Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Nick Carter – Carruthers, der Verbrecherkönig – Kapitel 3

Nick Carter
Carruthers, der Verbrecherkönig
oder: Lebendig begraben
Kapitel 3

Eine eigenartige Unterhaltung

»Wirklich, Ihr gleicht Euch wie zwei Tropfen Wasser!«, bemerkte Nick Carter, indem er sich ohne Weiteres in einen Armsessel setzte und seine prüfenden Blicke unverwandt auf dem anderen ruhen ließ.

»Wem gleiche ich so auffallend?«

»Ihrem Bruder Livingstone. Er mag jetzt ungleich wärmer sitzen als wir!«

Eine Sekunde lang leuchtete es gefahrdrohend in den Augen Carruthers auf, und er sagte: »Sie haben diese höchst geistvolle Bemerkung bereits einmal gemacht!«

»Deswegen bleibt sie doch wahr«, meinte Nick Carter lächelnd. »Schon rein äußerlich, welch eine auffallende Übereinstimmung, beide athletisch, beide männlich schön, beide Wagehälse, beide gleich unverschämt.«

»Das sollen Sie sofort an sich zu erproben haben, sobald die Posse ihr Ende erreicht haben wird!«, flammte Carruthers jäh auf.

Nick Carter ließ sich jedoch nicht stören.

»Beide wie auf den Mann dressierte Bestien, immer zum Zuschnappen bereit, beide voll Witz und Schlagfertigkeit – und beide auch die größten Schurken, von denen leider einer noch nicht aufgehängt herumläuft!«

»Sie sind von einer bezaubernden Offenherzigkeit, mein lieber Carter. Ich fürchte nur, ich unterscheide mich von meinem armen Bruder in einem wesentlichen Punkt. Livingston war nicht schnell genug für Sie und musste darum daran glauben, während es mir ein Vergnügen machen wird, Sie zu demselben heißen Ort zu befördern, wo nach Ihrer Ansicht jetzt mein Bruder sich aufhält.«

Nick Carter lachte belustigt auf. »Nun, das werden wir der Zukunft überlassen!«, versetzte er leichthin. »Ihr Bruder starb an seiner Selbstüberschätzung. Verfallen Sie nicht in den gleichen Fehler, mein Bester, denn bei Anerkennung all Ihrer Vorzüge sind Sie mir doch nicht gewachsen!«

»Nick Carter, Sie haben recht, die Zukunft wird es lehren«, versetzte er dann wegwerfend. »Ich habe so eine Ahnung, als ob einer von uns beiden am anderen zugrunde gehen wird. Doch es gibt Punkte, über welche zu sprechen mir meine Höflichkeit als Hausherr verbietet … immerhin möchte ich erwähnen, dass ich niemals das Ende meines Bruders vergessen und bis zu einem letzten Atemzug versuchen werde, dieses an seinem Mörder zu rächen. Verstanden?«

Der Detektiv gähnte gelangweilt. »Mein lieber Carruthers, tun Sie mir den einzigen Gefallen und werden Sie nicht dramatisch. Sie sind ein humoristischer Halunke, und Pathos steht Ihnen nicht. Im Übrigen tun Sie Ihren Gefühlen keinen Zwang an. Wünschen Sie mit mir abzurechnen, so sind wir eben so hübsch ungestört allein, dass Sie so bald keine bessere Gelegenheit finden werden.«

»Gott, wie erhaben!«, rief Carruthers und schüttelte sich unter einem wilden Lachen. »Doch, sie haben recht … wer dürfte es unternehmen, den unvergleichlich großen Detektiv Nick Carter zu bedrohen. Wer wäre auch nur würdig, diesem großen und einzigen Mann das Wasser zu reichen, geschweige seinem löwentapferen Herzen Furcht einzuflößen.«

»Nun, an Bescheidenheit werden Sie sicher nicht zugrunde gehen, Carruthers.«

Dieser lachte. »Da haben Sie recht … und darum halten Sie es meiner Unbescheidenheit zugute, wenn ich mich nach dem eigentlichen Grund Ihrer Anwesenheit in diesem Haus in aller Demut zu erkundigen wage!«

»Nun, ich kam hierher, um das Haus zu durchsuchen!«, versetzte Nick Carter kurz.

Carruthers lachte wieder. »Großartig. Sie haben eine eiserne Stirn, Carter … und mit welchem Recht erlauben Sie sich das, und was gedachten Sie zu entdecken?«

»Alles das, was Sie vor der Behörde zu verheimlichen wünschen, Carruthers.«

»Also, was hier im Haus sich an Wertsachen befindet … nach echter Einbrecherart also?«

»Wenn Sie es so zu bezeichnen wünschen – ja!«, lautete die gelassene Antwort.

»Sagen Sie mir lieber, was Sie zu finden wünschen. Ich werde mir dann Mühe geben, Ihnen suchen zu helfen.« Der Riese lachte von Neuem. »Was wünschen Euer Hochwohlgeboren hier im Haus zu entdecken – vielleicht die Goldminen von Golkonda?«

»Nein. Ich wünsche die Fährte Ihres Freundes Meadows ausfindig zu machen.«

»Wie grausam! Soll der arme Bursche denn keine Ruhe mehr finden können?«

Carruthers schrie förmlich vor Lachen, wurde aber in der nächsten Sekunde wieder ernst. »Wirklich, Carter, sind Sie blödsinnig genug, Isaak Meadows in diesem Haus hier suchen zu wollen?«

»Gewiss. Ich weiß, dass ich hier seine Fährte finde … hier in diesem Haus.«

»Sie sind belustigend naiv, Carter. Wollen Sie nicht vielleicht auch gleich die 55.000 Dollar in bar mitnehmen, die er nach seinem Entweichen der Midland National-Bank noch abknöpfte?« Er lachte fortgesetzt, wie zu einem guten Witz.

Doch dies machte keinen Eindruck auf den gelassen sitzen Bleibenden, der sich über die Wirkung seiner Worte durchaus im Klaren war und wohl wusste, wie er dies rein äußerliche Lachen zu taxieren hatte.

»Ja, ich will und werde zweifellos auch die gestohlene Summe auffinden«, bemerkte er kühl.

»Sagen Sie einmal, Carter, hat Ihnen noch niemand im Vertrauen gesagt, was für ein unbezahlbarer Esel Sie eigentlich sind?«

»Sicherlich. Ich habe aber immer gefunden, dass mich diese Leute, wie Sie eben wieder, sehr zu ihrem Schaden mit ihresgleichen verwechselt haben!«, lautete die lächelnde Entgegnung.

Carruthers biss sich auf die Lippen. Er änderte das Gesprächsthema. »Well, wenn Sie mein Haus zu durchsuchen wünschen, warum tun Sie dies nicht auf anständige Weise?«, fragte er.

»Was verstehen Sie unter einer anständigen Weise?«

»Nun, warum wahrten Sie nicht die gesetzliche Form und statteten sich mit einem Haussuchungsbefehl aus?«

»Weil ich dies ihnen gegenüber nicht für angebracht hielt, Carruthers.«

»Wirklich nicht? Sie sind doch immer großartig, Carter – wie nun aber, wenn ich von meinem Hausrecht Gebrauch gemacht und sie gleich einem tollen Hund niedergeschossen hätte? Nein, lächeln Sie nicht!«, fuhr er mit starker Stimme fort. »Ich sah Sie kommen und sich ins Haus einschleichen. Ich hätte Sie niederknallen können, als Sie die Tür öffneten – und by Jove! Ich begreife nicht, warum ich es nicht auch getan habe!«

Doch Nick Carter lächelte nur überlegen. »Mein lieber Herr, hätten Sie nicht gute Gründe für die Unterlassung eines solchen Mordes gehabt, so würden Sie unbedenklich geschossen haben, das steht fest«, versetzte er mit lachender Miene. »Ein toter Nick Carter ist unter Umständen so gefährlich wie ein lebendiger, zumal wenn man weiß, dass er im Auftrag der Kriminalzentrale handelt. Man würde mich morgen früh vermisst und nach mir gesucht haben.«

Carruthers lachte wieder. »Man würde Ihre Leiche nicht gefunden haben!«, rief er höhnisch. »Nein, ich will es Ihnen sagen – ich wollte sehen, was Sie eigentlich hier im Haus zu unternehmen gedachten … und hätten Sie nicht im selben Augenblick, da Sie die Laterne hervorzogen, auch schon Ihr Schießeisen bereit gehabt …«

»So würde Mr. Carruthers unbedingt geschossen haben«, ergänzte der Detektiv. »Da stimmen wir also ausnahmsweise einmal überein. Mit anderen Worten, es war zu dunkel, und Sie fürchteten, danebenschießen zu können. Außerdem waren Sie davon überzeugt, dass das Aufblitzen des Schusses mir genügend Beleuchtung gegeben haben würde, um gleichfalls zu schießen, und dass ich nicht verfehlt hätte, davon sind Sie wohl überzeugt, Mr. Carruthers. Mein plötzliches Kommen erschreckte sie – das ist alles!«

»Erschreckte mich … gewiss, ich bin der Mann der bleichen Furcht!«, hohnlachte Carruthers. »Es bleibt mir nur übrig, mich demütig vor Ihrer Weisheit zu beugen. Doch genug davon. Wann gedenken Sie das Haus zu durchsuchen, und in welcher Weise kann ich Ihnen hierbei behilflich sein?«

»In keiner Weise. Ich ziehe vor, das Haus allein zu durchsuchen.«

»Ohne mich? … Wissen Sie auch, dass dies sehr unhöflich von Ihnen ist?«

»Mag sein. Später werden Sie sich über Mangel an Höflichkeit nicht mehr zu beklagen haben.«

»Später? Und wann dürfte dies sein?«

»Wenn ich Sie innerhalb der Gefängnismauer weiß, Mr. Carruthers.«

Dieser warf den Kopf zurück und lachte wieder dröhnend auf.

»Sie sind der reine Spaßvogel, Carter!«, versicherte er. »So etwas gehört in das Witzblatt! Sie brechen in mein Haus ein und erklären mir mit edler Dreistigkeit, dass Sie meine Anwesenheit nicht wünschen, sondern allein sich nach Wertsachen umzuschauen gedenken.«

»Sparen Sie sich doch all diese Worte«, meinte der Detektiv. »Jedenfalls bleibe ich hier sitzen, bis Sie mich allein lassen – und wenn der ganze Winter darüber vergeht.«

»Nun, ich wüsste einen weit kürzeren Ausweg, um Sie loszuwerden. Ich brauche nur den nächsten Schutzmann herbeizurufen und Sie ihm als Einbrecher überliefern.«

Nun lächelte Nick. »Das würde ich an Ihrer Stelle unter allen Umständen tun, Carruthers. So machen Sie doch voran … dass Sie auf einen solchen Einfall nicht gleich bekommen sind!«

Doch Morris Carruthers rührte sich nicht vom Platz. Sekundenlang starrte er den anderen schweigend an.

»Sagen Sie einmal, Carter«, begann er dann in leichtem Ton, sich dabei auf die Rücklehne des nächsten Armstuhles stützend. »Warum haben Sie mich eigentlich die letzten zehn Tage über unausgesetzt beschatten lassen? Was tat ich, um solche Behandlung zu verdienen?«

»Hm, es handelt sich weniger um das, was Sie schon getan haben, als um das, was Sie noch zu tun beabsichtigen«, lautete die kaltblütige Entgegnung.

»Großartig ausgedrückt. Erwarteten Sie etwa, dass ich ähnlich wie Sie in ein friedliches Bürgerhaus einbrechen würde?«

»Nein. Ich nehme an, dass sie sich dazu dritter Personen bedienen!«

»Ah, dann gefällt es Ihrer und des Inspektors Weisheit, mich für einen Verbrecher zu halten, was, Carter?«

»Erraten. Wir halten Sie sogar für einen Verbrecherkönig, für einen Mann also, der zu gewieft ist, selbst den Kopf in die Schlinge zu stecken, vielmehr andere für sich arbeiten lässt und seine Einkünfte aus deren verbrecherischer Tätigkeit bezieht.«

»Großartig, wunderbar ausgedrückt, Carter. Nebenbei bemerkt, sind Sie heute Abend allein?«

»Ganz allein – sehen Sie das nicht?«, fragte Nick kalt zurück.

»Nun, der Augenschein täuscht manchmal!«

»Diesmal nicht! Mein Wort darauf, ich bin allein.«

Unheimlich begann es wieder in des Hünen Augen aufzuglühen.

»Wenn ich Ihrem Worte Glauben schenken könnte, dann möchte ich wohl …«, zischte er.

Nick Carter rührte sich nicht in seinem Sessel. »Nun, was möchten Sie dann wohl?«, erkundigte er sich gelassen.

Carruthers näherte sich langsam.

»Carter, Sie sind ein großer Narr, mir das zu sagen. Nun werde ich mir ein klein wenig körperliche Bewegung machen und Sie aus dem Haus werfen. Es sollte mir wirklich leidtun, brächen Sie bei dieser Gelegenheit einige Rippen!«