Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Nick Carter – Eine sensationelle Gerichtsverhandlung – Kapitel 5

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Eine sensationelle Gerichtsverhandlung
Ein Detektivroman

Eine originelle Kriegslist

An einer der großen Avenuen im mittleren Westen von New York befindet sich ein Ecksaloon. Ehemals war das Gebäude ein solides Bürgerhaus mit einer angebauten großen Freitreppe. Diese hatte man entfernt und das frühere Souterrain in Wirtsstuben umgewandelt, und zwar war die Straßenfront als Barroom hergerichtet, an den zwei mit Stühlen und Tischen versehene Hinterzimmer stießen, die für Gäste, welche ungestört sein wollten, bestimmt waren.

Zu den oberen Stockwerken gelangte man von der Seitenstraße aus durch eine Hintertreppe; zugleich war im Saloon ein Holzverschlag mit einer nach oben führenden Treppe errichtet worden, sodass man von der Trinkstube aus direkt in die oberen Etagen und umgekehrt gelangen konnte.

Das Haus war ein übel berüchtigtes und wurde scharf von der Polizei überwacht, gehörte es doch Black Hank, dem Anführer der berüchtigten Brandstifterbande, und man kannte es allgemein als Hauptquartier seiner Kumpane. Diesen bot das Hotel Unterschlupf, und im Fall einer polizeilichen Razzia vermochten die Stammgäste sehr leicht durch sinnreich angebrachte Geheimtüren, die in die angrenzenden Häuser führten, zu entweichen. Doch derartige unliebsame Überraschungen hatten die Galgenvögel kaum zu befürchten, denn seit bei einer früheren Razzia mehrere Polizisten getötet wurden, ohne dass man die Täter entdeckt hatte, wagten sich die Blauröcke kaum mehr in die Spelunke.

Es war etwa neun Uhr abends, als in dem einen Hinterzimmer dieselben Rowdys, welche wenige Stunden zuvor allen Ernstes daran gedacht hatten, den unvermutet in ihre Gewalt geratenen Nick Carter zu beseitigen, trinkend und rauchend beieinander saßen. Eben war Doxey Hart dabei, dem mit am Tisch sitzenden Boss, wie Black Hank genannt wurde, lang und breit auseinanderzusetzen, auf welch wunderbare Weise der Detektiv sie in die Flucht geschlagen hatte.

»Wir hätten ihn gleich kaltmachen sollen … Doch Bill Cross wollte nicht«, murrte er.

»Was soll das heißen?«, knurrte der Getadelte gereizt.

»Sagtest du nicht, man sollte er die beiden Bosse herbeiholen, he?«, rief Doxey grob.

»Tat ich … und ging er durch die Lappen, so sind Brooks und Pullam nicht böse darüber.«

»Durch die Lappen ging er?«, rief Black Hank unter dröhnendem Lachen. »Ich denke, Ihr sechs Kerle seid vor seinen Revolvern ausgerissen – oder nicht? Na, ihr seid Helden!« Er schlug auf den Tisch. »Was dachtet ihr euch dabei, so ruhmreich das Hasenpanier zu ergreifen?«

»Es waren ihrer zwei mit vier Revolvern«, brummte Cross.

»Anderthalb waren es … Ihr sagt selbst, der eine war nur ein Knirps!«, schrie der Wirt.

»Sehr richtig, Black Hank … Doch der Knirps nimmt es jederzeit mit dir auf«, meinte Cross spitz.

»Jammerlappen«, schmähte Black Hank nur noch aufgebrachter. »Ich hätte dabei sein sollen!«

»Du wärst der Rechte«, höhnte Hairy. »Bier saufen kann jeder … Und das tatest du, während wir in die Revolvermündungen blinzeln mussten. Lass dir heimgeigen, wir wissen, wie du ausreißen kannst.«

Das war ein wunder Punkt bei Black Hank, denn seine Genossen rühmten ihm nach, dass er es im Augenblick der Gefahr mit jedem Schnellläufer aufnehmen konnte. Mit einem Wutschrei langte er in die Ecke nach einem derben Knüttel, um sich auf den frechen Spötter zu stürzen.

Doch gerade traten Pullam und Brooks zur Tür herein. »Aufhören!«, schrie der Erstere sogleich.

Der Wirt schaute sich um, und als er die Eintretenden erkannte, gehorchte er kleinlaut.

»Was soll der Unsinn?«, herrschte Pullam ihn an. »Vertragt Euch, wir haben Wichtigeres zu tun.« Ohne weiter auf den vor sich hinknurrenden Wirt zu achten, nahm er den nächsten Stuhl und ließ sich am Tisch nieder. Brooks folgte seinem Beispiel und schob seinen Stuhl zwischen Hairy und den grollenden Schankwirt. »Warum zankt Ihr Euch denn?«, erkundigte er sich kurz.

»Hank knurrt, weil wir Nick Carter heute Nachmittag laufen ließen«, erklärte Cross.

»Ist auch eine Affenschande … Sechs Kerle gegen anderthalb«, schrie Black Hank erbost.

»Lass es gut sein, Black Hank«, beschwichtigte Pullam mit erhobener Hand. »Du wärst als Erster ausgerissen, denn es ging ums Leben. Gewiss, wir brauchen uns nicht zu rühmen. Wir hätten ihn vielleicht töten können, nachdem zwei oder drei von uns daran glauben mussten.« Er lachte kurz auf. »Den anderen ging es wie mir. Uns eilt es nicht so mit dem Sterben.«

»Aber …«, wollte Black Hank wieder aufbrausen.

»Halt dein großes Maul!«, gebot Pullam mit einer herrischen Stimme, die keinen Widerspruch duldete. »Wir kamen, um über ein Geschäft zu reden und haben nicht viel Zeit. Also spitzt die Ohren.«

»Well, schießt los … Hundsgemein feige war es darum doch!«, knurrte Hank verdrießlich.

»Hier werden wir nicht sprechen können, wenn es auch uns alle angeht«, meinte Pullam wieder.

»Doxey, Barton, Cross und Smart können auch nicht mittun«, warf Brooks ein. »Dass sie beschattet werden, ist klar … Sie müssen eine Weile unsichtbar bleiben.«

»Nun, dann bin ich begierig, wer von uns etwas zu tun bekommt!«, knurrte Black Hank. »Wenn die Burschen da nicht mittun sollen, haben wir niemand außer mir selbst, denn die anderen müssen sich gleichfalls verborgen halten – oder stecken im Zuchthaus.«

Eben tauchte Jim Smart unter der Tür auf. »Nummer sieben und acht sind frei!«, schrie er.

Die sechs Schurken sprangen von ihren Sitzen auf und umringten Smart, um von ihm zu erfahren, was seine Worte eigentlich bedeuteten.

»Sieben und acht waren im Loch, was?«, erkundigte sich Pullam.

»Gewiss«, bestätigte Hank kopfschüttelnd. »Doch ihre Zeit ist erst in zwei Monaten rum.«

»Well«, meinte Smart lachend nähertretend. »Sie haben sich im Hotel oben am Fluss lieb Kind gemacht und brav geführt, da hat man ihnen zwei Monate erlassen.«

»Was, ist es kein Spaß? Sind sie tatsächlich hier?«, fragte Hank misstrauisch.

»Aber selbstverständlich, es ist noch keine Stunde her, dass ich sie traf!«, berichtete Jim Smart, nachdem er sich aus einem ihm dargereichten Branntweinglas tüchtig bedient hatte. »Sie gingen gerade heim, um Frau und Kindern einen guten Tag zu sagen und sich in Gala zu werfen. Sie werden in kurzer Zeit hier sein, dann werdet ihr sie ja selbst sehen.«

»Das trifft sich glücklich!«, rief Pullam, und Brooks nickte beifällig.

Damit erhoben sich beide, und der Erste sagte: »Hank und Doxey, kommt mit nach oben. Sobald die beiden Nummern kommen, schickt sie auch hinauf, verstanden?«

Damit gingen die vier zum Treppenverschlag, und man hörte sie hinaufgehen.

Die Zurückgebliebenen brauchten nicht lange zu warten. Bald hörten sie, wie im Schankzimmer draußen der Bartender zwei Ankömmlinge besonders herzlich begrüßte. Auch die an der Bar Herumlungernden schienen eine kleine Ovation veranstalten zu wollen.

Sofort stand Smart auf, trat an die Tür und lugte hinaus.

»Da sind sie schon!«, rief er.

Er eilte zum Barroom, und bald darauf kehrte er mit den beiden entlassenen Strafgefangenen zurück. Herzlicher Zuruf empfing sie, es kam zu einem allgemeinen Handschütteln, und dann meinte Cross: »Na, Jungens, das habt ihr fein gemacht. Hurra für Mike und Johnny; die Bosse warten schon auf Euch!«

Der Mike Genannte schaute verwundert auf. »Wer wartet?«, erkundigte er sich rau.

»Oben sind Hank, Pullam und Brooks«, erläuterte Smart. »Habt ihr Glück, Jungens, sie haben schon gleich wieder einen kleinen Auftrag für euch zur Hand.«

»Damned!«, knurrte Mike mit merkwürdig heiserer Stimme. »Da liegt mir gar nichts daran!«

»Mir noch weniger!«, brummte sein Gefährte Johnny. »Unsereiner will sich auch mal erholen.«

»Natürlich, erst bummelt man ein bisschen«, bestätigte Mike. »Was gibt es denn schon wieder?«

»Weiß nicht«, entgegnete Cross achselzuckend. »Kann es mir aber denken. Es gab etwas mit Nick Carter; ich meine, den sollt ihr fürs Begräbnis herrichten, Boys.«

»Das Genick soll er brechen«, knurrte Mike mit grimmigem Gesicht.

»Desgleichen!«, echote Johnny. »Den möchte ich gern mit Kugeln spicken!«

»Dazu kann Rat werden«, warf Smart lachend ein. »Kommt nur mit hinauf.«

Damit führte er die beiden über eine Treppe zu einem Zimmer unmittelbar über dem Barroom. In diesem saßen die vier Männer in ernster Beratung zusammen. Sie begrüßten die beiden Ankömmlinge aufs Herzlichste.

»Großartig, dass ihr da seid!«, versicherte Pullam, sich schmunzelnd die Hände reibend. »Nick Carter hat keine Ahnung, dass Ihr frei seid … doch umso besser.«

»Was soll es denn eigentlich?«, erkundigte sich Mike kurz angebunden.

Rasch setzte ihnen Pullam auseinander, was am Nachmittag sich ereignet hatte.

»Well, warum so aufgeregt?«, fragte Mike spöttisch. »Was ist denn geschehen? Jedenfalls hat Nick Carter nichts herausgekriegt – oder …«

»Nein, das nicht, denn die Jungens packten ihn sofort, als er in das dunkle Zimmer trat … Er hat uns aber immerhin zusammen gesehen … und die verd… Schnüffelnase errät alles!«, meinte Brooks.

»Er hat auch Darwin erkannt, und natürlich zählt er sich nun die ganze Geschichte an den Fingern ab, darum muss aufgeräumt werden!«, betonte Pullam wieder.

»Aber warum?«, wollte Mike wieder wissen. »Mir wird ganz dumm im Kopf von all dem Geschwätz!«

»Wirst es gleich verstehen«, beschwichtigte Pullam. »Seht, Jungens, während ihr noch im Hotel wart, brach in der Waterstreet ein Feuer aus … Was die Ursache davon war, kümmert euch nichts. Immerhin war es ein Glücksfall für einen gewissen Jemand. Sie haben irgendeinen Esel dafür ins Loch gesteckt – den Buchhalter der Firma, deren Haus niederbrannte. Nun hat Nick Carter es übernommen, die Unschuld des Menschen zu beweisen. Ehe wir das wussten, war Carter auf meiner und Brooks’ Fährte … Dann traf er Doxey und alle anderen. Darum ist der Kerl für uns ein Gemeinschaden. Habt ihr nun kapiert?«

»So ziemlich, in drei Tagen soll Nick Carter begraben werden – so meint ihr es doch?«, fragte Mike.

»Well, wenn es nicht anders geht«, antwortete Pullam gedehnt. »Eigentlich hätte ich ihn lieber in dem bewussten Keller am Harlem …«

Doxey stieß den neben ihm sitzenden Mike an. »Weißt ja, wo Dobson kaltgemacht wurde.«

»Aber natürlich!«, kicherte Mike. »Carter würde Augen machen, wüsste er, wohin der Detektiv kam!«

»Dobson war so ein Möchtegerndetektiv«, warf Johnny nun ein. »Nick Carter aber ist – Carter.«

»Zugegeben«, raunte Doxey. »Es ist eine kitzlige Aufgabe. Doch die Freude, Boys, kriegtet ihr den verd… Schnüffler in den Keller!«

Mike saß eine Weile schweigend mit gesenktem Haupt, während die Anwesenden unruhig seinen Entschluss erwarteten. Sie wussten, dass Johnny nichts ohne den ihm geistig Überlegenen anfing. Doch sie wussten auch, dass Mike Carem ein Kerl war, der sich vor nichts fürchtete.

Endlich hob der Rotschopf das Kinn wieder.

»Well, lieber hätte ich mich ein paar Tage ausgeruht … und Johnny auch. Doch ihr sagt, Nick Carter muss dran glauben. Also soll er auch dran glauben. Wo können wir ihn am besten finden?«

»Dafür ist gesorgt«, versicherte der gleich den anderen erfreute Pullam. »Natürlich versucht Carter uns aufzuspüren. Wir haben nun einen Burschen derart aufgeputzt, dass er mir zum Verwechseln ähnelt. Der führt ihn um Mitternacht zur 10th Avenue und dem alten Distrikt.«

»Chick wird mit ihm sein, Mike«, bemerkte Brooks. »Die beiden sind unzertrennlich!«

»Das wäre alles, Mike«, schloss Pullam. »Sobald die Arbeit getan ist, kommt hierher zurück.«

»Ihr werdet dann schon mit uns zufrieden sein«, warf Brooks bedeutungsvoll ein.

Mike und Johnny standen auf.

»Well, dann los, es ist keine Zeit zu verlieren«, meinte Ersterer.

Dann blieb er wieder nachdenklich stehen. »Das heißt«, ergänzte er, »wir erledigen die Angelegenheit auf unsere Weise, und niemand darf sich einmischen.«

»Selbstredend. Wir verlassen uns vollständig auf euch«, versicherte Pullam.

»All right«, knurrte Mike. »Seht ihr uns wieder, dann ist Nick Carter selig geworden.«

»Oder der Teufel hat ihn«, meinte Johnny, seinem Kumpan zur Tür folgend.

»So trinkt doch erst einen anständigen Schluck!«, rief Black Hank ihnen nach.

»Erst das Geschäft, dann das Vergnügen!«, brummte Mike unter dem beifälligen Lachen der Zurückbleibenden. Damit verließen sie das Zimmer und eilten über die Treppe hinunter auf die Straße.

Schweigend gingen sie nebeneinander bis zur Ecke der 9th Avenue, dann meinte Johnny: »Das ist ein feiner Auftrag, den du da übernommen hast, Nick Carter abzuschlachten.«

»Sozusagen ein Selbstmordauftrag – eh, Chick?«

Lachen riss sich der andere Bart und Perücke vom Gesicht. »Weg mit dem Plunder!«, rief er.

»All right. Das Hotel, wo Patsy uns erwartet, ist nahebei«, stimmte der Detektiv zu.

Zehn Minuten später hatten sich die beiden Detektive in einem Hotelzimmer mit den von Patsy gebrachten Kleidern wieder menschlich gemacht, wie Chick lachend meinte.

»Ich denke, wir haben Grund, mit uns zufrieden zu sein, eh, Chick?«, fragte Nick trocken.

»Na, hätten sie uns in der Vermummung erkannt, wäre es uns schlecht gegangen.«

»Sollte es meinen. Doch die Hauptsache ist, wir haben es gemacht. Nun wissen wir, dass Brooks und Pullam, oder einer von ihnen, mit Martins Vorwissen das Haus angesteckt haben.«

»Weiß Martin darum, so hatte auch Alden Kenntnis«, versetzte Chick bedeutsam.

»Wahrscheinlich«, bemerkte Nick trocken. »Doch uns bleibt noch viel zu tun übrig.«

»Hast du daran gedacht, dass die wirklichen Mike und Johnny morgen früh aus dem Zuchthaus entlassen werden?«, fragte Chick. »Dann erfährt die Bande den ganzen Schwindel.«

»Mike und Johnny werden sich niemals mit ihren Komplizen vereinigen, ehe ich ihnen dazu die Erlaubnis gebe!«, versetzte Nick Carter schmunzelnd.

 

*

 

Angstvoll erwarteten Pullam und dessen Spießgesellen die Rückkehr Mikes und Johnnys von ihrem Vernichtungsfeldzug gegen Nick Carter und dessen getreuen Gehilfen Chick.

Als die Nacht verflossen war und es draußen graute, wurden sie unruhig und dachten nicht anders, als dass die Sache fehlgeschlagen und die beiden in die Klemme geraten seien. Doch vorsichtig eingezogene Erkundigungen führten zu dem Resultat, dass zwar Nick Carter wohl und gesund war, doch weder Mike noch Johnny während der Nacht verhaftet worden waren. Was sollte das heißen?

Pullam begriff es nicht, kam ihm doch auch nicht entfernt der Gedanke, dass die wirklichen Mike und Johnny gar nicht daran gedacht hatten, sich von ihm gegen Nick Carter aussenden zu lassen.

Dass Nick und dessen Gehilfe ihn genarrt hatten, konnte er umso weniger vermuten, als sein Doppelgänger, der die Detektive nach dem berüchtigten Harlemkeller verschleppen sollte, am nächsten Tage meldete, dass ihm beide wirklich gefolgt, aber an der 9th Avenue plötzlich verschwunden seien. Um das Maß der Verwirrung vollzumachen, verging der Tag, ohne dass Mike oder Johnny sich wieder sehen ließen – auch die beiden Originalverbrecher nicht, denn diese waren unmittelbar bei ihrer Ankunft im Zentralbahnhof wieder verhaftet worden. Nick aber hatte dafür gesorgt, dass dieser Umstand streng geheim gehalten wurde.

So vergingen mehrere Tage in Hangen und Bangen. Kein Mitglied der Bande wagte sich aus seinem Schlupfwinkel. Die Detektive dagegen waren unermüdlich an der Arbeit.

Endlich wagte es Pullam, welcher die quälende Ungewissheit nicht länger zu ertragen vermochte, unter geschickter Verkleidung Anwalt Martin in dessen Office aufzusuchen.

»Mikes und Johnnys Verschwinden ist unerklärlich. Ich stehe vor einem Rätsel!«, gestand Pullam dem aufhorchenden Anwalt niedergedrückt.

»Warum zögerten Sie so lange, mir dies mitzuteilen?«, ereiferte sich Martin.

»Weil ich mich nicht auf die Straße getraute«, räumte Pullam kleinlaut ein. »Ich dachte, Mike und Johnny könnten verhaftet sein und vielleicht gepfiffen haben … Das ist es!«

»Und warum getrauen Sie sich heute zu mir?«, fragte Martin scharf.

»Einmal erfuhren wir, dass Carter und seine Gehilfen sehr lebendig sind und wie die Biber arbeiten«, setzte Pullam auseinander. »Dann hörten wir zu unserem Schrecken von den Familien Mikes und Johnys, dass die beiden gar nicht Zuhause waren, wie sie sagten. In Sing Sing wurden sie entlassen, das steht fest – und sie kamen nach Black Hanks Platz. Doch seitdem sind sie wie vom Erdboden verschwunden … Der Mann, der als mein Doppelgänger auftrat, meint auch, er hätte nichts von den beiden gesehen. Sie können mit Carter gar nicht zusammengetroffen sein. Kurzum, ich stehe vor einem unheimlichen Rätsel.«

Martin lachte gallig auf und stierte, die Brille auf der Stirn, seinen Kumpan grimmig an.

»Meine anstrengendste Arbeit ist, die blödsinnigen Narrenstreiche meiner Leute immer wieder ins Geleise zu bringen«, kreischte er mit seiner dünnen Fistelstimme. »Was fiel euch ein, die Esel auf des Detektivs Fährte zu hetzen? Hätte ich es nur geahnt, ich würde es nie zugegeben haben … Etwas Blödsinnigeres lässt sich kaum erdenken!«

»So, ist es vielleicht nicht Tatsache, dass Carter mich und Brooks gesehen hat?«, wetterte Pullam.

»Blödsinn!«, krähte Martin. »Was er auch gesehen hat, jedenfalls hörte er nichts … Er mag uns alle beargwöhnen, darauf pfeife ich, solange er nichts beweisen kann.«

Mit gerungenen Händen lief er im Zimmer hin und her. »Die ganze Geschichte geht schief!«, jammerte er dann wieder. »So genau ich meine Pläne auch erwogen habe, sie zerflattern mir unter den Händen … Dieser Carter weiß alles zu vereiteln, er ist ein Teufel! Er ist daran schuld, dass ich die Verteidigung dieses Idioten von einem Mason nicht bekam … Das war schon schlimm genug … Nun kommt auch noch Ihr Dummejungenstreich … Nick Carter ans Leben zu wollen … hihihi!« Er lachte höhnisch auf.

»Nun schwatzen Sie selbst Blödsinn!«, höhnte Pullam. »Ich wollte Carter nicht ans Leben!«

»Nun, was denn sonst? Ihm freundlich Guten Tag sagen, eh?«

»Nein, aber Carter sollte gefangen gehalten werden, bis unser Fischzug geglückt war.«

»Mein lieber Pullam, Dummheit ist eine Gabe Gottes, doch man muss sie nicht missbrauchen!«, erboste sich der Anwalt unter giftigem Lachen. »Es geht alles schief. Nun kommt schon am nächsten Montag die Klage Aldens gegen die Vereinigten Feuerversicherungen zur Verhandlung … Ich gab vor, mir läge viel an einer zeitigen Verhandlung – Well, die Gegenpartei ließ mich reinfallen – und nun speit auch Carter Feuer und Flammen … Sehr schlimm das, denn er ist Zeuge.«

»Well, das hat keinen Zweck!«, brummte Pullam. »Es macht Geschehenes nicht ungeschehen. Hauptsache ist, dass wir uns den Rücken freihalten!«

Das gab der Anwalt zu und versprach, einen verlässlichen Mann auf die Fährte der Detektive zu setzen, um in Erfahrung zu bringen, was diese wussten.

»Doch das sage ich Ihnen«, setzte er grob hinzu. »Dass weder Sie noch Brooks und die anderen vier auch nur eine Nasenspitze zur Tür hinausstrecken … Wie vom Erdboden verschwunden müsst ihr sein – oder ich stehe für nichts … Denn der Teufel ist los!«

Äußerst niedergeschlagen verließ Pullam das Anwaltsbüro, um den Heimweg anzutreten. Er gewahrte nicht, dass sich ihm ein junger, kaum achtzehnjähriger Mensch anschloss, der ihm beharrlich auf den Fersen blieb und dreist genug war, ihm selbst bis in Black Hanks Salon zu folgen. Natürlich war es Patsy, und dieser blieb lange genug in der Spelunke, bis er sich davon überzeugt hatte, dass der Beschattete identisch mit Pullam war.

Inzwischen hatte Martin, kaum dass sein Besucher die Tür von außen geschlossen hatte, durch den Fernsprecher einen seiner zuverlässigsten Gehilfen zu sich erboten. Kaum ließ Porter, so hieß der Mann, sich melden, als ihn der Anwalt auch schon in sein Privatzimmer berief.

Er setzte ihm auseinander, dass Mike und Johnny Dienstagnacht auf Nick Carter gehetzt worden und seitdem nicht wieder zum Vorschein gekommen waren, worauf Porter höchst erstaunt dem Anwalt erklärte, dass er genau wüsste, dass die beiden erst am Mittwoch aus Sing Sing entlassen und sofort am Bahnhof wieder verhaftet worden seien. Porter war der Meinung, dass Nick Carter und sein Gehilfe Chick die Rollen Mikes und Johnnys gespielt haben mussten.

Martin war fassungslos und befahl Porter, unter allen Umständen sofort Pullam herbeizuschaffen.