine Stimme raunte mir zu: ›Keinen Laut, oder Sie sind ein Kind des Todes.‹ Noch stehe ich wie gelähmt, da wird mir Miss Armory aus den Armen entrissen, und ich bekomme einen Schlag auf die Schläfe, der mich vorübergehend betäubte … Als ich dann wieder zu mir kam, war ich allein. Auch der Wagen war fort. Nun eilte ich hierher und traf bereits die Männer hier an.«

Er nickte zu den beiden anderen Gefangenen.

»Sie berichteten mir eine Mordgeschichte, dass nämlich Mr. Macklyn von Miss Armory entführt worden sei.«

Nick stand wie vom Donner gerührt. Gould sprach augenscheinlich die Wahrheit; aber wer konnte ihm das ohnmächtige Mädchen entrissen haben?

Der Eintritt der Polizeireserven, welche die Schlägerei im Saloon endlich herbeigerufen hatte, ließ ihn vorläufig zu keinem weiteren Nachdenken kommen. Kaum hatte der Sergeant, der die Mannschaft kommandierte, Nick erblickt, so rief er ihm zu: »Well, was ist los, Mr. Carter?«

»Nichts von Bedeutung. Wir haben hier nur einige Gentlemen verhaftet.«

Der Sergeant schlug erstaunt die Hände zusammen.

»Wissen Sie auch, dass hier der schlimmste Platz an der ganzen 10th Avenue ist?«, fragte er und rief dann bestürzt aus: »Alle Heiligen, Mr. Gould und verhaftet … und Dreifinger-John … und Jim McDermott?«

»Well, Mr. Carter mag sich vorsehen!«, zischte Gould, nur um etwas zu sagen.

»Vorwärts!«, kommandierte Nick, jedes weitere Wort abschneidend. »Sergeant, Sie decken mit Ihren Leuten unseren Rückzug und begleiten uns zur Wache.«

Das erwies sich als sehr notwendig, denn auf der Avenue hatten sich wohl an die hundert Männer in der unverkennbaren Absicht zusammengerottet, die Gefangenen gewaltsam zu befreien. Es bedurfte der ganzen Energie der rücksichtslos von ihren schweren Polizeiknüppeln ausgiebigen Gebrauch machenden Polizeireserven, um die Menge auseinanderzutreiben und den Transport der Gefangenen zum Stationshaus zu sichern. Einmal dort, war das Schicksal der Verhafteten natürlich besiegelt. Sie wurden eingesperrt und Nick Carter trat mit seinen Begleitern den Heimweg an.