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Der Welt-Detektiv Band 6

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Nick Carter – Ein Kampf um Millionen – Kapitel 6

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Ein Kampf um Millionen
Ein Detektivroman

Eine nächtliche Überraschung

Heimgekehrt mit seinen beiden Gehilfen, griff Nick Carter sofort nach dem von Patsy aufgefundenen Brieffragment, um dieses eingehend zu studieren. Das war schwierig genug, denn die auf dem Papierstreifen vorhandenen Wörter waren scheinbar sinnlos und ohne Zusammenhang geschrieben.

Immerhin glaubte Nick, aus diesem Fragment entnehmen zu können, dass es sich um eine dem Empfänger genau bekannte Abmachung handelte; wahrscheinlich um eine wichtige Dienstleistung, für die er auf Abschlag schon eine Summe Geldes erhalten hatte, während noch eine größere Entlohnung in Aussicht stand. Doch worum es sich dabei handelte, war aus dem Fragment nicht zu ersehen, und ebenso wenig ging aus ihm der Name des Empfängers hervor.

»Wo hast du diesen Papierstreifen gefunden, Patsy?«, erkundigte sich der Detektiv endlich.

»Auf der Diele neben einem Zylinderbüro im Frontschlafzimmer des Oberstocks, Meister.«

»Well, das wird das Schlafzimmer des angeblichen Ehepaares Batell und in Wirklichkeit dasjenige Renfrews und der holden Blanche Everitt gewesen sein«, bemerkte Nick. »Der Brief gehört zweifellos diesem Renfrew.« Er blickte fragend Patsy an. »Und die andere Briefhälfte?«

»Die war ganz sicher nicht da, sonst hätte ich sie mitgebracht«, versicherte Patsy.

»Well, mein Freund Mostyn von Scotland Yard muss mir über Mr. Ridley von Promfret Auskunft geben«, entschied Nick. »Ich werde noch heute Nacht deshalb an ihn kabeln.« Nach kurzem Nachdenken meinte er bedächtig: »Will Euch etwas sagen, Jungens, wir drei tun gut daran, uns das Haus nochmals gründlich anzusehen, solange die Spuren darin noch frisch sind.«

Wohl war Mitternacht schon nahe, doch das hielt die Detektive nicht ab, sich unter Patsys Führung zu dem kleinen Haus in der Sackgasse zu begeben.

Die Gasse lag wie ausgestorben in tiefer, nächtlicher Finsternis.

»Well, Jungens«, meinte der Detektiv, als sie vor der zur Fronttür führenden Haustreppe anhielten. »In das Haus müssen wir, und da uns auf unser Läuten schwerlich jemand öffnen dürfte und es auch zu spät geworden ist, um den Agenten zu behelligen, so spielen wir einmal Einbrecher … Mit meinem Universaldietrich werden wir unschwer Einlass finden, zudem ist das Haus ja unbewohnt.«

Das Öffnen der Haustür erfolgte auf raschestem Weg völlig geräuschlos, und knapp vor ein Uhr morgens traten die Detektive im Hinterparlor an dasselbe Sofa heran, auf welchem Patsy nahezu sechs Stunden in betäubtem Zustand gelegen hatte. Bei dem Schein der jederzeit von ihnen mitgeführten elektrischen Blendlaternen durchsuchten sie die beiden Zimmer.

»Well«, meinte Patsy bedächtig. »Es muss nach mir jemand im Haus gewesen sein, denn jetzt stehen verschiedene Möbelstücke anders als zuvor.«

»Leicht möglich«, warf der Detektiv hin. »Du hast ja den Agenten von dem Verschwinden seiner Mieter unterrichtet. Er mag im Haus gewesen sein und etwas Ordnung geschaffen haben. Ich denke, wir begeben uns nach dem Oberstock, hoffentlich finden wir dort mehr.«

Unverzüglich begaben sie sich über die Treppe zum vorderen Schlafzimmer, in welchem Patsy das Brieffragment gefunden hatte, in der Hoffnung, vielleicht auch den fehlenden Teil irgendwo zu entdecken.

Doch kaum öffneten sie die angelehnte Tür, die vom Korridor aus in das Zimmer führte, Patsy mit der erhobenen Blendlaterne als Vorderster, als sie auch schon bestürzt stehen blieben.

Sie hörten eine Männerstimme fluchen, dazwischen kreischte eine Frau in höchsten Angsttönen, und vor den erstaunten Blicken der verblüfften Detektive sprangen zwei Gestalten im denkbar leichtesten Nachtgewand aus dem im anstoßenden Alkoven stehenden Bett.

Fast im gleichen Augenblick rief auch ein Mann vom Hinterzimmer her: »Was ist denn eigentlich hier los, eh?«

Die Verbindungstür zwischen beiden Zimmern wurde aufgestoßen, und ein junger Mann in Unterhosen erschien auf der Schwelle, Schreck und Bestürzung in den bartlosen Zügen.

Die beiden anderen Gestalten im Hemd machten verzweifelte Anstrengungen, um an den nächtlichen Eindringlingen vorüber an das Zylinderbüro zu gelangen, vermutlich, um ihre dort verwahrten Revolver zu ergreifen. Der Mann fluchte und wetterte, und die Frau kreischte dazwischen: »Hilfe! Diebe! Mörder!«

»Ruhe!«, schrie Nick Carter mit Stentorstimme. »Wir sind keine Einbrecher, sondern Detektive – Sie sind sämtlich unsere Gefangenen. Keinen Widerstand, oder wir schießen.«

»Um Himmel willen!«, stammelte der Mann in Unterhosen von der Türschwelle her. »Es ist Nick Carter mit seinen Gehilfen!«

Sein Zwischenruf beruhigte sofort die beiden anderen Personen. Die Frau schien sich ihres nicht gerade auf Herrenbesuch eingerichteten Kostüms bewusst zu werden, denn mit einem Satz war sie wieder im Alkoven, zog die Vorhänge zusammen und rief ihrem Gefährten zu, ihr rasch den Hausrock zu bringen. Als dies geschehen war, kam sie in leidlicher Verfassung wieder ins Vorderzimmer und erkundigte sich entrüstet nach dem Begehr der unverhofften nächtlichen Besucher.

»Well«, meinte der Detektiv, zu Patsy gewendet, »da haben wir ja unser Kleeblatt schneller, als wir es erwarten durften!«

Doch statt einer Antwort warf sich Patsy in den nächsten Stuhl, hielt sich den Bauch vor Lachen und erklärte schließlich, mit Lachtränen in den Augen: »Well, Meister, ein Kleeblatt ist es sicherlich, und kein übles, aber nicht unsere Leute – Gott bewahre!«

»Nicht Renfrew und Blanche Everitt?«, meinte Nick Carter ganz verblüfft.

»Kein Gedanke daran, die Herrschaften hier kenne ich gar nicht!«, konstatierte Patsy lachend.

»Wer sind Sie?«, fuhr der Detektiv den einen Mann an, der eben schnell einen Mantel übergeworfen hatte und nun in der Haltung eines beleidigten Königs erklärte: »Ich dächte wohl, es ist an mir, Sie zu befragen, wer Sie sind und was Sie um ein Uhr nachts in dem von mir gemieteten Haus zu schaffen haben.«

»Well, ich bin Nick Carter, der Detektiv; dies sind meine Gehilfen Chick und Patsy …«

»Und dieses Haus gehört Ihnen nicht«, setzte Patsy hinzu. »Sie haben es nicht gemietet!«

Das Kleeblatt gab keine Antwort, sondern sah sich untereinander kopfschüttelnd an.

»Jedenfalls ist die Sache hier nicht ganz in Ordnung, und ich verlange eine zufriedenstellende Auskunft!«, entgegnete Nick Carter in entschiedenem Ton.

»Lächerlich!«, begehrte der Mann im Mantel nun auf. »Wir sind hier in unserem Haus und Ihnen keine Rechenschaft schuldig – Sie desto mehr aber uns. Was haben Sie hier zu suchen?«

»Das ist sofort erklärt«, meinte der Detektiv kurz. »Dieser junge Mann hier, mein Gehilfe, wurde am verflossenen Nachmittag durch Blanche Everitt, Frank Renfrew und Albert Loomis in einem Salon betäubt und hierher in dieses Haus verschleppt. Ich bin hier, um das saubere Kleeblatt zu verhaften und das Haus nach ihrem Verbleib zu durchsuchen!«

Die Überraschten schauten sich sprachlos an. Dann meinte die Frau erstaunt: »Wollen Sie behaupten, dass der junge Mann hier in verbrecherischer Weise betäubt worden ist?«

»Allerdings!«, rief Patsy dazwischen. »Mindestens sechs Stunden schlief ich wie ein Murmeltier!«

»Renfrew soll sich in Acht nehmen, falls ich wieder mit ihm zusammentreffe!«, ereiferte sich nun der Mann. »Da hat er uns eine nette Suppe eingebrockt!«

Er wendete sich an Nick.

»Well, Mr. Carter«, fuhr er fort, »ich sehe schon ein, es ist am besten, wir reden miteinander frisch von der Leber weg. Ich heiße Alec Cameron, die Lady da ist meine Frau und heißt auf der Bühne Effie Marble, und der junge Mann dort ist der dritte Mann in unserem Akt und nennt sich Charles Zebury. Wir wohnten bisher zusammen in einem Boardinghaus an der 12th Street. Heute Abend um halb neun besuchten uns Renfrew und Blanche Everitt, sie boten uns dieses Haus auf zwei Monate mietfrei an.«

»Kannten Sie die beiden schon zuvor?«, erkundigte sich der Detektiv.

»Aber selbstverständlich!«, entgegnete Cameron. »Wir sind gute Freunde und waren jahrelang bei den nämlichen Gesellschaften angestellt. Letzte Saison versuchte sich Renfrew selbst als Direktor und engagierte uns. Diese Saison wollten wir zusehen, ein Engagement in New York zu erhalten. Bis vor etwa einem Monat wohnten Blanche und Renfrew mit uns im nämlichen Boardinghaus an der 12th Street. Dann mieteten sie dieses Haus.«

»Hallo«, rief Patsy. »Ich wette, Blanche und Loomis besuchten Sie gestern Nachmittag, eh?«

»Allerdings«, bestätigte Cameron. »Sie wollten sich mit Renfrew bei uns treffen. Da er aber lange ausblieb, wurden sie unruhig und meinten, sie wollten ihm entgegengehen, da sie ihn wohl auf der 14th Street vor einem der Theater finden würden.«

»Da haben wir es ja!«, rief Patsy. »Renfrew wollte mich überreden, mit ihm zu Ihrer Wohnung zu kommen, als wir unterwegs mit Blanche Everitt und Loomis zusammentrafen.«

»Wie kam Renfrew dazu, Ihnen das Haus hier anzubieten?«, erkundigte sich der Detektiv.

»Well, wir wohnten in einem stark bevölkerten Quartier«, meinte der Schauspieler lachend, »und wären schon längst ausgezogen, hätten wir nur gekonnt. Doch wir haben diese Saison kein Engagement und mussten froh sein, dass die Wirtin uns borgte … Nun hatte sie aber die Zimmer gekündigt, und da war Holland in Not. Renfrew kannte unsere Lage, denn ich hatte ihn erst gestern um fünf Dollar angepumpt. Well, wie er uns nun sagte, dass er mit Blanche unvermutet Stellung im Westen gefunden und noch heute Nacht abreisen müsste, ließen wir uns nicht lange bitten, die noch auf zwei Monate bezahlte Wohnung hier zu übernehmen, sondern zogen sofort um. Um 11 Uhr waren wir bereits hier. So, das wäre alles, was ich angeben kann.«

»Vortrefflich ausgeklügelt«, versetzte der Detektiv sarkastisch. »Sie dachten es sich, dass wir das Haus beobachten würden, und hielten uns für dumm genug, sie noch drinnen zu glauben, sobald wir herausfanden, dass das Haus bewohnt ist. Auf diese Weise hofften sie, einen tüchtigen Vorsprung zu gewinnen und ihre Spuren erfolgreich zu verwischen.«

Er lachte spöttisch auf.

»Unrecht genug von diesem Renfrew, uns in solche Ungelegenheiten zu bringen!«, begehrte Cameron wieder auf. »Handelt es sich um etwas Ernstliches, Mr. Carter?«

»So ziemlich, um nichts Geringeres als wiederholten Mordversuch«, lautete die gelassene Antwort.

Während das Kleeblatt sich entsetzt ansah, schwieg Nick eine Weile nachdenklich. »Weiß einer von Ihnen, ob Renfrew mit Blanche und Loomis im Folly Variete war, als das Lufttrapez von Mlle. Viola niederbrach?«, erkundigte er sich plötzlich.

»Sie waren sämtlich dort«, bestätigte Cameron unverzüglich. »Renfrew nahm sein Clumsey Mike-Kostüm mit, er wollte sich in ihm dem Theatermanager präsentieren, wie er sagte, um vom nächsten Monat ab für seinen Akt Beschäftigung zu finden.«

In Nicks intelligenten Zügen leuchtete es auf. »Wissen Sie das genau?«, fragte er.

»Hier, Effie, meine Frau, war vorgestern gegen Abend mit mir hier. Ich kam wegen der bewussten fünf Dollar, hatte aber kein Glück damit bei Renfrew. Er war in großer Eile, um mit Blanche und Loomis in das Folly Variete zu kommen. Ich half ihm noch, das Kostüm in eine schmale Handtasche zu packen. Blanche nahm sie unter ihren Radmantel.«

»Das ist wertvoll«, betonte der Detektiv. »Was für ein Mensch ist dieser Renfrew eigentlich?«

»Well, er ist ungefähr ein Vierziger und ein ganz guter Kerl soweit, wenn es ihm nach Wunsch geht, aber ein halber Satan, bläst der Wind aus dem verkehrten Loch«, meinte Cameron freimütig. »Auf das Geld ist er aus wie der Teufel auf eine arme Seele.«

»Der mordete seine eigene Schwiegermutter, kriegte er es gut bezahlt«, warf nun auch Zebury ein, der inzwischen ein Paar Beinkleider übergestreift hatte. »Renfrew ist äußerlich Gentleman und innerlich ein Schurke. Es gibt nichts, was er nicht ums Geld täte.«

»Was für eine Person ist diese Blanche Everitt?«, fragte der Detektiv weiter.

»Man kann ihr nichts Schlechtes nachsagen«, erklärte Mrs. Cameron, »wenigstens früher war sie all right. Durch sie lernten wir Renfrew kennen. Das war in Chicago, wo wir gemeinsam in Sindbad, der Seefahrer auftraten. Ich empfand vor dem Menschen immer Abscheu und warnte Blanche vor ihm. Doch sie war reinweg in ihn verliebt und heiratete ihn.«

»Oder was man so nennt«, brummte ihr Mann dazwischen.

»Ich verstehe«, meinte Nick Carter lächelnd. »Sonst aber war Blanche insoweit anständig?«

»Ich möchte nichts gegen sie sagen«, antwortete ihre frühere Freundin. »So viel steht fest, das Zusammenleben mit Renfrew hat auf sie ungünstig eingewirkt; dazu kommt auch noch Loomis.«

»Nun, was ist mit dem?«, wollte der Detektiv wissen.

»Well, er ist Blanches jüngerer Bruder und ein Tunichtgut, der schon häufig mit den Gefängnissen Bekanntschaft gemacht hat«, ereiferte sich die Schauspielerin. »Er ist eine Schande für unseren Stand. Zuletzt soll er sogar wegen Straßenraubes gesessen haben. Ich begreife nicht, wie Blanche sich mit ihm auf der Straße, geschweige auf der Bühne sehen lassen mag!«

»Eine feine Familie!«, bemerkte der Detektiv. »Wo haben sich die drei wohl hingewendet?«

»Wenn sie verschwinden wollen, sind sie ganz gewiss nach Chicago gereist, denn dort haben sie hilfreiche Freunde in Menge«, versicherte Cameron.

»Sind sie unter ihren wirklichen Namen dort bekannt?«, forschte Nick Carter weiter.

Mrs. Cameron verneinte kopfschüttelnd. »Nur in der Theaterwelt, sonst wechseln sie dieselben jeden Augenblick. Das fiel mir schon gleich auf, besonders Renfrew ist darin unerschöpflich.«

»Er scheint mir überhaupt ein gewiefter Patron zu sein.«

»Darauf können Sie sich verlassen, Mr. Carter«, rief Zebury. »Er ist der geriebenste Gauner, den ich je kennen lernte. Heute borgt er Ihnen seinen letzten Cent, morgen schneidet er Ihnen die Kehle durch. Kurzum, eine Verbrechernatur, wie man sie sonst nur in Romanen findet. Doch was hat dieser Renfrew nun wieder auf dem Kerbholz?«, erkundigte er sich.

»Well, ich deutete es schon halb an«, entgegnete der Detektiv. »Renfrew ist der Mann, welcher am Abend das Gewichtsseil im Folly Variete durchschnitt.«

Die drei waren so erstaunt, dass sie zuerst keinen Laut von sich zu geben vermochten. Als Nick Carter dann von ihnen wissen wollte, ob ihnen irgendwelche Beziehungen zwischen dem verbrecherischen Kleeblatt und Mlle. Viola bekannt seien, verneinten sie übereinstimmend, indem sie zugleich ihrer Empörung gegen den Schurken lebhaften Ausdruck verliehen.

Gern gestatteten sie dem Detektiv und dessen Begleiterin, das Haus nochmals eingehend zu durchsuchen. Doch Patsy hatte gründliche Arbeit gemacht. Nur im vorderen Schlafzimmer fanden sie unter dem Tisch einen offenbar als Fidibus verwendeten Papierstreifen auf der Diele. Das Papier war fast völlig verkohlt und kaum noch ein zollbreiter Streifen übriggeblieben. Doch er genügte immerhin, um erkennen zu lassen, dass er ursprünglich zu dem Brieffragment gehört und dessen andere Hälfte gebildet hatte. Nun waren nur noch die Buchstaben »Albe …« erkennbar. Diese ergänzten augenscheinlich den Vornamen des Briefschreibers, der demnach Albert Risley hieß.