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Das Buch vom Rübezahl – Teil 8

Das Buch vom Rübezahl
Neu erzählt von H. Kletke
Breslau, 1852

9. Rübezahls Esel

Ein Glashändler wollte einmal mit einer Hucke Scheibenglas auf dem Rücken über das Gebirge reisen. Als er unterwegs von der schweren Last müde wurde und sich ein wenig ausruhen wollte, fiel ihm ein hübscher runder Klotz ins Auge, auf den setzte er sich. Aber die Freude dauerte nicht lange, denn als er gerade in der besten Ruhe war, rollte der Klotz plötzlich unter ihm fort, sodass der Mann mit samt dem Glas zu Boden schlug und das ganze Glas kurz und klein in Stücke brach. Eine gute Weile stand er ratlos da, betrachtete die Scherben, bejammerte sein Elend und verwünschte den Block, welcher die Ursache seines Unglücks war.

Siehe, da kam des nämlichen Wegs ein reisender Geselle, welcher ihn fragte, ob das der rechte Weg zu der Glashütte zu Schreibershau sei, und was ihm fehle, dass er so bekümmert aussehe.

»Ich habe wohl allen Grund«, versetzte jener und erzählte den ganzen Verlauf, wie der tückische Block ihn ins Unglück gebracht und er nun nicht Mittel noch Wege wisse, sich und die seinen ehrlich zu ernähren.

Der andere hörte der Erzählung des Glashändlers aufmerksam zu, beklagte ihn und sagte: «Fürwahr, Ihr habt es nicht gut getroffen, aber auf Reisen muss man gefasst sein, allerhand Missgeschick und Widerwärtigkeit zu begegnen. Dafür lernt man auch manch nützliches Stücklein. Also gebt Euch zufrieden, denn wenn Ihr meinem Rat folgt, will ich Euch helfen, dass Ihr wieder zu Eurem Geld kommt.«

Der Mann, welcher merkte, mit wem er es zu tun habe, war zu allem bereit.

»Nun gut«, versetzte Rübezahl, denn kein andrer als er war der Geselle, »seht dort den Esel, welcher am Baum steht. Nehmt ihn und führt ihn in das erste Dorf zum Müller. Das ist ein Liebhaber von Eseln und braucht einen, hat auch Geld genug, um ihn gut zu bezahlen. Darum verkauft das Tier nicht unter zehn Reichstalern.«

Der Mann bedankte sich vielmals, nahm den Esel und führte ihn in das angewiesene Dorf zum Müller. Das war ein Mann , welcher sich unter den Klugen der Klügste dünkte, und schon vorher wusste, wie viel Wasser des anderen Tages übers Rad laufen würde. Als dieser den Esel sah, gefiel er ihm wohl, fragte den Eigentümer, ob nicht der Esel zum Verkauf sei und wie teuer. Nach langem Hin- und Herreden wurden sie um den Preis von zehn Reichstalern einig, worauf der Glashändler den Esel in den Stall führte, die Zahlung richtig empfing und ohne Verzug von dannen schied.

Nach einer Weile ging der Müller in den Stall, besah den Esel, der ihn seiner Größe und Stärke halber ein vortrefflicher Kauf dünkte, ging wieder in die Mühle und sagte zu seinem Knecht: »Das ist ein prächtiger Esel, dieser Bursche ist sein Geld wert. Hol ihm ein Bündel Heu vom Boden, er wird hungrig sein.«

Der Knecht ging und holte das Heu, doch als er es dem Esel vorlegen wollte, sprach dieser: »Ich fresse kein Heu,  sondern lauter Gebratenes und Gebackenes.«

Wie das der Knecht hörte, erschrak er, sprang in die Mühle und erzählte seinem Herrn, dass er einen Esel gekauft habe, welcher sprechen könne. Da lief der Müller eilig in den Stall, um das Wunder mit anzuhören. Aber diesmal kam er zu spät, denn der Esel war über alle Berge und mit ihm die zehn Reichstaler – auf Nimmerwiedersehen.