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Gespensternovellen 8

Vilhelm Bergsøe
Gespensternovellen
Aus dem Dänischen übersetzt von Adolf Strothmann
Autorisierte Ausgabe, Verlag Otto Janke, Berlin 1873
Schimmelmanns Pferd
III.

Der nächste Tag war regnerisch und stürmisch. Erst gegen Abend konnte ich zu Niels Kei hinunter kommen, um nachzusehen, wie es ihm gehe, und ob der Braune sich in den Stall zurückgefunden habe. Ich schritt durch den kleinen Garten, wo die Georginen und Stockrosen im Regen zu frieren schienen, in den engen, durch ein Plankwerk abgeschlossenen Hof hinein. Dort lag Niels Keis stattlicher Korbwagen mit zerbrochenem Gestell und geknickter Deichsel. Der Braune stand wiehernd an der Krippe, als warte er auf sein Futter; aber er war weder gewaschen noch gestriegelt. Der Futtersack lag mitten im Hof, von Regen durchweicht, und die Tür zum Haus war wider Gewohnheit geschlossen. Ich drückte auf die Klinke und trat in das kleine gepflasterte Vorzimmer – dort war niemand.

Ich ging in die Wohnstube. Das Licht fiel matt und trübe durch die bleigefassten, sonnenfleckigen Scheiben. Die Kommodenschubladen waren herausgezogen, ihr Inhalt rund umher auf Stühlen und Bänken ausgebreitet. Auf dem rot gemalten Tisch lag eine Rolle Geld und ein Haufen alter, schmutziger Banknoten. Daneben gewahrte ich einen großen Bogen weißes Papier und eine Tintenbespritzte Feder sowie eine Pomadenkruke mit einem tintengefüllten Schwamm – lauter Anzeichen, dass Niels Kei mit Schreiben, einer ihm sonst ganz ungewohnten Arbeit, beschäftigt gewesen sei. Die Unordnung im Zimmer bewies auch, dass etwas Besonderes vorgehen müsse. Ich bückte mich über das Papier und las folgende Zeilen, die mit großen, ungeübten Zügen gekritzelt waren:

Für dem Pfalle, das ig Durch Todt umkommen sollte, Schenke ich der armenkase in Helebek zwei hundert Kinder, Die sollen vom Paster verteilt werden wenn …

Weiter war er nicht gekommen; das Wort Kinder war mehrmals durchgestrichen, und statt dessen war etwas hineingekritzelt, das vermutlich Reichstaler bedeuten sollte, aber zu einem großen Klecks geworden war.

Ob Mangel an Übung die Schuld davon trug oder ob der Klecks der Branntweinflasche zu verdanken war, die halb geleert auf dem Tisch stand, wage ich nicht zu entscheiden. Jedenfalls überfiel mich eine heimliche Angst, dass Niels Kei Selbstmord begangen habe oder begehen wolle. Es war mir daher keine geringe Erleichterung, als ich, nachdem ich den Schweinekoben und die übrigen Hintergebäude passiert hatte, ihn unten am Strand stehen sah, die Arme verschränkt, den Rücken mir zugekehrt und unverwandt aufs Meer hinausstarrend, als erwarte er ein fernher kommendes Schiff. Er drückte meine ihm dargebotene Hand, ohne mich zu fragen, wie es mir gehe oder auch nur Guten Abend zu sagen, und schritt dann gesenkten Hauptes und mit einem seltsam stampfen Gesichtsausdruck dem Hof zu. Ich folgte ihm, und so traten wir beide fast gleichzeitig in die Wohnstube.

»Ich wollte über die Deichsel und den zerbrochenen Wagenkorb mit Ihnen reden«, hob ich an.

»Danke, das ist nicht nötig«, versetzte er und tat einen Schluck aus der Flasche.

»Gewiss, Niels«, fuhr ich fort. »Ich war es ja, der verlangte, dass wir den Weg einschlagen sollten.«

»Freilich, aber ich war es, der darauf einging«, erwiderte er und schob die kleine Summe zurück, welche ich auf den Tisch gelegt hatte. »Behalte Er sein Geld, Herr Student! Er wird bessere Verwendung dafür haben als ich.«

»Sagen Sie mir, Niels«, fragte ich und ergriff, der Sache direkt auf den Leib gehend, das Dokument. »Sie denken doch nicht daran, zu sterben? Was haben Sie da geschrieben?«

»Es ist mein Testimonium«, sagte er und nahm es mir sanft aus der Hand.

»Testament«, verbesserte ich.

»Ja, wie man nun sagen mag«, antwortete er etwas verdrießlich. »Ich fing das Testimonium heute Morgen an, aber es wollte nicht recht gehen. So war ich denn drüben bei Ole Hansens Witwe. Sie sagte mir, das Papier müsse gestempelt sein, und ich müsste einen Prokurator dazu haben. Es ist jemand zu ihm geschickt.«

»Aber, Niels!«, rief ich wieder aus. »Wie können Sie an das dumme Gewäsch glauben? Wir sahen beide das Pferd oder was es sonst war, und wenn es etwas bedeutet, so kann ich ja eben so gut sterben, wie Sie.«

Er sah mich ein wenig unsicher an, dann schenkte er einen Schnaps ein und sagte: »Nein, Sie gehören nicht zum Kirchspiel, Student; es gilt nur den Kirchspielleuten von Hellebeck. Ehe zwei Tage um sind, bin ich nordwärts gefahren.«

Ich wollte mich wieder bemühen, ihn von der Torheit seines Aberglaubens zu überzeugen, als in der Tür eine kleine, dicke, wohlgenährte Person mit rotbäckigem, lächelndem Gesicht und mit einer großen Mappe unter dem Arm erschien. Es war der Prokurator.

»Nun, Sie wollen also beizeiten Ihr Haus bestellen, Niels Kei?«, rief er uns mit der jovialsten Stimme von der Welt entgegen. »Das mag ich leiden! Ein vernünftiger Mann denkt weiter, als von heute auf morgen, und um Lebens und Sterbens willen ist es gut, alles in Ordnung zu haben.«

Hier machte der Prokurator zwei jungen Menschen Platz, welche aussahen, als warteten sie nur darauf, einmal fetter zu werden. Er legte die Mappe auf den Tisch, nahm eine Priese und sagte mit einem Blick auf mich: »Lassen Sie uns denn beginnen!«

»Ja, lassen Sie uns das tun!«, versetzte Niels Kei mit klangloser Stimme. »Um Lebens und Sterbens willen!«

Fortsetzung folgt …

 

Eine Antwort auf Gespensternovellen 8

  • W. Brandt sagt:

    Zitat: Für dem Pfalle, das ig Durch Todt umkommen sollte, Schenke ich der armenkase in Helebek zwei hundert Kinder, Die sollen vom Paster verteilt werden wenn …

    Die Fehler in diesem Text sind nicht korrigiert worden und direkt aus dem Original übernommen.