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Nick Carter – Inez Navarro, der weibliche Dämon – Kapitel 6

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Inez Navarro, der weibliche Dämon
Ein Detektivroman

Nick Carter als Einbrecher

Zwei Punkte waren es besonders, welche in Patsys Bericht Nick Carter zum Nachdenken veranlassten.

Einmal der Umstand, dass Inez Navarro den so klugen wie energischen jungen Mann überhaupt zu überlisten vermocht hatte.

Zum anderen aber, dass sie ihn, Nick Carter selbst, erkennen konnte. Gewiss, sie mochte hierbei nur auf den Busch geschlagen haben – doch nein! Das war unmöglich. Sie konnte nicht wissen, dass er in der Stadt war. Sie konnte ebenso wenig wissen, dass er die Verfolgung von Morris Carruthers neuerdings wieder aufgenommen hatte. Sie hatte ihn erkannt oder der Scharfblick seines Todfeindes hatte dies getan. Wenn ein Mensch imstande war, den Detektiv in jeglicher Verkleidung zu wittern, wie der Jagdhund die Fährte seines Opfers wittert, so war dies einzig Morris Carruthers.

Das Mädchen hatte nur auf einige Sekunden das Zimmer verlassen, um die beiden Briefe zu holen. Als sie zurückkam, war ihr Benehmen verändert. Sie hatte dann Anspielungen gemacht, die sich auf den Detektivberuf ihres Besuchers bezogen … sie war direkt ausfallend geworden. Kein Zweifel, in der Zeit ihrer Abwesenheit aus dem Zimmer waren ihr die Augen über die Natur und den Charakter ihres Besuchers geöffnet worden … und kein anderer konnte dies getan haben als Morris Carruthers. Folglich musste dieser im Haus verborgen sein!

Hatte Nick Carter bis dahin an der Richtigkeit seiner Vermutung zumindest nicht gezweifelt, so war er nun von ihr durchdrungen. Er hätte darauf geschworen, dass Morris Carruthers sich wirklich in dem Haus befand.

»Well, Patsy«, meinte er begütigend, »du brauchst dir deinen Reinfall nicht so sehr zu Herzen zu nehmen, denn ich gestehe offen, mir ging es nicht viel besser. Sage mir lieber, bemerktest du Ten Itchi nahebei, als sie dir plötzlich die Hand auf die Schulter legte?«

»Nein, ich nahm nichts anderes wahr, als dass ich ein Esel gewesen sei.«

»Möchtest du nicht ihre Fährte wieder aufnehmen?«

»Ob ich möchte!«, fuhr Patsy auf. »Doch Sie werden mir nicht mehr vertrauen können, Meister!«

»Das wollen wir dahingestellt sein lassen, Patsy«, sagte der Detektiv. »Im Gegenteil, ich wünsche, es möge dir gelingen, die Scharte von vorhin wieder auszuwetzen. Ich habe auch Ten Itchi auf ihre Spur geschickt … und es müsste doch merkwürdig zugehen, könnte nicht einer von euch ihr auf den Fersen bleiben, verlässt sie das Haus wieder.«

Als Patsy gegangen war, versank der Detektiv von Neuem in tiefes Nachdenken.

Sein getreuer Gehilfe tat ihm leid. Er kannte dessen Eigenschaften und wusste, dass seiner Wachsamkeit niemand zu entgehen vermochte. Dass Inez Navarro ihn dennoch getäuscht und zum Narren gehabt hatte, beruhte nicht auf einer Nachlässigkeit oder gar Begriffsstutzigkeit des jungen Mannes, sondern war ein ganz anderer Faktor, mit dem gerechnet werden musste. Nick Carter wusste selbst nicht anzugeben, welche Tatsachen mit hineingespielt hatten, um Patsy irrezuführen. Der Detektiv kannte das Damenzimmer im Zentralbahnhof an der 42th Street genau und wusste, dass dort nur eine Ausgangstür angebracht war.

Ganz undenkbar war es, dass Patsy den Wiederaustritt der von ihm Beobachteten nicht wahrgenommen haben sollte. Nick hätte darauf geschworen, dass die Verfolgte sich während der zwei Stunden in diesem Damenzimmer aufgehalten hatte. Doch nein! Das war unmöglich … Wie hätte sie da von rückwärts an den harrenden Patsy herantreten – und mehr noch, wie hätte sie den Besuch des angeblichen Mr. Josuah Juniper empfangen können!

»Well, wüsste ich nicht, was ich an Patsy habe und wie dieser sich nicht täuschen lässt, so würde ich annehmen, das raffinierte Weib habe sich eine Doppelgängerin zugelegt, diese mit demselben Kostüm ausstaffiert und dadurch Patsy zum Verlassen seines Beobachtungspostens vor dem Hause verleitet … Doch Patsy lässt sich nicht irre führen … freilich, Morris Carruthers versteht sich auch aufs Verkleiden. Er mag die Doppelgängerin derartig ausgestattet haben, dass sie ihrem Original täuschend ähnlich sah – doch nein, nein!«, schloss er kopfschüttelnd. »All dies genügt nicht, um Patsy hinters Licht zu führen.«

Eben trat die Haushälterin ein und verständigte ihren Herrn davon, dass das Nachtmahl im Esszimmer aufgetragen war.

»Well, das ist eine angenehme Botschaft!«, erklärte Nick Carter, sich lächelnd erhebend. »Ich verspüre ohnehin einen mächtigen Hunger … also avanti.«

Er aß an diesem Abend allein, da seine drei Gehilfen auswärts beschäftigt waren. Doch er vermisste sie kaum, so angestrengt dachte er nach, denn er war fest entschlossen, das Geheimnis des Hauses an der 75th Street zu lösen – und musste er sein eigenes Leben daran setzen.

Gemütlich aus einer kurzen Pfeife rauchend, saß er Detektiv später in seinem behaglichen Arbeitszimmer, als das Telefon auf dem Schreibtisch anklingelte. Es war Chick Carter, der sich mit seinem Vetter hatte verbinden lassen.

»Alles ist ruhig hier«, lautete die Botschaft. »Silas begab sich sofort zum Bahnhof, kaum dass er freigelassen worden war. Er hat übergenug von New York und sich geschworen, niemals wieder einen Schritt in die Metropole zu tun.«

»So ist er wirklich auf Long Island ansässig? Und wo befindest du dich gerade, Chick?«, fragte der Detektiv.

»Ich bin in Southold. Er lebt etwa fünf Meilen vom Platz hier entfernt und besitzt eine Farm an der Nordküste, direkt am Sund. Sein Haus ist eine der alten Heimstätten aus den Kolonialzeiten und liegt auf einem Hügel, von welchem man eine wundervolle Aussicht über den Meeresarm und die Fluren und Wälder von Long Island hat.«

»All right. Bleibe ruhig, wo du bist und halte die Augen offen … auch zum Meer zu. Vielleicht bekommt Silas Besuch … wer kann das wissen? Vielleicht bin ich morgen oder übermorgen auch dort … jetzt kann ich noch nichts bestimmen … aber halte deine Augen offen, Chick, es hängt viel davon ab.«

Wieder versenkte sich der Detektiv, nachdem er das Hörrohr eingehängt hatte, in den Genuss seiner geliebten kurzen Pfeife. Doch kaum eine Viertelstunde später schreckte ihn die Ankunft Ten Itchis aus seiner Beschaulichkeit auf.

»Patsy ist auf Posten«, begann der Ankömmling. »Ich dachte darum, es wäre am besten, ich käme rasch hierher und erstatte Ihnen Bericht, Meister.«

»All right«, versetzte Nick. »Ich denke, das Anhören wird sich lohnen?«

»Das glaube ich kaum«, bemerkte Ten Itchi. »Sie werden wohl alles schon wissen, Meister.«

»Du meinst den Ausflug zur Zentralstation?« Und als Ten Itchi nickte, meinte der Detektiv leichthin: »Well, gib mir immerhin deine Auffassung von der Geschichte.«

»Also, Miss Navarro kam, kurz nachdem Sie dieselbe verlassen hatte, zum Vorschein – binnen einer Stunde.«

»Wahrscheinlich, um auch dich am Narrenseil zu führen?«

»No, Sir«, widersprach Ten Itchi unter entschiedenem Kopfschütteln. »Sie konnte mich nicht beobachten, denn ich nahm streng Obacht darauf, mich keinem der Fenster auf Sehweite zu nähern.«

»Ausgezeichnet. Doch fahre fort.«

»Sie ging also zur Grand Central Station und trat, ohne mich aufzuhalten, auf den in der großen Vorhalle lauernden Patsy und berührte dessen Arm. Sie plauderten einige Minuten miteinander. Dann trennten sie sich, und Patsy ging ziemlich geknickt seiner Wege … Er wird vermutlich hierher gegangen sein und Bericht erstattet haben?«

Nick Carter bejahte.

»Well, das Frauenzimmer schaute ihm lächelnd nach – und dann ging sie in eben dasselbe Zimmer, dessen Türschwelle Patsy volle zwei Stunden bewacht hatte. Vielleicht zehn Minuten hielt sie sich drinnen auf, dann kam sie wieder zum Vorschein und begab sich direkt nach Hause – und seitdem ist sie nicht wieder ausgegangen.«

Nick Carter erhob sich und trat an seinen Vertrauten heran, ihn aufmerksam betrachtend. »Es bleibt zu entscheiden, Ten Itchi, ob du dieselbe Frau von der Station nach Hause begleitet hast, welche du von der 75th Street zur Grand Central Station verfolgtest«, versetzte er mit leiser, eindringlicher Stimme. »Bist du hierin deiner Sache ganz sicher?«

Ten Itchi schaute ihn verblüfft an. »Sie meinen, eine Doppelgängerin – well, nein, das glaube ich nicht!«, setzte er unter entschiedenem Kopfschütteln hinzu. »Niemals. Ich bin meiner Sache sicher. Es war dieselbe Person.«

»Well, es mag sein. Ich stellte die Frage auch nur, damit du das nächste Mal deine Augen doppelt scharf anstrengen und dich genau davon überzeugen mögest, dieselbe Person vor dir zu haben.

Ich weiß nämlich, dass eine Doppelgängerin existieren muss, und ich hoffe auch, bald Näheres auskundschaften zu können. Doch das ist Zukunftsmusik und noch nicht spruchreif. Nun magst du zu Bett gehen, Ten Itchi – wann sollst du Patsy wieder ablösen?«

»Bei Tagesanbruch, Meister.«

»All right, gute Nacht!«

Nick Carter blieb allein in seinem Arbeitszimmer rauchend und nachdenkend zurück, bis die Glocke der auf dem Kaminsims tickenden Standuhr Mitternacht verkündete. Da erhob er sich, um die Aufgabe zu lösen, welche er sich für diese Nacht gestellt hatte.

Diesmal gebrauchte Nick Carter keinerlei Verkleidung. Er zog nur die denkbar schäbigsten und ältesten Kleider an, die er im Besitz hatte. Kein Wunder, dass er durchaus nicht gentlemanlike dreinschaute, als er sich nun eiligen Schrittes zu Fuß zu der unweit vor seinem eigenen Heim gelegenen 75th Street begab.

Als Nick Carter in der Nähe des Hauses, in welchem Inez Navarro lebte, gelangt war, schlugen die Turmuhren nahebei gerade ein Uhr. Vorsichtig sah sich Nick Carter nach Patsy um. Obwohl er eine volle Viertelstunde auf die Suche verwandte, vermochte er ihn nicht zu entdecken.

»Hm, sollte diese geheimnisvolle Inez nächtlicher Weile das Haus verlassen und Patsy sich wiederum an ihre Verfolgung gemacht haben?«, murmelte der Detektiv vor sich hin. »Wie dem nun auch sei. Ich werde jedenfalls gut tun, mich möglichst vorzusehen … Steckt Morris Carruthers wirklich verborgen im Haus, so setzt es ohnehin einen Kampf auf Leben und Tod, denn er kennt das ihn erwartende Schicksal zu genau, als dass er nicht alles anstrengen würde, um sich loszueisen … Hm, es mag sein, dass es so ziemlich die gefährlichste Arbeit meines Lebens ist, welche ich nun zu unternehmen gedenke!«

Mit außergewöhnlicher Vorsicht näherte er sich dem Haus. Zum Glück war die Straße nur dürftig beleuchtet. Zudem befand sich das Navarrosche Haus gerade zwischen zwei räumlich weit voneinander entfernt gelegenen Laternen und war somit das am wenigsten beleuchtete des ganzen Häuservierecks.

»Es sieht beinahe so aus, als hätte die Bande das Haus gerade darum ausgewählt, um möglichst ungesehen ein- und ausgehen zu können!«, murmelte der Detektiv vor sich hin.

Vorsichtig glitt der Detektiv von einer Freitreppe zur anderen. Immer wieder setzte er sich auf deren untere Stufen, bis er sich nach allen Richtungen prüfend umgeschaut und erkannt hatte, dass die Luft rein und er unbeobachtet war.

Auf diese Weise war es nahezu zwei Uhr morgens geworden, als er endlich die Treppenstufen zu dem im Finsteren liegenden Hause emporhuschte und gleich darauf im Schatten der äußeren Haustür stand.

»Hoffentlich haben sie drinnen nicht die Sicherheitskette vorgelegt!«, murmelte Nick Carter. »Well«, entschied er, »ist die Kette vorgelegt, muss ich sie eben durchschneiden, das hilft nun nichts … Nur würde mir lieber sein, ich könnte das Haus wieder verlassen, ohne irgendwelche auf meine Anwesenheit deutenden Spuren zurücklassen zu müssen.«

Damit hatte er auch schon seinen Dietrich aus der Tasche genommen und beschäftigte sich nun eifrig mit dem oberen Schlüsselloch. Das war nur ein sogenanntes Schnappschloss und ließ sich leicht öffnen. Im unteren Schlüsselloch steckte dagegen von innen der Schlüssel, und der musste umgedreht und ausgestoßen werden, um das Tor öffnen zu können. Doch das bot der geschickten Hand Nicks nur geringe Schwierigkeiten. Es gelang ihm fast augenblicklich, mit den lanzettenartigen Enden seines Instrumentes den Schlüsselbart zu packen und ihn vorsichtig umzudrehen. Bald war dies geschehen und aufgeschlossen. Doch als Nick nun wieder das obere Schnappschloss öffnen wollte, da gab die Tür seinem Druck nur ein wenig nach – ein sicheres Anzeichen dafür, dass das von ihm Befürchtete zutraf und die Tür auch noch durch eine Sicherheitskette verwahrt war.

Gelassen nahm Nick eine lange, schmale Stahlschere hervor. Es währte nur wenige Sekunden, dann hatte er die Kette durchgezwickt und damit den Eintritt erzwungen.

Doch schon wurden seine Schritte gehemmt durch eine Glastür, welche Nick zu öffnen hatte; nur mit dem Unterschied, dass es sich in dem wohlig durchheizten Flur leichter arbeiten ließ als draußen unter dem Einfluss der bitteren Januarkälte, welche dem eben aus dem Süden Zurückgekehrten doppelt empfindlich sich bemerkbar machte.

Wenige Minuten später stand Nick Carter innen im Hausflur, nachdem er die beiden Haustüren wieder sorglich hinter sich verschlossen hatte. Eine niedrig gedrehte Gasflamme brannte innerhalb einer roten Glasglocke im hinteren Teil des Korridors, wo die Treppe zum Oberstock begann. Der Detektiv schlich sich augenblicklich zu dem Licht und verlöschte es.

Da Nick Carter erst wenige Stunden zuvor sich in demselben Korridor aufgehalten und natürlich dessen Einrichtungsgegenstände sich getreulich gemerkt hatte, so war es ihm ein leichtes, sich nunmehr auch in völliger Finsternis ungehindert bewegen zu können, ohne anzustoßen und Geräusche zu verursachen.

Um drei Uhr morgens pflegen die meisten Menschen in tiefem Schlaf zu liegen. Es ist darum auch die Lieblingsstunde aller nächtlichen Einbrecher, weil sie da am wenigsten Überraschung zu befürchten haben.

Als Nick Carter das Korridorlicht gelöscht hatte, näherte er sich der in das Bibliothekszimmer führenden Tür und blieb wieder mit verhaltenem Atem lauschend stehen. Doch da er keinerlei Geräusch hörte, so schlüpfte er unter der Türgardine hinweg in den Parlor (Salon). Dort lauschte er wieder, ohne irgendein verdächtiges Geräusch hören zu können.

Nun ging er auf den Korridor zurück und stand gerade im Begriff, die zum Oberstock führenden Treppenstufen hinauf zu huschen, als er außerhalb der Haustür schlürfende Schritte hörte, die offenbar die Freitreppe emporkamen – und im nächsten Moment setzte die elektrische Türglocke mit gewaltigem Lärm ein und erweckte die Schläfer im Haus.

Irgendjemand wünschte eingelassen zu werden. Dem Detektiv war es nicht anders, als fühlte er sich mit eiskaltem Wasser übergossen, denn blitzschnell schoss ihm der lähmende Gedanke durch den Kopf, dass diejenige Person, welche das Haustor öffnen ging, sofort erkennen musste, dass die Sicherheitsketten an beiden Türen durchgeschnitten waren und sich also ein unbefugter Eindringling im Haus aufhalten musste.

In diesem Augenblick hörte der Detektiv, wie im Oberstock eine Tür geöffnet wurde.

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