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Neue Gespenster – 20. Erzählung

Samuel Christoph Wagener
Neue Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit
Erster Teil

Zwanzigste Erzählung

Eine Fegefeuerseele wird mit einem Hammer geläutert

In einem katholischen Dorf im S…schen starb ein junger Ehemann. Die Witwe desselben hatte keine Kinder und war mit ihrer Magd die einzige Bewohnerin des Hauses. Das Bett der Ersten stand in einer Stube des Erdgeschosses, die Magd aber schlief oben im Haus.

Was bisher in katholischen Ländern bei dem Absterben werter Verwandten jederzeit beobachtet zu werden pflegt, die Besorgung der Seelenmessen, das war hier von der Witwe unterlassen worden; ob aus Geiz oder aus Überzeugung von der Entbehrlichkeit dieses Gebrauchs, das ist nicht bekannt. Folgender Vorfall aber, der sich einige Tage nach dem Begräbnis ereignete, schien mit der Vernachlässigung dieser Zeremonie in Verbindung zu stehen.

Die junge Witwe lag um Mitternacht noch wach oder vielmehr leise schlummernd in ihrem Bett. Da sie, eine Bauersfrau, kein Nachtlicht brauchte, so war es finster in ihrer Stube: nur durch die Ritzen der Fensterladen warf der Mond einige Lichtstrahlen in das Schlafgemach, sodass man immer noch eine menschliche Gestalt unterscheiden konnte. Mit einmal wurde die Frau durch ein Geräusch aus ihrem leichten Schlummer aufgeschreckt und erblickte eine weiße, unförmliche Gestalt, so, wie der Katholizismus gewöhnlich die Seelen der Verstorbenen abmalt, wenn sie in schiefer Richtung die Reise gen Himmel antreten.

Kaum saht die erschrockene Frau das Gespenst, so hörte sie auch zugleich in einem dumpfen, schauerlichen Ton die Worte: »Seelenmesse! Seelenmesse!«

Die Gestalt näherte sich dem Bett und vergrößerte sich bei der Annäherung immer mehr und mehr. Der armen Frau brach der Angstschweiß aus. Sie glaubte nichts gewisser, als in dem Gespenst den Geist ihres verstorbenen Mannes zu erblicken, der wegen der Seelenmessen, welche sie für ihn hatte halten lassen wollen, nun im Fegefeuer jämmerlich braten müsse und ihr deshalb Vorwürfe mache. Immer näher schwebte das Gespenst auf das Bett zu, immer erschütternder wiederholte es jene bedeutenden Wort mit ängstlich wimmernder Stimme. Die hart geängstigte Frau wagte es nur jezuweilen, einen Blick unter der Bettdecke hervorzutun. Endlich sah sie die furchtbare Gestalt unter fürchterlichem Ächzen langsam zurückweichen, bei ihrem Abzug immer kleiner werden und zuletzt unvermerkt durch die Tür verschwinden.

Die Erschrockene harrte unter manchem Stoßseufzer auf den Anbruch des Tages. Kaum fielen die ersten Sonnenstrahlen in ihre Stube, so stand sie auf und untersuchte Türen und Schlösser. Zu ihrer nicht geringen Verwunderung fand sie alles gut verschlossen und verriegelt. Dieser Umstand überzeugte sie vollkommen, dass das, was sie gesehen hatte, niemand anders gewesen sein könne als die Seele ihres verstorbenen Mannes, die eher keine Ruhe finden könne, bis die gewöhnliche Seelenmesse für sie werde gehalten worden sein. Ohne daher erst an ihr Frühstück zu denken, zog sie ihre Sonntagskleider an, des festen Entschlusses, zum Pfarrer des Orts zu gehen, um bei demselben doppelte Seelenmesse zu besorgen und durch erhöhte Bezahlung das Versehen wiedergutzumachen. Indessen sprach sie auf dem Weg zur Pfarre bei ihrem im Dorf wohnenden Bruder, einem Böttcher, vor und erzählte ihm erst das fürchterliche Nachtereignis.

Als sie die Erzählung in ihrer ganzen Länge beendet und sich dabei unzählig oft bekreuzigt hatte, sagte der Bruder: »Du sollst heute noch nicht zum Pfarrer gehen. Erst will ich diese Nacht in deinem Haus schlafen, um zu sehen, ob das Gespenst wiederkommt. Ich muss es selbst sprechen.«

»Bei allen Heiligen!«, so fiel sie ihm in die Rede, »tue das nicht, lieber Bruder. Es dreht dir den Hals um!»

»Oder ich dem Gespenst!«, antwortete er in einem bedeutenden Ton.

Obwohl die Frau noch manche Bedenklichkeit äußerte, so musste sie doch endlich dem Bruder versprechen, ihren frommen Besuch bei dem Beichtvater noch zu verschieben.

Als es Nacht geworden war, schlich sich der Böttcher, ohne von jemand bemerkt zu werden, mit seinem hölzernen Hammer bewaffnet, ins Haus seiner Schwester und versteckte sich unter das Bette derselben. Sie selbst legte sich in dasselbe hinein.

Kaum hatte die Geisterstunde geschlagen, so erschien von Neuem der Geist und wimmerte sein fürchterliches »Seelenmesse! Seelenmesse!«

»Warte! Ich will dich zur Ruhe bringen!«, rief der brave Böttcher, indem er aus seinem Hinterhalt hervorgeeilt war und in dem nämlichen Augenblick auf das riesenhohe Gespenst mit seinem Hammer wacker zuschlug. Kaum waren einige derbe Schläge geschehen, so fielen unter grässlichem Geprassel ganze Stücke von dem Riesengeist zu Boden. Bald darauf, da die Schläge zu häufig kamen und zu nachdrücklich wiederholt wurden, ertönte eine fürchterliche Bassstimme mit den Worten: »O Iesus Maria Joseph! Ich bin es, der Pfarrer!«

»Du wärst unser Herr Pfarrer? Ein Gespenst bist du!«, antwortete der handfeste Geisterbanner und ließ sich für jetzt noch nicht irre machen im Gebrauch seines höchst kräftigen Verbannungsmittels, bis er endlich befürchten musste, der feiste Geist möchte wirklich seinen Geist aufgeben. Nun hielt er es daher für ratsamer, ihn auf eine nicht sehr sanfte Weise vor die Haustür hin zu befördern, wo er ihn seinem Schicksal überließ.

Es würde etwas Überflüssiges sein, hier noch besonders sagen zu wollen, wer der Geist gewesen sei. Er selbst hat es den Lesern gesagt. Nur das müssen wir noch bemerken, dass derselbe die Magd des Hauses gewonnen und überredet hatte, ihm in der Mitternachtsstunde unbemerkt die Hintertür des Hauses zu öffnen und ihn hereinzulassen. Um die Gestalt eines schreckenden Geistes zu erhalten, bediente er sich eines runden Schachteldeckels, den er mithilfe eines darin befestigten Stockes über dem Kopf hielt. Von allen Seiten herab hing ein großes, weißes Betttuch, sodass es seinen ganzen Körper bedeckte. Die Erhöhung seiner Gestalt bewirkte er durch den erwähnten Stock, womit er den mit dem Tuch behangenen Schachteldeckel über seinem Kopf beinahe bis an die Stubendecke erheben konnte. Das Herabstürzen dieses Deckels verursachte auch das laut tönende Geprassel, als der Böttcher seinen hölzernen Hammer so wacker handhabte.

Hätte die Frau diesen Vorfall nicht ihrem vernünftigen und beherzten Bruder erzählt, sondern wäre wirklich zum Pfarrer gegangen, so würde niemand sie davon überzeugt haben, dass sie nicht den Geist ihres verstorbenen Mannes, sondern nur eine Truggestalt gesehen habe; denn der Gaukler würde, nachdem er seinen schmutzigen Zweck erreicht hätte, sich gewiss nicht wieder der Gefahr ausgesetzt haben, zufällig als ein Betrüger entdeckt zu werden.

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