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Nick Carter – Ein Kampf um Millionen – Kapitel 1

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Ein Kampf um Millionen
Ein Detektivroman

Nick Carter am Trapez

Das Folly Varieté-Theater war ausverkauft.

Das den weiten lichtdurchstrahlten Raum bis auf den letzten Platz füllende Publikum befand sich in beifallsfreudiger Laune und spendete jeder Nummer des abwechslungsreichen Programms rauschenden Applaus. Dabei aber lag der Ausdruck lebhaftester, gespanntester Erwartung in aller Mienen. Es war offenbar, dass der interessanteste Teil der Vorstellung, welcher die Menge in hellen Scharen in das Theater gelockt hatte, noch ausstand.

Von den in den Logen und Sperrsitzen befindlichen verwöhnten Lebemännern bis hinauf zum naiv dankbaren Galerie-Publikum ging eine gleich lebhafte Unruhe aus, als nun die Vorbereitungen für die Glanznummer des Abends, welche das Auftreten der Königin der Lüfte am hohen Trapez verhieß, getroffen wurden.

Seit drei Wochen bildeten die unerhört kühnen und verwegenen Leistungen der jugendlichen Trapezkünstlerin das Tagesgespräch von New York und lockte so in Scharen auch die besseren Gesellschaftskreise, die sonst den Besuch von Vaudeville-Vorstellungen vermieden, ins Folly Varieté-Theater.

Dieses war allabendlich ausverkauft und die besseren Sitze schon auf Wochen hinaus im Voraus vergeben. Schwer zu entscheiden blieb, was man mehr an Mlle. Viola, so hieß die junge Dame, bewundern sollte. Ihre sieghafte Schönheit, der seltene Liebreiz und die entzückende Anmut ihrer Glieder oder die ihren Darbietungen innewohnende Tollkühnheit?

Doch nicht nur die bewunderungswürdigen Leistungen der Luftkönigin, auch der diese umschwebende geheimnisvolle Nimbus hatte zum Teil beigetragen, das schöne Mädchen zum erklärten Liebling der anspruchsvollen New Yorker zu machen und diese allabendlich zu stürmischen Ovationen hinzureißen.

Niemand in der Riesenstadt wusste, wer Mlle. Viola war und woher sie stammte.

Man hatte sie noch zu niemandem sprechen hören, außer zu ihrer mindestens um zehn Jahre älteren Begleiterin, welche ihr im Ankleideraum als Kammerfrau und Friseuse behilflich war. Diese betrat auch gleichzeitig mit der Königin der Lüfte die Bühne und war ihr dabei behilflich, das in die schwindelnde Höhe führende Seil zu besteigen.

Solange die Nummer Violas dauerte, blieb die in eine unscheinbare Pagenuniform gekleidete Frau auf der Bühne. Keinen Blick wandte sie von dem die Lüfte durchwirbelnden geschmeidigen Körper der Luftkönigin und zugleich ordnete sie die verschiedenartigen Bewegungen der Seile und Netze an, wie der Fortgang der Produktion sie nötig machte, um schließlich nach glücklich abgeschlossener Vorstellung die junge, sichtlich erschöpfte Künstlerin mit einer ängstlichen, rührenden Fürsorge zu umgeben.

Das Auftreten der jungen Künstlerin wurde allabendlich durch das vom Schnürboden aus bewerkstelligte Niederlassen eines unten verknoteten Seils, das bis dicht über der Rampe hing, zuerst signalisiert. Am Tau war ein dünner Bindfaden befestigt, und sobald Mlle. Viola auf den Schultern ihrer älteren Genossin stand und sich mit lächelndem Gesicht anmutig gegen das Publikum verneigte, wurde mithilfe des Fadens das Seil zu ihr herangezogen, um ihr den Weiteraufstieg zu ermöglichen.

Als Viola schwebend an dem Seil hing, wurde dieses vermittels eines sinnreichen Mechanismus nicht nur schnell emporgezogen, sondern auch in rasch sich verstärkenden und immer weiter sich ausdehnenden Pendelschwingungen hin und her bewegt, bis die in anmutiger Haltung wie durch die Lüfte Entschwebende das untere Ende eines vom Höchstpunkt des obersten Schnürbodens lose herabhängenden Seiles bis auf etwa zehn Fuß Entfernung erreicht hatte.

Dann ließ Viola das Tau los, um mit einem eleganten Schwung durch die Luft das höher hängende zu ergreifen. An diesem schwang sie wieder, um von Neuem ein noch höher hängendes, wieder dabei auf zehn Fuß Weite den Luftraum durchfliegend, zu erreichen – und diese eigenartige Luftreise setzte sich von Seil zu Seil fort, bis die jugendliche Künstlerin endlich das in schwindelnder Höhe befindliche Trapez erreicht hatte.

Es sah in der Tat so aus, als ob das Trapez nur auf jenem so beschwerlichen wie gefahrvollen Wege erreicht werden konnte. In Wirklichkeit war dem nicht so, vielmehr befanden sich an jeder Seite des Apparates zwei Seile, deren obere Enden an der Decke des Schnürbodens befestigt waren, während sie den Blicken der Zuschauer unsichtbar, bis zur Bühnentiefe niederführten, wo sie zweckentsprechend verankert waren, um nötigenfalls jederzeit fester angezogen und gelockert werden zu können.

Sobald die junge Künstlerin die Stange des Trapezes erreicht hatte, führte sie die Riesenwelle aus, und nachdem ihr Körper wie ein um die Achse sich drehendes Rad wohl ein Dutzend Mal die Luft durchwirbelt hatte, blieb sie in anmutiger Pose mit den Füßen an der Trapezstange hängen und wurde nun noch um etwa zwanzig weitere Fuß emporgezogen, um alsdann in dieser schwindelnden Höhe mit ihren eigentlichen Produktionen zu beginnen. Diese bestanden in noch nie zuvor gesehenen Evolutionen von solcher Waghalsigkeit, dass öfters nervenschwache Damen aus dem mit verhaltenem Atem zuschauenden Publikum in Ohnmacht fielen.

Die Krone ihrer alles bisher Erschaute weit in den Schatten stellenden Leistungen war ein vollkommen neuer Trick, welchen die waghalsige Trapezkünstlerin zum Schlusse ihrer wundervollen Produktionen vollführte. Während sie sich an den Armen in voller Körperlänge niederhängen ließ, vollführte sie die Totenwelle – schneller und immer schneller wirbelte sie um die Trapezstange, bis zuletzt ihre Bewegungen derart rapide wurden, dass der von goldglänzendem Trikot umspannte jugendschöne Körper im grellen Strahl des elektrischen Lichtes nur noch ein zauberisch funkelndes Rad zu bilden schien.

Dann riss plötzlich das eine die Stange haltende Trapezende, und die Künstlerin schien unter dem entsetzten Aufschrei des Publikums in die Tiefe zu abzustürzen – indessen nur scheinbar, denn mit erstaunlicher Geschicklichkeit gelang es ihr, während des Absturzes eines der hinter ihrem Rücken befindlichen Seile zu fassen und an diesem sich festzuklammern.

Während sich Mlle. Viola nun auf demselben Wege wie zuvor beim Aufstieg zur Bühne niederließ, begriff das allmählich sich von seinem Schrecken erholende Publikum, dass es sich nicht um einen Unglücksfall, wohl aber um einen raffiniert erdachten, brillant durchgeführten Trick handelte – und die lange gedämmten, aufs Tiefste erregten Gefühle der Menge machten sich alsdann regelmäßig in einem geradezu betäubenden Beifallssturm Luft, und immer wieder von Neuem wurde die tollkühne verwegene junge Künstlerin an die Rampe hervorgejubelt, bis sie sich endlich unter einem letzten anmutigen Lächeln den Blicken des völlig enthusiasmierten Publikums entzog.

 

*

 

An dem Abend, mit welchem unsere Erzählung beginnt, hatte Mlle. Viola unter dem begeisterten Beifallsjubel des ausverkauften Hauses gerade in Begleitung ihrer Gehilfin die Bühne betreten, mit einem süßen Lächeln für den ihr bereiteten Empfang dankend. Sie schien sich in einer äußerst heiteren Stimmung zu befinden und sah noch entzückender als sonst aus.

Sie gab sich den Anschein, als gelänge es ihr nicht, sich auf die Schultern ihrer Gehilfin zu schwingen, und stellte sich dabei so drollig an, dass ein herzlichen Lachen durch die Reihen der Zuschauer ging. Dann, kaum die Hände ihrer Gehilfin berührend, stand sie plötzlich auf den Schultern derselben und warf mit bezaubernder Anmut Kusshände in das Publikum. Wie eine Taube die Schwingen, so hob sie graziös die wundervollen Arme zum Flug durch die Luft, zugleich das Zeichen für den mit der Bewegung des untersten Seiles beauftragten Mann, dieses bis an die Künstlerin heranzuschwingen. Sie fing es geschickt auf, und dann ging es auf dem üblichen Wege hinauf zum Trapez.

Die Vorstellung der Königin der Lüfte verlief programmgemäß. Wiederum entzückte sie durch ihre so anmutigen wie gefahrvollen Darbietungen die beifallsfreudige Menge, und nun schickte sie sich an, durch den Schlusstrick die Nervenstärke des sensationslüsternen Publikums zu erproben.

In der rechten Proszeniumsloge, also unmittelbar neben der Bühne, saßen drei Herren, welche von ihren Plätzen aus bequem den hinter den Kulissen an den verschiedenen Seilen des Apparates hantierenden Mann beim Arbeiten beobachten konnten. Sie sahen ihn soeben an eines der Taue ein Gewicht hängen, das nach ihrer Schätzung mindestens zwei Zentner schwer sein musste.

Das derart beschwerte Seil lief über eine geriefte Scheibe und anschließend daran durch eine Reihe von Flaschenzügen bis hinauf zur Höhe des obersten Schnürbodens. Diese Vorrichtung ermöglichte es dem Gehilfen, das beschwerte Seil nach jeder erforderlichen Richtung zu lenken und dergestalt die Sicherheit des an der Decke befestigten Apparates, von welchem das eigentliche Trapez frei herabhing, jederzeit zu kontrollieren.

Die drei Logeninsassen beobachteten den Mann, wie er das Gewicht am Seil befestigte, um sich dann hurtig zu der zweiten Kulisse zurückzubegeben und dort dasjenige Seil zu ergreifen, durch dessen Anzug sich die Trapezstange auf der einen Seite löste und so den fingierten Absturz der Künstlerin herbeiführte. Der Mann stand mit dem Seil in der Hand und schaute voll gespannter Aufmerksamkeit nach der auf der Bühne befindlichen Frau im Pagenkostüm, um auf deren Wink sofort den entscheidenden Ruck am Seil auszuführen.

Die drei Herren beobachteten mit demselben Interesse die Verrichtungen des Gehilfen sowie die waghalsige Produktionen der in den Lüften arbeitenden Mlle. Viola. Wussten sie doch, dass das tadellose Gelingen der Nummer und auch die Sicherheit der jungen Künstlerin wesentlich von der minutiösen Pünktlichkeit abhing, mit welcher der Mann sich seiner einfach erscheinenden, aber in Wirklichkeit hochwichtigen Verrichtung entledigte.

In diesem Moment gab die Frau auf der Bühne das verabredete Signal, und mit kurzem kräftigem Ruck zog der Gehilfe noch in derselben Sekunde am Seil, dadurch die Turnstange einseitig aus dem Trapez lösend. Die Königin der Luft stürzte pünktlich ab, und nicht minder prompt löste sich von den Lippen des wie erstarrt sitzenden Publikums der übliche Schreckensschrei – doch in diesen hinein klang der Ausruf wahren, wirklichen Entsetzens der drei Logeninsassen.

Hinter der ersten Theaterkulisse hatten sie plötzlich einen Mann auftauchen und mit einem bereitgehaltenen Messer das mit dem Zentnergewicht belastete Seil glatt durchschneiden sehen. Mit einem donnerartigen Gepolter fiel das schwere Gewicht auf die Bühne nieder.

Das so plötzlich von seiner Last befreite Seil raste mit einer unglaublichen Geschwindigkeit durch die Rollen der Flaschenzüge. Dann kam es unvermittelt zum plötzlichen Stillstand.

Die drei Herren in der Proszeniumsloge erkletterten blitzschnell die Brüstung und liefen behände auf dieser entlang, bis sie über die Rampenlichter auf die Bühne selbst zu springen vermochten. Es war ihnen klargeworden, dass ein verruchter Mordanschlag vor ihren Augen wider das Leben der Künstlerin unternommen worden war, die nun an dem zerrissenen Trapezende hing, nicht ahnend die Gefährlichkeit ihrer Lage und nicht wissend, warum der bewährte Apparat plötzlich versagte.

Der Vorderste der drei auf die Bühne gesprungenen Herren wusste, dass nur durch einen glücklichen Zufall der Eintritt einer sofortigen Katastrophe verhindert worden war.

Das zerschnittene Seil musste sich irgendwo, vermutlich in einer Rolle, verfangen haben und hielt darum noch die an seinem anderen Ende pendelnde Last des jungen Mädchenkörpers, der anderenfalls schon zerschmettert in der Tiefe liegen müsste … mitten unter demselben Publikum, das seinem frei in der Luft hängenden Liebling jetzt noch bewundernd zujauchzte und unermüdlich Beifall spendete.

Doch wie lange noch – und das jubelnde Entzücken der Zuschauermenge mochte sich in grausiges Entsetzen wandeln, denn schon die geringste Bewegung der Unglücklichen konnte hinreichen, das gehemmte Seil aus seiner zufälligen Verstrickung zu lösen – und dann war es auch noch in der nämlichen Sekunde um das reizende Geschöpf geschehen, und deren herrliche Gestalt wandelte sich zu einer unkenntlichen Masse.

Mit großen Sätzen sprang einer der drei Logen-Insassen quer über die Bühne zu der vorderen Seitenkulisse, wo das Seil, den Blicken der Zuschauer verborgen, an dem zentnerschweren Gewicht befestigt gewesen war. Ein Blick genügte, um ihn das durchschnittene Seil erspähen zu lassen. Es hing, eingeklemmt zwischen den Scheiben einer Eisenrolle, vielleicht zwanzig Fuß über der Bühne. Mit der Schnelligkeit und Gewandtheit eines berufsmäßigen Akrobaten erklomm der stark und breitschultrig gebaute Mann die eine Kulisse, sich an deren Holzleisten festhaltend – dann packte er das durchschnittene Ende des Seils und hängte sich an dieses mit beiden Armen, zugleich von dem Holzrahmen der Kulisse mit den Füßen sich abstoßend.

Sofort begann das durch die Körperlast des Daranhängenden beschwerte Tau sich anzuspannen und zurückzugleiten.

Frei in der Luft schwebend gab der tapfere Mann seinen beiden Gefährten einige kurze Befehle, die blitzschnell von diesen vollzogen wurden.

Der eine sprang zu dem nach dem Trapez von der rechten Bühnenseite aus führenden Hilfsseil, der andere zu dem nämlichen auf der linken Bühnenhälfte. Es waren dies die beiden schon erwähnten Taue, welche bei einem Unglücksfall oder dergleichen dazu dienten, auf schnellstem und kürzestem Weg an das Lufttrapez gelangen zu können.

Das Publikum war unruhig geworden, es ahnte, dass etwas nicht in Ordnung war.

Zum Glück hatte der das Zugseil haltende Gehilfe seine Geistesgegenwart nicht verloren. Er war geschäftig dabei, das eine zum Trapez führende Tau unten loszubinden. Kaum war dies geschehen, so nahm man auch schon im Publikum einen Herrn in voller Gesellschaftstoilette wahr, der mit der Gelenkigkeit eines Berufsakrobaten an dem Seil hochkletterte.

Dann sprang der Arbeiter quer über die Bühne, löste das Seil zur linken in gleicher Weise, und auch an ihm sah das erstaunte Publikum einen eleganten Herrn in Frack und weißer Binde emporklimmen.

Nun begriff allmählich das Publikum, dass irgendeine in ihrem vollen Umfang nur den Fachleuten verständliche Gefahr vorhanden und das Leben der jugendlichen Künstlerin hoch in den Lüften bedroht war.

Totenstille herrschte auf einmal in dem weiten Raum.

Deutlich vermochte man die Stimme des einen am Seil hochkletternden Mannes zu hören, der dem Mädchen zurief, ruhig zu bleiben, da er gleich bei ihr sein und zu ihrem Beistand kommen werde.

Doch gerade der gutgemeinte Zuruf schien das strikte Gegenteil herbeizuführen. Bisher hatte die Königin der Luft augenscheinlich noch gar nicht begriffen, dass sie sich in Todesgefahr befand; nun schien diese Erkenntnis sie zu entnerven und ihr die Widerstandkraft zu rauben. Deutlich vermochte man im Publikum zu sehen, wie sie die Augen schloss und ein Zittern durch ihre schlanken Glieder ging, das mit jeder neuen Sekunde stärker wahrnehmbar war.

Eine ungeheure Erregung bemächtigte sich aller Anwesenden. Man sprang auf Klappsitze und Stühle; einige schwangen sich auch auf die Brüstungen, um sich der oben in den Lüften Schwebenden besser verständlich machen zu können. Von all den Logen und Rängen des weiten Hauses wurden tröstende und ermutigende Zurufe laut.

Die beiden Seilkünstler waren unterdessen eifrig bestrebt, so schnell wie möglich das Trapez zu erreichen.

Als dies gelungen war, verständigten sie die junge Künstlerin, erst mit dem einen Arm sich loszulassen und zu versuchen, ihn über den Nacken des ihr zunächst Befindlichen zu schwingen. Behutsam ließ sie sich mit der einen Hand los, so nur noch mit der anderen sich am Trapezholz festhaltend.

Als Mlle. Viola nun auch entschlossen mit der anderen Hand die Trapezstange losließ, um sich dem Arme an dem Nacken des zweiten Retters festzuhalten, da schnellte auch schon der von der Last ihres Gewichtes befreite Apparat bis zur Decke, während zugleich von der Bühne her ein lauter Fall hörbar wurde.

Dieser rührte von dem Mann her, welcher sich an das untere Seilende gehängt hatte und natürlich dieses im selben Augenblick herunterzog, als die Künstlerin das Trapez losgelassen hatte. Doch der am Seil Hängende war auf den Sturz vorbereitet gewesen, indem er in demselben Augenblick, als er die zitternde Bewegung des Seiles spürte, dasselbe losließ und mit einem tadellosen Salto mortale eine Sekunde darauf vor den erstaunten Blicken des Publikums unbeschadet mitten auf der Bühne landete.

Das Publikum zollte dieser Leistung rauschenden Beifall. Doch ein Blick in die Höhe ließ diese freudige Erregung sofort wieder verstummen.

Oben in den Lüften war die Lage inzwischen nur noch bedrohlicher und gefahrvoller geworden, denn kaum hatte die gerettete Viola sicheren Halt an den Schultern der beiden Männer gewonnen, als sie auch schon, überwältigt von dem ausgestandenen Schreck, ohnmächtig wurde. Schaudernd nahmen die Zuschauer wahr, wie es der ganzen Kraft der beiden kühnen Männer bedurfte, die Ohnmächtige festzuhalten.

Im selben Moment war der mit tollkühnem Salto mortale vorhin mitten auf der Bühne Gelandete ganz dicht vor die Rampen getreten, und unbekümmert um das Publikum hielt er die Hände wie ein Sprachrohr vor den Mund und rief: »Hallo, Patsy – wie steht’s?«

»Danke für die gütige Nachfrage«, gab einer der oben Befindlichen gutgelaunt zurück. »Es ist hier oben etwas warm, sonst aber ganz mollig … man hat nicht alle Tage eine Luftkönigin im Arm!«

Diese launige Bemerkung zündete augenblicklich im Publikum und wurde von diesem mit donnerndem Applaus belohnt. Kaum war dieser verklungen, als auch schon jemand von einer der Logen aus rief, indem er auf den auf der Bühne Stehenden deutete: »By Jove, der Gentleman dort ist kein anderer als Nick Carter!«

»Und Chick und Patsy hängen dort oben in der Luft!«, rief ein anderer.

Im selben Moment durchbrauste auch schon ein neuer Beifallssturm das Haus und es kostete den auf der Bühne befindlichen und so unverhofft zum Mittelpunkt des allgemeinen Interesses gewordenen berühmten Detektiv Mühe genug, um durch bittende Handbewegungen die zu einer Verständigung mit seinen wagemutigen Gefährten nötige Ruhe wieder eintreten zu lassen.

Sobald diese wiederhergestellt war, hörte man von oben her Chicks Stimmte: »Das Mädchen ist ohnmächtig geworden!«

»Könnt ihr sie festhalten?«, erkundigte sich Nick Carter gelassen, während das Publikum schreckerstarrt zur Höhe hinaufblickte.

»Ja!«, rief der übermütige Patsy. »Das ist ‘ne angenehme Beschäftigung. Hoffentlich dürfen wir noch ein bisschen hier oben bleiben!«

Sofort applaudierte auch schon wieder das Publikum.

»Könnt ihr sie nicht herunterbringen?«, machte Nick Carter sich dann seinen Gefährten wieder verständlich.

»Unmöglich, so leicht das Mädchen auch ist … jetzt hängt sie doch wie Blei in unseren Armen!«, rief Chick.

»Wir haben ja keine Eile«, fügte Patsy hinzu. »Wir warten ganz geduldig, bis sie ihre reizenden Äuglein wieder aufmacht. Bin ich nicht zu beneiden, Gentlemen?«, rief er lachend ins Publikum hinunter. »Möchte wohl mancher von Ihnen an unserem Platz sein?«

»Ein Hurra für Patsy!«, rief jemand, und im ganzen Haus herrschte Heiterkeit, in welche auch der auf der Bühne befindliche Detektiv mit einstimmte.

»Ist denn niemand da, der schnell mal ein Glas Wasser raufbringen könnte?«, scherzte Patsy von Neuem. Natürlich hatte er wiederum einen Lacherfolg.

»Well, haltet sie so lange, bis ich bei euch oben bin!«, entschied nun Nick Carter mit lauter Stimme.

Der Gehilfe, welcher die Aufsicht über die verschiedenen Seile führte, trat eben an den Detektiv heran. Was er sagte, konnte man nicht verstehen, doch man sah, wie schon die Sekunde darauf das Seil zum Mittelpunkt der Bühne zu dirigiert wurde.

Einige Leute machten sich an anderen ähnlich niederhängenden Stricken zu tun. Sie fuhren in ihren Bemühungen fort, bis das Trapez derart niedergelassen war, dass es etwa noch 25 Fuß über den Köpfen des Publikums in der Luft hing.

Nick Carter kletterte an dem vorderen Seil empor, bis er in gleiche Höhe mit dem Trapez gelangte, das etwas fünfzig Fuß von ihm entfernt war. Dann sah das wieder in atemloser Spannung verharrende Publikum, wie einige Arbeiter das Tau, an welchem der Detektiv hing, am unteren Ende erfassten und es so weit zur Tiefe der Bühne zogen, wie es ihnen nur möglich war.

Dann rief der Detektiv ein kurzes, scharfes Los!

Im selben Moment ließ man das Seil fahren, und dieses sauste in mächtigem Schwung mit der daran hängenden Körperlast Nick Carters nach vorn und schwang nach dem niederhängenden Trapez zu. Sofort begriff das Publikum, was der Detektiv beabsichtigte, und die allgemeine Erregung wuchs aufs Äußerste.

Als das schwingende Seil noch reichlich zehn Fuß vom Trapez entfernt war, ließ Nick Carter das ihn tragende Tau in ähnlicher Weise los, wie es beim Beginn der Vorstellung die Luftkönigin getan hatte – sausend durchflog sein Körper die Luft, und in der nächsten Sekunde hatte er mit starker Hand die niederhängende Trapezstange erreicht und hielt sich an ihr fest, während das Tau zugleich unter seiner Last sich straffte, sodass die Arbeiter auf der Bühne sich derb ins Zeug legen mussten, um es festzuhalten.

Wieder ein kurzer Zuruf des Detektivs – und die Männer zogen ihn hoch, bis er unmittelbar neben seinen beiden die Ohnmächtige haltenden Gefährten angelangt war.

Das Übrige war ein Kinderspiel. Mit starkem Arm umschlang Nick Carter die zarte Gestalt der Bewusstlosen – wieder ein Zuruf, und er glitt mit seiner holden Last an dem sich senkenden Seil nieder und stand wenige Sekunden später auf dem sicheren Boden der Bühne.

Während das Haus in hellen Aufruhr geraten war und eine dröhnende Applaussalve die andere ablöste, glitten Chick und Patsy hurtig von ihren Seilen nieder, und der Detektiv eilte, immer noch das bewusstlose Mädchen in den Armen, hinter die Szene.

Wohl keiner der bisher im Folly Varieté-Theater aufgetretenen Künstler, auch die liebliche Königin der Lüfte inbegriffen, durfte sich rühmen, das Publikum zu derartigen Beifallsstürmen hingerissen zu haben, wie sie nun Nick Carter und seinen beiden wagemutigen Gehilfen bereitet wurden. Man schrie und johlte, klatschte und trampelte mit den Füßen und wollte um jeden Preis einen Hervorruf der drei Männer erzwingen.

Doch es war alles umsonst, denn weder Nick Carter noch seine beiden Gefährten ließen sich sehen, und endlich musste der Bühnenleiter hervortreten und achselzuckend erklären, dass das gefeierte Kleeblatt längst das Haus verlassen habe und aus diesem Grund dem ehrenden Hervorruf keine Folge leisten könne.

So verhielt es sich wirklich. Kaum hatte Nick Carter die immer noch Bewusstlose der sicheren Obhut ihrer freudestrahlenden Gehilfin übergeben, als er auch schon seinen beiden Gefährten zuwinkte und mit diesen das Theater durch den hinteren Bühnenausgang rasch und unbemerkt verließ.

Erst als sie das Theater weit hinter sich hatten, mäßigten sie ihren Schritt und schauten sich ernst an.

»Wer ist der Mann, welcher das Seil mit dem schweren Gewicht daran durchschnitt … und warum wollte er mit ruchloser Hand das liebliche Mädchen morden? Dies zu ergründen, soll unsere nächste Aufgabe sein.«

Seine beiden Genossen nickten zustimmend.

»Well«, sagte Nick Carter schließlich in seiner ruhigen Weise, »ich habe mir die Adresse der jungen Dame notiert … wir wollen ihr etwas Zeit zur Erholung von dem ausgestandenen Schrecken lassen und alsdann unser Werk sofort mit einer eingehenden Befragung der jungen Artistin beginnen – denn dass der elende Schuft entlarvt und zur Strecke gebracht werden muss, ist selbstverständlich … Er hat direkt unter unseren Augen einen Mord versucht, und er soll sich nicht rühmen dürfen, dass hier in New York ein Verbrechen, dessen Augenzeuge Nick Carter gewesen ist, ungestraft begangen werden kann. Bei meiner Ehre! Ich will nicht ruhen und rasten, bis ich den Halunken gefasst habe!«