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Hexengeschichten – Die Hexenkönigin – Kapitel 2 Teil 2

Ludwig Bechstein
Hexengeschichten
Halle, C. E. Pfeffer. 1854

Die Hexenkönigin
Kapitel 2 – Teil 2

Der Wochenmarkt zu Köln war sehr belebt, das günstige Wetter lockte Verkäufer und Käufer in Scharen herbei. In langen Reihen saßen die Marktweiber da mit sorglich gehaltenem frischen Gemüse, mit prachtvollem Obst, mit goldgelben Butterwecken, mit Türmen von niederländischem, schweizer- und ländlichen Handkäse, halb noch Quark und Matte, halb schon völlig gereift und ihren verachteten Duft nicht minder ausspendend, wie die Heringe den ihren, und Zwiebeln den ihren, mit welchen nützlichen See- und Landprodukte der Markt ebenfalls reichlich versehen war, und welche alle lebhaft begehrt waren. Das war ein Schwätzen und Markten und Feilschen durcheinander, zu Paris in der Fischhalle oder auf dem Markt des Innocents konnte es nicht lebhafter sein und nicht kauderwälscher im lieblichen Kölner Idiom zumal, und dazu das Schnattern und Gackern der zu Markt gebrachten Gänse und Enten, der Hühner und Hähne; der Tauben lebhaftes Gurren – dort lagen Hasen, die waren leider stumm, dort gab es Fische – auch keine Schreihälse – Hummer und Steinbutt, Aal und Lachs, tot und lebendig, frisch und geräuchert, alles hatte seinen Ort, und alles war besetzt und in Überzahl war jedes an solchem Ort zu Suchende vertreten. Nur Hühnereier nicht!

An Eiern war großer Mangel, nach ihnen große Nachfrage, denn wenn auch manche Bäuerin zur Sommerszeit sorglich ihre Vorräte zu besserer Verwertung für den Winter aufgespart hatte, so täuschten doch mannigfach die als erprobt angegebenen Mittel zuverlässiger Aufbewahrung, die Eier wurden faul und unbrauchbar und der übrig bleibende, gut gehaltene Rest kam den Besitzerinnen selbst hoch genug zu stehen.

Der Bauer Friedrich Strumpf von Kesselbrunn half seiner Frau nebst dem Eierkorb vom Wagen. Sie nahm ihren Platz ein in der Reihe der Bäuerinnen, die mit Butter und Eiern handelten. Ihr Mann fuhr samt dem Knaben in ein dem Markt nahe gelegenes Gasthaus, in welchem er, so oft er in die heilige Stadt hereinkam, seine Einkehr hatte. Dort war gewöhnlich lebhafter Verkehr, es wimmelte von Bauern und Händlern, Vieh- und Getreidekäufe wurden da abgeschlossen und manch gutes, oft bedeutendes Geschäft gemacht.

Bald war Frau Grethe Strumpf samt ihrem Eierkorb umdrängt von Köchinnen, Bürgerinnen, von allerlei Hauben und Kleiderstoffen, und angesprochen in allerlei Zungen.

Lurz hatte sich heute gewaltig verrechnet mit seinem Überschlag. Es fiel der Frau Grethe Strumpf, Eigentümerin von fünf Schock frischgelegten, nach ihrer Angabe aber bloß durch ein besonderes Mittel vom Herbst her frisch gehaltenen Eiern gar nicht ein, vier Stück um einen Batzen zu geben, sie forderte für ein Stück drei Kreuzer. Erst wurde sie ausgelacht, von einigen altkölnischen Bürgerweibern auch mit nicht schmeichelhaften Redensarten bedient, die sie stoisch anhörte, ohne mit gleicher Münze zu zahlen. Dabei blieb sie ruhig auf ihrem Platz, bis der überhaupt sehr geringe Eiervorrat, der zu Markt gebracht worden war, völlig zu Ende ging. Die Eier zu Ende, aber nicht deren Bedarf; es kamen die Käuferinnen, sie boten einen Batzen für vier Eier … nein! für drei Eier … nein … sie boten sechs Kreuzer für sieben Eier … nein! … Frau Strumpf beharrte bei ihrer unerhörten Forderung, sie forderte drei Kreuzer für ein einziges Ei. Neue Klagen, neue Scheltworte. So was sei unerhört, so was dürfe die Polizei nicht leiden, nicht dulden!

»Ei was, Polizei!«, rief Frau Strumpf schnippisch.

»Allen Respekt vor hoher Obrigkeit, aber die Ware ist mein. Ich zwinge niemand, sie mir abzukaufen. Ich fahre sie wieder heim – denkt ihr, die Hühner kosten im Winter kein Futter? Ich zahle meinen Marktschilling, mein Standgeld. Eier unterliegen keiner Markttaxe, die Nachfrage und der Vorrat bedingen allein ihren Preis!«

Frau Strumpf besaß so viel Mundwerk als irgendeine Händlerin auf Märkten und Dulden zu Köln, Nürnberg und München. Es war nicht gut mit ihr anzubinden und gegen sie anzukommen.

Binnen einer Stunde waren die dreihundert Eier verkauft, Stück für Stück drei Kreuzer, und bare fünfzehn Gulden klingelten in der Tasche der Eierbesitzerin. Sie hob nun ihren leichter gewordenen Korb auf, legte ihren mitgebrachten Wärmtopf und ihr Bänkchen hinein, hing sich den Korb mittelst der Tragebänder über die Schulter und verließ den Markt.

Hinter ihr her schallte manches Wort des Ärgers, des Neides, das Zischen des Hohnes, von Bekannten und Unbekannten – indessen – Frau Strumpf hatte ihr Geld.

Wo diese Eierhexe wohl her sei?, wurde gefragt.

Wer ihr wohl die Kunst gelehrt habe, Eier so lange und so zahlreich aufzubewahren, ein Kunststück, das so selten gelinge? Und andere Reden mehr fielen über die Hinweggegangene. Mit Absicht hatte Frau Strumpf ihren Standort nicht bei ihren Landsmänninnen gewählt, deren Neid nicht zu erregen, nicht unnützes Gerede im Dorf zu veranlassen, obwohl sie mit vielen befreundet war. Sie wusste, dass der Brotneid die Freundschaft überwiegt, und nicht bloß bei Bauerweibern und Eierhökerinnen.

Im Wirtshaus fand Frau Strumpf den Mann und den Knaben, und alle drei taten sich gütlich, denn es gab noch Gänge in die Stadt, auf denen der Sohn die Mutter begleitete. Es musste einiges eingekauft werden an Kochgeschirr und sonstigem Gerät, auch dem Sohn etwas gekauft, ein neuer Bartel, grünes Tuch mit Gold übersponnenem Knopf und mit Goldfäden besetzt, handbreit mit Fuchspelz verbrämt. Das stand dem Jungen einmal schön zu der neuen Jacke, die er Weihnachten bekommen hatte, und der kurzen wildledernen Hose, frisch mit Ocker aufgefärbt, den Fausthandschuhen von Martelpelz, den blauen Strümpfen mit roten Zwickeln und den derben Schuhen. Wahrlich, der Andres sah einem Eichelunter so ähnlich, als sei er frisch aus einem nagelneuen altfränkischen Spielkartenblatt geschnitten.

Daheim zu Kesselbrunn pflegten sich Knecht und Magd nach treulich besorgter Arbeit in der warmen Stube; im Freien gab es ohnehin wenig zu tun. Holz war genug gemacht, auch hatte Lurz, weil ihm so schaurig war und ihn fröstelte, zu solcher Arbeit keine Neigung. Das einfache Mittagsmahl war bald verzehrt, ebenso bald das wenige Geschirr gespült, dann setzte sich Barlies in die Stube, dem wohltätig geheizten Ofen ganz nahe, und spann. Dem Lurz waren allerlei Gedanken gekommen. Hauptsächlich wurde er den an die Eier nicht los, an den Gewinn – den Erlös, von so vielen Stücken.

Wenn so ein armes Knechtlein wie ich nur ein Schock hätte, dachte Lurz, ei, das gäbe doch ein Geld zu einem Trünklein oder zu einem Pfund Tabak.

Barlies hatte sich einmal recht vollgegessen, nickte infolgedessen und der Ofenwärme am Spinnrad ein. Das Fädchen riss ihr, Lurz nahm ihr keineswegs den Spinnrocken, damit sie ihn mit einem Kuss einlöse, wie das junge Volk in den Spinnstuben zu tun pflegt, denn die Barlies war keine von den Jüngsten, und der fromme Knecht war viel zu fromm, um sinnlich sündliche Gedanken zu hegen beim Alleinsein mit der Dirne. Es war dem Gesinde des Strumpfenhofes nachzurühmen, dass es sich in ehrbarer Zucht hielt.

Es war so still in der Stube – die Magd nickte, die Schwarzwälder Uhr tickte, die Katze saß schnurrend auf der Ofenbank und schlief ebenfalls. Der Himmel hatte sich wieder umdüstert; es wurde kälter, als es am Morgen gewesen war, und schneite leise. Auf der Flur draußen, so viel man über die Hofreite hinweg von derselben sehen konnte, war es winterlich still – menschenleer. Die Hühner saßen leise gackernd, wie sie bei schlechtem Wetter tun, ruhig auf dem wärmenden Mist. Die schwarze Glucke war nicht unter ihnen. Es führte auch kein belebter Weg am Hof vorüber, der Hauptweg in die Stadt ging durchs Dorf und von der entgegengesetzten Seite des Strumpfenhofes dorthin.

Ob ich es tue? Ob es keine Sünde?, fragte sich Lurz, erhob sich vom Stuhl, auf dem er sinnend gesessen hatte und schlich sich leise zur Stube hinaus.

Leise klappte er die Tür zu, leise wieder auf, steckte noch einmal den Kopf hinein – Barlies schlief fest. Noch einmal leise zu.

Lurz verriegelte die Haustür, ging in die Küche, schlug Zunder an, nahm den Schwefelfaden, entzündete seine Laterne. Dann nahm er ein kleines Säckchen, füllte das aus dem im Hausflur stehenden Häckselkasten mit Spreu und ging in den Keller hinab.

Erst auf der Treppe fiel ihm ein, dass all sein Tun vergebens sein werde, denn ohne Zweifel werde Frau Strumpf nicht vergessen haben, den Keller zu verschließen und den Schlüssel mitzunehmen oder einzuschließen.

Halt!, dachte und sagte zu sich selbst Lurz und hemmte seinen Schritt: Ist es ein Unrecht, soll ich es nicht tun, so wird Gott gesorgt haben, dass er mich nicht in Versuchung führe, denn deshalb beten wir ja: Führe uns nicht in Versuchung. So wird der Keller verschlossen sein, und dann mag’s bewenden. Heimlich öffnen, das tue ich nicht, das wäre schlecht. Ist es aber keine Sünde, ist es nichts Schlimmes, so wird der Keller unverschlossen sein, dann tue ich es.

Der Keller war nicht verschlossen.

Lurz stieg hinab, trat ein, nicht ohne Schauder, nicht ohne Grauen – es zitterten seine Kniee– bei jedem Schritt, den er vorwärts tat.

Dort stand der umgestülpte alte Korb. Auf dem Korb lag die Spießgerte.

Lurz stellte seine Laterne an denselben Ort, an dem gestern die Lampe der Bäuerin gestanden hatte. Er zitterte, er zagte – und dennoch wagte er es.

Lurz stülpte den Korb um.

Da saß die schwarze Glucke, still, regungslos, als ob sie brüte. Aber sie hatte grüne Augen, die leuchteten wie Johanniswürmchen.

Lurz fasste die Gerte – er wagte dasselbe zu tun, was er gestern Frau Strumpf hatte tun sehen. Er stupfte sanft den Rücken der schwarzen Henne mit der Spießrute.

Da erhob sie sich, da schwoll sie, blähte sich und hob sich statt auf zwei Beinen auf vieren, und war kein Huhn mehr, sondern eine ganz schreckliche Kröte, scheußlich anzusehen, und ließ ein Ei fallen.

Lurz fasste Mut. Er hob das Ei – eiskalt war es – geschwind in das Säckchen. Ein zweiter sanfter Hieb, ein zweites Ei.

Lurz bewies in der Tat mehr Muth und Ausdauer, als mancher andere Mann an seiner Stelle vielleicht bewiesen hätte. Er trieb es fort das unheimliche, frevle Spiel – er trieb es bis zu einem Schock, bis zu sechzig Eiern – weiter mochte er es nicht treiben, denn eine unsägliche Angst kam ihn an, mehr und mehr, je mehr der Eier wurden. Als die Schockzahl vollendet war, stülpte er geschwind den Korb über das grausige Huhn, den sauberen Vogel, legte die Gerte darauf und entfernte sich behänden Schrittes mitsamt den Eiern aus dem Keller.

Oben war noch alles still.

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